Auf dem Weg zur Dekarbonisierung

Auf dem Weg zur CO2-Neutralität im Bauwesen muss einerseits der Gebäudebestand dekarbonisiert werden, andererseits muss aber auch das menschliche Grundbedürfnis Wohnen weiterhin leistbar gemacht werden.

Am CEPS Construction Day, der gemeinsam von der Plattform ReConstruct, Mistra Carbon Exit und CEPS in Brüssel veranstaltet wurde, wurden die Herausforderungen der Bauwirtschaft mit hochkarätigen Experten diskutiert. Gemäß den aktuellen Studien der EU-Kommission stammen rund 40 Prozent des Treibhausgasausstoßes der EU vom Gebäudesektor. Im Zuge des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes teilen sich die Emission in ca. 79 Prozent betriebliche Emissionen (Operational Carbon) und ca. 21 Prozent Emissionen, die bei der Rohstoffgewinnung, Transport und Bau sowie Instandhaltung (emboided Carbon) eines Gebäudes entstehen, auf.

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Im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung des Sektors verfolgt die Europäische Kommission eine aktive Rolle im Bereich der Gesetzgebung zu den Materialien (emboided Carbon) und bei der Gesetzgebung im Bereich der Energie (operational Carbon). Ein Beispiel dafür ist die 2024 neu erschienene EU-Gebäuderichtlinie (Energy Performance of Buildings Directive – EPBD) in der als Hauptpunkt die Verpflichtung zur Berechnung und Darstellung des „Lebenszyklus-Treibhausgaspotenzials“ für alle Neubauten über 1.000 Quadratmeter ab 2028 und für alle Neubauten ab 2030 vorgesehen ist.

ReConstruct
Das herausfordernde EU-Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft bis 2050, zu dem sich Österreich bereits für 2040 bekannt hat, erfordert radikale Veränderungen. Im Fokus stehen dabei Baustoffe, deren Funktionalitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie ein evolutionäres Management. Dazu wurde ReConstruct als Forschungsplattform zur Zukunft des Bauens von Wifo, Sustainserv Zürich/Boston, Center for European Policy Studies Brüssel, Wegener Center an der Universität Graz, ins Leben gerufen und vom Fachverband Steine-Keramik gefördert.
reconstruct-project.eu

Im Rahmen der Regelwerke für Bauprodukte werden von der EU zudem auch andere regulative Verfahren und Methoden wie beispielsweise nachhaltige Gebäudebewertung (Levels), Regelungen im Bereich der Taxonomie oder im Bereich öffentliche Auftragsvergabe angewendet. Im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung des Gebäudesektors werden Themen wie Materialeffizienz, Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energieproduktion eine wesentliche Rolle spielen.

Der CEPS Construction Day startete mit einem Workshop, der von Angela Köppel vom Wifo moderiert wurde. Dabei wurden verschiedene innovative Pilotprojekte und Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit effektiven Reduktionsmöglichkeiten von CO2 im Neubau und in der Sanierung vorgestellt. Sebastian Nödl von der 2226 GmbH aus Lustenau erläuterte das Konzept des 2226 Hauses, das ohne aktive Technik für Heizung und Kühlung sowie Ventilation auskommt. Die optimale Steuerung werde von der AI übernommen, die das Nutzer:innenverhalten energetisch optimiert. Florin Leighton-Hirsemenzel vom Institut für Nachhaltige Technologien aus Gleisdorf präsentierte die serielle Gebäudesanierung mit vorgefertigten Fassaden und Dachelementen, die sowohl zum Heizen als auch zur Energiegewinnung genutzt werden. Ida Karlsson von Mistra Carbon Exit belegte anhand der Sanierung eines Bürogebäudes (Aufstockung, neue Fassade, Materialeinsparungen etc.) über 50 Prozent Einsparungspotenziale betreffend CO2-Ausstoß gegenüber einem gleichwertigen Neubau.

In der Diskussion mit Christian Egenhofer, Centre for European Policy Studies Brüssel, CEPS, Ida Karlsson, Mistra Carbon, Patricia Urban, Katharina Knapton-Vierlich, DG GROW, und Wolfgang Amann, IIBW, stand vor allem die Notwendigkeit einer verbindlichen „Roadmap“ samt klaren nationalen Regelungen zur CO2-Einsparung im Gebäudesektor im Mittelpunkt. Laut Josefina Lindblom von der DG Environment fehlt es in der EU an einer Gesetzgebung zum „embodied carbon“ von Gebäuden.

