Grün, leistbar und sozial

Doris Österreicher stellt Klimaschutz und leistbares Wohnen in einen Zusammenhang, spricht sich absolut gegen fossile Energie aus und plädiert für eine klimaadaptive, nachhaltige Architektur und Stadtplanung, zum Wohl für die Umwelt und alle Lebewesen.
PETER REISCHER

Frau Prof. Österreicher, worum geht es bei dem Begriff leistbares, soziales Wohnen?

Da geht es um alle Bereiche der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und soziale Nachhaltigkeit, um qualitativen Wohnraum zu schaffen.

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Inwiefern können Klimaschutzbemühungen zu einem leistbaren Wohnen beitragen?

Klimaschutz heißt auch Wohnraum und unsere Umgebung erhaltens- und lebenswert gestalten. Das Soziale und die Leistbarkeit hängen sehr stark mit den Energie- und Infrastrukturkosten zusammen. Wenn wir klimabewusst bauen, können wir den Energiebedarf reduzieren und so zu leistbarem Wohnen beitragen. Wir müssen trachten, keine fossilen Energieträger mehr zu nutzen und Materialien ressourcenschonend anwenden, um in eine Kreislaufwirtschaft zu kommen.

Tausende Jahre mussten wir Gebäude nicht mechanisch (Aircondition) kühlen, und die Baumaterialien sind alle bereits im Bestand vorhanden.

Da gebe ich Ihnen völlig recht. Wenn wir aber den Status quo betrachten, müssen wir überlegen, wie wir von den fossilen Energieträgern loskommen. Es bedarf einer Anpassung an klimatische Veränderungen, wie zum Beispiel außenliegender Sonnenschutz, der auch in unseren Breitengraden notwendig geworden ist.

Kann man Nachhaltigkeit und Klimaschutz mit dem Begriff „grün“ in Verbindung bringen?

Im weitesten Sinn ja! „Grün“ assoziiert man mit Natur und Bäumen und der Begriff hält sich als Schlagwort schon ziemlich lang. Nur wenn eine Fassade grün ist, heißt das aber nicht, dass das Gebäude dahinter auch grün im Sinn von Umweltverträglichkeit ist. Aus der Technologieperspektive geht es immer darum, was das Gebäude tatsächlich kann.

Können Sie für sich den Begriff Nachhaltigkeit definieren?

Nachhaltigkeit ist für mich immer noch aus dem Brundtlandreport zu erklären: Ökologie, Ökonomie und soziale Ziele sollen gleichberechtigt und gleichwertig zueinanderstehen und so Perspektive für eine nachhaltige Gesellschaftspolitik formen. Für mich muss ein Gebäude die drei erwähnten Aspekte erfüllen. Das Nullenergiehaus auf der grünen Wiese ist nicht unbedingt nachhaltig. Ein Haus, das mit den neuesten Technologien ausgestattet ist, den höchsten Energiestandard hat, alles Mögliche kann, muss noch nicht leistbar, zugänglich oder angenommen sein – auch wenn es öffentlichkeitswirksam präsentiert ist. Auf der anderen Seite heißt es nicht, dass ein kosteneffizientes Gebäude mit leistbarem Wohnraum für alle sozial nachhaltig und ökologisch ist. Es ist eben die Herausforderung für Architekt:innen und Wissenschaft, diese Dinge in der Planung miteinander zu verknüpfen.

Postuliert man, dass Grün eine soziale Farbe ist, würde das doch einen Wandel in der Gesellschaft, im sozialen Denken verlangen?

Dieser Wandel ist wünschens- und anstrebenswert. Dazu braucht es eine Akzeptanz und eine Veränderung des Energiesystems. Wir wollen die Dekarbonisierung und weg von den fossilen Energieträgern, das geht aber nicht ohne die Gesellschaft. Unsere größte Herausforderung ist die Dekarbonisierung des Bestands, im Neubau sind wir schon sehr weit. Wenn ich aber im Altbau ein neues Energiesystem implementieren will – gehen oft die Menschen nicht mit, weil es einen Einschnitt für sie bedeutet.

Aber es sind nicht nur die Menschen/ Bewohner:innen/Nutzer:innen, es sind auch die Politik und die Industrie, die in einem Beharrungszustand sind. Wie soll das dann gehen?

Absolut, es ist das Bohren dicker Bretter, wie das so schön heißt. In der Architektur ist Akzeptanz sehr wichtig und wir versuchen immer, die Leute einzubinden: Was brauchen die Menschen selbst in den Gebäuden, was wünschen die sich, welche Veränderungen soll es geben. Die Technik bietet zwar Lösungen, aber die ist nicht immer auch gleichzeitig nutzerfreundlich – wir wollen das aber miteinander machen. Diese Veränderung ist auch anstrengend.

