„Wir werden abspecken und Standards reduzieren müssen“

Was sind die langfristigen Folgen von KIM-Verordnung, steigenden Kreditzinsen und zunehmenden Standards im Wohnbau? Und wie kann man diesen gordischen Knoten wieder lösen? Ein Gespräch mit Karin Schmidt-Mitscher, die in der Erste Bank Oesterreich den Bereich Wohnbau verantwortet.
— WOJCIECH CZAJA

Die österreichischen Kreditinstitute haben letztes Jahr Gewinne in der Höhe von 14,1 Milliarden Euro eingefahren. Ein Grund zur Freude?

Grundsätzlich ist das immer ein Grund zur Freude, wenn wir Gewinne machen. Aufgrund der stark gestiegenen Zinsen ist der Gewinn 2023 auch höher ausgefallen als in den Jahren zuvor. Aber darum geht es nicht. Im Augenblick ist es wichtig, unsere Kund:innen gut durch diese schwierigen Zeiten zu begleiten.

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Der niederösterreichische Landesrat Sven Hergovich (SPÖ) meint: „Die österreichischen Kreditinstitute haben auf dem Rücken ihrer Kund:innen Milliarden an Übergewinnen eingefahren und sind nun ganz erstaunt, dass ihre Kredite jetzt nicht mehr zurückbezahlt werden können.“ Er bezeichnet das Verhalten seitens der Kreditgeber als „Ignoranz“ und „Fahrlässigkeit“.

Die Kritik kann ich nicht nachvollziehen, denn Bereicherung würde bedeuten, dass man etwas aktiv und vorsätzlich gemacht hat, und das ist nicht der Fall. Die Geschäftspolitik hat sich nicht verändert, die Finanzierungsstrukturen sind gleich geblieben, unser Ziel ist nach wie vor die Finanzierung von leistbarem Wohnraum. Was sich geändert hat, ist der Leitzins, der von Zentralbanken aufgrund des volkswirtschaftlichen Umfelds gesetzt wird. Dementsprechend haben sich auch die Kreditkosten verändert. Das hat nichts mit Fahrlässigkeit zu tun, sondern liegt in der Natur der Wirtschaft.

Was tun mit den vielen nun notleidenden Krediten? Laut OeNB steigt die Zahl an faulen, notleidenden Krediten nirgendwo so stark wie in Österreich.

Aus einer Gesamtgruppensicht bleibt unsere NPL-Quote mit 2,4 Prozent auf einem niedrigen Niveau. Wir tun alles Mögliche, um die Quote an notleidenden Krediten möglichst niedrig zu halten, und fühlen uns mit unserem Kreditportfolio unverändert sehr wohl. Wir haben umfassende Frühwarnsysteme, und bevor es kritisch wird, erarbeiten wir mit unseren Kund:innen individuelle Lösungen. Besonders betroffen sind hier natürlich variabel verzinste Kredite.

Warum ist die Anzahl an variablen Krediten gerade in Österreich so hoch?

Eine gute Frage! In der Tat liegt Österreich hier im Spitzenfeld. Das hat viel mit Psychologie zu tun, denn ein fix verzinster Kredit ist bei einer normalen Zinskurve immer teurer als ein variabler Zinssatz zum gleichen Zeitpunkt. Ich vermute daher, dass Kund:innen mehr Wert auf die Ersparnis in der Gegenwart legen als langfristig in die Zukunft zu denken.

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Was tun Sie mit diesem psychologischen Phänomen?

Wir bieten gute Beratung an und empfehlen unseren Kund:innen im Privatkundensegment schon seit vielen Jahren Fixzinsbindungen. Mit gutem Erfolg: Acht von zehn Neukrediten im Wohnbau, die wir vergeben, sind fix verzinst.

Mit der sogenannten Kreditinstitute- Immobilienfinanzierungsmaßnahmen- Verordnung – kurz KIM-Verordnung – ist die Vergabe von privaten Wohnbaukrediten nun genau geregelt. Inwiefern haben sich Anfrage und Anzahl von Kreditabschlüssen seit Inkrafttreten im August 2022 verändert?

Aufgrund der schwieriger gewordenen Finanzierung und der gestiegenen Anforderungen ist die Vergabe von privaten Immobilienkrediten bei allen Banken in den letzten beiden Jahren sehr stark zurückgegangen. Ich bin allerdings der Meinung, dass man für den Rückgang der Kredite nicht einzig und allein die KIM-Verordnung verantwortlich machen kann. Mit der außerordentlich günstigen Finanzierung davor und den generell gestiegenen Bau-, Finanzierungs- und Inflationskosten danach ist die Sache weitaus komplexer.

