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Aus dem Bestand Besseres machen

Aus dem Bestand Besseres machen
Frühzeitige und transparente Kommunikation gewährleistet die Kooperationsbereitschaft der Mieter:innen, wie in diesem Haus von Altmannsdorf und Hetzendorf im 15. Bezirk in Wien, dem eine thermisch-energetische Sanierung bevorsteht.

Das Bauen im Bestand gilt als kompliziert, mit Unwägbarkeiten behaftet und damit teuer. Es mehren sich aber die Fachleute, denen das Umbauen Freude macht und die sich sozialen wie auch ökologischen Herausforderungen stellen.
— FRANZISKA LEEB

„Ich habe eine Riesenfreude am Umbauen entwickelt“, bricht der Bregenzer Architekt Matthias Hein eine Lanze für das Bauen im Bestand, das viele immer noch als undankbare Bauaufgabe wahrnehmen. Er war Juryvorsitzender beim Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2024, wo erstmals alle Preise ausschließlich an Revitalisierungen von Bestandsbauten vergeben wurden. „Neu ist besser als alt“ – diese Mentalität sei das größte Hindernis, so Matthias Hein. Daher hält er es auch für wichtig, dass beim Staatspreis gutes Bauen im Bestand vor den Vorhang geholt wird, damit auch andere zum Umbauen ermuntert werden: „Wir Architekturschaffende brauchen das Vertrauen, im Bestand gute – oder sogar bessere – Architektur realisieren zu können.“

Das Nachverdichten der Städte und Sanieren des Bestands ist weniger eine technische Herausforderung als vielmehr ein ständiges Ausverhandeln von Zielkonflikten und eine Frage der transparenten Kommunikation, umso mehr, wenn Interessen von Bewohner: innen zu berücksichtigen sind.

Gudrun Peller von realitylab, die nicht nur im Neubau, sondern zunehmend auch bei Sanierungs- und Dekarbonisierungsprojekten die soziale Prozessbegleitung übernehmen, erklärt, worauf es ankommt: „Gemeinsam mit dem Projektteam den geeigneten und frühestmöglichen Zeitpunkt zu finden, wann Bewohner:innen informiert werden, immer ehrlich bleiben und kommunizieren, dass man die Mitwirkung der Bewohner:innenschaft braucht.“ Je transparenter die Information der bestehenden Mieter:innen sei, umso weniger brodle die Gerüchteküche und umso weniger kämen Ängste auf.

Wird ein Haus umgebaut, thermisch saniert und auf ein neues Heizsystem umgestellt, wie zum Beispiel in drei Wohnhausanlagen vom Bauträger Altmannsdorf und Hetzendorf in Kooperation mit realitylab, ist das für die Profis aus Planung und Verwaltung kein großes Thema. Für die einzelnen Menschen im Haus hingegen sehr wohl. realitylab übernimmt in enger Zusammenarbeit mit dem Wohnbauträger und dem Planungsteam die Aufgabe, technische Fakten verständlich zu erklären, über den Bauablauf und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen zu informieren und auch mit Informationen zur Mietbeihilfe zu unterstützen.

Das persönliche Gespräch vor Ort sei ideal, so Peller, denn insbesondere armutsgefährdete, kranke oder alte Menschen brauchen einen vertrauten Rahmen, um sich öffnen zu können. Während manche froh sind, bald vom derzeitigen teuren, umweltschädlichen Energiesystem wegzukommen, fürchten andere, dass sie sich eine allfällige Mieterhöhung nicht leisten können, dass der Baustellenbetrieb das Arbeiten im Homeoffice beeinträchtigt oder eine geplante Luft- Wärme-Pumpe zu laut sein wird.

Stadtklimatologe Matthias Ratheiser setzt sich für systematische Vorgaben ein.

Stadtklima berücksichtigen

Expertise und gute Kommunikation sind auch unerlässlich, wenn es darum geht, Auswirkungen von Baumaßnahmen auf das Stadtklima zu analysieren und zu erklären. Vor einigen Jahren war „Kaltluftschneise“ ein Begriff, den außerhalb der Fachwelt kaum jemand kannte, heute führen ihn Bürger:innen oft ins Treffen, wenn es darum geht, Nachverdichtungen zu verhindern. Es sei gerechtfertigt, dass das Thema mehr in den Fokus rückt, bestätigt der Stadtklimatologe Matthias Ratheiser von Weatherpark. In Wien bringen die Kaltluftschneisen kühle Luft aus dem Wienerwald bis hinein zum Gürtel und begrenzen die sommerlichen Tropennächte.

Aber es werde die Kaltluft auch für Fragestellungen instrumentalisiert, wo sie nicht relevant ist. Online abrufbare Kaltluftkarten, wie sie bereits für Graz, Innsbruck, Linz und Wien existieren, schaffen Klarheit. „An Orten, wo es kein Kaltluftsystem gibt, muss man es auch nicht berücksichtigen“, betont Ratheiser. Aber: „Kaltluftschneisen sind kein K.o.-Kriterium für jegliche Entwicklung, sondern ich muss dann darauf schauen, wie ich baue. Es muss eine Schneise frei bleiben und die Gebäude dürfen nicht höher als die Kaltluft sein.“

Beschattung, gut gedämmte Häuser und Dachböden, keine dunklen Oberflächen, die sich aufheizen und in der Nacht die Hitze abstrahlen, aber auch keine strahlend weißen, weil die untertags das Sonnenlicht reflektieren und für einen zusätzlichen Hitzefaktor sorgen: Mit der Kombination vieler Maßnahmen lässt sich zu weniger Hitze in der Stadt beitragen. Aus klimatischer Sicht besonders sinnvoll wäre es, Innenhöfe ganzer Häuserblocks, die oft mit Nebengebäuden und Asphalt- oder Betonflächen versiegelt sind, zu entsiegeln und zu begrünen. Das wäre eine wirksame Maßnahme zum Ausgleich von Aufstockungen. Gemeinsam mit dem AIT hat Weatherpark anhand des Wiener Bezirks Meidling untersucht, wie es sich auswirken würde, wenn alle Widmungsreserven ausgenutzt werden, man also alle ein- und zweistöckigen Häuser, die mehr Stockwerke haben dürfen, erhöht.

Erhalten, verdichten und neuen Grünraum schaffen: Die Architekt:innen von Smartvoll machen aus dem Autopalast in Salzburg ein Wohn- und Gewerbequartier mit einem Dachausbau – rechts der Bestand. Fotos: ah, Smartvoll/Dimitar Gamizov, Weatherpark. Visualisierung: Matthias Bank

„Es hat sich gezeigt, dass dies auf die Überhitzung der Stadt nicht viel zusätzliche Auswirkung hat. Wenn man dafür irgendwo Flächen entsiegelt und einen Stadtteilpark macht, dann hat man Wohnraum und Ausgleichsfläche, hat also in Summe mehr davon.“ Generell vermisst Ratheiser systematische Vorgaben – zum Beispiel, dass mit notwendigen Arbeiten an der Infrastruktur zugleich Verbesserungen für das Stadtklima einhergehen müssen, es also nachher besser ist als vorher.

Genau das ist auch die Absicht der Architekt:innen von Smartvoll, für die das Bauen im Bestand nicht eine Ausnahme, sondern mittlerweile Normalfall ist. „Wir suchen immer nach Ansätzen, wie wir mit der Hitze in der Stadt umgehen können“, erklärt Christian Kircher, mit Philipp Buxbaum Co- Gründer des Büros.

Dicht und Grün

Das Prinzip nachverdichten und entsiegelte, grüne Ausgleichsflächen schaffen, verfolgen sie beim Auto-Palast in Salzburg. Dort realisierten sie vor zehn Jahren schon das Loft in der Panzerhalle, einem Militärgebäude aus dem Jahr 1939. Zuletzt transformierten sie ein Konglomerat aufgelassener Hallen eines Versandhandelshauses in Bergheim zum modernen Gewerbepark Handelszentrum 16. Nun erneut „adaptive reuse“, also die Adaption eines bestehenden Gebäudes, in der Mozartstadt: Das Kraftfahrzeuggeschäft mit Hochgarage im Stadtteil Schallmoos entstand 1924.

Damals gab es in Salzburg gerade einmal 25 zugelassene Automobile. Nach wie vor ist die Bausubstanz gut, Raumhöhen von dreieinhalb Metern bieten Potenzial für vieles. Unter der Bauherrschaft von Mayweg Immobilien wird das Autohaus zu einem Wohnhaus mit Büros, Werkstätten oder Läden im Erdgeschoß umgebaut. Noch ist man in der Entwicklungsphase, was in Aussicht gestellt wird, ist vielversprechend. Im asphaltierten und mit Blechbaracken bebauten Innenhof wird in Form quaderförmiger Baukörper mit begrünten Dächern nachverdichtet.

„Mit einer Substratschicht von über einem Meter können wir sie intensiv begrünen. Wo derzeit das Regenwasser in den Kanal rinnt, können wir in Zukunft 1,9 Millionen Liter Wasser auf dem Areal speichern“, rechnet Christian Kircher vor. Schwieriger beziffern lässt sich, wie viel lokale Geschichte und Erinnerungen im Auto-Palast gespeichert sind. Sie werden jedenfalls noch lange Zeit für guten Geschichten sorgen und garantieren, dass der Ort ein besonderer bleibt. Auch das muss man beim Bauen im Bestand auf der Haben-Seite einkalkulieren.

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Über den Wolken von Autobahn und Arena

Über den Wolkenvon Autobahn und Arena
Links der Helio Tower, rechts der Q Tower, im Hintergrund der 126 Meter hohe the one. Insgesamt umfasst The Marks rund 1.200 Wohnungen.