Was kann und was soll die Politik dazu beitragen?

Die Politik muss klare Rahmenbedingungen schaffen, zum Beispiel sehe ich es sehr kritisch, dass das Erneuerbare- Wärme-Gesetz nicht wie vorgesehen beschlossen und letztlich abgeschwächt wurde. Und an diese Rahmenbedingungen muss sich die Politik dann auch halten und Mut zeigen. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.

Wenn in naher Zukunft Millionen in unsere Breiten wollen, weil sie in ihrer Heimat aufgrund des Klimawandels nicht mehr leben können, müssen wir wohl unseren gewohnten Lebensstandard überdenken und ändern?

Wir reden zwar immer von Effizienz, aber wir wollen auch die Suffizienz. Die Frage ist, ob ich einen eigenen Fitness-, Yoga- oder sonstigen Raum brauche oder ob ich auch teilen kann.

Sie meinen damit Sharing?

Ja, genauso wie sich das Mobilitätsverhalten geändert hat, trachten wir jetzt danach, dass sich auch das Wohnverhalten ändern kann oder soll. Wir können – genau wie das Auto – auch Räume miteinander teilen. Da ist die Planung gefragt, um Konzepte zu entwickeln, die auch Qualitäten liefern die nach wie vor den Wunsch nach z. B. Privatsphäre und Grünbereich ermöglichen.

Glauben Sie, dass sich die Politik oder die Bauindustrie über diese Qualitäten Gedanken macht?

Man sieht das sehr stark in den Quartiersentwicklungen in Wien. Da gibt es einen Qualitätsbeirat, Jurys und ein sehr hohes Maß an Qualitätsforderungen.

Doris Österreicher hat Architektur studiert und ist Professorin für Integrative Gebäudetechnik und Digitale Bautechnologie an der Universität Stuttgart. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der klimaadaptiven und nachhaltigen Architektur und Stadtplanung mit den Schwerpunkten Energie und Ressourcen. Ebenso ist sie Partnerin bei Treberspurg & Partner Architekten.

Scheitern diese Absichten dann so oft am Geld?

Das würde ich nicht absolut sagen, es wird zwar viel versprochen, aber auch meistens gehalten. Zumindest im sozialen Wohnbau in Wien sind die Anforderungen sehr hoch, und das ist gut so. Wir müssen aber auch mit diesen Konzepten in die Nachverdichtung kommen, weniger Boden versiegeln und die Kreislaufwirtschaft fördern.

Was bedeutet „smart“ in dem Zusammenhang mit leistbarem Wohnen?

Es gibt dazu drei wesentliche Punkte: Bedarf reduzieren, Boden schützen und systemisches Planen. Dort ist der Begriff smart anzuwenden, durch unterschiedliche Nutzungen in einem Quartier, in gemischter Bauweise und einer energieneutralen Planung. Darin finde ich die sogenannte Smartness.

Also nicht je kleiner, desto smarter?

Das ist die Definition der Stadt Wien, smart sind hier weniger Quadratmeter bei hoher Alltagstauglichkeit, damit sich die Leistbarkeit darstellt. In der Energietechnik ist smart eher das Thema der Lastverschiebung, um Synergien zu schaffen.

Sollten wir nicht bei leistbarem Wohnen unser Augenmerk auf den Bestand richten?

Auf jeden Fall – das ist die größte Herausforderung heute. Im Bestand kann ich wirklich Energieverbrauch reduzieren, da sind noch hohe Effizienzen drinnen. Die Herausforderung dabei ist die oft sehr heterogene Eigentümerschaft und der Eigentümer:innen- Nutzer:innen-Konflikt. Im bewohnten Zustand zu sanieren, ist auch eine logistische Herausforderung.

Halten Sie das Senken von Steuern bei der Renovierung für eine sinnvolle Möglichkeit?

Ich halte alles für sinnvoll, was die Sanierungsrate hebt und den Prozess leistbarer macht. Ob dies über Steuern oder Förderungen unterstützt wird, kann man diskutieren.

Ist Innovation ein Werkzeug zur Rettung unserer Welt?

Auf der einen Seite ja, aber das ist nichts, worauf wir uns verlassen sollten

Worauf sollen wir uns dann verlassen?

Darauf, dass wir jetzt etwas tun. Ich
kann nur aus der Planung die Grundlagen
liefern, aber um das umzusetzen,
müssen wir alle handeln und gesamtgesellschaftlich
nicht nur Bemühungen,
sondern einen aktiven Beitrag
leisten.

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