Alte Konzepte neu gedacht

Was 1996 mit einem sozialen Experiment begann, entwickelte sich über die Jahre zu einem pulsierenden urbanen Wohnprojekt mit kulturpolitischem Anspruch. Die Sargfabrik und Miss Sargfabrik im 14. Wiener Gemeindebezirk sind Vorzeigeprojekte, wenn es um Baugruppen und alternative Wohnformen geht – aber wie aktuell sind solche Projekte heute?
LINDA PEZZEI

Besser gemeinsam statt einsam. Gerade im urbanen Raum und mit Hinblick auf das Aufsprengen tradierter Wohnformen im Familienverband entstehen derzeit vielfältige ambitionierte (Neubau-)Projekte rund um das gemeinschaftsorientierte Wohnen. Das Spektrum reicht dabei von Gemeinschaftswohnungen, Co-Housing, Baugruppen, Clusterwohnungen bis zu Wohngruppen oder Mitbestimmungsprojekten. Allein die begriffliche Vielfalt zeigt, wie unterschiedlich Wohnen in der Gemeinschaft gedacht werden kann. Gemeinschaftsorientiertes Wohnen entspringt heute oft auch dem Bedarf, sich vom Wohnungsmarkt und von herkömmlichen Finanzierungen unabhängig zu machen und leistbaren Wohnraum zu schaffen. Oder aber es handelt sich um Projekte, die stark auf das Thema Nachhaltigkeit und das Schonen von Ressourcen fokussiert sind.

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Damit ein neu geschaffenes Quartier auf sozialer Ebene wächst und gedeiht, bedarf es eines ausgewogenen Angebots an flexiblen Wohntypen, attraktiven Freiflächen und barrierearmen Orten der Interaktion. Sargfabrik und Miss Sargfabrik bilden in diesem Kontext eine lebendige Gemeinschaft mit Kinder-, Kultur-, Seminar- und Badehaus, Café-Restaurant, Spielplatz und Dachgarten sowie einer Bibliothek, einer Gemeinschaftsküche und anderen Gemeinschaftsräumen. Ein Dorf in der Stadt, wenn man so will, in dem sich alle Bewohner im Sinne der Gemeinschaft individuell frei entfalten können. Und das macht wohl auch die Quintessenz des Erfolgs aus.

Inklusiver Wohnbau

Ob bottom-up – zuerst ist die Baugruppe oder eine Gruppe zukünftiger Bewohner vorhanden – oder top-down, also auf Initiative von Bauträgern, Architekten oder Projektentwicklern – die spätere Gemeinschaft formt sich stets im Prozess. Diese Tatsache erfordert eine gut strukturierte Planung und Kommunikation sowie ein gewisses Maß an Partizipation, um die späteren Nutzer von Beginn an mitzunehmen. Um eine soziale Durchmischung gewährleisten zu können, bedarf es flexibler und unterschiedlicher Wohnangebote sowie eines niederschwelligen Zugangs, beispielsweise in Form von gefördertem oder betreutem Wohnraum. Das lässt sich einerseits von den Initiatoren bereits von Beginn an festlegen oder im Rahmen der Wohnungsvergabe steuern. Hier punktet oftmals der Neubau, da sich Altbauten ohne größere Eingriffe schlecht auf heutige Anforderungen an Wohnraum adaptieren lassen oder es im Zuge von Sanierungen zur Gentrifizierung kommen kann.

Schöner Wohnen in Simmering: Der Baugruppenteil von „SchloR – Schöner Leben“ ist bereits fast fertig. Foto: SchloR

Das Quartiershaus am Stadtbalkon, geplant von raum & kommunikation gemeinsam mit feld72 und transparadiso, wurde unter dem Motto „Neues soziales Wohnen“ errichtet. Im Wettbewerb war die Bildung eines „Urbanen Grätzls“ am Hauptbahnhof Wien mit möglichst großer Nutzungsvielfalt und sozialer Durchmischung ausdrücklich erwünscht. Die Antwort der Planer bestand in einer Öffnung der Blockrandbebauung in Richtung der zentralen Promenade und einem 900 Quadratmeter großen „Stadtbalkon“ im ersten Obergeschoß. Das Projekt gilt als Prototyp für sozial und betrieblich diverses, flächensparendes, räumlich großzügiges Wohnen und Arbeiten auf engem Raum. In diesem Sinne ist das Quartiershaus als Grundstruktur zu verstehen, die von den Nutzern zum Leben erweckt werden wird. „Vieles an diesem Objekt ist prototypisch für ein zeitgemäßes Stadthaus, vom hohen Anteil an Gewerbeflächen über die spezielle Wohntypologie der Clusterwohnungen bis hin zu neuartigen architektonischen Details wie den balkonartigen Kastenfenstern“, so Robert Korab, Geschäftsführer raum & kommunikation, einer der Initiatoren des Projekts. Mit dabei sind auch die Wo- Gen und die „Wohngruppe am Stadtbalkon“. Bauträger war das ÖVW.

