Nachverdichten, statt neue Flächen zu versiegeln, lautet das Gebot der Stunde. Zwei Beispiele, wie das gelingt, ohne dass die Dichte beklemmend wirkt.
— FRANZISKA LEEB
Dichte spart Fläche, Dichte erzeugt Urbanität, Dichte ermöglicht leistbares Wohnen. Andererseits: Städtebauliche Dichte steht auch synonym für Enge, Maßstabslosigkeit, Überhitzung, Renditemaximierung. Fix ist, dass eine hohe städtebauliche Dichte nicht automatisch lebenswerte Stadtquartiere garantiert (und eine geringe ebenso wenig). Die Dichte ist eine Kennzahl, die auf Wohnlichkeit und Attraktivität eines Ortes nur bedingt Einfluss hat.
Es seien „Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit und Mangel an gutem Willen, welche uns moderne Stadtbewohner: innen dazu verurteilten, lebenslänglich in formlosen Massenquartieren den geisttötenden Anblick ewig gleicher Mietshausblöcke, ewig gleicher Straßenfluchten zu ertragen“, stellte Camillo Sitte schon vor über 130 Jahren fest. Was aber sind, um mit dem Begründer des modernen Städtebaus zu sprechen, „Ursachen der schönen Wirkung“? Zwei rezente Beispiele, eines in einem Stadtentwicklungsgebiet, das andere innerhalb der Gründerzeitstruktur liefern Hinweise.
An der Gastgebgasse in Wien-Atzgersdorf entstand auf dem Areal der 2013 aufgelassenen Sargfabrik ein neues Stadtquartier. Das ehemalige Fabriksgebäude von Hubert Gessner an der Breitenfurter Straße wurde für eine multifunktionale Nutzung transformiert. Im Anschluss entstand ein Wohnquartier mit rund 750 neuen Wohnungen. Davon sind 430 gemeinnützige Mietwohnungen im Quartier „Kuku 23“ der gemeinnützigen Bauträger Heimbau sowie Altmannsdorf und Hetzendorf untergebracht. Geplant wurde das Kunst- und Kulturquartier von den Architekturbüros Dietrich Untertrifaller und Schenker Salvi Weber, deren insgesamt fünf Gebäude aus einem gemeinsam gewonnenen Bauträgerwettbewerb 2019 hervorgingen.


Kleinteiligere Maßstäblichkeit
Man habe sich selbst Kriterien auferlegt, erklärt Architektin Maria Megina, Partnerin bei Dietrich Untertrifaller Architekten, um innerhalb der gewidmeten üppigen Baumasse eine kleinteiligere Maßstäblichkeit und eine urbane Diversität zu etablieren. „Wir wollten anstelle der fünf Gebäude den Eindruck erwecken, dass es 20 sind und haben die Stiegenhäuser als transparente Fugen ausgebildet“, erklärt die Architektin. So wurden mehrere kleinteilige Volumina mit unterschiedlichen Höhen erzeugt.
Wichtig sei es gewesen, die Erdgeschoße frei von Wohnnutzungen zu halten. „Stattdessen haben wir einen Teppich aus kulturellen Nutzungen ausgerollt“, so Megina. Schon 2015 etablierte sich die Kulturinitiative F23 in der Sargfabrik. Mittlerweile ist es eines von sieben Kulturankerzentren im Sinne der Wiener Kulturstrategie und bespielt als kultureller Nahversorger 1.600 Quadratmeter im Kuku 23 und weitere Orte in der Umgebung. Vom Veranstaltungssaal über einen Ausstellungs- und Werkraum, einen Tanz- und Performancesaal, einen Bewegungs- und Yogaraum bis hin zu Künstler:innenateliers reicht das Spektrum.
Konzerte, Theater für Kinder, Tanz- und Kreativ-Workshops, Ausstellungen und vieles mehr finden hier statt. Kulturschaffende und Gastronom: innen waren Zugpferde im von der Kulturagentur art:phalanx kuratierten und von realitylab begleiteten Besiedelungsprozess. „Die Anstrengungen haben sich gelohnt, der Kulturteppich legt sich über das ganze Areal und bindet es an die Sargfabrik, den Bildungscampus und die umliegenden Wohnquartiere an“, so Megina.
