In einem beigen Kleid aus Glas und Karton

Vor drei Jahren wurde die thermisch-energetische Sanierung des Wiener Gemeindebaus Hütteldorfer Straße 252 abgeschlossen. Wie hat sich das Forschungsprojekt im Alltag bewährt? Und was sind die Learnings daraus? Ein Lokalaugenschein mit dem Architekten Christoph Treberspurg.
WOJCIECH CZAJA

Auf den ersten Blick wirkt die Fassade irgendwie skandinavisch. Wie eine der typischen Häuserzeilen im hohen Norden Europas, in Tromsø, Kiruna oder Murmansk. Doch was in der eisigen Kälte üblicherweise weiß, beige oder ochsenblutrot gestrichenes Wellblech ist, entpuppt sich in der Hütteldorfer Straße 252 als thermisches, hochisolierendes Glaspaneel. Hinter der kühlen, glitzernden, technisch anmutenden Fassade verbirgt sich ein cleverer Aufbau aus Glas, Kartonwabe und Hinterlüftung. Durch die rund fünf Zentimeter dicke Kartonwabe – ein handelsübliches Produkt aus der Papierindustrie – wird die Sommersonne gestoppt, während die flach einfallende Wintersonne tief in die Öffnungen und somit in den Wandaufbau eindringen und diesen erwärmen kann.

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„Eigentlich hätte alles auch ganz anders kommen können“, erzählt Architekt Christoph Treberspurg, Geschäftsführer von Treberspurg & Partner Architekten ZT GmbH. Seit mehr als 30 Jahren zählt das Wiener Architekturbüro zu den innovativsten Vertretern nachhaltigen Planens und Bauens. „Doch wir haben diese Sanierung weniger als eigenständiges Architekturprojekt gesehen, als vielmehr als angewandtes Forschungsprojekt in situ, bei dem es galt, unterschiedliche Superlative von technischen und haustechnischen Low-Budget-Sanierungslösungen zusammenzubringen und zu schauen, was dabei herauskommt, wenn man die jeweils besten Parameter kombiniert.“

Begonnen hat das Projekt 2008 mit einer Forschungseinreichung am Zentrum für Innovation und Technologie (ZIT) der Wirtschaftsagentur Wien. Ziel des sogenannten „Klimaschutz- Passivhaus-Sanierungs-Multiplikators“ war, ein Konzept für die Sanierung von Wohnhausanlagen aus den 1950er- bis 1970er-Jahren zu entwickeln – und diese mit minimal-invasiven Eingriffen und bei laufendem Betrieb ohne Auszug oder Beeinträchtigung der Mieter:innen auf Passivhaus- Standard zu ertüchtigen. Man suchte nach sanierungsbedürftigen Patient:innen, die so normativ in der Stadt herumstehen, dass man aus den Erfahrungen des konkreten Projekts lernen und die Dos and Don’ts auf andere, ähnliche Wohnbauten dieser Ära übertragen kann.

Hohe Aufenthaltsqualität

Die Entscheidung fiel auf das Objekt in der Hütteldorfer Straße 252 im 14. Wiener Gemeindebezirk. Errichtet worden war die Wohnhausanlage mit sechs Stiegen und insgesamt 56 Wohnungen 1969 vom Wiener Architekten Stefan Karabiberoff. Alles sehr hübsch, mit schönem Innenhof und künstlerisch gestaltetem Brunnen, mit ausgewachsenen Bäumen und einer generell angenehmen Aufenthaltsqualität im Freien – und doch Standardware aus dieser Epoche. „Das war von Anfang an Teil des Konzepts“, so Treberspurg. „Es ging um die Realisierung eines konkreten Prototyps sowie um die potenzielle Skalierbarkeit und Multiplizierbarkeit in die große Zahl.“

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Der Startschuss für die Konzeption und Planung war 2009, zu einer Zeit also, als die Diskussionen über fossile Brennstoffe im Wohnbau und über die Dekarbonisierung der gebauten Umwelt noch in den Kinderschuhen steckte. Allein schon aus Budgetund Logistikgründen war damals klar, dass man sich vor allem um die thermische Hülle, nicht aber um die Energiequelle und die Heiz- und Warmwasseraufbereitungs- Technologie kümmern wolle. „Die Konzeptions- und Forschungsphase war aus diesen Gründen sehr lange“, blickt Treberspurg zurück. „Heute würde man an so ein Projekt wahrscheinlich anders herangehen, würde die Sanierung womöglich mit dem Ausbau der Thermen und der Implementierung eines neuen, mit erneuerbaren Energien betriebenen zentralen Heizungssystems kombinieren. Doch das war damals kein Thema.“

Und so fokussierte man sich vor allem auf die Südfassade, auf die thermische Hülle des Hauses: Auf die bestehende Außenwand aus 30 Zentimeter starkem, beidseitig verputztem Ziegelmauerwerk wurden in den Deckenebenen Stahlkonsolen und anschließend eine Stützenkonstruktion aus Holz angebracht. Die Zwischenräume wurden mit einer Wärmedämmung aus Mineralwolle ausgefüllt, darüber wurde das neue Dämmsystem mit einer KLHPlatte (Kreuzlagenholz) geschlossen.

