Zu groß, zu klein, zu teuer, zu normal

Die Krisen und daraus resultierende Konsequenzen überschlagen sich. Entsprechend schwierig gestalten sich die Wohnbedarfsanalysen und das rechtzeitige Reagieren auf den demografischen Wandel. Und es stellt sich heraus: An leistbaren, innovativen Wohnmodellen mangelt es an allen Ecken und Kanten.
WOJCIECH CZAJA

Die neuen Projekte heißen Brio, Relax, Florida, Biberland, HausWirtschaft, Schneewittchen, Rote Emma, Martha im Grün, Fünf Freunde, The Marks, Lebenscampus und Quartier Bienvenue. Doch so unterschiedlich die Wohnbauten und Bauvorhaben auch sind, so differenziert sie auf die verschiedensten Vorlieben und Lebensmodelle der Mieter einzugehen scheinen, stellt sich dennoch die Frage, inwiefern das bunte Angebot auch wirklich den Bedarf des Markts und der aktuellen demografischen Entwicklungen trifft.

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„Die Projekte und Namensgebungen sind ansprechend gestaltet und wirken überaus attraktiv“, sagt Wolfgang Amann, Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen Gmbh, IIBW. „Themenwohnbauten und Projekte, die für die einzelnen Sinus-Milieus zugeschnitten sind, halte ich für eine wichtige Ergänzung am Wohnungsmarkt, aber manchmal erweckt es den Anschein, dass die Architekten, Bauträger und Developer hier nicht mehr nur als Stadt- und Wohnraumgestalter agieren, sondern gerne auch Lebensdesigner wären. Und das geht zu weit.“

Jenseits der großen Leuchtturm- Projekte, so Amann, falle die soziale und infrastrukturelle Qualität der Projekte deutlich ab, der Großteil des großstädtischen Bauvolumens – vom Bauen in dünner besiedelten Regionen gar nicht erst zu sprechen – sei Wohnbau von der Stange. „Die große Masse ist effizient gestaltet und geprägt von kompakten Smart-Grundrissen, meist ohne Identität und gemeinschaftliche Addons“, so Amann.

Steigender Wohnflächenbedarf

Doch die Wohnbaubranche steht noch vor weitaus größeren Herausforderungen. Der Wohnflächenbedarf pro Kopf ist massiv gestiegen und befindet sich immer noch im Steigen. „Wir stehen heute bei über 46 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf“, sagt Amann. „Und das Dramatische daran ist, dass die Wohnungen der unteren und mittleren Einkommensschichten von Jahr zu Jahr kleiner werden. Das Wachstum ist also fast ausschließlich auf die Eigenheime zurückzuführen.“ „Der Traum vom Eigenheim auf der grünen Wiese ist ein massiver Statistiktreiber“, so Amann. „Und es wäre wünschenswert, dass die Suffizienz in diesem Segment endlich zunimmt, denn andernfalls wird der Flächenverbrauch – und damit verbunden auch die Zersiedelung – weiterhin steigen.“ Doch es gibt Hoffnung: In Vorarlberg beispielsweise werden die Parzellengrößen bei Neuaufschließung auf 400 Quadratmeter reduziert. Ironie des Schicksals: Auch die aktuell hohen Grundstückspreise, Baukosten und Zinsen, so Amann, könnten sich in den kommenden Jahren auf den Boden- und Wohnflächenbedarf positiv dämpfend auswirken.

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Als Vorzeigebeispiel gilt The Marks im dritten Bezirk in Wien. Vier Bauträger – die Buwog, Neues Leben, ÖSW und WBV-GPA – initiierten die drei Wohnhäuser samt gemeinsamer urbaner Sockelzone. „the one – home above“ von der WBV-GPA, ermöglicht das Wohnen im Hochhaus auch für Menschen mit niedrigem Einkommen. Das Wohnhaus verfügt über 224 freifinanzierte Eigentumswohnungen und 178 Mietwohnungen auf insgesamt 38 Etagen. Das Angebot reicht von kompakten Zwei- Zimmer-Wohnungen (ab 45 Quadratmeter) bis hin zu bequemen Familienwohnungen mit bis zu fünf Zimmern. „Mit dem Anspruch, Mietwohnungen zu förderungsähnlichen Konditionen in Kombination mit hochwertigen Eigentumswohnungen zu realisieren, erbringen wir den Nachweis, dass auch die soziale Durchmischung im Hochhaus möglich ist“, so Michael Gehbauer, Geschäftsführer der WBV-GPA.