Vor knapp zwei Jahren wurde neben der Südost-Tangente das Hochhaus-Ensemble The Marks fertiggestellt. Wie wohnt es sich in den 20. und 30. Stöcken mit Blick auf Wien? Ein zum Teil, aber nicht nur herzerwärmender Lokalaugenschein an einem kalten, kalten Wintertag.
— WOJCIECH CZAJA

Ein Wind, ein Sauwetter, eine Eiseskälte bis ins Mark hinein. „Und vor wenigen Tagen“, sagt Theodor Siniša, „hat es uns sogar die Pflanzen am Balkon umgeweht, und das Spielzeug von unserem Kleinen, das das ganze Jahr über draußen im Freien ist, hat es durcheinandergewirbelt und zum Teil in ganz St. Marx verstreut. Da merkt man erst, wie hoch oben man ist.“ Gemeinsam mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn, der wie in einer Luxuskutsche dick eingepackt im Kinderwagen drinsitzt, bewohnt der 34-jährige IT-Consulter eine 70-Quadratmeter-Wohnung im 22. Stock, mit direktem Blick auf die Wiener Innenstadt.

„Als meine Frau schwanger wurde, war klar, dass wir in eine größere Wohnung umziehen müssen. Wir haben uns um eine Genossenschaftswohnung beworben, waren ein paar Monate lang auf der Vormerkliste, und plötzlich kam eines Tages das Angebot, dass wir uns eine Wohnung im Hochhaus anschauen können. Damit rechnet man nun wirklich nicht, wenn man sich für ein Wohnticket anmeldet.“ Die Lage sei sehr speziell, sagt Siniša, aber wenn einem das Urbane liege, gewöhne man sich schnell an das Grundrauschen unten auf der Südost- Tangente. „Ich kann mich noch an das Autohaus Forstinger erinnern, das hier früher mal stand, und an den großen Parkplatz davor. Und nun ist das alles weg, und auf einmal stehen hier drei riesige Türme mit insgesamt 1.200 Wohnungen. Unglaublich, was Stadtplanung alles schaffen kann, wenn man sich das einmal vergegenwärtigt.“

Die Geschichte der drei Wohntürme unter dem Titel The Marks, damals noch als Projektentwicklungsgebiet MGC Plaza firmierend, reicht bis ins Jahr 2013 zurück. Auf Basis eines kooperativen Planungsverfahrens wurde damals ein städtebaulicher Realisierungswettbewerb ausgeschrieben, den das StudioVlayStreeruwitz für sich entscheiden konnte. Damit ging der höchste der drei Türme mit 126 Metern Bauhöhe fix an das Siegerbüro. Das zweitplatzierte Büro RLP Rüdiger Lainer + Partner lieferte den Entwurf für den 114 Meter hohen Turm, die drittplatzierten BEHF Architekten schließlich bekamen den Zuschlag für den dritten Tower mit 108 Meter Höhe.

Vertraglich festgehalten

2016 haben die vier Bauträger Buwog, ÖSW, wbv-gpa und Neues Leben die 1,45 Hektar große Liegenschaft gekauft und mit der Stadt Wien einen städtebaulichen Vertrag abgeschlossen, in dem zentrale Kriterien zu den Themen Architektur, Freiraum, Mobilität und soziale Nachhaltigkeit festgehalten wurden. Bestandteil des Vertrags waren zudem ein gemeinsamer, dreigeschoßiger Sockelbereich mit Gewerbeflächen und offener Fahrradgarage, eine kooperative, bauplatzübergreifende Freiraumplanung durch Rajek Barosch Landschaftsarchitektur sowie eine Quote von zumindest 40 Prozent leistbarer Wohnungen nach dem Modell der Wohnbauinitiative (WBI). Im Frühjahr 2020 war Spatenstich.

Heute präsentieren sich die drei Türme als heterogenes Ensemble mit einem gemeinsamen Vorplatz in der Mitte: Die Buwog baute mit BEHF den Helio Tower mit streng kariertem Betonraster und gläserner Loggienstruktur, das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW) errichtete mit RLP den Q Tower mit zweifarbigen Balkonlamellen in Bronze- und Goldoptik samt dahinter liegendem Pfirsichputz, und wbv-gpa und Neues Leben zogen als Joint Venture the one hoch, ein Höhensuperlativ mit einer starken, expressiven Balkonlandschaft. „Das ist das höchste Wohnhochhaus, das die Gemeinnützigkeit je auf die Beine gestellt hat, ein 120-Millionen-Euro-Projekt mit 402 Wohnungen in Summe“, sagt Siegfried Igler, Geschäftsführer Neues Leben. „Im Sinne der öffentlichen Verantwortung war für die wbv-gpa und uns daher von Anfang an klar, dass wir das Risiko aufteilen müssen.“

Halbe-halbe-Zusammenarbeit

the one umfasst 178 Mietwohnungen und 224 frei finanzierte Eigentumswohnungen, wobei die Aufteilung zwischen den beiden Wohnbauträgern nach dem Modell A-B-A-B stockweise alteriert. Einen Unterschied zwischen wbv-gpa und Neues Lebens gebe es nicht, meint Igler, lediglich bei den Eigentumswohnungen habe man im Bereich Holzboden, Verfliesung, Sanitärausstattung und Klimaanlage in den obersten zehn Etagen etwas variiert. „Das, was der Markt halt so verlangt, wenn man im höherpreisigen Segment unterwegs ist“, meint Igler. „Und es war eine sehr gute Halbe-halbe-Zusammenarbeit, die sich bis heute bewährt hat – von der Errichtung über den Vertrieb bis hin zur Hausverwaltung.“

Siegfried Igler zu Besuch im 38. Stock. Nicht sehr lauschig heute.

Auch für Architektin Lina Streeruwitz, Partnerin im StudioVlayStreeruwitz, war die Kooperation mit zwei Bauträgern kein Nachteil. „Es war schön zu sehen, dass sowohl Siegfried Igler als auch Michael Gehbauer jeweils ihre Schwerpunkte und ihre persönlichen Steckenpferde hatten“, so Streeruwitz. „Und natürlich waren einige Planungsund Kommunikationsschritte die doppelte Arbeit, weil wir gleich zwei Adressaten und Entscheidungsträger hatten, aber dafür hat der Turm auch doppelt so viel Qualität.“ Besonders stolz ist die Architektin auf den Sauna- und Wellnessbereich im dritten Stock, auf den vorgelagerten Outdoor-Pool samt Sonnendeck sowie auf die 18 Meter hohe Lobby im Eingangsbereich.

Und genau die ist, wie sich bei der Vor-Ort-Begehung herausstellt, auch die Achillesferse des Projekts. Während man im Helio Tower mit einer offenen, einladenden Ästhetik in einer Mischung aus Volksgarten-Pavillon und Gummibaum-Dschungel willkommen geheißen wird, und während der Q Tower freundlich Hallo sagt mit viel Licht und Luft und Holz und einer goldfarbenen Wendeltreppenskulptur, muss man im Foyer von the one schon viel energetischen Anlauf nehmen, um den Raum unbeschadet zu passieren. Atemberaubend spannen sich über einem die Stege durch den Canyon, vom Stiegenhauskern bis zur Fassade und zu den Gemeinschaftsräumen, doch die düsteren Oberflächen aus Stein, Metall, Beton und dunkler Wandfarbe sind leider alles andere als einladend. Da helfen auch der Glastisch und die drei schwarzen Lederfauteuils nicht weiter.

Rendezvous auf der Laufbahn: Neues-Leben-Chef Siegfried Igler, Architektin Lina Streeruwitz und Hausverwalterin Sanja Boskovic

1:0 für Turm gegen Lobby

Die Wahrnehmung deckt sich auch mit jener der Bewohner:innen vor Ort. Wen auch immer man fragt an diesem eiskalten Wintertag, herrscht scheinbar einstimmige Einigkeit: Von außen betrachtet finden alle the one am schönsten, am spannendsten, am besten eingebettet im urbanen Gefüge, und auch am stimmigsten im Dialog mit dem Sockelbauwerk und der offenen Fahrradgarage rundherum, doch bei den Innen- und Willkommensräumen haben der Q Tower und Helio Tower eindeutig die Nase vorn. Es sind auch die einzigen Lobbys, in denen die Leute kurz stehen bleiben, mit dem Amazon- Päckchen und den Supermarktsackerln in der Hand, und mit ihren Nachbar:innen für ein halbes Minütchen ins Plaudern kommen.

Doch dafür, erzählt Sanja Boskovic, Hausverwalterin bei Neues Leben, sei man stolz darauf, dass in einem der Gemeinschaftsräume sogar schon mal eine Hochzeitsfeier stattgefunden hat. Das erlebe man im sozialen Wohnbau auch nicht alle Tage. Und auch der Pool – der einzige im ganzen Quartier The Marks – sei eine soziale Errungenschaft, für die man den einen oder anderen Nachteil gerne in Kauf nehme. Oder, wie Architektin Streeruwitz meint: „Ja, das haben wir schon paarmal gehört, dass die Leute die anderen Lobbys viel schöner finden. Aber damit kann ich leben. Doch dafür gibt es einen Swimmingpool, um den sich wbv-gpa und Neues Leben wirklich intensiv bemüht haben.“

Die Macht der Matrize

Kompromisse musste man im Planungsprozess auch bei der Fassade eingehen, besser gesagt bei den umlaufenden Loggien und Balkonbändern, die – ähnlich dem Q Tower – im Entwurfsstadium noch mit perforierten Metall- Elementen verkleidet waren. „Die Metall- und Fassadenbauer haben davon dringend abgeraten“, erzählt Siegfried Igler. „Sie haben befürchtet, dass es bei den Paneelen aufgrund der Fallwinde und der hohen Windgeschwindigkeiten hoch oben zu Vibrationen und Geräuschentwicklungen kommen könnte. Also mussten wir diese Option wieder ad acta legen.“

Aus der Not wurde eine mehr als schöne Tugend geboren: Während der obere Bereich der Brüstung verglast ist, hat StudioVlayStreeruwitz in den massiven Balkonsockeln nun ein serielles 3-D-Relief entwickelt, indem in die Schalungstafeln Matrizen mit rund vier Zentimeter breiten, vertikalen, prismatischen Graten eingearbeitet wurden. Mit Erfolg: Das Vor- und Zurückspringen der privaten Freiräume und das abwechslungsreiche Licht- und SchatSchattenspiel an der Oberfläche haben dem Einserturm nicht umsonst ein Platzerl am Siegerpodest der Schönheit beschert.

