Das Bauen im Bestand gilt als kompliziert, mit Unwägbarkeiten behaftet und damit teuer. Es mehren sich aber die Fachleute, denen das Umbauen Freude macht und die sich sozialen wie auch ökologischen Herausforderungen stellen.
— FRANZISKA LEEB
„Ich habe eine Riesenfreude am Umbauen entwickelt“, bricht der Bregenzer Architekt Matthias Hein eine Lanze für das Bauen im Bestand, das viele immer noch als undankbare Bauaufgabe wahrnehmen. Er war Juryvorsitzender beim Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2024, wo erstmals alle Preise ausschließlich an Revitalisierungen von Bestandsbauten vergeben wurden. „Neu ist besser als alt“ – diese Mentalität sei das größte Hindernis, so Matthias Hein. Daher hält er es auch für wichtig, dass beim Staatspreis gutes Bauen im Bestand vor den Vorhang geholt wird, damit auch andere zum Umbauen ermuntert werden: „Wir Architekturschaffende brauchen das Vertrauen, im Bestand gute – oder sogar bessere – Architektur realisieren zu können.“
Das Nachverdichten der Städte und Sanieren des Bestands ist weniger eine technische Herausforderung als vielmehr ein ständiges Ausverhandeln von Zielkonflikten und eine Frage der transparenten Kommunikation, umso mehr, wenn Interessen von Bewohner: innen zu berücksichtigen sind.
Gudrun Peller von realitylab, die nicht nur im Neubau, sondern zunehmend auch bei Sanierungs- und Dekarbonisierungsprojekten die soziale Prozessbegleitung übernehmen, erklärt, worauf es ankommt: „Gemeinsam mit dem Projektteam den geeigneten und frühestmöglichen Zeitpunkt zu finden, wann Bewohner:innen informiert werden, immer ehrlich bleiben und kommunizieren, dass man die Mitwirkung der Bewohner:innenschaft braucht.“ Je transparenter die Information der bestehenden Mieter:innen sei, umso weniger brodle die Gerüchteküche und umso weniger kämen Ängste auf.
Wird ein Haus umgebaut, thermisch saniert und auf ein neues Heizsystem umgestellt, wie zum Beispiel in drei Wohnhausanlagen vom Bauträger Altmannsdorf und Hetzendorf in Kooperation mit realitylab, ist das für die Profis aus Planung und Verwaltung kein großes Thema. Für die einzelnen Menschen im Haus hingegen sehr wohl. realitylab übernimmt in enger Zusammenarbeit mit dem Wohnbauträger und dem Planungsteam die Aufgabe, technische Fakten verständlich zu erklären, über den Bauablauf und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen zu informieren und auch mit Informationen zur Mietbeihilfe zu unterstützen.
Das persönliche Gespräch vor Ort sei ideal, so Peller, denn insbesondere armutsgefährdete, kranke oder alte Menschen brauchen einen vertrauten Rahmen, um sich öffnen zu können. Während manche froh sind, bald vom derzeitigen teuren, umweltschädlichen Energiesystem wegzukommen, fürchten andere, dass sie sich eine allfällige Mieterhöhung nicht leisten können, dass der Baustellenbetrieb das Arbeiten im Homeoffice beeinträchtigt oder eine geplante Luft- Wärme-Pumpe zu laut sein wird.


