Wie sollen wir in Zukunft wohnen?

Neue Wohnformen versus die alten Versionen. Wie sollen wir in Zukunft wohnen? Miete oder Eigentum, Mietkauf oder vielleicht Co-Housing? Wohnbauforscherin Andrea Jany liefert spannende Ansätze.
PETER REISCHER

Sie proklamieren in Ihren Arbeiten und Vorträgen die Wichtigkeit der Sanierung des Bestands zur Vermeidung neuer CO₂-Emissionen. Stoßen Sie da auf offene Ohren?

Prinzipiell stoße ich auf viel Verständnis. Sehr oft höre ich auch: „Warum hat uns das niemand gesagt, warum ist dieses Wissen nicht präsent?“ Es leuchtet eigentlich allen ein, dass die Lösung Bestandsaktivierung und -revitalisierung ist. Natürlich gibt es aufseiten der Baustoffindustrie und der Architekten Vorbehalte, da dort ja alles auf ein anderes System (auf Neubau) ausgerichtet ist. Deren Geschäftsmodelle sind seit Jahrzehnten anders aufgestellt.

Andrea Jany
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Wenn wir nun den Bestand sanieren – worauf sollen Bauträger und Entwickler bei der Endnutzung im Bezug auf Miete, Eigentum oder Mietkauf achten?

Leidenschaftslos sage ich: „Hauptsache es wird saniert!“ Statistisch gesehen ist der Eigentumsanteil höher, weil die meisten Wohneinheiten im Einfamilienhausanteil liegen.

Andrea Jany

Gerade jetzt, wo sich viele Menschen die Mieten nicht mehr leisten können – was soll die Bauwirtschaft unternehmen? Kann sie überhaupt etwas tun?

Die Bauwirtschaft ist relativ handlungseingeschränkt, die Planer ebenfalls. Es geht also darum, für die Eigentümer der Liegenschaften Modelle zu finden, bei denen genug Kapital vorhanden ist, um zukunftsgerichtet sanieren zu können.

Andrea Jany

Welche Möglichkeiten oder Anreize stehen zur Verfügung?

Es gibt Förderungen, die erhöht werden könnten, das liegt im Bereich des Staates und der Länder und ist über Steuergelder zu finanzieren. Gäbe es die Zweckwidmung der Wohnbauförderungsbeiträge wieder, wären automatisch mehr Mittel für die Wohnbauförderung vorhanden. Wenn man diese gezielt in die Sanierung des Bestands lenkt, wäre das ein großer Hebel.

Andrea Jany
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Die Politik trifft seit Jahren keine Entscheidungen in die „richtige“ Richtung, weil es vielleicht unpopulär ist?

Jeder kann heute – auch ohne Förderung – aus eigener Entscheidung und mit dem Wissen, das wir schon haben, in eine sinnvolle Richtung arbeiten, sanieren und bauen. Das ist wie mit Tempo 100 auf der Autobahn: Jeder kann das einhalten, freiwillig. Niemand muss das verordnen. Im Moment haben wir noch einen (erschreckend) kleinen Handlungsspielraum, bevor uns die Klimakrise mit voller Wucht erwischt. Später können wir nur noch Symptome bekämpfen. Georg Kaser, Klimaforscher und u. a. Leiter des wissenschaftlichen Beirats im Klimarat, hat das folgendermaßen formuliert: „By Design or by Disaster“.

Andrea Jany

Müssen wir neue Formen des Wohnens suchen? Partizipationsmodelle stärken?

Ja, man kann zum Beispiel bei den Co-Housing-Projekten sehr viel lernen. Das sind oft kleine gelebte Projekte von Menschen, die am öffentlichen Wohnungsmarkt (gefördert oder nicht gefördert, sei es Miete, Eigentum oder Mietkauf) ihren Bedürfnissen entsprechend nicht fündig geworden sind. Die haben sich in vielen Sitzungen zu einem gemeinschaftlichen Projekt organisiert. Die meisten achten genau auf die Nachhaltigkeit durch ihren ökologischen Fußabdruck, bauliche Maßnahmen, soziale Einbindung aller, finanzielle innovative Möglichkeiten etc.