Auch bei den Farben im Stiegenhaus mussten die Architekt:innen ihr ursprüngliches Gestaltungskonzept in Rücksprache mit den Bauträgern noch mal überarbeiten. „Wir hatten uns zu Beginn an der Klaviatur der Farben von Le Corbusier angelehnt“, erzählt Lina Streeruwitz. Doch genau das, so Michael Gehbauer, Geschäftsführer der wbv-gpa, sei nicht wirklich realistisch gewesen.

„Das hat einerseits mit Aspekten von Pflege, Reinigung und Ausbesserungsarbeiten zu tun. Andererseits berufen wir uns hier auch auf unsere langjährige Erfahrung als Wohnbauträger: Farbe ja, aber bitte nicht im unmittelbaren Bereich vor der Wohnung, denn irgendwo fängt die Privatsphäre der Bewohner:innen an!“ Die Farbe reduziert sich nun auf den Vorbereich der Lifte, dafür gibt es, verteilt im ganzen Haus, ein Kunst-am-Bau- Projekt von Katrin Plavček.

Hier zu laut, dort einsame Stille

So weit alles super in The Marks? Fast! „Wie überall, wo auf engstem Raum 3.000 Menschen leben“, meint Siegfried Igler, „kommt im gesellschaftlichen Durchschnitt schon ziemlich viel zusammen. Mal sind Drogen im Spiel, mal gibt es einen Schuss in einer Wohnung, und dann die Sache mit den Lärmbeschwerden zur benachbarten Arena, die vor allem von den Bewohner: innen des Helio Tower ausgegangen sind.“ Einige Mieter:innen und Eigentümer:innen hätten sich von den Konzerten des benachbarten Kulturzentrums, das hier bereits seit 1977 zuhause ist, so stark belästigt gefühlt, dass sie vor Gericht gezogen sind. Fazit: Mit einer 600.000-Euro-Förderung der Stadt Wien bekam die Arena eine Schallisolierung und eine neue Soundanlage.

Theodor Siniša, Jennifer Lippl und Felix Putzke wohnen allesamt jenseits der 50-Meter-Höhenmarke und genießen die exotische Lage von The Marks mit Blick auf die Stadt.

„Das ist eigentlich schon lächerlich“, meint Jennifer Lippl. Seit wenigen Tagen teilt die 36-Jährige ihre 48-Quadratmeter- Wohnung im 18. Stock im Q Tower mit einem drei Monate alten Hund aus dem Tierheim. „Die Leute wissen ja, wo sie herziehen. Sie haben eine viel befahrene A23 vor der Haustür, und auch eine Arena, die seit fast 50 Jahren eine Kulturinstitution hier vor Ort ist. Natürlich hört man bei offenem Fenster die Musik bis hierher, na und? Wen das stört, der ist anderswo in Wien besser aufgehoben.“ Die Shop-Managerin schätzt The Marks aber vor allem aufgrund der guten Nachbarschaft. „Hochhäusern wird immer eine gewisse Anonymität vorgeworfen, aber die gibt es bei uns im Haus nicht wirklich. Wir sind gut vernetzt und fangen immer wieder einen Tratsch an, wenn wir uns über den Weg laufen.“

Und während es in fünf Minuten Gehdistanz mitunter zu laut ist, herrscht im Sockel von The Marks teilweise leider immer noch Stille. Im Rahmen des städtebaulichen Vertrags hatten sich die vier Bauträger dazu verpflichtet, im dreigeschoßigen Sockel Gewerbeflächen zu errichten. Zu ebener Erde gibt es einen Supermarkt, ein Fitness-Studio, einen Modeladen, einen gewerblichen Vermieter von Kurzzeitwohnungen und zwei asiatische Kettenlokale, einmal für den stilvollen Genuss und einmal fürs schnelle Essen. Und sogar ein 24-Stunden-Automatenladen namens Marktzeit mit regionalen, nachhaltigen Lebensmitteln hat sich hier eingemietet. Doch in den Obergeschoßen sieht die Sache leider anders aus. Ein Teil der 2.500 Quadratmeter Gewerbefläche steht immer noch leer.

Eckig im Kreis laufen

„Wir suchen eifrig nach Mieter:innen, und es gab bereits einige ernsthafte Interessent: innen, aber das ist hier draußen nicht so einfach, wie sich das die Stadt Wien im städtebaulichen Vertrag vorgestellt hat“, sagt Igler. „Wir haben es hier mit einem aufstrebenden Stadtteil zu tun, und für eine erfolgreiche Vermietung von so vielen Gewerbeflächen fehlt die kritische Masse. Ich bin voller Hoffnung, aber ich fürchte, das wird noch ein bisschen dauern.“ Umso erfreulicher fällt auf, wie in einem höchst informellen Rahmen so manche Raumressourcen clever genutzt werden: Im Sockelbereich des Helio Tower gibt es einen Kindergarten, der einen Gemeinschaftsraum im 3. Geschoß untertags einfach mitnutzt, während er am Wochenende und in den Abendstunden der Allgemeinheit zur Verfügung steht.

Die Fahrradgarage im Sockel des Wohnprojekts war Bestandteil des städtebaulichen Vertrags. Noch wird das Angebot eher zaghaft angenommen.

„Ja, es gibt noch einen gewissen Leerstand, aber ich denke, das ist bei so jungen Projekten keine Seltenheit“, sagt Felix Putzke, der eine Wohnung im 30. Stock des Helio Towers bewohnt. „Für mich passt es gut, denn die wichtigsten Dinge des Alltags hat man ums Eck, ob das nun Supermarkt, Fitness- Center oder eine rasche Möglichkeit zu essen ist. Der Rest wird sich noch entwickeln.“ Putzke, der gerade heimgekommen ist, am Weg zum Postkasten, in der Hand ein volles Einkaufssackerl, findet das Projekt The Marks durchwegs gelungen. Einen Kritikpunkt aber möchte er unbedingt noch loswerden.

„Es ist ein tolles Projekt an einem ungewöhnlichen Ort, der vor einigen Jahren wohl noch ein Tabu gewesen wäre: Wohnen direkt neben der Autobahn! Aber so sieht man, was alles Großartiges entstehen kann, wenn Bauträger: innen und Stadt an einem Strang ziehen. Echt aufregend, hier zu wohnen. Bloß eines ist echt eine schwache Leistung.“ Und zwar? „Die gummirote Laufstrecke im dritten Stock, wo man eckig im Rechteck laufen soll, das ist einfach nur ein billiger Marketing-Gag. Ich habe hier in den zwei Jahren noch nie irgendwen laufen gesehen. Keine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat, aber das funktioniert nur am Rendering.“

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Wie hoch? Wie dicht? Wie weit?

Antonia Roither-Voigt studierte Landschaftsplanung in Wien und war zunächst in der Stadtplanung und Immobilienentwicklung tätig. Seit 2024 ist sie Geschäftsführerin der Arwag Bauträger Gesellschaft.

Klimakrise, steigende Baukosten und der Bedarf an leistbarem Wohnen erfordern innovative Ansätze. Als gewerblicher Bauträger mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Errichtung leistbaren Wohnraums setzen wir auf kreative, nachhaltige Lösungen. Mit rund 78 Prozent geförderten Mietwohnungen im aktuellen Arwag-Bauvolumen bis 2026 ist leistbares Wohnen für uns gelebte Realität. Frei finanzierte Eigentums- und Mietkaufoptionen ergänzen unser Angebot.

Wir meinen: Althaussanierungen und schicke Dachbodenausbauten können zur Energieeffizienz und Dekarbonisierung des Gebäudebestands beitragen. Der notwendige leistbare Wohnraum im signifikanten Ausmaß entsteht auf diese Weise aber vermutlich nicht. Unser Fokus ist daher, vorhandene Flächenressourcen in Wien zu heben – sei es durch innovative Nutzungsänderungen oder intelligente Nachverdichtung in urbanen und peri-urbanen Räumen.

Effizienz ist dabei zentral. Und so sind unsere Projekte von nachhaltigen Materialien, durchdachten Grundrissen, alltagsorientierten Standards, aber natürlich auch von einer entsprechenden baulichen Dichte geprägt. Ergänzt wird das Wohnen durch soziale Infrastruktur und Gemeinschaftseinrichtungen, die das Zusammenleben der Bewohner:innen fördern und die Lebensqualität im Stadtquartier steigern.

Im Sinne der notwendigen städtischen Verdichtungen denken wir urbane Raumreserven neu – und kombinieren flächeneffizient Wohnen und Gewerbe. Dabei legen wir großen Wert auf technische Schnittstellen sowie auf die optimale Integration von Betriebsanforderungen wie etwa Anlieferung oder Emissionen. Unterm Strich tragen wir mit dieser Funktionsverschränkung dazu bei, den Versiegelungsgrad zu reduzieren.

Wir sehen noch Potenziale in Liegenschaftstransformationen und setzen uns dafür ein, sie sozial und wirtschaftlich sinnvoll auszuschöpfen. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es jedoch auch legislative Anpassungen: WEG, MRG, Bauordnungen, technische Richtlinien, Klimaschutz und Naturschutz müssen daher dringend weiterentwickelt werden. Denn wir wollen die Zukunft gestalten – und nicht am kleinsten gemeinsamen Nenner verharren.


Michael Schmidt gründete 2001 das Familienunternehmen 3SI Immogroup. Der Fokus liegt auf der Revitalisierung gründerzeitlicher Zinshäuser sowie auf Neubauprojekten im Premium-Segment.

Die innerstädtische Verdichtung – insbesondere durch Aufstockungen, Dachausbauten, Baulückenschließungen und Weiterbauen im Bestand – ist von zentraler Bedeutung, um urbanen Wohnraum nachhaltig zu gestalten. In Zeiten begrenzter Ressourcen tragen diese Maßnahmen dazu bei, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln.

Die Verdichtung innerstädtischer Räume bietet zahlreiche Vorteile: Neben der besseren Ausnutzung vorhandener Infrastrukturen entstehen lebendige Quartiere mit einer kritischen Masse, die wiederum Kultur, Gastronomie und Freizeitangebote fördern. Zudem profitieren Bewohner:innen von kurzen Wegen zu öffentlichen Verkehrsmitteln sowie zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Diese Kombination trägt wesentlich zur Steigerung der Lebensqualität bei. Den Vorteilen stehen jedoch auch Herausforderungen wie etwa Dichte, Enge, Schattenwurf und eingeschränkte Freiräume gegenüber. Bei der 3SI Immogroup setzen wir auf innovative Konzepte, die diese Aspekte durch intelligente Planung abmildern – mit Dachterrassen, begrünten Innenhöfen und der Integration von urbanem Grün.