Stadtklima berücksichtigen
Expertise und gute Kommunikation sind auch unerlässlich, wenn es darum geht, Auswirkungen von Baumaßnahmen auf das Stadtklima zu analysieren und zu erklären. Vor einigen Jahren war „Kaltluftschneise“ ein Begriff, den außerhalb der Fachwelt kaum jemand kannte, heute führen ihn Bürger:innen oft ins Treffen, wenn es darum geht, Nachverdichtungen zu verhindern. Es sei gerechtfertigt, dass das Thema mehr in den Fokus rückt, bestätigt der Stadtklimatologe Matthias Ratheiser von Weatherpark. In Wien bringen die Kaltluftschneisen kühle Luft aus dem Wienerwald bis hinein zum Gürtel und begrenzen die sommerlichen Tropennächte.
Aber es werde die Kaltluft auch für Fragestellungen instrumentalisiert, wo sie nicht relevant ist. Online abrufbare Kaltluftkarten, wie sie bereits für Graz, Innsbruck, Linz und Wien existieren, schaffen Klarheit. „An Orten, wo es kein Kaltluftsystem gibt, muss man es auch nicht berücksichtigen“, betont Ratheiser. Aber: „Kaltluftschneisen sind kein K.o.-Kriterium für jegliche Entwicklung, sondern ich muss dann darauf schauen, wie ich baue. Es muss eine Schneise frei bleiben und die Gebäude dürfen nicht höher als die Kaltluft sein.“
Beschattung, gut gedämmte Häuser und Dachböden, keine dunklen Oberflächen, die sich aufheizen und in der Nacht die Hitze abstrahlen, aber auch keine strahlend weißen, weil die untertags das Sonnenlicht reflektieren und für einen zusätzlichen Hitzefaktor sorgen: Mit der Kombination vieler Maßnahmen lässt sich zu weniger Hitze in der Stadt beitragen. Aus klimatischer Sicht besonders sinnvoll wäre es, Innenhöfe ganzer Häuserblocks, die oft mit Nebengebäuden und Asphalt- oder Betonflächen versiegelt sind, zu entsiegeln und zu begrünen. Das wäre eine wirksame Maßnahme zum Ausgleich von Aufstockungen. Gemeinsam mit dem AIT hat Weatherpark anhand des Wiener Bezirks Meidling untersucht, wie es sich auswirken würde, wenn alle Widmungsreserven ausgenutzt werden, man also alle ein- und zweistöckigen Häuser, die mehr Stockwerke haben dürfen, erhöht.


„Es hat sich gezeigt, dass dies auf die Überhitzung der Stadt nicht viel zusätzliche Auswirkung hat. Wenn man dafür irgendwo Flächen entsiegelt und einen Stadtteilpark macht, dann hat man Wohnraum und Ausgleichsfläche, hat also in Summe mehr davon.“ Generell vermisst Ratheiser systematische Vorgaben – zum Beispiel, dass mit notwendigen Arbeiten an der Infrastruktur zugleich Verbesserungen für das Stadtklima einhergehen müssen, es also nachher besser ist als vorher.
Genau das ist auch die Absicht der Architekt:innen von Smartvoll, für die das Bauen im Bestand nicht eine Ausnahme, sondern mittlerweile Normalfall ist. „Wir suchen immer nach Ansätzen, wie wir mit der Hitze in der Stadt umgehen können“, erklärt Christian Kircher, mit Philipp Buxbaum Co- Gründer des Büros.
Dicht und Grün
Das Prinzip nachverdichten und entsiegelte, grüne Ausgleichsflächen schaffen, verfolgen sie beim Auto-Palast in Salzburg. Dort realisierten sie vor zehn Jahren schon das Loft in der Panzerhalle, einem Militärgebäude aus dem Jahr 1939. Zuletzt transformierten sie ein Konglomerat aufgelassener Hallen eines Versandhandelshauses in Bergheim zum modernen Gewerbepark Handelszentrum 16. Nun erneut „adaptive reuse“, also die Adaption eines bestehenden Gebäudes, in der Mozartstadt: Das Kraftfahrzeuggeschäft mit Hochgarage im Stadtteil Schallmoos entstand 1924.


Damals gab es in Salzburg gerade einmal 25 zugelassene Automobile. Nach wie vor ist die Bausubstanz gut, Raumhöhen von dreieinhalb Metern bieten Potenzial für vieles. Unter der Bauherrschaft von Mayweg Immobilien wird das Autohaus zu einem Wohnhaus mit Büros, Werkstätten oder Läden im Erdgeschoß umgebaut. Noch ist man in der Entwicklungsphase, was in Aussicht gestellt wird, ist vielversprechend. Im asphaltierten und mit Blechbaracken bebauten Innenhof wird in Form quaderförmiger Baukörper mit begrünten Dächern nachverdichtet.
„Mit einer Substratschicht von über einem Meter können wir sie intensiv begrünen. Wo derzeit das Regenwasser in den Kanal rinnt, können wir in Zukunft 1,9 Millionen Liter Wasser auf dem Areal speichern“, rechnet Christian Kircher vor. Schwieriger beziffern lässt sich, wie viel lokale Geschichte und Erinnerungen im Auto-Palast gespeichert sind. Sie werden jedenfalls noch lange Zeit für guten Geschichten sorgen und garantieren, dass der Ort ein besonderer bleibt. Auch das muss man beim Bauen im Bestand auf der Haben-Seite einkalkulieren.