Einfache Lüftungselemente

Das Finale des neuen Aufbaus bilden Waben, die sogenannte GAP-Solarfassade, die Anfang der 1990er-Jahre von Johann Aschauer entwickelt und seitdem schon in mehreren Wohnbausanierungen in der D-A-CH-Region eingesetzt wurden – vor allem von Wiener Wohnen, Giwog und Vonovia. Das patentierte Modell, das in vielen unterschiedlichen Papierfarben erhältlich ist, beinhaltet einen Aufbau aus Kartonwabe, Hinterlüftung und witterungsresistenter Glasscheibe.

So sah die Siedlung vor der Sanierung aus – grau in grau und mit sehr hohen Energiekosten.

Ergänzt wird das System durch eine Photovoltaik-Anlage entlang der Hütteldorfer Straße, durch Passivhausfenster mit Drei-Scheiben-Verglasung (U-Wert 0,8 W/m2K), baulich vergrößerte Balkon- und Loggienräume sowie durch eine dezentrale Wohnraumbelüftung mit Wärmerückgewinnung. Das Lowtech-System besteht aus einfachen Lüftungselementen, die in eine Kernbohrung hineingesetzt werden. Der keramische Innenkörper ist eine Art Schnellspeicher für die warme Abluft. Im gesamten Projekt sind immer mindestens zwei Lüftungsanlagen miteinander gekoppelt, die sich im Zwei-Minuten-Takt abwechseln und so eine vollautomatisch gesteuerte Zuluft- Abluft- und Abluft-Zuluft-Choreografie bilden. Den nötigen Strom dafür liefern – jawohl, richtig geraten – die PV-Module an der Fassade.


Architektur oder Forschungsprojekt?

Die Passivhaus-Sanierung des Wiener Gemeindebaus von 1969 in der Hütteldorfer Straße ist Teil eines EU-weiten Forschungsprojekts. Das Ziel war zu untersuchen, wie bestehende Wohnbauten der 1950er- bis 1970er-Jahre effizient thermisch ertüchtigt werden können. Der größte und wichtigste Forschungspartner in dieser Kooperation war das EU GUGLE Programm (European Cities Serving as Green Urban Gate towards Leadership in Sustainable Energy).

Weitere Partner waren die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) mit dem Projekt MAFa (Mulitaktivfassade), wo Prototypen mit GAP-Fassaden und Photovoltaik entwickelt und im Labor gemessen wurden, die ZIT Technologieagentur der Stadt Wien, das Haus der Zukunft sowie die Universität für Bodenkultur, Boku, in Wien.

Durch die Forschungskooperationen war es möglich, zusätzliche Fördersummen in Form von Baukostenzuschüssen zu lukrieren – unter anderem 709.500 Euro aus den Mitteln der Thewosan-Sanierung, 207.000 Euro aus EU-GUGLE-Mitteln sowie 177.500 Euro aus dem MAFa-Paket.


Thermisch ertüchtigt

Während Treberspurg & Partner mit dem Forschungsteam der Universität für Bodenkultur das Hauptaugenmerk auf die verglaste Südseite richteten, wurden die anderen Fassaden – ohne Solarwaben-Paneele – mithilfe einer Holzkonstruktion und einer mineralischen Wärmedämmung thermisch ertüchtigt und in ein frisches Farbkleid gehüllt. Im bestehenden Dachstuhl des Kaltdachs wurden kleine, kompakte Haustechnik-Räume mit Lithium-Ionen-Batteriespeichern mit insgesamt 9,6 kWh Leistung installiert. Die niedrigen Technikräume sind – mit gebücktem Haupte, wohlgemerkt – lediglich zu Wartungszwecken begehbar.

Im Juli 2018 war Baubeginn, im Dezember 2020 wurde das Projekt nach zweijähriger Umbauzeit abgeschlossen. Errechnet wurde eine Reduktion des Heizwärmebedarfs von 108 kWh/m2a auf schlanke 9 kWh/ m2a. „Den Großteil davon erreichen wir durch die neue Dämmung“, sagt Christoph Treberspurg, „aber nicht nur.“ Den Beitrag der Kartonwaben zu einer so guten Energiebilanz schätzt der Architekt auf etwa zehn Prozent. Hinzu kommt die Wärmerückgewinnungsanlage mit einem Wirkungsgrad von 90,6 Prozent.