Unsere Erfahrung zeigt, dass urbane Standorte mit optimaler Infrastruktur und zeitgemäßer Ausstattung besonders beliebt sind. Städtische Verdichtungsprojekte profitieren von dieser Nachfrage, da sie durch ihre Lage und Ausstattung eine hohe Anziehungskraft auf Mieter:innen und Käufer:innen ausüben. Diese Projekte verzeichnen steigendes Interesse und beweisen, dass innovative Planung und durchdachte Wohnkonzepte den urbanen Wohnbedarf ideal abdecken.

Wir verstehen uns daher nicht nur als Wohnraumentwickler, sondern auch als aktiver Protagonist der Stadtplanung. Mit Projekten, die von der behutsamen Revitalisierung historischer Bauten bis hin zu innovativen Neubauten mit effizienten Bauweisen und smarten Technologien reichen, leisten wir einen wertvollen Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung – und schaffen damit echten Mehrwert. Die Herausforderungen der Stadtverdichtung sehen wir als Chance, die urbane Lebensqualität neu zu definieren und nachhaltige Wohnkonzepte für kommende Generationen zu entwickeln.

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Einfach und effizient

Mehr bauen, aber günstiger und rascher, ist die Grundlage des Gebäudetyps-e in Deutschland.
Mehr bauen, aber günstiger und rascher, ist die Grundlage des Gebäudetyps-e in Deutschland.

Mit dem Gebäudetyp-e legt Deutschland die Latte für innovatives und kostengünstiges Bauen hoch. Noch gibt es keine Referenzprojekte, die wichtigsten Meilensteine, etwa wie aus einer Idee ein Gesetz werden kann, erläutert Fabian Blomeyer, Geschäftsführer Recht und Verwaltung der Bayerischen Architektenkammer.
— GISELA GARY

Die Idee hinter dem Gebäudetyp-e ist simpel: Es wurde nach einer gesetzlich gedeckten Möglichkeit gesucht, einfach, experimentell und effizientzu bauen. Das deutsche Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauweisen hat mit dem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ das Konzept hinter dem neuen Gebäudekonzept erarbeitet. Die Bayerische Architektenkammer lieferte den Anstoß für das neue Gesetz.

„Der Status quo in Deutschland ist ähnlich wie auch in Österreich, dass wir unglaubliche Preissteigerungen bei Wohnimmobilien erlebten – steigende Baukosten, Energiepreise, Lieferengpässe, Inflation wie auch explodierende Grundstückspreise, um nur einige Gründe zu nennen“, so Fabian Blomeyer, Geschäftsführer Recht und Verwaltung der Bayerischen Architektenkammer.

Mehr Freiheit für Planer

Der Gebäudetyp-e erlaubt mehr Freiheit bei der Planung und Genehmigung. Aktuell wurden 19 Pilotprojekte definiert, zuvor muss jedoch die deutsche Bundesregierung den Gebäudetyp-e offiziell als Gesetz anerkennen und die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen unter definierten Voraussetzungen zulassen. Zwei keine so kleinen Hürden, doch für Blomeyer steht fest: „Das Bauen muss wieder günstiger und einfacher werden.“

„Aktuell bauen wir systemisch kompliziert. Wir haben rund 5.200 Seiten, die das Bauen regeln, in Österreich sind es wenigstens ,nur‘ 35 Seiten“, schmunzelt Blomeyer. Der Experte zählt noch weitere mögliche Handlungsspielräume auf wie die Tragwerksplanung, der Schallschutz, die technische Gebäudeausrüstung oder das Wiederverwenden von Bauteilen. Bereiche, in denen seiner Meinung einiges „eingespart“ werden kann, ohne dass die gebaute Qualität verloren geht.

Es gibt de facto einen verbindlichen „Anspruch auf Abweichung“, das würde natürlich die Umsetzung des neuen Gebäudetyps unterstützen. Der ehemalige Justizminister Marco Buschmann brachte es gut auf den Punkt: „Gutes Wohnen hängt nicht davon ab, dass immer jede einzelne DIN-Norm eingehalten wird. Die Beteiligten von Bauprojekten müssen die Möglichkeit haben, einvernehmlich von Komfortstandards abzuweichen. Das geltende Bauvertragsrecht macht solche Vereinbarungen unnötig kompliziert.“

Wann und ob der Gebäudetyp-e nun Wirklichkeit wird, ist noch offen – Fakt ist, dass allein die Debatte über das Thema, dass wieder einfacher und effizienter gebaut werden muss, weit in die Europäische Union ausstrahlt und vielleicht auch in Österreich zu einem Anstoß für einen Bürokratieabbau und einer maßvollen Regulierung führt, ganz im Sinne des auch hierzulande dringend benötigten leistbaren Wohnraums.

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Teilen macht glücklich

Städtisches Leben im urbanen Block: Zukunftsszenario des Straßenraums mit geteilten Erdgeschoßnutzungen. Rendering: Renderei.at/Studio Mannerhatten. Foto: tatwort
Städtisches Leben im urbanen Block: Zukunftsszenario des Straßenraums mit geteilten Erdgeschoßnutzungen. Rendering: Renderei.at/Studio Mannerhatten. Foto: tatwort

Das Forschungsprojekt Pocket Mannerhatten in Wien liefert wichtige Erkenntnisse zu neuen Sharing-Konzepten in der bestehenden Gründerzeitstadt. Das Ergebnis ist eine kollaborativ umgesetzte Stadtteilentwicklungsstrategie, die nun in der gesamten Stadt angewendet werden könnte.
— MAIK NOVOTNY

Blickt man aus der Luft auf die Wiener Gründerzeitbezirke, drängt sich der erste Eindruck auf: Das hier ist schon fertig gebaut. In der Tat, große Lücken, die noch zu füllen wären, sind hier kaum auszumachen, aber dennoch bieten die Gründerzeitviertel ein Potenzial für die Nachverdichtung – trotz oder gerade wegen ihrer bereits hohen Bebauungsdichte. Der 2018 beschlossene Wiener Masterplan Gründerzeit legte hier ein Leitbild fest, das über den gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan hinausgehende bauliche Entwicklungen nur gemeinsam mit neuen Mehrwerten für die Nachbarschaft und Qualitäten vorsieht.

Wie diese Mehrwerte genau aussehen können und wie man ihren Wert bestimmt, lotete von 2016 bis 2021 das Forschungsprojekt Pocket Mannerhatten an einem Baublock (genau gesagt dem Block 261) in Wien-Ottakring aus. Die Finanzierung erfolgte größtenteils aus Mitteln des Klima- und Energiefonds und wurde im Rahmen des Programms Smart Cities Demo durchgeführt. Das Büro tatwort übernahm das Projektmanagement sowie die Verantwortung für Partizipation und Aktivierung und war federführend in den Bereichen Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit.

Eine zentrale Rolle im Projekt spielte Architekt Florian Niedworok, der sowohl Ideengeber als auch inhaltlicher Projektleiter war – er hatte die Grundidee bereits im Rahmen seiner Diplomarbeit entwickelt. Weitere Partner: innen im Projekt waren der Forschungsbereich Soziologie am Institut für Raumplanung der TU Wien, die Energy Economics Group (ebenfalls an der TU Wien) und, in der zweiten Projektphase, das Büro Grünstattgrau. Forschungsziel war eine kollaborativ umgesetzte Stadtteilentwicklungsstrategie auf benachbarten Parzellen, die auf dem Prinzip des Space-Sharing beruht.

Intensiver Prozess

Zu teilen gibt es in der Nachbarschaft eines Baublocks einiges: die Grünflächen im Hof, die Mobilität in Form von Car- und Bikesharing, die Versorgung mit erneuerbaren Energien, unterschiedliche Gemeinschaftsräume, die Erschließung der Gebäude, die Nutzung der Dachflächen und der Erdgeschoßzone sowie Formate der Zwischennutzung und soziale Einrichtungen. Die wesentlichen Stakeholder:innen dabei waren außer Eigentümer: innen und Mieter:innen auch Nachbar:innen, Hausverwaltungen, die Gebietsbetreuung und mehrere städtische Behörden.

In einem arbeitsintensiven und erfolgreichen Prozess wurden interessierte Teilnehmer:innen gefunden und „aktiviert.“ Wesentlicher Bestandteil des Konzepts Pocket Mannerhatten ist ein Bonus- System, mit dem die Bereitschaft zum Teilen belohnt wird, sei es durch finanzielle Zuschüsse, Widmungsausgleich bei Nutzung und Bauvolumen, oder durch Nutzungsrechte.

Das Finden von Eigentümer:innen, die bereit waren, das Sharing-Konzept mitzutragen, war einer der wichtigen Meilensteine, resümiert Susanne Lins, Geschäftsführerin von tatwort. „Um die Idee greifbar zu machen, haben wir ein Planspiel entwickelt, das den Blick auf den eigenen Häuserblock völlig neu eröffnet. Dieses Planspiel kam im Projektverlauf immer wieder zum Einsatz, um das Konzept zu veranschaulichen.“

Eine der großen Herausforderungen, die alle baulichen Sharing-Projekte betrifft, war die Koordination der unterschiedlichen zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer: innen. „Dennoch konnten wir bereits einige Umsetzungen realisieren, wie etwa eine PV-Anlage für mehrere Haushalte im Häuserblock sowie einen gemeinsam genutzten Privat-Pkw. Auf diese Erfolge ist das gesamte Team sehr stolz.“

Viele Impulse

Eine Ausstellung und die Kooperation mit der IBA_Wien 2022 halfen bei der Kommunikation in der Öffentlichkeit, erklärt Susanne Lins. „Für uns war es stets wichtig, die Projektergebnisse nach außen zu tragen und Menschen für die neue Perspektive auf die Stadt zu begeistern, die entsteht, wenn man über Liegenschaftsgrenzen hinausdenkt. Viele Impulse, wie etwa die Konzeption einer liegenschaftsübergreifenden Wohnung, kamen dabei auch durch den Austausch mit den Bewohner: innen.“ Einen weiteren Meilenstein markierte das Projekthandbuch von 2017, das die Forschungsergebnisse des Sondierungsprojekts dokumentierte und das in der zweiten Projektphase ab 2018 weiterentwickelt wurde.

