Teilen macht glücklich

Das Forschungsprojekt Pocket Mannerhatten in Wien liefert wichtige Erkenntnisse zu neuen Sharing-Konzepten in der bestehenden Gründerzeitstadt. Das Ergebnis ist eine kollaborativ umgesetzte Stadtteilentwicklungsstrategie, die nun in der gesamten Stadt angewendet werden könnte.
— MAIK NOVOTNY

Blickt man aus der Luft auf die Wiener Gründerzeitbezirke, drängt sich der erste Eindruck auf: Das hier ist schon fertig gebaut. In der Tat, große Lücken, die noch zu füllen wären, sind hier kaum auszumachen, aber dennoch bieten die Gründerzeitviertel ein Potenzial für die Nachverdichtung – trotz oder gerade wegen ihrer bereits hohen Bebauungsdichte. Der 2018 beschlossene Wiener Masterplan Gründerzeit legte hier ein Leitbild fest, das über den gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan hinausgehende bauliche Entwicklungen nur gemeinsam mit neuen Mehrwerten für die Nachbarschaft und Qualitäten vorsieht.

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Wie diese Mehrwerte genau aussehen können und wie man ihren Wert bestimmt, lotete von 2016 bis 2021 das Forschungsprojekt Pocket Mannerhatten an einem Baublock (genau gesagt dem Block 261) in Wien-Ottakring aus. Die Finanzierung erfolgte größtenteils aus Mitteln des Klima- und Energiefonds und wurde im Rahmen des Programms Smart Cities Demo durchgeführt. Das Büro tatwort übernahm das Projektmanagement sowie die Verantwortung für Partizipation und Aktivierung und war federführend in den Bereichen Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit.

Eine zentrale Rolle im Projekt spielte Architekt Florian Niedworok, der sowohl Ideengeber als auch inhaltlicher Projektleiter war – er hatte die Grundidee bereits im Rahmen seiner Diplomarbeit entwickelt. Weitere Partner: innen im Projekt waren der Forschungsbereich Soziologie am Institut für Raumplanung der TU Wien, die Energy Economics Group (ebenfalls an der TU Wien) und, in der zweiten Projektphase, das Büro Grünstattgrau. Forschungsziel war eine kollaborativ umgesetzte Stadtteilentwicklungsstrategie auf benachbarten Parzellen, die auf dem Prinzip des Space-Sharing beruht.

Intensiver Prozess

Zu teilen gibt es in der Nachbarschaft eines Baublocks einiges: die Grünflächen im Hof, die Mobilität in Form von Car- und Bikesharing, die Versorgung mit erneuerbaren Energien, unterschiedliche Gemeinschaftsräume, die Erschließung der Gebäude, die Nutzung der Dachflächen und der Erdgeschoßzone sowie Formate der Zwischennutzung und soziale Einrichtungen. Die wesentlichen Stakeholder:innen dabei waren außer Eigentümer: innen und Mieter:innen auch Nachbar:innen, Hausverwaltungen, die Gebietsbetreuung und mehrere städtische Behörden.

In einem arbeitsintensiven und erfolgreichen Prozess wurden interessierte Teilnehmer:innen gefunden und „aktiviert.“ Wesentlicher Bestandteil des Konzepts Pocket Mannerhatten ist ein Bonus- System, mit dem die Bereitschaft zum Teilen belohnt wird, sei es durch finanzielle Zuschüsse, Widmungsausgleich bei Nutzung und Bauvolumen, oder durch Nutzungsrechte.

Das Finden von Eigentümer:innen, die bereit waren, das Sharing-Konzept mitzutragen, war einer der wichtigen Meilensteine, resümiert Susanne Lins, Geschäftsführerin von tatwort. „Um die Idee greifbar zu machen, haben wir ein Planspiel entwickelt, das den Blick auf den eigenen Häuserblock völlig neu eröffnet. Dieses Planspiel kam im Projektverlauf immer wieder zum Einsatz, um das Konzept zu veranschaulichen.“

Eine der großen Herausforderungen, die alle baulichen Sharing-Projekte betrifft, war die Koordination der unterschiedlichen zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer: innen. „Dennoch konnten wir bereits einige Umsetzungen realisieren, wie etwa eine PV-Anlage für mehrere Haushalte im Häuserblock sowie einen gemeinsam genutzten Privat-Pkw. Auf diese Erfolge ist das gesamte Team sehr stolz.“

Viele Impulse

Eine Ausstellung und die Kooperation mit der IBA_Wien 2022 halfen bei der Kommunikation in der Öffentlichkeit, erklärt Susanne Lins. „Für uns war es stets wichtig, die Projektergebnisse nach außen zu tragen und Menschen für die neue Perspektive auf die Stadt zu begeistern, die entsteht, wenn man über Liegenschaftsgrenzen hinausdenkt. Viele Impulse, wie etwa die Konzeption einer liegenschaftsübergreifenden Wohnung, kamen dabei auch durch den Austausch mit den Bewohner: innen.“ Einen weiteren Meilenstein markierte das Projekthandbuch von 2017, das die Forschungsergebnisse des Sondierungsprojekts dokumentierte und das in der zweiten Projektphase ab 2018 weiterentwickelt wurde.

Susanne Lins, Projektleiterin bei tatwort seit 2007, Geschäftsführerin seit 2012. Sie verfügt über langjährige Erfahrungen im Bereich Projektmanagement, Kommunikation und F&E-Koordination. Projektleitung zahlreicher Projekte mit inhaltlichem Schwerpunkt auf Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Energiethemen

Ein Kernpunkt des Projekts war die Übertragbarkeit des Sharing-Konzepts auf die gesamte Stadt. Was lässt sich diesbezüglich von Pocket Mannerhatten lernen? Ein Dreh- und Angelpunkt dabei, so Susanne Lins, ist das Anreizsystem, das für die Beteiligten einen konkreten Mehrwert anbietet. „Im Austausch mit verschiedenen Dienststellen der Stadt Wien konnten wir sowohl mögliche als auch derzeit noch nicht mögliche Anreize genauer definieren und präzisieren“, berichtet Susanne Lins. „Dieser Dialog war für uns sehr wertvoll, und unsere Impulse wurden mit großem Interesse aufgenommen. Die Implementierung eines solchen Anreizsystems würde jedoch zahlreiche gesetzliche Änderungen erfordern.“

So bietet der Laborversuch in Block 261 viele hilfreiche Erkenntnisse bei der akuten Frage, welche Potenziale der Nachverdichtung die Bestandsstadt hat und in welchem Ausmaß diese Nachverdichtung verträglich gestaltet werden kann. „Wenn Nachverdichtung zusätzliche Qualitäten für die bestehenden Bewohner:innen schafft, ist die Akzeptanz in der Regel höher“, sagt Susanne Lins. „Im Konzept von Pocket Mannerhatten ist das Gemeinwohl stets mitgedacht: Bauliche Veränderungen sollen immer einen positiven Effekt auf das Quartier haben.“ Fazit: Die Bereitschaft aller Beteiligten der Stadtgesellschaft zum Teilen sollte nicht unterschätzt werden.

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