Andrea Jany
Foto: Jörg Jany

Andrea Jany ist Architektin. Ausbildung an der Bauhaus- Universität Weimar, der Virginia Tech, der Stanford University und der TU Graz sowie einer zehnjährigen Planungspraxis und einem Forschungs- und Lehraufenthalt an der Stanford University. Sie forscht im Themenfeld Wohnbau gegenwärtig am Zentrum für nachhaltige Gesellschaftstransformation der Uni Graz sowie dem Institut für Wohnbauforschung. Wissenschaftlicher Beirat für das Thema Wohnen des 1. Klimarats Österreichs.


Wie funktionieren diese Co-Housing- Modelle?

Bei den alten Modellen der 70erund 80er-Jahre in der Steiermark sind sowohl einige, die als Miete und als Eigentum errichtet wurden. Mietkauf kam in den 90er-Jahren dazu. Heute funktionieren die Co-Housing-Projekte wieder anders, die Menschen sind Mieter und Eigentümer zugleich. Sie gründen einen Verein, dem gehört die Liegenschaft, alle im Projekt Wohnenden sind Mitglieder im Verein und jeder Einzelne mietet vom Verein seinen genutzten Wohnraum. Im Hintergrund ist eine Genossenschaft samt Revisionsverband, der alles absichert.

Andrea Jany

Wer muss/kann/soll da Angebote/ Vorschläge machen?

Aktuell gibt es stark fragmentierte Zuständigkeiten auf kommunaler, Landes- und Bundesebene und somit keine Verantwortlichen zum Thema Wohnen für Gesamtösterreich. Niemanden schaut sich die verschiedenen Datenquellen, Bedarfe und Bedürfnisse in seiner Gesamtheit für Österreich oder auf Landesebene an und fragt: Wer muss/kann/soll in Zukunft wie oder wo wohnen, welche Zukunftsmodelle gibt es? Wie viel Wohnraum benötigt wer, wann und wo.

Auf kommunaler Ebene sind die Bürgermeister überfordert, da aus den urbanen Bereichen die Entwickler mit ihren Projekten in kleinere Gemeinden abwandern und hier Neubau realisieren wollen. Zusätzlich weiß niemand, wie viele Gebäude und Wohneinheiten eigentlich leer stehen.

Wir haben für Knittelfeld eine Wohnbedarfsanalyse gemacht und jetzt gerade für Waidhofen a/d Ybbs. Diese Gemeinden brauchten eine Argumentationshilfe, wie sie mit den Bauträgern und Objektentwicklern umgehen können, die in ihre Gemeinde drängen und Projekte realisieren wollen. In Knittelfeld gibt es 13 Prozent Leerstand, das ist zu viel. Durch die Studie hat der Bürgermeister nun ein Argument, um zu sagen: Wir brauchen derzeit keine neuen Wohnbauten – erst, wenn wir wieder auf 5 Prozent unten sind. Bis dahin gilt es, sämtliche Bestände zu aktivieren und attraktivieren.

Andrea Jany

Die gegenwärtigen Krisen (Klima, Migration, Krieg etc.) sind präsent: Wie soll in Zukunft die Frage nach Miete oder Eigentum, Mietkauf oder vielleicht Co-Housing gesteuert werden?

Zum einen sollte man das Co-Housing- Thema als vierte Möglichkeit, welche auf dem Gemeineigentum beruht, in die öffentliche Präsenz bringen. Es gilt, tragfähige Modelle zu entwickeln, welche z. B. auch bei der Umnutzung von Bestandsgebäuden Anleihen in der Konzeption von Co-Housing-Projekten nehmen könnten.

Da das Co-Housing – als neues innovatives Modell der Anteilhabe – noch ein sehr kleines Pflänzchen ist, am besten durch Information, Aufklärung und mediale Präsenz. Man kann sie auch in der Sanierung durch Fördertöpfe speziell fördern.

Andrea Jany

Können Sie sich vorstellen, dass die Immobilienentwickler eine derartige Forderung an die Politik richten?

Derzeit wohl eher nicht, da die Interessen hier stark im Neubau liegen. Ein verstärktes Interesse der Immobilien- und Finanzwelt an der Wohnbaubestandssanierung wäre aber sehr wünschenswert, um diesen stärker den Notwendigkeiten der aktuellen Herausforderungen und dem Ziel der Klimaneutralität in Österreich bis 2040 und der EU bis 2050 anzupassen.

Andrea Jany

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