Susanne Lins, Projektleiterin bei tatwort seit 2007, Geschäftsführerin seit 2012. Sie verfügt über langjährige Erfahrungen im Bereich Projektmanagement, Kommunikation und F&E-Koordination. Projektleitung zahlreicher Projekte mit inhaltlichem Schwerpunkt auf Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Energiethemen

Ein Kernpunkt des Projekts war die Übertragbarkeit des Sharing-Konzepts auf die gesamte Stadt. Was lässt sich diesbezüglich von Pocket Mannerhatten lernen? Ein Dreh- und Angelpunkt dabei, so Susanne Lins, ist das Anreizsystem, das für die Beteiligten einen konkreten Mehrwert anbietet. „Im Austausch mit verschiedenen Dienststellen der Stadt Wien konnten wir sowohl mögliche als auch derzeit noch nicht mögliche Anreize genauer definieren und präzisieren“, berichtet Susanne Lins. „Dieser Dialog war für uns sehr wertvoll, und unsere Impulse wurden mit großem Interesse aufgenommen. Die Implementierung eines solchen Anreizsystems würde jedoch zahlreiche gesetzliche Änderungen erfordern.“

So bietet der Laborversuch in Block 261 viele hilfreiche Erkenntnisse bei der akuten Frage, welche Potenziale der Nachverdichtung die Bestandsstadt hat und in welchem Ausmaß diese Nachverdichtung verträglich gestaltet werden kann. „Wenn Nachverdichtung zusätzliche Qualitäten für die bestehenden Bewohner:innen schafft, ist die Akzeptanz in der Regel höher“, sagt Susanne Lins. „Im Konzept von Pocket Mannerhatten ist das Gemeinwohl stets mitgedacht: Bauliche Veränderungen sollen immer einen positiven Effekt auf das Quartier haben.“ Fazit: Die Bereitschaft aller Beteiligten der Stadtgesellschaft zum Teilen sollte nicht unterschätzt werden.

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„Irgendwann muss es besser werden“

„Ich glaube, heute bremst vielfach die negative Stimmung.“ Georg Bursik

Georg Bursik ist Geschäftsführer des Baustoffproduzenten Baumit und zudem Vorstandsvorsitzender des Forschungsverbands der österreichischen Baustoffindustrie. Obwohl die Branche derzeit krisengebeutelt ist, zeigt er sich im Gespräch optimistisch.
— FRANZISKA LEEB

Das Familienunternehmen Baumit ist Österreichs führender Baustoffproduzent für Fassaden, Putze und Estriche. Die Rahmenbedingungen sind aktuell für die gesamte Bauindustrie nicht rosig oder zumindest herausfordernd. So hatte Baumit-Österreich im Jahr 2024 einen Umsatzrückgang von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Geschäftsführer Georg Bursik ist dennoch gut gelaunt und strahlt – auch wenn er durchaus Handlungsbedarf bei den politischen Rahmenbedingungen für die Bau- und Wohnungswirtschaft sieht – Zuversicht aus.

Sie machen einen sehr optimistischen Eindruck. Ist Entspannung in der Krise in Sicht?

Aus unserer Sicht kann ich nur sagen, dass das, was im vergangenen Jahr nicht im Rohbau aufgerichtet worden ist, heuer nicht mit unseren Putzen oder Vollwärmeschutz verkleidet werden kann. Nachdem der Rohbau wieder in Gang gekommen ist, kommen wir wieder zum Zug. Ich glaube, dass es 2026 soweit sein wird.

Woher dieses Vertrauen?

Irgendwann muss es wieder besser werden! Neben Deutschland ist Österreich eines der wenigen Länder, deren Bevölkerungsanzahl wächst. Die Menschen müssen irgendwo wohnen. 40.000 bis 60.000 Wohneinheiten werden derzeit jährlich gebraucht, von diesem Ziel ist man deutlich entfernt. Zudem gibt es stets einen gewissen Erneuerungsbedarf.

Was haben Sie von den Angeboten der letzten Bundesregierung zur Ankurbelung von Wohnbau und Sanierung gespürt?

Wohin die zwei Wohnbau-Milliarden hingegangen sind, weiß ich nicht. Bei unseren Kund:innen, bei unseren Baumeister: innen sind sie nicht angekommen, bei den Baustoffhändler:innen auch nicht. Und der Topf für den Sanierungsbonus des Umweltministeriums war im Dezember plötzlich leer. Ich gehe davon aus, dass es 2025 nichts geben wird, was ich angesichts der Budgetlage verstehe. Das wird uns natürlich treffen, aber es wird irgendwann einmal wieder weitergehen.

Haben Sie Wünsche an die neue Regierung?

Angesichts der jetzigen Budgetsituation neue Förderungen zu verlangen, ist schwierig. Aber man muss bedenken, dass die Bauindustrie für das Bruttoinlandsprodukt relevant ist und dementsprechend viele Arbeitskräfte beschäftigt. In mehrerlei Hinsicht gibt es Reformbedarf, um das Bauen zu erleichtern, ohne dass es die Steuerzahler: innen Geld kostet.

Zum Beispiel?

Es wäre wichtig, bürokratische Hürden abzubauen sowie die Bauordnungen zu entrümpeln. Weiters könnte man den Sanierungsbonus in Form von Steuererleichterungen neu aufsetzen. Derzeit gibt es kaum thermische Sanierungen und damit auch keine nennenswerten Einnahmen aus Lohnnebenkosten. Wenn man also zur Ankurbelung der thermischen Sanierung die Lohnnebenkosten verringert oder aussetzt, würde es nicht schlechter sein als der Status quo.

Das würde der CO2-Bilanz helfen und in einem arbeitskräfteintensiven Bereich stark zur österreichischen Wertschöpfung beitragen. Dem leistbaren Wohnbau würde eine Zweckwidmung der Wohnbauförderung helfen und generell wäre es gut, wenn wir wieder ein Bautenministerium hätten, in dem alle Bauagenden gebündelt sind, womit man der Baubranche mehr Sicherheit geben könnte.

Wäre es wünschenswert, wie in Deutschland auch in Österreich einen Gebäudetyp-e mit vereinfachten Anforderungen anzustreben, um das Bauen einfacher und kostengünstiger zu machen?

Ja, ich finde, man muss sich mit neuen Denkansätzen beschäftigen. Wie ich von den deutschen Kolleg:innen in unserer Firma höre, sehen sie darin eine Chance. Ein großer Kostenfaktor sind auch die verpflichtenden Stellplätze pro Wohnung. Warum kann es nicht auch Wohnungen ohne Stellplatz geben? Wenn ich das als potenzielle:r Mieter:in oder Käufer:in weiß, kann ich mich darauf einstellen. Die Baustoffe spielen beim Bauen die kleinste Rolle, die größte sind Vorschriften, Grundstückskosten und dergleichen.

Das müssen Sie mir genauer erklären. Alle Welt jammert über gestiegene Baustoffpreise.

Ja, sie sind teurer geworden. Beim Zement ist das zum einen ein Thema der gestiegenen Energiepreise. Bei den Stromkosten sind wir nach wie vor wahrscheinlich um das Doppelte bis Dreifache über dem Niveau vor der Pandemie und ich glaube auch nicht, dass wir so günstige Preise je wieder sehen werden. Wenn die Differenz dieser höheren Stromkosten in den Netzausbau investiert wird, dann ist das ja auch in Ordnung.

Das Zweite ist das Thema der geringer werdenden Zuteilung von CO2-Zertifikaten, die mittlerweile auch teuer sind. Und der dritte Aspekt sind die Lohnkostenerhöhungen. Da sprechen wir von 30 bis 35 Prozent Steigerung im Lauf der vergangenen vier Jahre. Das wird nicht runtergehen. Ich bin selbst bei den Lohnverhandlungen dabei. Negative Lohnabschlüsse hat es noch nie gegeben und das ist auch nicht sinnvoll.

Was ist abseits der wirtschaftlichen Herausforderungen aktuell das wichtigste Thema, mit dem sich die Branche beschäftigt?

Das Hauptthema, mit dem sich alle Unternehmen sehr stark beschäftigen, ist das Recycling von Baustoffen, wo die Massivbaustoffe im Vorteil sind. Und wir befassen uns intensiv mir der CO2- Reduktion bei Zement, was durch Rezepturen mit einem geringeren Klinkeranteil gelingt.

Wie sieht es mit Kreislauffähigkeit aus?

Da ist noch viel Wunschdenken im Spiel und das geht nicht bei allen Bauteilen im gleichen Ausmaß. Bei Fenstern ist das eine Illusion. Natürlich kann man die aus- und wieder einbauen. Aber wenn das ein Fenster aus den 1960er- Jahren ist, hat das maximal eine Zweischeibenverglasung und erfüllt nicht mehr die notwendigen technischen Funktionen.

Und im Neubau die Konstruktionen und Bauteile so anzulegen, dass sie 100 Jahre halten oder reparaturfähig sind, ist das auch eine Illusion?

Das halte ich für den absolut richtigen Weg. Ganz ehrlich! Man sollte Gebäude so bauen, dass man später die Innenräume anders konfigurieren kann. Man konnte das früher auch. Warum sollte es also heute nicht gehen? CO2- Neutralität zu erreichen, halte ich allerdings für schwierig, solange Menschen auf der Erde sind. Aber das Ziel soll schon sein, dass man die CO2-Bilanz der Baustoffe verbessert und Dinge länger nutzt und reparierbar macht.

Die Wärmedämmverbundsysteme stehen stark in der Kritik. Denken Sie, dass damit in absehbarer Zeit Schluss sein wird?

Aus einem Versuch mit der MA 39 in Wien wissen wir, dass die ältesten Wärmedämmverbundsysteme schon 60 Jahre alt sind. Klar sind die Putze nicht mehr so sauber, aber das ist kein Putz, der so alt ist. Aber technisch sind sie absolut funktionsfähig. Man kann also davon ausgehen, dass die Fassaden 60 oder manche sicher 70 Jahre halten. Warum also nicht hundert? Den Anstrich erneuern oder Risse ausbessern, muss man sowieso.

