In den Blüten und Tücken wilder Wohngärten

Vor zehn Jahren wurde das Europan-Projekt Wildgarten konzipiert. Zwei Baugruppen des gemeinnützigen Bauträgers Schwarzatal – einmal als gefördertes Wohnheim, einmal als frei finanziertes Eigentum – geben Anlass, sich vor Ort zu begeben und die beiden Projekte wirtschaftlich unter die Lupe zu nehmen. Ein Lokalaugenschein.
— WOJCIECH CZAJA

Wir treffen einander im Hof, setzen uns zum Gespräch in die Gemeinschaftsküche, dann raus auf die Terrasse, wunderschönes Wetter, die Sonne knallt vom Himmel, es ist mucksmäuschenstill, im Hintergrund rascheln und knabbern die Kaninchen im Stall, schauen uns die Food-Coop und den Coworking- Space an, am Ende geht’s mit dem Lift hinauf in den fünften Stock, wo sich auf Top 15 eine Gästewohnung befindet, nebenan eine begrünte Dachterrasse und eine kleine Bibliothek mit Feuerstelle und Saunakabine für kalte Wintertage, von den Bewohner:innen liebevoll Saunathek genannt.

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„Es ist ein schönes, selbstständiges Wohnen mit hoher Lebensqualität, und ich habe das Gefühl, dass wir uns alle gut einbringen und verwirklichen konnten“, sagt Constanze Kutzner. „Ich wohne allein hier, die Baugruppe ist für mich eine Art Großfamilie.“ Die 60-jährige Architektin aus Berlin hat sich schon vor langer Zeit für die Baugruppe Willda Wohnen entschieden, hat bei den ersten Besprechungen teilgenommen, als nicht einmal noch der Verein gegründet und die Baugruppe rechtlich formiert war. Gemeinsam mit ihren frühen Partnern hat sie das Programm mitentwickelt, ein sehr ambitioniertes sogar, um beim 2016 ausgeschriebenen Bauträger-Wettbewerb überhaupt reüssieren zu können.

Rosegarden: Architekt Georg Baldass und Senka Nikolic von der Schwarzatal freuen sich über das üppige Grün – und die gelungene Realisierung der Baugruppenprojekte, trotz finanzieller Hürden.

„Geplant war das Wohnprojekt als ökologisches Vorzeigebeispiel mit massiver Ziegelbauweise, Hanfdämmung und Dickputz, doch leider sind wir in der Ausschreibung mitten in die Krise hineingeschlittert, die Baukosten sind explodiert, und plötzlich lagen wir zwei Millionen Euro über unserem Budget“, erzählt Kutzner. „Also mussten wir – mit einem weinenden Auge, wohlgemerkt – umplanen und neu ausschreiben.“

Das Resultat ist ein klassischer Stahlbetonbau mit Vollwärmeschutzfassade, aber immerhin großen Fenstern und hochwertig ausgebildeten Details bei Brüstungen und Balkonen. Vor allem aber ist es gelungen, die räumlichen und gemeinschaftlichen Qualitäten des Projekts zu erhalten und in die neue Version hinüberzuretten.

Massive Einsparungen

Während der Einsparungs- und Umplanungsphase der insgesamt 20 Wohneinheiten ist rund die Hälfte der Leute abgesprungen. Zum Glück jedoch habe das Projekt als Ganzes niemals gewackelt, erzählt Kutzner. Das liege zum einen am harten, engagierten Kern der Baugruppe, zum anderen aber auch an der guten Betreuung durch realitylab, einszueins architektur (Projektleitung Lisa Fleißner) sowie durch den gemeinnützigen Bauträger Schwarzatal. Eine der Nutznießer:innen dieser disruptiven Phase ist Therese Garstenauer. Die 50-jährige Historikerin ist mitten im Prozess eingesprungen und hat mit ihrer Familie eine frei gewordene, 90 Quadratmeter große Wohnung übernommen.

