Ein Gespräch mit Architektin Sne Veselinović über gute Architektur, das Kosten- und Finanzierungsthema und leistbaren Wohnraum.
— PETER REISCHER
Sie haben bei Gustav Peichl am Schillerplatz Architektur studiert. Wie weit hat er Sie als Lehrer in Ihren Arbeiten geprägt oder beeinflusst?
Das Prägendste war, dass er kein Dogmatiker war und er verschiedene Ansichten gebührend anerkannt hat, wenn die Qualität der Arbeit seiner Meinung nach „etwas hatte“, also „gut“ war. Er war offen für die verschiedenen Herangehensweisen an den Entwurf. Es war damals eine eher von Männern dominierte Studienrichtung, dennoch habe ich die Studienjahre bei Gustav Peichl sehr geschätzt.
Wie finden Sie diese Männerdominanz in der Architektur?
Nicht gut, da tut sich viel zu wenig. Es studieren zwar heute bereits mehr Frauen als Männer an der TU Architektur, aber der Sprung von Frauen in die Selbstständigkeit findet dann nur sehr schwer und spärlich statt.
Hat etwas in Ihrer Studienzeit schon Diskussionen und ein Denken über Finanzierungen/Baukosten gegeben? Wurde dahingehend auch etwas vermittelt?
Nein, es gab während meiner Studienzeit keine Diskussionen darüber, und es wurde auch nichts dazu vermittelt. Meiner Meinung nach ist es wichtig, während des Studiums die Kreativität zu fördern und nicht schon mit Einschränkungen zu operieren, jedoch sollte vermittelt werden, dass man diese Themen im Berufsleben zu erwarten hat.
Sne Veselinović, geboren 1966 in Serbien, absolvierte ihr Architekturstudium an der Akademie der bildenden Künste Wien in der Meisterschule von Gustav Peichl. Seit 1994 ist sie als freiberuflich arbeitende Architektin tätig. 2008 gründete Sne Veselinović die Architektin Sne Veselinović ZT GmbH, die sich auf städtebauliche Studien, Projekte im geförderten und frei finanzierten Wohnbau, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sowie Büro- und Industriegebäude spezialisiert.
Welche Parameter und welche Kriterien haben Sie, um ‚gute, qualitative Architektur‘ zu bestimmen und zu machen?
Wer in der Architektur tätig ist, versucht, seinen Ansprüchen bei der Aufgabenstellung gerecht zu werden. Ich glaube aber, dass Architektur erst nach einer gewissen Zeitspanne bewertet werden kann und soll. Von meinen Bauten denke ich, dass zwei oder drei auch in den nächsten 20 Jahren Bestand haben werden. Wenn man für anonyme Nutzer:innen einen Wohnbau errichtet, ist man als Architektin schon verpflichtet, eine Vielzahl von Grundriss- und Wohnmöglichkeiten anzubieten.
Also eine Vielfalt zu generieren, um Qualitäten für die Bewohner:innen zu bieten. Ich maße mir nicht an, für die Vielzahl von Menschen nur wenige Grundrisstypen zu offerieren. Aber in dieser Diskussion vermisse ich, dass nicht mehr über Schönheit gesprochen wird.
Was ist denn Schönheit (in der Architektur)?
Für mich kann Schönheit verstören oder auch harmonisch wirken. Kunst – ein Begriff, den ich bei meinen Kriterien für gute Architektur hinzufügen möchte – kann und soll einen Diskurs auslösen. Ein Kriterium ist auch die Tatsache, wenn die Nutzer:innen mit der Architektur ‚zusammenwachsen‘, sich mit ihr identifizieren. All das ist „schön“!
Wo versuchen Sie, die Kunst einzubeziehen?
Ich arbeite sehr gerne mit Farben und mit räumlicher Lichtführung, auch das Haptische und die Materialität helfen mir, einen künstlerischen Anspruch zu verwirklichen. Ich vermisse generell Kunst am Bau und arbeite sehr gerne mit Künstler:innen zusammen. Leider ist das sehr selten.
Warum?
Das ist eine Budgetfrage. Bei zwei Projekten ist es mir bis jetzt gelungen, Kunst am Bau einzuplanen.
Welche Architekt:innen sind Vorbilder für Sie?
Louis Kahn mit seinem Salk Institute ist ein sehr berührendes Projekt für mich. Aber auch Oscar Niemeyer hat mich sehr beeindruckt. Bei den heutigen Architekturschaffenden tue ich mir sehr schwer, Vorbilder zu nennen.
Wie lassen sich zum Beispiel viele Grundrissvarianten für eine gute Architektur finanzieren?