Alternativ hätte ich nichts gegen größere Wandstärken und leistungsfähige Dämmputze. Wir beschäftigen uns aber auch mit der Kreislauffähigkeit vom WDVS, es gibt ja bereits ein Verfahren, bei dem das EPS aufgelöst und wiederverwendet werden kann. Es fällt derzeit aber kaum gebrauchtes EPS an, weil die Gebäude noch zu jung zum Abreißen sind.

Welche Rolle spielt für Sie der großvolumige Wohnbau?

Anders als im Einfamilienhausbau, wo wir mehr Einfluss haben und Tipps geben können, geht es im mehrgeschoßigen Wohnbau weniger um das hochqualitative Ergebnis. Da wird innen leider kaum mehr verputzt, sondern das kommt eben der dünne Spachtel an die Wand, der wenig raumluftregulierend ist. Aber es ist kostengünstiger.

Abgesehen von den genannten Wünschen an die Regierung, was wünschen Sie sich im Allgemeinen?

Ich wünsche mir, dass die Leute wieder optimistischer werden. Es geht uns gut in Österreich, wir leben in einem tollen Land. Mir tut es leid, wenn die Leute so herumjammern und so tun, als wäre alles schlecht. Das ist es nicht, auch wenn es jetzt ein bisschen schwieriger ist. Im Vergleich mit Osteuropa, das ich gut kenne, weil ich fast ein Jahrzehnt Baumit-Geschäftsführer in Ungarn war, haben wir hier vielfach Luxusprobleme.

Werden sich Zinssenkungen bemerkbar machen oder werden sie überschätzt?

Ich glaube, das wird sich schon bemerkbar machen. Ich finde es auch richtig, dass man die KIM-Verordnung mit Mitte des Jahres auslaufen lässt. Das ist auch ein Thema der Eigenverantwortung. Deutschland hatte allerdings keine KIM-Verordnung und dennoch ist nicht mehr gebaut worden. Man bekommt derzeit für drei Prozent Zinsen einen Kredit. Meine Eltern haben noch 15 Prozent Zinsen gezahlt. Das war eine andere Zeit, aber ich glaube, heute bremst vielfach die negative Stimmung.

Wie sieht Ihr Traumhaus aus, wenn weder Geld noch Normen eine Rolle spielen?

Das ist eine super Frage. Ich wohne mit meiner Familie in einem Haus, das wir gebraucht gekauft und erweitert haben. Nachdem zwei von drei Kindern aus dem Haus sind, ist alles viel zu groß und ich hätte gern ein kleineres Haus. Mein Traumhaus wäre ebenerdig, nicht zu groß, man muss es ja auch instandhalten. Es wäre auf jeden Fall ein Massivhaus und es hätte wenig Technik oder nur Dinge, die ich selbst reparieren oder beherrschen kann. Es soll möglichst energieautark sein, mit Photovoltaik und Wärmepumpe. Eine Wohnung am Meer wäre auch eine Option.

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Städte im (Klima-)Wandel

Städte im (Klima-)Wandel
Carina Wenda, Raumplanerin, seit 2020 im Magistrat der Stadt St. Pölten tätig, zuvor Abteilung Stadtplanung, seit 2023 Leiterin für nachhaltige Planungsprozesse in der neu gegründeten Klimakoordinationsstelle

Die voranschreitende Klimakrise stellt unsere Städte vor allem in historisch gewachsenen Siedlungen vor große Herausforderungen. Besonders komplex sind die festen Rahmenbedingungen, die durch begrenzten Raum und bestehenden städtischen Kontext gegeben sind. Die stadtplanerischen Möglichkeiten sind dadurch stark eingeschränkt.

Es ist unumstritten, dass in den Altbeständen der Städte der Handlungsdruck besonders hoch ist. Historische energetisch ineffiziente Bauten, fehlende Nutzungsvielfalt und hohe Flächenversiegelung führen zu erhöhten CO2-Emissionen und klimatischen Belastungen, wie sommerliche Überhitzung. Es stellt sich somit die Frage, wie bestehende Strukturen nachhaltig weiterentwickelt werden können, um einen substanziellen Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasemissionen zu leisten und gleichzeitig die Lebensqualität zu erhalten bzw. im Idealfall auch zu steigern.

Qualitätsvolle Nachverdichtung

Eine Möglichkeit, dieser Thematik in Städten und Gemeinden zu begegnen, ist, sich im Zuge von Siedlungsentwicklung auf Nachverdichtung zu fokussieren – beispielsweise durch die Bebauung von nicht- oder untergenutzten Baulücken oder Brachflächen. Das bringt auch infrastrukturelle Vorteile: Bestehende Versorgungsnetze, wie Kanalisation, Wasserleitungen und öffentlicher Nahverkehr können effizienter genutzt werden. Dadurch entfällt der Bedarf an kosten- und ressourcenintensivem Ausbau neuer Infrastruktur. Zudem reduzieren kürzere Wege innerhalb der Stadt das Verkehrsaufkommen und tragen zur Senkung der CO2-Emissionen bei.

Ein weiterer wesentlicher Hebel ist die vertikale Verdichtung durch die Aufstockung bestehender Gebäude. Nationale wie internationale Beispiele zeigen, dass die intelligente Kombination von Altbestand mit Neubau nicht nur zusätzlichen Raum schafft, sondern auch das architektonische Stadtbild bereichern kann. Für derartige Maßnahmen benötigt es eine Anpassung und Weiterentwicklung städtischer Planungsinstrumente. So müssen beispielsweise Bebauungspläne die Erhöhung von Gebäudeklassen zulassen, während gleichzeitig die städtebauliche Verträglichkeit gewährleistet bleibt. Das Ortsbild sowie stadtbildprägende Elemente sollten durch Verdichtungsmaßnahmen nicht negativ beeinträchtigt werden.

Gleichzeitig erfordert die Nachverdichtung auch eine stadtklimatologische Betrachtung. Intensive Verdichtungsmaßnahmen und zusätzliche Flächenversiegelung dürfen natürliche Kühlungsmechanismen der Stadt nicht beeinträchtigen. Ebenso besteht die Gefahr, wichtige Frischluftkorridore zu blockieren, die essenziell für die Belüftung und Temperaturregulation von Stadtgebieten sind. Daher ist eine integrierte Planung unerlässlich, die sowohl bauliche als auch klimatische Auswirkungen umfassend berücksichtigt, um Synergien zu fördern und negative Effekte zu minimieren.

Quartiere als Reallabore

Leider gibt es keine universellen Lösungen, die problemlos auf jede Stadt gesamtheitlich übertragen werden können. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, derartige Entwicklungen zu Beginn in einem kleineren Maßstab zu betrachten. Eine Möglichkeit ist die Fokussierung auf die Quartiersebene, die aktuell in Österreich zunehmend in den Vordergrund tritt. Quartiere dienen hierbei als sogenannte „Reallabore“, in denen nachhaltige Maßnahmen auf deren Effektivität und Wirksamkeit getestet werden.

Daraus resultierende Erkenntnisse können anschießend Eingang in die gesamtstädtische Planung finden. Durch den Blick über die Gebäudehülle hinweg, werden weitere Aspekte integriert betrachtet und entsprechende Synergien geschaffen. Beispielsweise Mobilität, die Gestaltung des öffentlichen Raums, die Integration von blau-grüner-Infrastruktur sowie klimaangepasster sozialer Treffpunkte leisten gleichermaßen einen Beitrag zur nachhaltigen Stadtplanung wie die klimaresiliente Entwicklung von Gebäuden.

Die nachhaltige Transformation unserer Städte im Bestand ist ein vielschichtiger und herausfordernder Prozess mit enormem Potenzial. Nachverdichtung ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen, welche dringend notwendig sind, um Städte klimagerecht und qualitätsvoll zu gestalten. Entscheidend ist dabei eine integrierte Planung, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte gleichwertig berücksichtigt. Nur durch ein Zusammenspiel von Innovation, Anpassungsfähigkeit und dem Willen zur Veränderung können Städte die drängenden Herausforderungen der Klimakrise bewältigen und zugleich lebenswerte Räume für kommende Generationen schaffen.

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Auf allen Ebenen

Auf allen Ebenen
An der Schanze, Bauplatz G2: ein Kindergarten mit Rutsch-Verbindung in den Garten und Wohnungen für Alleinerziehende im Haus der Wien-Süd nach Plänen von Querkraft

Diesen Winter war Baubeginn im Quartier „An der Schanze“ in Wien-Floridsdorf. Die Wien-Süd errichtet dort ein Haus, das in mehrerlei Hinsicht den Alltag mit Kindern erleichtert.

„Man kann ein Kind nie zu sehr verwöhnen“, sagte einst Simone Veil (1927–2017), französische Gesundheitsministerin in den 1970er-Jahren. In ganz Frankreich sind Kindergärten und Schulen nach der großen Europäerin und Frauenrechtlerin benannt, in Wien-Floridsdorf seit 2019 eine neue Gasse. Sie quert das künftige Wohnquartier „An der Schanze“ im Stadtentwicklungsgebiet Donaufeld. Die Wien-Süd errichtet an der südlichen Straßenseite einen L-förmigen Wohnbau nach Plänen von querkraft Architekten.

„Leben auf allen Ebenen“ lautet das Motto, letzten Winter war Baubeginn. „Aufgrund eines ambitionierten Raumordnungskonzepts waren zahlreiche Anforderungen unter einen Hut zu bringen: leistbarer Wohnraum, ein Kindergarten, bauplatzübergreifende Kinder- und Jugendspielplätze, Urban Gardening, möglichst große Freiräume“, erklärt Vorstandsvorsitzender Andreas Weikhart.

Das Haus mit 74 Wohnungen (davon 19-Smart-Wohnungen und 38 geförderte Mietwohnungen, der Rest frei finanzierte Eigentumswohnungen) wird seinem Motto in jeder Hinsicht gerecht. Der Kindergarten nimmt das Erdgeschoß und erste Obergeschoß des nördlichen Riegels ein. Großzügige Dachterrassen, eine davon mit angrenzendem Gemeinschaftsraum und benachbarter Waschküche im 4. Obergeschoß, großzügige Kinderwagenabstellräume sowie Einlagerungsräume auf Ebene der Wohnungen – all das erleichtert den Alltag mit und ohne Kinder und sorgt dafür, dass in jedem Geschoß soziales Leben stattfindet.

