Gerhild hat sich vor vielen Jahren vorgenommen, auf das Fliegen zu verzichten und selbst größere Strecken nur noch mit dem Zug zurückzulegen. Hartmut hat seinen Konsum massiv eingeschränkt und verwendet die Dinge, solange sie funktionieren, selbst dann, wenn die Seifenschale einen Sprung hat oder beim Kaffeehäferl der Henkel schon abgebrochen ist. Und Lukas nutzt seinen Garten in der Brandenburger Kleingartenkolonie vor allem zur Selbstversorgung, ob das nun Mangold, Grünkohl oder Rote Beete ist, und seitdem er Urin und Feststoffe trennt und diese am Komposthaufen zu Düngemittel aufbereitet, gedeiht die Ernte noch viel verrückter als zuvor.
In meinem Berliner Freundeskreis gibt es ein paar Leute, die ich um ihre Konsequenz und Selbstwirksamkeit unendlich beneide. Ich muss zugeben, ich selbst hätte wohl nicht die Kraft dazu. Und nein, die Maßnahmen auf individueller Ebene sind keineswegs nur ein symbolischer Beitrag, sondern auch ein klimatisch und volkswirtschaftlich relevanter: Pro Jahr erzeugt ein Durchschnittsdeutscher 9,8 Tonnen CO₂-Äquivalente, in Österreich ist der äquivalente CO₂-Fußabdruck pro Kopf nur geringfügig kleiner. Mit dem persönlichen Verzicht in Sachen Konsum, Ernährung, Mobilität, Kryptowährung und fossiler Brennstoffe kann der eigene ökologische Fußabdruck um bis zu 40 Prozent reduziert werden.
Fragt sich nur: Was ist mit den anderen 60 Prozent? An dieser Stelle kommt die Baubranche ins Spiel, denn neben Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Energieerzeugung und Abfallwirtschaft zählt der Gebäudesektor bekanntermaßen zu den größten Treibhausgas-Emittent:innen. Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus nach DIN EN 15978, von Phase A1 (Rohstoffbeschaffung) bis Phase C4 (Beseitigung), so kommt auch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft eine immens große Verantwortung zuteil. Die Hebel sind enorm.
Ende Oktober haben sich einige Player:innen und Pionier:innen aus dieser Branche im Refugium Hochstrass eingefunden, um im Rahmen der Zukunftswerkstatt 2024 vier Tage lang darüber nachzudenken, wie man diese Hebel noch besser, noch proaktiver, noch nachhaltiger gestalten kann. Und wie es gelingen kann, die geplante Dekarbonisierung des Bausektors so auf Schiene zu bringen, dass die sozial und wirtschaftlich Schwächeren dabei nicht zu Schaden kommen. Denn Grün ist nicht nur eine ökologische, sondern vor allem auch eine soziale Farbe.
Mit dem vorliegenden Heft wünschen wir Ihnen viel Inspiration. Vielleicht entdecken Sie auf den folgenden Seiten ja auch, wie das Düngemittel- Projekt meines Freundes Lukas zum allerersten Mal im gemeinnützigen Wohnbau Anwendung findet.
Wojciech Czaja