Der Wildgarten
Der Wildgarten ist ein grünes, autofreies, elf Hektar großes Stadterweiterungsgebiet in Wien-Meidling, das als Resultat eines Europan-Wettbewerbs 2014/2015 nach Plänen des spanischen Büros arenas basabe pacios arquitectos in Kooperation mit dem Wiener Büro Buschina & Partner realisiert wurde. Unter der Leitung der eigens gegründeten Wildgarten- Entwicklungs-GmbH und der ARE Austrian Real Estate wurden rund 1.100 Wohnungen für insgesamt 2.300 Menschen errichtet, und zwar in einem Mix aus Miete und Eigentum, aus gefördert und frei finanziert. Neben den beiden Baugruppen Willda Wohnen und Rosegarden wurden auch die Wohnhäuser Que[e]rbeet (Bauträger EBG, Bauplatz 19) und mietgestalten (Bauträger egw, Bauplatz 21/22) als Baugruppe realisiert.
- wildgarten.wien
- willdawohnen.at
- rose-garden.at
- schwarzatal.at
- ebg-wohnen.at
- egw.at

„Wir sind heute eine recht starke, gut vernetzte und auch wirklich gut funktionierende Baugruppe“, so Garstenauer, „und dadurch, dass wir das Projekt der Schwarzatal abgekauft haben und de facto im Eigentum errichtet haben, ist die Gruppe der hier Wohnenden – allein schon aus finanziellen Gründen – wahrscheinlich homogener als anderswo.“ Bei den meisten der 31 Bewohner:innen handelt es sich um Akademiker:innen, großteils in der Altersgruppe 40 bis 50, hinzu kommen 20 Kinder zwischen ein und 18 Jahren.

Zu den Fakten: Entwickelt und auf Schiene gebracht wurde das Projekt mit der Adresse Mona-Lisa-Steiner- Weg 12, Bauplatz 6, mitten in der Wohnsiedlung Wildgarten von der Schwarzatal, die in den ersten Jahren in finanzielle Vorleistung gegangen ist. Das reale Investment der Baugruppen- Mitglieder war zu Beginn lediglich Zeit und Energie.

Im Herbst 2020 hat sich die Situation verändert: Auf Basis des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG § 15a) wurde ein Kaufpreis in der Höhe von brutto 8,09 Millionen Euro ermittelt und das gesamte Projekt an den Verein Willda Wohnen überlassen. Bis auf die Mängelbehebungsphase, die nun abgeschlossen ist, hat die Schwarzatal mit dem Projekt nun keine Verbindung mehr. Um die Hausverwaltung kümmert sich die Baugruppe selbstständig.

Verein als Kreditnehmer

Eigentümer ist nun der Verein Willda Wohnen. Mit dem Kreditgeber Raiffeisenkasse Gunskirchen, die bereits viel Erfahrung mit der Finanzierung von Baugruppenprojekten hat, wurde ein Eigenmittelanteil in der Höhe von 20 bis 25 Prozent vereinbart. Der Rest wird über einen teils fix, teils variabel verzinsten Kredit mit einer Laufzeit von 30 Jahren abbezahlt. Die Tilgung erfolgt über monatliche Zahlungen der Wohnparteien an den Verein, wobei sich die Höhe der Beträge an der jeweiligen Wohnnutzfläche orientiert. Besonderheiten der einzelnen Wohnungen – Stockwerk, Aussicht oder Anzahl der Himmelsrichtungen wie in einigen anderen Baugruppen – oder Anteile an Allgemeinflächen wie etwa Gästewohnung, Coworking-Space oder Saunathek wurden in der Berechnung nicht berücksichtigt.

In den letzten drei Jahren seit Fertigstellung gab es im Willda Wohnen drei Wohnungswechsel, wobei jene Interessent: innen, die über klassische Inserate in Print- und Online-Medien auf das Projekt aufmerksam wurden, wie Garstenauer erzählt, über das rechtliche Modell der Baugruppe überrascht und irritiert gewesen seien. Die meisten Eigentumssuchenden hätten ein Problem damit, dass sie nicht im Grundbuch aufscheinen und dass etwaige Wertsteigerungen von Grund und Boden mit dem zuständigen Arbeitskreis der Baugruppe berechnet würden. Die besten Matches gebe es stets mit gleichgesinnten Interessent:innen der Plattform „Gemeinsam Bauen & Wohnen“.

