Eine klimagerechte Energieversorgung ist das Ziel, doch dabei dürfen Komfort und Benutzbarkeit für die Bewohner:innen nicht vergessen werden. Die Forschung als auch erste Praxiserfahrungen liefern hier wichtige Erkenntnisse.
MAIK NOVOTNY
Der Weg in die dekarbonisierte Zukunft lässt sich in Wien heute schon an konkreten Stadtvierteln ablesen. Da wären die vier von der Stadt definierten Pilotquartiere für die Initiative „Raus aus Gas“, oder auch das Quartier „Village im Dritten“, ein Stadtteil mit 500 Erdwärmesonden, mit Photovoltaik-Anlagen und mit Anergienetzen. Auch die Arwag hat neben anderen Bauträger:innen einige ihrer postfossilen Leitprojekte in Wien-Landstraße angesiedelt. Bei einem von diesen lieferte die Adresse in der Grasbergergasse schon die Steilvorlage für die Namensgebung „gras.green.living“.
Bis 2025 entstehen hier 108 Wohneinheiten, davon 75 geförderte Mietwohnungen und 33 frei finanzierte Eigentumswohnungen mit Mietkaufoption. Grasgrün wird es dann nicht nur aus den Pflanztrögen der Balkone wuchern, sondern auch unsichtbar im energetischen System. Mit Bauteilaktivierung und Photovoltaikanlage am Dach wird ein Niedrigenergiehausstandard mit klimaaktiv-Silber-Gebäudezertifizierung erreicht.
Kältemaschinen und Rückkühler temperieren das Gebäude. Die Heizung und Warmwasseraufbereitung erfolgt mit Fernwärme. Der kalkulierte Heizwärmebedarf wird dann 23,3 kWh pro Quadratmeter und Jahr betragen, bei einer Gesamtenergieeffizienz (fGEE) von 0,68.
Stabilität und Kosteneffizienz
Das grasgrüne Projekt soll und wird kein Einzelfall sein, denn die Arwag hat die Zweitrolle als Energieversorger, die immer mehr Bauträger:innen heute übernehmen, zur Hauptrolle gemacht. Das Tochterunternehmen Arwag Energy bietet Gesamthauslösungen mit Energieversorgungsanlagen (EVA). Damit sollen angesichts des im Umbruch befindlichen Energiemarkts langfristige Stabilität und Kosteneffizienz für die Bewohner:innen garantiert werden. Die EVA basieren auf Photovoltaik, Wärmepumpen und der Nutzung von Umweltenergie aus Grundwasser und Umgebungsluft. Diese Systeme ermöglichen eine nahe- zu klimaneutrale Energieversorgung und reduzieren CO₂-Emissionen um rund 250 Gramm pro Kilowattstunde.
„Wir setzen konsequent auf erneuerbare Energien, um sowohl die Wohnqualität als auch die ökologische Bilanz unserer Gebäude zu verbessern“, sagt Thomas Drozda, Arwag Holding-AG. „Die Akzeptanz bei den Bewohner:innen ist durchweg positiv. Die Transparenz und die langfristige Preisstabilität, die wir durch die Vor-Ort-Energieproduktion bieten können, sorgen für Vertrauen und Zufriedenheit. Wir stellen fest, dass die Bereitschaft, sich für nachhaltige und innovative Energiekonzepte zu öffnen, enorm gestiegen ist.“
Pilotprojekt Plusenergie-Quartier
Denn die Installation von Photovoltaik, Wärmepumpen und aktivierten Bauteilen ist das eine, die Akzeptanz durch die Nutzer:innen das andere. Eine sogenannte Post-Occupancy-Evaluation ist in der Forschung bereits eine etablierte Methode, um das Nutzer:innen-Verhalten bei Plusenergie- und Passivhaus- Wohnanlagen zu analysieren. Auch das Forschungsprojekt ZQ3Demo der österreichischen Förderagentur FFG widmet sich mit drei Pilotprojekten der Realisierung und Evaluierung von Plusenergie-Quartieren.