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Ob ein vom Bauträger oder von einer Baugruppe initiiertes Projekt: Pauschal lässt sich nicht so einfach sagen, wo die Inklusion besser funktioniert. Letztlich ist die Architektur immer nur ein Baustein, sind das Gefüge an Bewohnern und die Anbindung an die umgebenden Quartiere zwei weitere von vielen. Generell setzen sich die Mitglieder einer Baugruppe allerdings im Vorfeld im Detail weit mehr mit ihrem zukünftigen Zuhause, den neuen Nachbarn und den eigenen Wünschen an ihr Wohnumfeld auseinander. Baugruppen handeln knifflige Themen bereits vor dem Einzug ab, während dieser Prozess in anderen Projekten zeitverzögert abläuft.

Altes Konzept – immer noch aktuell: Miss Sargfabrik im 14. Bezirk in Wien. Foto: BKK-3

Schöner Leben in Simmering

Nach dem Motto „Leben und Arbeiten unter einem Dach“ entsteht auf rund 3.100 Quadratmetern in Wien-Simmering das gemeinschaftlich verwaltete Wohn-, Werkstätten- und Kulturzentrum „SchloR – Schöner Leben“. Das von der Architektin Gabu Heindl geplante Projekt basiert auf einer ökologischen Bauweise und setzt auf die Wiederverwertung von Baustoffen und Bestandsgebäuden. SchloR ist Teil des Syndikats habiTAT, ein Verbund solidarischer Hausprojekte in Österreich und Deutschland. Das Grundstück kaufte SchloR, und es wird in das Gemeineigentum des Netzwerks übergeführt.

„Obwohl es erst eine Handvoll realisierte Projekte hierzulande gibt, ist die Nachfrage nach dem Modell sehr groß“, erzählt Rainer Hackauf von SchloR, „dies ist auch seiner Flexibilität geschuldet. Vom kompletten Neubau auf einem Pachtgrundstück bis zum Kauf eines Zinshauses durch die bestehende Mietergemeinschaft oder eines Hofs – alles ist innerhalb des Modells möglich.“ Der Baugruppenteil ist bereits fast fertig. SchloR will Handwerk und Kultur nach Wien-Simmering bringen.

Mona’s Liesing

Die WBV-GPA und Neues Leben planen im 12. Wiener Bezirk Mona’s Liesing, eine leistbare, weitmöglichst unversiegelte und klimaresiliente Nachbarschaft für heutige und zukünftige Generationen. „Maximal unversiegelt – Mona’s Liesing verkörpert diese Vision. Mit innovativen Ansätzen und mutigen Schritten möchten wir Antworten auf drängende ökologische und gesellschaftliche Fragen finden. Eine möglichst geringe Versiegelung und die Schaffung einer grünen Infrastruktur sind dabei essenzielle Elemente. Mit der Baugruppe Wa- LeWi wollen wir auch alternativen Wohnformen Raum geben, erläutert Michael Gehbauer, WBV-GPA. Das Planungsteam (Illiz Architekten, Blaich Delugan Architekten, Clemens Kirsch Architektur, Plansinn, Mischek ZT) hat gemeinsam mit der Baugruppe WaLeWi zugunsten eines Hofnetzwerks mit Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen ein verkehrsfreies Areal entworfen.

Die unterschiedlichen Handschriften und architektonischen Zugänge der drei beteiligten Architekturbüros ermöglichen eine Vielzahl an gestalterischen und typologischen Lösungen und sollen zu einer Vielfalt und Durchmischung führen. Urban Gardening, ein Hallenbad, zentraler Quartierspark, ein Kindergarten sowie ein Quartiershaus mit Veranstaltungsraum und Co-Working-Space sowie eine Marktstraße für kleine Gewerbe, ein Lebensmittelhandel und Kinder- und Jugendspielplätze bieten für die zukünftigen Bewohner alles, was es zum Leben braucht.

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