Sozial, vernetzt, grün

Das Architekturbüro querkraft zeichnet – gemeinsam mit dem Raumplanungsbüro Stadtland – auch für das Leitbild für die Entwicklung des gesamten Areals verantwortlich. „Die zentrale Idee besteht darin, entlang eines Ereignisbands mit wichtigen Einrichtungen der Versorgung die Subzentren Floridsdorf und Kagran miteinander zu verknüpfen, ohne im Donaufeld ein neues Zentrum zu etablieren“, erklärt Peter Sapp von querkraft. „Weitere wichtige Bestandteile sind der zentrale Grünzug bis zur Oberen Alten Donau, eine Stadtwildnis, ein engmaschiges fußgänger- und fahrradfreundliches Wegenetz und der Verzicht auf Tiefgaragen in jedem Haus.“

Zwei Mobilitätsstationen mit Ladeinfrastruktur, an denen ein Pkw, EBikes, Lastenräder, Fahrradanhänger und Kinderräder ausgeliehen werden können, sowie Hochgaragen sind zentrale Elemente des Mobilitätskonzepts. Damit bleiben die Grünräume um die Häuser durchwegs frei von Unterbauungen, womit gute Bedingungen für die Vegetation jeglicher Art und Größe herrschen. Ganz im Sinn des Leitthemas der IBA-Wien „Neue soziale Quartiere“ sind belebte Sockelzonen, bauplatzübergreifende Freiraumgestaltung (Kräftner Landschaftsarchitektur) und ein besonderer Fokus auf die Wohnbedürfnisse von Alleinerziehenden wesentliche inhaltliche Pfeiler des Quartiers.

„Solange wir miteinander auskommen, solange wir teilen, leben wir zusammen.“ Auch das ist ein Zitat der prominenten Straßen-Namensgeberin. In zwei Jahren wird das Quartier fertig sein und sich zeigen, welche Effekte die intensive Kooperation aller Beteiligten auf das Zusammenleben im Stadtviertel bewirkt.

Quelle: Visualisierung querkraft-oln

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Auf dem Weg zur Dekarbonisierung

Auf dem Weg zur Dekarbonisierung
DreiGang in Golling: Ein Wohnbau der Salzburg Wohnbau, bei dem der Bestand – ein altes Seniorenwohnhaus – für den Neubau wiederverwendet wurde. Beim Rückbau wurden 4.300 Tonnen Recyclingmaterial gewonnen.

Auf dem Weg zur CO2-Neutralität im Bauwesen muss einerseits der Gebäudebestand dekarbonisiert werden, andererseits muss aber auch das menschliche Grundbedürfnis Wohnen weiterhin leistbar gemacht werden.

Am CEPS Construction Day, der gemeinsam von der Plattform ReConstruct, Mistra Carbon Exit und CEPS in Brüssel veranstaltet wurde, wurden die Herausforderungen der Bauwirtschaft mit hochkarätigen Experten diskutiert. Gemäß den aktuellen Studien der EU-Kommission stammen rund 40 Prozent des Treibhausgasausstoßes der EU vom Gebäudesektor. Im Zuge des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes teilen sich die Emission in ca. 79 Prozent betriebliche Emissionen (Operational Carbon) und ca. 21 Prozent Emissionen, die bei der Rohstoffgewinnung, Transport und Bau sowie Instandhaltung (emboided Carbon) eines Gebäudes entstehen, auf.

Im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung des Sektors verfolgt die Europäische Kommission eine aktive Rolle im Bereich der Gesetzgebung zu den Materialien (emboided Carbon) und bei der Gesetzgebung im Bereich der Energie (operational Carbon). Ein Beispiel dafür ist die 2024 neu erschienene EU-Gebäuderichtlinie (Energy Performance of Buildings Directive – EPBD) in der als Hauptpunkt die Verpflichtung zur Berechnung und Darstellung des „Lebenszyklus-Treibhausgaspotenzials“ für alle Neubauten über 1.000 Quadratmeter ab 2028 und für alle Neubauten ab 2030 vorgesehen ist.

ReConstruct
Das herausfordernde EU-Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft bis 2050, zu dem sich Österreich bereits für 2040 bekannt hat, erfordert radikale Veränderungen. Im Fokus stehen dabei Baustoffe, deren Funktionalitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie ein evolutionäres Management. Dazu wurde ReConstruct als Forschungsplattform zur Zukunft des Bauens von Wifo, Sustainserv Zürich/Boston, Center for European Policy Studies Brüssel, Wegener Center an der Universität Graz, ins Leben gerufen und vom Fachverband Steine-Keramik gefördert.
reconstruct-project.eu

Im Rahmen der Regelwerke für Bauprodukte werden von der EU zudem auch andere regulative Verfahren und Methoden wie beispielsweise nachhaltige Gebäudebewertung (Levels), Regelungen im Bereich der Taxonomie oder im Bereich öffentliche Auftragsvergabe angewendet. Im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung des Gebäudesektors werden Themen wie Materialeffizienz, Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energieproduktion eine wesentliche Rolle spielen.

Der CEPS Construction Day startete mit einem Workshop, der von Angela Köppel vom Wifo moderiert wurde. Dabei wurden verschiedene innovative Pilotprojekte und Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit effektiven Reduktionsmöglichkeiten von CO2 im Neubau und in der Sanierung vorgestellt. Sebastian Nödl von der 2226 GmbH aus Lustenau erläuterte das Konzept des 2226 Hauses, das ohne aktive Technik für Heizung und Kühlung sowie Ventilation auskommt. Die optimale Steuerung werde von der AI übernommen, die das Nutzer:innenverhalten energetisch optimiert. Florin Leighton-Hirsemenzel vom Institut für Nachhaltige Technologien aus Gleisdorf präsentierte die serielle Gebäudesanierung mit vorgefertigten Fassaden und Dachelementen, die sowohl zum Heizen als auch zur Energiegewinnung genutzt werden. Ida Karlsson von Mistra Carbon Exit belegte anhand der Sanierung eines Bürogebäudes (Aufstockung, neue Fassade, Materialeinsparungen etc.) über 50 Prozent Einsparungspotenziale betreffend CO2-Ausstoß gegenüber einem gleichwertigen Neubau.

In der Diskussion mit Christian Egenhofer, Centre for European Policy Studies Brüssel, CEPS, Ida Karlsson, Mistra Carbon, Patricia Urban, Katharina Knapton-Vierlich, DG GROW, und Wolfgang Amann, IIBW, stand vor allem die Notwendigkeit einer verbindlichen „Roadmap“ samt klaren nationalen Regelungen zur CO2-Einsparung im Gebäudesektor im Mittelpunkt. Laut Josefina Lindblom von der DG Environment fehlt es in der EU an einer Gesetzgebung zum „embodied carbon“ von Gebäuden.

In der Diskussion wurde eine einheitliche EU-Roadmap gefordert: Christian Egenhofer, Ida Karlsson, Patricia Urban, Katharina Knapton-Vierlich und Wolfgang Amann

Verbindliche EU-Roadmap

Die bisherigen Regelungen im Bereich des Emission Trading Systems und der EPBD wären nicht ausreichend, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu forcieren. Sie forderte eine verbindliche EURoadmap, um „whole life carbon“ von Gebäuden zu reduzieren. Sie schlug vor, das „Level(s)“ Gebäudebewertungssystem für Neubau und Renovierung verbindlich in Kraft zu setzen, da dieses über Indikatoren für „whole life carbon“ verfüge und leicht um verpflichtende Maximalwerte ergänzt werden könnte.

Darüber hinaus sprach sich Lindblom für eine rasche Umsetzung der „End-of- Waste-Kriterien“, des „Net Zero Industry Acts“ und des „Affordable Housing Plans“ im Rahmen des Clean Industrial Deals aus. Sebastian Spaun von der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie wies explizit darauf hin, dass die Daten im Bereich der Lebenszyklusanalyse von Bauprodukten sehr sensibel seien und besonders auf deren Plausibilität und Richtigkeit geachtet werden müsse, da es ansonsten zu einer Verzerrung der Bewertung einzelner Baustoffe kommen könne:

„Die europäischen Wälder wurden als Folge des Klimawandels von der CO2-Senke zur Emissionsquelle – daher ist ein Ökobilanzminus für Holzprodukte nicht mehr gerechtfertigt. Der ,Global Forest Review‘ des World Resources Institute hat dazu aufrüttelnde Daten zum Zustand der globalen, insbesondere der europäischen Wälder publiziert.“

Am Nachmittag präsentierte Peter Richner von der Forschungseinrichtung Empa der ETH Zürich aktuelle Forschungsaktivitäten: „Der Weg von der Nutzung fossiler Energie mit massiven CO2-Emissionen und der Übergang auf erneuerbare Energien muss in einen Reinigungsprozess der Atmosphäre münden, der durch CO2-Abscheidung sowie Nutzung und Speicherung gelingen kann und an deren detaillierter Umsetzung z. B. in Polymeren oder in Baumaterialien gerade intensiv geforscht wird.

Wenn der aus der Atmosphäre gewonnene Kohlenstoff in Baustoffen gebunden wird, wären diese je nach Volumsanteil ,embodied carbon‘ als negativ in der Ökobilanz von Gebäuden zu verbuchen. Dieses CO2 kann bis zu 4.000 Jahre in Beton gespeichert werden, der damit zu einer wichtigen, globalen Kohlenstoffsenke weiterentwickelt werden kann.“

Haimo Primas, CEO Holcim Österreich, bezeichnete die CO2-Speicherung als einzigen machbaren Weg für die Zementindustrie, wie die Dekarbonisierung gelingen kann.
Fotos: Salzburg Wohnbau, Luke Greaves

Klimapositive Wertschöpfungsketten

Heimo Primas, CEO Holcim Österreich, unterstrich die Verantwortung der Zementindustrie auf dem Weg der EU zur Nullemission im Jahr 2040. Kurzfristig wird gemäß Primas dabei die Reduktion des Klinkeranteils im Zement auf rund 50 Prozent angestrebt, was für die meisten Betonanwendungen ausreicht, um eine entsprechende Qualität garantieren zu können. Mittelfristig bezeichnet Primas die CO2- Speicherung als einzigen machbaren Weg für die Zementindustrie, wie die Dekarbonisierung gelingen kann.