Drei Fragen an Christoph Treberspurg,
Architekt, Treberspurg & Partner

Würden Sie das Projekt heute wieder so angehen?

Ja und nein. Was die Sanierung der thermischen Gebäudehülle betrifft, auf jeden Fall. Im Bereich der Dekarbonisierung sind wir heute schon viel weiter. Projekte dieser Art werden heute meist mit einer Zentralisierung des Heizsystems oder generell mit einem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen kombiniert.

Christoph Treberspurg

Wie gefällt Ihnen diese Form der Architektur? Ist das schön?

Das ist eine schwierige und auch subjektive Frage. Ich sehe in dieser Form der Gebäudesanierung mit dem GAP-System eine intelligente und ökologische Antwort auf eine sehr häufige Fragestellung. Im historischen, gründerzeitlichen Kontext würde ich mir schwer tun, so eine Fassade zu planen. Bei einem Wohnhaus aus den 1960er- oder 1970er- Jahren scheint mir das durchaus stilkonform.

Christoph Treberspurg

Wie geht es weiter?

Das Projekt ist quasi erwachsen geworden und kann als Baustein für zukünftige Entwicklungen gesehen werden. Für den gemeinnützigen Wohnbausektor haben wir gerade eine Dekarbonisierungs-Studie für größere Areale gemacht, indem wir unterschiedliche Maßnahmen miteinander verglichen haben – Fernwärme, Tiefenbohrung sowie eine Kombination aus Geothermie und Wärmepumpe. Dafür braucht es eine ganzheitliche und integrale Betrachtung von bestehenden Quartieren, so wie sie etwa bei der Entwicklung neuer Stadtareale gehandhabt wird.

Christoph Treberspurg

Finanzielle Belastung reduziert

Wie ist die Bilanz nach drei Heizperioden? Wir fragen einen Bewohner, Stiege 4, Erdgeschoß. Peter Urban ist Pensionist, 77 Jahre alt, früher war er Lehrer für Mathematik, Physik und Leibesübungen sowie Direktor der Volkshochschule Penzing. Außerdem war er 18 Jahre lang Bezirksrat im 14. Bezirk, zuständig für Bauen und Wohnen. Er kennt sich also aus. Wir läuten an, und obwohl es draußen an diesem Tag fünf Grad unter Null hat, klirrende Kälte, öffnet uns ein gut gelaunter, barfüßig herumspazierender Herr.

„Grob kann man sagen, dass sich die finanzielle Gesamtbelastung für Heizung und Warmwasser bei allen Mieter:innen um 40 bis 50 Prozent reduziert hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass das mit dem errechnetem Heizwärmebedarf übereinstimmt“, erzählt Urban.

Vor allem aber, meint Urban, freue er sich über die dichten, hochisolierenden Fenster und die kontrollierte Wohnraumlüftung. „Es zieht nicht mehr wie früher, die Wände sind auch nicht mehr kalt, und die Lüftung läuft bei uns im Sommer und Winter mehr oder weniger durchgehend.“ Auf Stufe 1 und 2 sei die Lüftung kaum zu hören, auf der höchsten Betriebsstufe 3, die gelegentlich aktiviert wird, höre man ein leises Zischen. „Für uns alle, die hier wohnen, ist das ein tolles Projekt“, sagt er. „Gleichzeitig aber muss ich eine Kritik loswerden, denn von der ersten Mieter:inneninformation bis zum Baubeginn sind fast acht Jahre vergangen.

Auch die Erdgeschoßzonen wurden attraktiviert.

Acht Jahre mit vielen, vielen Versammlungen, mit langem Hin und Her, mit diversen Abstimmungen und Planänderungen. Das war schon ein bissl nervig.“ Zugleich aber sei die Bauphase sehr reibungslos über die Bühne gegangen. Die Eingriffe seien minimal gewesen, die Firmen hätten gut zusammengearbeitet. Für die Zukunft wünscht sich der Bewohner, dass solche Projekte schneller in die Gänge kommen, dass man Mieter:innen nicht unnötigerweise ein knappes Jahrzehnt zappeln lasse.

Und was sagt Christoph Treberspurg dazu? „Den Ärger kann ich gut nachvollziehen, acht Jahre sind wirklich eine lange Zeit. Gleichzeitig war das ein Forschungsprojekt mit vielen involvierten Partner:innen und einer laufenden Evaluierung. Die Baukosten betrugen 4,04 Millionen Euro. Das Projekt wurde für den Wiener Stadterneuerungspreis 2021 nominiert.

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