Das erste dieser Quartiere, der Campo Breitenlee an der Podhagskygasse im 22. Wiener Gemeindebezirk mit insgesamt 325 Wohneinheiten, mehreren Gemeinschaftsräumen, einem Kindergarten sowie Coworking-Spaces wurde Mitte 2024 fertiggestellt. Als Bauträger:innen fungieren das ÖVW und Wiener Heim, die den Bauträger:innenwettbewerb im Team mit Synn Architekten und Treberspurg & Partner Architekten gewannen.
„Im Bauträger:innenwettbewerb war seitens Wien Energie ein Energiekonzept vorgesehen, das in Peak-Zeiten noch mit Gas arbeitet“, sagt Christoph Treberspurg. „Wir haben dann eine Plusenergie-Alternative mit 100 Prozent erneuerbaren Energieträgern vorgeschlagen.“ Konkret: Ein Erdsondenfeld für die Bauteilaktivierung sowie großflächige Photovoltaik am Dach.
Konstante Komforttemperatur
Die Bauteilaktivierung ist eine sehr gute Lösung mit hohem Wohnkomfort, weil sie Heizen und Kühlen kombiniert und mit geringen Vorlauftemperaturen arbeitet, so Treberspurg. „Wir haben im Rahmen des Forschungsprojekts gemeinsam mit der Boku eine prädiktive Regelung entwickelt, die Wetterdaten zwei Tage im Voraus ausliest und die solaren Gewinne berechnet. Beim Campo Breitenlee wurden 15 repräsentative Wohneinheiten sowie eine der zwei Technikzentralen ausgestattet und werden im Rahmen eines Monitorings mit den herkömmlichen Wohneinheiten verglichen.“
Die Frage, wie ein solch ausgeklügeltes Konzept von den Nutzer:innen tatsächlich angenommen und angewendet wird, hat auch die Architekt:innen intensiv beschäftigt. „Darüber haben wir uns lange den Kopf zerbrochen und sehr viel ausgetestet“, sagt Treberspurg. „Bei der Bauteilaktivierung kann ich die Temperatur, die von der Wärmepumpe bestimmt wird, herunterregeln, aber nicht steigern, und hohe Differenzen innerhalb der Wohnung sind nicht möglich. Das ist natürlich eine andere Art des Heizens, aber eben eine mit konstanter Komforttemperatur.“
Die ersten Ergebnisse des technischen Monitorings werden etwa in einem Jahr vorliegen, erste Erkenntnisse gibt es jedoch schon jetzt. Die technische Umsetzung sei kein Problem, die Herausforderung liege vor allem bei den rechtlichen Rahmenkonstrukten, erklärt Bettina Krauk von Synn Architekten. „Hier ist derzeit viel in Bewegung. Die Bewohner:innen können ihren Stromanbieter frei wählen und sich für andere Anbieter:innen entscheiden, dann ist aber das Energiekonzept wahrscheinlich nicht mehr wirtschaftlich.“
Trotz klimatischer Veränderungen
Noch am Anfang steht ein weiteres Quartier, bei dem das Grüne Namen und Programm ist: Das Stadtquartier „ein viertel grün“ in Wiener Neustadt. Hier entsteht in Kooperation der drei Bauträger: innen Alpenland, egw und Heimat Österreich Wohnraum für rund 1.200 Menschen. Der Spatenstich für den ersten Bauteil erfolgte im Herbst 2023, bis voraussichtlich Frühjahr 2027 soll das komplette Quartier bezogen werden.
Das „Grün“ steckt hier sowohl in der großzügigen Bepflanzung von Außenraum, Fassaden und Dächern als auch in der Verwendung von schadstoffarmen Baustoffen, natürlicher Belüftung sowie energieeffizienten Heiz- und Kühlsystemen, namentlich Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen.
Ziel ist es hier, Gebäude zu schaffen, die auch in 50 Jahren unter sich verändernden klimatischen Bedingungen funktional sind und ein komfortables Wohn- und Arbeitsklima bieten. Dabei geht die egw mit eigenem Beispiel voran: „Wir freuen uns, dass dieses Wohnquartier nach einer langen Entwicklungsphase nun Wirklichkeit wird und wir als egw auch zukünftig unseren Bürostandort im Quartier haben werden“, freut sich egw-Geschäftsführerin Karin Kieslinger. So kann die Evaluierung buchstäblich in-house erfolgen.