Quelle: Statistik Austria, IIBW

Mehr Ein-Personen-Haushalte

„Wir befinden uns heute in einer Situation, in der sich die Krisen mit ihren zum Teil gegenläufigen Auswirkungen überlagern und überschlagen“, sagt Laura Holzheimer, Head of Research bei CBRE, „und daher klaffen Wohnungsangebot, Wohnungsbedarf, Wohnvorstellungen und medial propagierte Wohntrends bisweilen weit auseinander.“ Sie nennt als Beispiel: „Einerseits werden die Wohnungen immer kompakter, andererseits haben wir in unseren Markt-Reviews festgestellt, dass die Wohnungen seit der Corona- Pandemie wieder wachsen.“ Betrug die Durchschnittsgröße im Wohnungsneubau letztes Jahr noch 55 Quadratmeter, so werden die heuer errichteten Neubauwohnungen durchschnittlich rund 60 Quadratmeter auf den Plan bringen. Und das dürfte sich – Stichwort: Homeoffice und privater Freiraum – so rasch nicht ändern.

Hinzu kommt ein deutlicher Trend zu Ein-Personen-Haushalten, die bis 2035 um 12,5 Prozent zunehmen werden. „Die Developer werden zwar darauf reagieren, allerdings mit einer deutlichen Verzögerung“, so Holzheimer, „denn aufgrund der hohen Grundstücks- und Baukosten ist das Bauvolumen erst einmal eingebrochen.“ Dann aber, meint die Expertin, werde man sich dringend auch um die Errichtung von großen D-, E- und F-Wohnungen kümmern müssen. Denn: „Die Zinsen sind so stark gestiegen, dass sich viele, zum Teil auch größere Familien, den Erwerb von Eigentum nicht mehr leisten können.“

Quelle: Statistik Austria, IIBW, Euroconstruct

Zu viele B-Wohnungen

Dass es da aber kaum familientaugliche Wohnungsangebote gibt, bestätigt auch Raimund Gutmann, wohnbund:consult, mit der Studie „Wohnbauboom in Wien 2018–2021“, die er gemeinsam mit Ernst Gruber und Margarete Huber für die Arbeiterkammer Wien erstellte: „Von den 26 untersuchten freifinanzierten Wohnbauten (…) leistet keiner einen Beitrag zur Deckung des Wohnbedarfs von Haushalten mit einem Wohnbedarf von mehr als drei Zimmern und einem durchschnittlichen Einkommen. Der Beitrag zur Deckung eines Wohnbedarfs von vier Zimmern ist mit fünf Prozent auch unabhängig vom Einkommen äußerst gering.“

Auch an anderer Stelle lässt Gutmann an den marktüblichen Wohnungstypologien kein gutes Haar: „In Bezug auf den produzierten Wohnungsmix, die Typologien, Wohnungsgrößen und Grundrisse gibt es meist schon in der Planung exakte Vorgaben. Sie basieren vor allem auf Wirtschaftlichkeitsparametern und stehen Innovationen und einer Weiterentwicklung des Wohnbaus oft im Weg.“ Spezielle, innovative Wohnformen wie etwa betreutes, betreubares Wohnen oder die in Zürich längst etablierten Cluster-Wohnungen hätten ebenfalls wenig Platz am Markt.

Am Ende hat die ureigentliche Aufgabe der gemeinnützigen Wohnraumerrichtung auch mit finanziellen Forderungen zu tun: „Für ökologisch und sozial nachhaltige Projekte braucht es dringend alternative Förder- und Investitionsmöglichkeiten.“ Denn, und darin sind sich die Experten einig: B-Wohnungen mit 45 bis 50 Quadratmetern Wohnfläche, die dem Ideal einer Vorsorgewohnung entsprechen und in Wahrheit auf wenig Resonanz am Mietmarkt treffen, haben wir schon viel zu viele – ganz gleich, mit welch tollen Bildern und klingenden Namen sie versehen sind.

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