Jede Bank hat die Möglichkeit, bis zu 20 Prozent ihrer Immokredite an Haushalte auch dann zu vergeben, wenn die KIM-VO-Standards nicht erfüllt sind. Schöpft die Erste Group dieses Ausnahmekontingent aus?

Größere Institute wie wir haben die Ausnahmekontingente gut genutzt. Doch das Ausnahmekontingent war zu Beginn an viel zu viele Parameter geknüpft, die Berechnung war extrem kompliziert. Durch die Anpassung im Juli 2024 ist die Administration deutlich leichter geworden – was zu einer höheren Ausnützung führen und vor allem auch Sanierungsfinanzierungen erleichtern wird.

Sie leiten in der Erste Group den Bereich Wohnbau. Gibt es auch spürbare Veränderungen in der Finanzierung von geförderten, großvolumigen Wohnbauprojekten?

Die gemeinnützigen Bauträger machen zum überwiegenden Teil Mietprojekte, immer häufiger aber auch – wie wir alle wissen – gefördertes und frei finanziertes Eigentum. Insofern sind von der KIM-Verordnung – indirekt, über die Käuferinnen und Käufer – auch die Gemeinnützigen betroffen. Die Projekte stehen länger leer und brauchen länger, bis sie komplett ausverkauft sind. Ja, auch in der Finanzierung ist eine deutliche Reduktion der Pipeline zu beobachten.

Karin Schmidt-Mitscher 
studierte Jus in Wien. Zu Beginn arbeitete sie im Bankenwesen im Bereich Immobilien und Leasing und war zuletzt Geschäftsführerin im Österreichischen Volkswohnungswerk (ÖVW) und Vorstand in der STUWO, einem der größten österreichischen Studentenheimbetreiber. Seit 2022 leitet sie den Bereich Wohnbau in der Erste Bank Oesterreich.

Was heißt das für die Zukunft?

Wir werden heuer noch viele Fertigstellungen haben, und auch 2025 wird es noch zahlreiche Wohnungsübergaben geben, aber nachdem wir heute zu wenig bewilligen und bauen, wird es ab 2026 zu einem massiven Einbruch am Wohnungsmarkt kommen. Angesichts des weiteren Bevölkerungswachstums macht mir das große Sorgen. Der Wettbewerb für Wohnraum wird zunehmen, die Mietpreise werden weiterhin steigen, und damit wird auch das Gerangel um die Wohnungen größer werden.

Was muss man auf einer politischen, strukturellen Ebene machen, um diesen Engpass, der auf uns zukommt, abzumildern?

Anreize schaffen, auch steuerlicher Natur, und auch die bisherigen Standards im gemeinnützigen Wohnbau neu überdenken. Wir bauen im internationalen Vergleich extrem hochwertig, was Technik und Ausstattungsqualität betrifft. Die Anforderungen sind zu hoch, das geht sich alles nicht mehr aus, wir werden abspecken und überhöhte Standards reduzieren müssen.

Wird das passieren?

Passieren müssen! Erst unlängst haben auch der Verband der Gemeinnützigen und der Verband der Immobilienprojektentwickler gemeinsam eine Renaissance des Wohnbaus gefordert. Das macht Hoffnung.

Die Einführung der EU-Taxonomie bedingt auch, dass sich Kreditinstitute nun eine fundierte Expertise im Bereich nachhaltigen Planens und Bauens aneignen müssen. Woher bezieht die Erste Group ihre Expertise?

Seit einigen Jahren haben wir nun für alle Mitarbeiter:innen im Haus eine verpflichtende ESG-Ausbildung und bieten darüber hinaus – je nach Tätigkeitsfeld – spezifische Fortbildungen an. Wir versuchen, die Expertise soweit möglich inhouse abzudecken.

Ein Blick in den Herbst: Viele vermuten, dass die EZB den Leitzins bis Ende des Jahres noch zweimal senken wird. Was wird sich dadurch verändern?

Es steht zwar noch alles in den Sternen, aber aktuell gehen wir sogar von drei weiteren Zinssenkungen bis Jahresende aus. Ob sich dadurch kurzfristig etwas verändern wird? Das glaube ich nicht. Zum Teil sind die erwarteten Zinssenkungen bereits eingepreist, Private sind verunsichert, und die Institutionellen zögern, neue Projekte zu starten. Spürbare Veränderungen am Markt werden mindestens noch einige Monate dauern.

Die Nationalratswahlen stehen vor der Tür. Welche Wünsche haben Sie an die Politik, um die Branche wieder zu festigen?

Viele, viele Wünsche über die wir jetzt im Detail gesprochen haben. Vor allem aber wünsche ich mir Gesprächsbereitschaft, mehr Vertrauen in unsere Expertise und einen generell höheren Stellenwert des Wohnbaus.

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