Christian Holzleitner von der Generaldirektion Klima der Europäischen Kommission betonte die Wichtigkeit von klimapositiven Wertschöpfungsketten entlang des Bauprozesses. Katharina Knapton-Vierlich von der DG Grow sprach sich für eine EU-weite Forcierung der Vorfertigung von Bauteilen aus. Diese bringe viele Vorteile mit sich: kürzere Bauzeiten, weniger Fachkräfte auf der Baustelle, erleichtert Rückbau sowie Wiederverwendung und Recycling, forciert Umsetzung von wholelife- carbon Vorgaben und erleichtert die Ökobilanzierung von Bauteilen/Gebäuden. In Bezug auf den Clean Industrial Deal kündigte Knapton-Vierlich Erleichterungen im EU-Beihilfenrecht (als Antwort auf USA und China) sowie neue Regelungen für public procurement an.

Christian Egenhofer vom CPES betonte abschließend, dass das Denken und Handeln in industriellen Maßstäben die Umsetzung des Clean Industrial Deal forcieren wird – betreffend die Speicherung von Kohlenstoff in Gebäuden, bei der Vorfertigung, bei Zulassungen/ Bewilligungen, bei der Taxonomie etc.: „Ziel muss ein Kohlenstoffkreislauf sein, der auf Bauteilen/Gebäuden basiert. Das Gebäudeökosystem muss vom CO2-Emittenten zum globalen Kohlenstoffspeicher bzw. zur CO2- Senke weiterentwickelt werden.“

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Flächen bestmöglich nutzen

Flächen bestmöglich nutzen
100 Meter in die Höhe gebaut, wenig Boden verbraucht: Schneewittchen und Loftflügel, geplant von Bevk Perović Arhitekti, ein Wohnbau der Wino GmbH und egw im Nordbahnhofviertel in Wien, inklusive Bauteilaktivierung

Die verfügbaren Flächen für Wohnen, Gewerbe, Energiegewinnung, Infrastruktur, Landwirtschaft und Freizeit sind begrenzt. Dementsprechend sorgsam und nachhaltig müssen sie genutzt werden. Der Baustoff Beton bietet platzsparende, energieeffiziente Lösungen.

Wohnbau oder Gewerbe? Lebensmittelproduktion oder Energieerzeugung? Infrastrukturbau oder Renaturierung? Wie Flächen in Österreich bestmöglich genutzt werden, ist umstritten, hitzige Diskussionen werden häufig ohne Berücksichtigung des Bedarfs, wie z. B. nach leistbarem Wohnraum, geführt. Der Baustoff Beton wird dabei vielfach als Synonym für den verschwenderischen und klimaschädlichen Umgang mit Grund und Boden verwendet.

Österreichischer Betonpreis 2025 
Noch bis 4. April können Projekte für den Österreichischen Betonpreis eingereicht werden. Der Österreichische Betonpreis, der sich mittlerweile in die Riege der beliebten Bauund Architekturpreise einreiht und 2025 zum zweiten Mal vergeben wird, zeigt die Stärken des Baustoffs Beton. Zugelassen sind sowohl Neubauprojekte als auch Nachverdichtungen und Sanierungen.
beton-dialog.at

Flächennutzung ist jedoch keine Frage des Baustoffs. Oft geht es weniger darum, wie gebaut wird, sondern ob und wo. Diese Entscheidung liegt nicht in den Händen der Baustoffhersteller:innen, sondern in der Entscheidungskraft von Gemeinden, Bundesland und anderen an Bewilligungsverfahren beteiligten Akteur:innen.

Bodenschutz ist wichtig. Das heißt aber nicht, dass nicht mehr gebaut werden darf. Denn Wohnen und Infrastruktur sind ein Grundbedürfnis – und die Bevölkerung wächst. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die österreichische Bevölkerung um rund eine Million vergrößert. Wir brauchen dringend leistbaren Wohnraum sowie eine nachhaltige Infrastruktur, die gebaut oder instand gehalten werden muss. Das Bevölkerungswachstum in Österreich wird auch in Zukunft steigen: So rechnet die Österreichische Raumordnungskonferenz zwischen 2022 und 2051 mit einem Anstieg der Privathaushalte um 11,9 Prozent.

Der Freiraum des neuen Stadtquartiers Wolfganggasse wurde neben üppigen Grünflächen mit einem Schwammstadtkonzept realisiert, Betonfertigteile egalisieren die Niveauunterschiede des Grundstücks.

Natürliche Rohstoffe

Beton ist ein stabiler und flexibler Baustoff und ermöglicht als solcher, ausreichend in die Höhe und in die Tiefe zu bauen. Mehrgeschoßige Wohnbauten sind ohne tragende Betonelemente nur mit hohem Materialaufwand möglich. Betonelemente können dagegen sehr schlank und materialeffizient ausgeführt werden und gewährleisten Stabilität, Brand- und Lärmschutz. Darüber hinaus ist Beton zu 100 Prozent recyclingfähig. „Beton kann aufgrund seiner Zusammensetzung aus natürlichen Rohstoffen immer wieder rückgebaut, aufbereitet und wieder zu Recyclingbeton verarbeitet werden. Somit lässt er sich ideal im Kreislauf halten“, erklärt Christoph Ressler, Vorstandsmitglied von Beton Dialog Österreich und Geschäftsführer des Güteverbands Transportbeton.

„Das zeigt auch die hohe Verwertungsrate unseres Baustoffs. Mehr als 99 Prozent des Altbetons werden wiederverwendet.“ Laut aktuellem Statusbericht zum Bundesabfallwirtschaftsplan (Zahlen aus 2021) wurden von den rund 4,5 Millionen Tonnen Betonabbruch nur 0,4 Prozent deponiert. Fast 100 Prozent wurden somit wiederverwertet. Auch die Wiener Linien setzen auf Recyclingbeton: Aktuell wird im U2-Tunnel gemeinsam mit dem Betonhersteller Wopfinger Transportbeton und dem Forschungsinstitut für Konstruktiven Ingenieurbau (IKI) der Universität für Bodenkultur der Einsatz unterschiedlicher rezyklierter Gesteinskörnungen getestet. Auch eine innovative Bewehrung, die weniger Materialeinsatz erfordert, wird bei diesem U-Bahnprojekt erprobt.

Im Oberbau werden mit Partnern aus Industrie und Forschung Wege für die Wiederverwendung von Betonplatten und Betonrezepturen mit emissionsarmen Zementen erforscht. Dabei geht es laut einer Studie der Wiener Linien um große Mengen: Die aktuell 600.000 Gleistragplatten der Wiener Linien bedecken eine Fläche von ungefähr einer Million Quadratmetern und entsprechen einem Gewicht von ca. 375.000 Tonnen. Würden die aktuell eingesetzten Gleistragplatten durch Platten aus Recyclingbeton ausgetauscht, könnte laut Studie der Anteil des rezyklierten Materials bis zu 50 Prozent betragen. „Der Einsatz von Recyclingbeton hängt derzeit noch von Verfügbarkeit und Nachfrage ab.

Christoph Ressler, Vorstandsmitglied von Beton Dialog Österreich und Geschäftsführer des Güteverbands Transportbeton

Der jährliche Bedarf an Baurohstoffen wie Sand, Kies, Ton und Natursteinen liegt in Österreich laut Forum mineralische Rohstoffe in der Wirtschaftskammer Österreich bei ca. 100 Millionen Tonnen. Knapp 80 Prozent davon werden in der Bauwirtschaft verwendet. Diese Ressourcen durch Wiederverwendung und Recycling zu schonen, bringt das zirkuläre Bauen voran“, so Ressler.

Multifunktional nutzbar

Gebäude aus Beton lassen sich Jahrzehnte multifunktional nutzen: Tiefgarage, Supermarkt, Wohnen und Arbeiten können problemlos in einem Gebäude untergebracht werden. Aber auch einer späteren Umnutzung steht nichts im Wege, wie Anton Glasmaier, Vorstandsvorsitzender von Beton Dialog Österreich und Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Betonfertigteilwerke, erläutert: „Wände und Decken aus Beton sorgen für Stabilität und Flexibilität. Das sehen wir auch schön an den alten Eisenbetonbauten von der Jahrhundertwende – aus ehemaligen Geschäftshäusern werden Wohnhäuser, ehemalige Fabriken werden gerne von Künstler:innen und Architekturbüros genutzt.“

Anton Glasmaier, Vorstandsvorsitzender von Beton Dialog Österreich und Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Betonfertigteilwerke

Beton erlaubt, Plätze und Wege zu befestigen und gleichzeitig wasserdurchlässig zu gestalten – wie der neue Stadtteil Wolfganggasse in Wien- Meidling unter Beweis stellt. Versickerungsfähige Pflastersteine aus Beton eignen sich besonders gut dafür, das Schwammstadt-Konzept umzusetzen. Sie leiten das Regenwasser ab und ermöglichen den Bäumen, sich unter der Oberfläche ungestört zu entwickeln. Der Baustoff Beton kann auf vielfältige Weise dazu beitragen, Flächen effizient zu nutzen. Ein aktuelles Vorzeigebeispiel ist das Wohnhochhaus Schneewittchen mit dem sogenannten Loft-Flügel mit 295 Mietwohnungen, das höchste Hochhaus im Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnviertel. Bevk Perović Arhitekti aus Slowenien planten das 100 Meter hohe Gebäude, das mit Fernwärme über Bauteilaktivierung geheizt und gekühlt wird. Die Bauherren des Wohnhochhauses sind die Wino GmbH und egw.

Nicht zuletzt leistet Beton einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur Dekarbonisierung unserer Gebäude, denn der Betrieb von Gebäuden ist für rund 28 Prozent der globalen THG-Emissionen weltweit verantwortlich (lt. United Nations Environment Programme – Global Alliance for Buildings and Constructions 2018).

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