„Was die Wirtschaftlichkeit des Projekts betrifft, so haben wir mit den damaligen Umplanungen und mit diversen Eigenleistungen, was etwa Hausverwaltung und Freiraumgestaltung (nach einem Konzept von Yewo) betrifft, gut die Kurve gekratzt“, meint Constanze Kutzner. Einen massiven Kritikpunkt muss sie allerdings loswerden: „Der gesamte Wildgarten ist als autofreie Wohnsiedlung konzipiert, eine Art urbane Insellösung, umgeben von S-Bahn, Friedhof, Gewerbegebieten und Kleingartenvereinen, und aus diesem Grund haben wir hier keinerlei Laufkundschaft. Dennoch waren die Bauträger und Baugruppen gezwungen, in ihren Projekten gewerbliche Einheiten vorzusehen. Das ist in Anbetracht der Umstände unlogisch und im Alltag wirtschaftlich kaum darstellbar.“

Baugruppe mit Minus-Geschäften

Der Coworking-Space sei unterbesetzt und dementsprechend ein Minus-Geschäft, der Weg von der Anlieferung bis zur Food-Coop sei steil und umständlich, und auf einigen anderen Bauplätzen rundherum seien in der Vergangenheit einige gewerbliche Anmeldungen aufgrund eines Zufahrtsverbots gescheitert. In einem Fall sogar wurde einem bereits angesiedelten Installateur-Unternehmen die Zufahrts- und Zuliefererlaubnis seitens der Stadt Wien verweigert.

„Autofreie Wohnsiedlungen sind eine tolle Sache“, so Kutzner, „aber man kann von so speziellen Typologien nicht das Gleiche verlangen wie von einer klassischen Wohnsiedlung mit Passanten, Autoverkehr und Laufkundschaft. Dass das in der Stadtplanung nicht differenziert behandelt wird, halte ich für einen Fehler.“ Lediglich die Vermietung der Gästewohnung an Bewohner:innen der gesamten Wildgarten- Siedlung erfreue sich großer Beliebtheit und sei ökonomisch zufriedenstellend.

Ratlos ist die Baugruppe Willda Wohnen auch hinsichtlich ihrer neu installierten Photovoltaik-Anlage am Dach. Ein Jahr nach Besiedelung habe sich das Vereinsbudget so weit erholt, dass sich die Bewohner:innen die Errichtung einer 50 kW Peak großen PVAnlage auf zwei Dachflächen leisten konnten. Kutzner: „Die Installation ist längst abgeschlossen, wir hätten schon lange Strom für den Eigenbedarf produzieren können, aber nein, die Wiener Netze haben bis heute den Vertrag nicht unterschrieben und lassen uns seit Monaten zappeln.“

Angesichts der akuten Klimakrise und der öffentlichen Ermunterung zu ökologischem Zivilengagement ist so eine ignorante Vorgehensweise nur schwer nachvollziehbar.

Baugruppen-Bewohnerin Constanze Kutzner schätzt das Großfamilien-Feeling in Willda Wohnen.

Romantischer Rosengarten

Ein paar Gassen weiter, Silberlindenweg 4, Bauplatz 10, befindet sich eine weitere Baugruppe, und zwar der sogenannte Rosegarden, ebenfalls von der Schwarzatal errichtet. Im Gegensatz zu Willda Wohnen jedoch handelt es sich dabei um ein mit geförderten Mitteln errichtetes Mietwohnheim. Die Bebauung besteht aus einem sechsgeschoßigen Baukörper in der Mitte und drei benachbarten, dreigeschoßigen Pavillons rundherum. Die Bauweise umfasst Stahlbetondecken, Fassaden aus Hohlblockziegeln sowie eine konventionelle Wärmedämmung. Durch die Typologie mit Maisonette-Wohnungen konnten die drei niedrigen Baukörper ohne kostspielige Lifte ausgeführt werden. Das Projekt wurde mit dem IBO Ökopass ausgezeichnet.

„Nachdem wir hier dem Förderdeckel unterliegen, mussten wir mit den Baukosten sehr sparsam umgehen“, erklärt Architekt Georg Baldass, der gemeinsam mit seiner Partnerin Mihaela Ionescu das Büro Baldassion Architektur betreibt. Für die Baugruppenbetreuung war die Wiener Soziologin Ana Rogojanu zuständig. „Daher hatten wir bei Bauweise und Baustoffen auch nicht mehr Spielraum. Umso mehr freut es uns, dass wir einen großen Wohnsalon sowie einen unterirdischen Gymnastik- und Gemeinschaftsraum errichten konnten.“

Im Wohnsalon, der mit Küche, Esstisch, Sofalandschaft und vorgelagerter Terrasse ausgestattet ist, wird in der Tat gewohnt, gekocht, gegrillt, gegessen und gespielt. Zudem dient der große Raum im Erdgeschoß den Kindern und Jugendlichen als Nachmittagsraum für Hausübungen sowie als Versammlungsstätte für Baugruppen- Besprechungen. Eine Etage tiefer, zu erreichen über einen abgegrabenen Patio mit begrünter Böschung, gibt es einen schallisolierten Gemeinschaftsraum für Yoga, Tanz, Boxen, Musik und Gesangsgruppen. Auffällig ist die offene, naturbelassene Freiraumplanung von Thomas Proksch, die sich zwischen alledem wie ein wilder, scheinbar verwunschener Rosengarten mit Schotterwegen und hölzernen Palisaden durchschlängelt.