Prinzipiell muss man die Haltung haben, dass man – wenn man auch im geförderten Wohnbau tätig ist – mit Architektur nicht reich wird. Man muss, um den vielfältigen Ansprüchen gerecht zu werden, kämpfen. Wohnbau ist immer ein Bekenntnis zum Gemeinwohl, eine soziale, politische, humanistische Haltung.
Ich versuche, da einen Beitrag für die Menschen, die nicht privilegiert sind, zu leisten. Dieser Teil der Architektur ist Selbstausbeutung. Ich arbeite daher auch im frei finanzierten Wohnbau und für Privatprojekte.
Die Sozialbauten Ziedlergasse und Gastgebgasse sind städtebaulich sehr interessant. Die Drehung des Baukörpers mit den sich ergebenden Sichtachsen offenbart gewisse Prinzipien von Camillo Sitte: bewusst oder Zufall?
Lange Sichtachsen, räumliche Verbindungen und Übergänge sind mir sehr wichtig. Proportionen und Körperverteilungen entwickeln sich im Städtebau erst durch viele Skizzen und Überlagerungen bis hin zum Modell. Das Fließen des Raumes ist bei diesen zwei Solitärgebäuden sehr wichtig, es entstand im Prozess.
Haben sich diese beiden Projekte für Sie als Architektin ausgezahlt?
Ab circa 40 Wohneinheiten kann man damit leben. Wir machen ja die gesamte Planung, bis auf die örtliche Bauaufsicht, also auch die Ausführungsund Detailplanung. Denn für ein gutes Gelingen der Architektur muss es auch eine Detailkultur geben. Ab 100 Wohneinheiten zahlt sich ein Projekt für Architekt: innen aus.
Was ist für Sie leistbarer Wohnraum?
Er muss monetär für die Nutzer:innen leistbar sein. Es gibt ja – neben der Objektförderung im geförderten Wohnbau – die Subjektförderung zur Unterstützung minderprivilegierter Nutzer: innen. Da werden – durch die Stadt Wien z. B. – Menschen unterstützt, damit sie sich das Wohnen in geförderten Wohnbauten auch leisten können.
Brauchen wir in Wien angesichts der enormen Leerstände noch neuen Wohnraum?
Die Frage ist, ob dieser Leerstand auch ein leistbarer Wohnraum ist. Wien wächst, also brauchen wir Wohnraum. Nachverdichtung im Wohnbau ist sehr wichtig, da geht noch viel mehr, Dachbodenausbauten alleine genügen da nicht.
Was halten Sie bezüglich Kosten/Nutzenrechnung von der Smart-Wohnung?
Es ist verständlich, dass aufgrund der laufenden Kosten sehr kompakte Wohnungen notwendig sind. Es bedarf aber einer Evaluierung, wie viel Prozent in einem Sozialbau treffsicher sind. Als Kompensation offerieren wir ja Sozial- und Gemeinschaftsbereiche, die von allen genutzt werden können. Smart-Wohnungen sind nicht von den Baukosten her billiger, sie sind aber für die Nutzer:innen leistbarer.
Angesichts der ständig steigenden (Bau-)Kosten – Wer macht heute das Geschäft?
Im geförderten Wohnbau haben wir das Gemeinnützigkeitsprinzip, das ist wichtig. Es verhindert Spekulationen. Natürlich gibt es Investorenarchitektur, das finde ich schrecklich. Im geförderten Wohnbau haben wir Qualitätssicherungsinstrumente, die gut greifen. Die gibt es durch Qualitätsbeiräte für Quartiere auch nunmehr im frei finanzierten Wohnbau. Den Profit der Generalunternehmer kann ich nicht beurteilen.
Wie gehen Sie mit dem „Sparstift“, der ja in beiden Wohnbaubereichen allgegenwärtig ist, um?
Ich versuche, meine Entwürfe so zu planen, dass immer noch Möglichkeiten der Optimierung, der Verbesserung gegeben sind. In die Einreichung geht man mit dem vollen Programm aller Qualitäten, so kann man später immer etwas korrigieren, um den Wünschen der Bauherrschaft entgegenzukommen. Es ist immer ein Abwägen: Was muss unbedingt erhalten bleiben, was ist modifizierbar und was kann man streichen.
Wie halten Sie es mit der Nachhaltigkeit in der Architektur?
Ich finde es problematisch zu sagen: „Die Zukunft in der Architektur ist nur der Holzbau.“ Jede Art von Fundamentalismus ist kritisch zu betrachten. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern eben auch die Zwischentöne. Schon bei Vitruv ist von Nachhaltigkeit zu lesen.