In der Diskussion wurde eine einheitliche EU-Roadmap gefordert: Christian Egenhofer, Ida Karlsson, Patricia Urban, Katharina Knapton-Vierlich und Wolfgang Amann

Verbindliche EU-Roadmap

Die bisherigen Regelungen im Bereich des Emission Trading Systems und der EPBD wären nicht ausreichend, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu forcieren. Sie forderte eine verbindliche EURoadmap, um „whole life carbon“ von Gebäuden zu reduzieren. Sie schlug vor, das „Level(s)“ Gebäudebewertungssystem für Neubau und Renovierung verbindlich in Kraft zu setzen, da dieses über Indikatoren für „whole life carbon“ verfüge und leicht um verpflichtende Maximalwerte ergänzt werden könnte.

Darüber hinaus sprach sich Lindblom für eine rasche Umsetzung der „End-of- Waste-Kriterien“, des „Net Zero Industry Acts“ und des „Affordable Housing Plans“ im Rahmen des Clean Industrial Deals aus. Sebastian Spaun von der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie wies explizit darauf hin, dass die Daten im Bereich der Lebenszyklusanalyse von Bauprodukten sehr sensibel seien und besonders auf deren Plausibilität und Richtigkeit geachtet werden müsse, da es ansonsten zu einer Verzerrung der Bewertung einzelner Baustoffe kommen könne:

„Die europäischen Wälder wurden als Folge des Klimawandels von der CO2-Senke zur Emissionsquelle – daher ist ein Ökobilanzminus für Holzprodukte nicht mehr gerechtfertigt. Der ,Global Forest Review‘ des World Resources Institute hat dazu aufrüttelnde Daten zum Zustand der globalen, insbesondere der europäischen Wälder publiziert.“

Am Nachmittag präsentierte Peter Richner von der Forschungseinrichtung Empa der ETH Zürich aktuelle Forschungsaktivitäten: „Der Weg von der Nutzung fossiler Energie mit massiven CO2-Emissionen und der Übergang auf erneuerbare Energien muss in einen Reinigungsprozess der Atmosphäre münden, der durch CO2-Abscheidung sowie Nutzung und Speicherung gelingen kann und an deren detaillierter Umsetzung z. B. in Polymeren oder in Baumaterialien gerade intensiv geforscht wird.

Wenn der aus der Atmosphäre gewonnene Kohlenstoff in Baustoffen gebunden wird, wären diese je nach Volumsanteil ,embodied carbon‘ als negativ in der Ökobilanz von Gebäuden zu verbuchen. Dieses CO2 kann bis zu 4.000 Jahre in Beton gespeichert werden, der damit zu einer wichtigen, globalen Kohlenstoffsenke weiterentwickelt werden kann.“

Haimo Primas, CEO Holcim Österreich, bezeichnete die CO2-Speicherung als einzigen machbaren Weg für die Zementindustrie, wie die Dekarbonisierung gelingen kann.
Fotos: Salzburg Wohnbau, Luke Greaves

Klimapositive Wertschöpfungsketten

Heimo Primas, CEO Holcim Österreich, unterstrich die Verantwortung der Zementindustrie auf dem Weg der EU zur Nullemission im Jahr 2040. Kurzfristig wird gemäß Primas dabei die Reduktion des Klinkeranteils im Zement auf rund 50 Prozent angestrebt, was für die meisten Betonanwendungen ausreicht, um eine entsprechende Qualität garantieren zu können. Mittelfristig bezeichnet Primas die CO2- Speicherung als einzigen machbaren Weg für die Zementindustrie, wie die Dekarbonisierung gelingen kann.

Christian Holzleitner von der Generaldirektion Klima der Europäischen Kommission betonte die Wichtigkeit von klimapositiven Wertschöpfungsketten entlang des Bauprozesses. Katharina Knapton-Vierlich von der DG Grow sprach sich für eine EU-weite Forcierung der Vorfertigung von Bauteilen aus. Diese bringe viele Vorteile mit sich: kürzere Bauzeiten, weniger Fachkräfte auf der Baustelle, erleichtert Rückbau sowie Wiederverwendung und Recycling, forciert Umsetzung von wholelife- carbon Vorgaben und erleichtert die Ökobilanzierung von Bauteilen/Gebäuden. In Bezug auf den Clean Industrial Deal kündigte Knapton-Vierlich Erleichterungen im EU-Beihilfenrecht (als Antwort auf USA und China) sowie neue Regelungen für public procurement an.

Christian Egenhofer vom CPES betonte abschließend, dass das Denken und Handeln in industriellen Maßstäben die Umsetzung des Clean Industrial Deal forcieren wird – betreffend die Speicherung von Kohlenstoff in Gebäuden, bei der Vorfertigung, bei Zulassungen/ Bewilligungen, bei der Taxonomie etc.: „Ziel muss ein Kohlenstoffkreislauf sein, der auf Bauteilen/Gebäuden basiert. Das Gebäudeökosystem muss vom CO2-Emittenten zum globalen Kohlenstoffspeicher bzw. zur CO2- Senke weiterentwickelt werden.“

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