Gemeinsam statt einsam steht bei der Baugruppe Willda Wohnen an erster Stelle.

Unverhoffte WGG-Novelle

Auch im Projektprozess des Rosegardens gab es vor einigen Jahren einen schwarzen Moment. Dieser betrifft jedoch nicht das Thema Baukosten, sondern eine überraschende, unverhoffte Novellierung des WGG im August 2019, die zwar nach wie vor eine Veräußerungsoption an Einzelmieter:innen, also an natürliche Personen gestattet, laut §§ 8, 15b und 15f aber nicht mehr an juristische Personen wie etwa Vereine, wie dies kurz zuvor noch im Fall von Willda Wohnen möglich war. Durch die Änderung im WGG ist ein Großteil der Baugruppe, die im Sinne hatte, Eigentum zu begründen, kurzfristig abgesprungen.

„Fast die gesamte Baugruppe hat sich damals aufgelöst und neu formiert“, sagt Andreas Zettl, Physiker an der Universität Wien, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern eine knapp 100 Quadratmeter große Wohnung bewohnt. „So sind wir ins Spiel gekommen. Für uns stand die Eigentumsbegründung nie im Vordergrund. Nach einigen Jahren in Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben wir uns – zurück in Wien – einfach nur nach einer intensiv gelebten Gemeinschaft gesehnt. Tatsächlich ist der Rosegarden mehr als bloß die Summe von 30 Wohnungen. Es ist ein intensives soziales Miteinander.“ Für Feste, Versammlungen und exklusive Buchungen der Gemeinschaftsräume kommuniziert die Mieter:innen-Community über Slack und Nextcloud.

Und was sagt die Schwarzatal selbst zu den beiden Baugruppen- Projekten, die im direkten rechtlichen und wirtschaftlichen Vergleich unterschiedlicher nicht sein könnten? „Ich kann gut nachvollziehen, dass die Baugruppe Rosegarden Eigentum begründen wollte und aufgrund der WGGNovellierung dann enttäuscht war“, sagt Senka Nikolic, Prokuristin und Leiterin Projektentwicklung beim gemeinnütziger Bauträger Schwarzatal. „Doch mit der Novelle waren uns die Hände gebunden, und im Sinne der Gemeinnützigkeit macht die Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen durchaus Sinn.“

Rosegarden: Ein wenig kontrollierter Wildwuchs macht den Stadtteil zu einer Oase.

Emotionale Prozesse

Auf die Frage, ob die rechtliche Form für einen Bauträger einen relevanten Unterschied mache, meint Nikolic: „Bei einem frei finanzierten Projekt hat man vielleicht etwas mehr finanziellen Spielraum als bei einem geförderten Wohnheim, allerdings sind die Differenzen gering. Denn auch beim Willda Wohnen gab es seitens der Baugruppe einen eigens definierten budgetären Deckel, an den wir uns in der Projektentwicklung alle zu halten hatten. Die Baukosten-Explosion hat gezeigt, dass nicht alle Wünsche realisierbar sind, dass man auch in einem frei finanzierten Eigentumsprojekt bei Bedarf zurückstecken und sich neu orientieren muss. So ein Umdenken ist natürlich emotional aufreibend.“

Mit der Zeit, meint Senka Nikolic, werde man auch als Bauträger immer sattelfester. Steckte die Schwarzatal beim Willda Wohnen noch in den soziokratischen Kinderschuhen, entwickelt sie aktuell ihr bereits 15. Baugruppen- Projekt. „Man wird cooler, gelassener und kompetenter, was die Zusammenarbeit mit so großen Planungsgruppen betrifft. Aus meiner bisherigen Erfahrung kann ich heute sagen: Wer sich vor allem für die Begründung von Eigentum interessiert, der ist hier tendenziell falsch. Dazu gibt es geeignetere Rechtsformen. Wer sich hingegen für ein Leben in Gemeinschaft interessiert, der wird in einer Baugruppe fündig und glücklich.“

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