Ein fein gewobenes Wegenetz (Freiraumplanung: Rajek Barosch) durchzieht das Quartier, das ohne privatisierten Außenraum, also ohne private Gärten in der Erdgeschoßzone auskommt. Der Grünraum flottiert zwischen den Häusern, ohne an deren Fassaden zu stoßen, die Wege verlaufen entlang der Fassaden – so wie auch in der Innenstadt. Wohnen in großvolumigen Strukturen erfordert auch innerhalb der Gebäude Ausgleichsmaßnahmen. Die internen, bis zu drei Meter breiten Erschließungsstraßen sind gut belichtet. Ab und zu weiten sie sich zu zweigeschoßigen „Fugenräumen“, die noch der Aneignung durch die Bewohner: innen harren. Dass Dichte keine Erfindung von heute ist, wird spätestens beim Blick von der Gemeinschaftsterrasse auf den Wohnpark Alterlaa wieder in Erinnerung gerufen.


Ottakringer Balkonlandschaft
Andere Gegend, andere Situation, aber in mancherlei Hinsicht ähnliche Überlegungen und zufällig auch ein Gessner- Bau, die ehemalige Brotfabrik in der Hasnerstraße, als unmittelbarer Nachbar: Gliedern statt gnadenlos das mögliche Bebauungsvolumen auszunutzen, das war auch die Strategie der Zeininger Architekten beim Ersatzneubau Sulm11 in Wien-Ottakring. Das Haus an der Ecke von Sulmgasse und Hasnerstraße fällt auf. Zunächst wegen seiner orangeroten Balkone, ein fröhlicher Farbakzent und eine wohltuende Abwechslung zu den üblich gewordenen anthrazitfarbenen Investorenhäusern. Aber auch sonst ist alles anders, als wir es von den meist sehr banalen neuen Lückenfüllern in den Gründerzeitblocks gewohnt sind. Es fügt sich harmonisch ein und erzeugt eine gute Stimmung im Straßenraum.
Nicht nur wegen seiner Energieversorgung, die mittels Solar- und Geothermieanlage ohne CO2-Emissionen erfolgt, ist das siebengeschoßige Mietshaus, das zu Warmmieten inklusive Heizung, Kühlung und Warmwasserbereitung vergeben wird, ein sehr interessanter Beitrag zum Thema zeitgemäße Nachverdichtung der Gründerzeitstadt.
Die Architekten, sie sind Miteigentümer und somit auch Bauherren, nutzten das L-förmige Grundstück nicht zur Gänze aus, sondern ließen an der Sulmgasse einen Straßenhof frei. Das hat einen klimatischen Vorteil, weil ein offener Hof nicht so stark überhitzt wie ein geschlossener, ist aber auch aus dem Blickwinkel des Verhältnisses von privatem und öffentlichem Raum ein couragierter Zugang. Der Einschnitt öffnet den engen Gassenraum zur Brotfabrik, die somit weiterhin auch an dieser Seite in Erscheinung treten kann. Die im Erdgeschoß angesiedelten Gewerbeflächen erhalten einen attraktiven Vorbereich abseits des Gehsteigs, an der Grenze zur Brotfabrik entstand eine begrünte Terrasse als Vorfeld zum Gemeinschaftsraum.
Ausschließlich Fenstertüren öffnen sich nach außen. Aus den 33 Mietwohnungen münden sie auf eine Balkonlandschaft mit engeren Bereichen und tieferen Aufenthaltszonen, die ebenfalls intensiv mit dem Straßenraum interagiert. An der Straßenecke nehmen die Balkone formal die in der gründerzeitlichen Struktur üblichen abgeschrägten Gebäudeecken auf und bilden so auch in der Fernwirkung einen räumlichen Akzent in der Straßenflucht. Es gibt keine fixen Trennungen zwischen den Nachbarn, sondern nur individuelle Zonierungen, zum Beispiel in Form von Blumentöpfen.
„Als kleines Würstchen der Zivilgesellschaft hat man oft mehr Spielraum als die Großen“, kommentiert Johannes Zeininger, das Unterfangen dieses neuen Typs Gründerzeithaus, das einer vorher nicht dagewesene angenehme Atmosphäre im Stadtraum erzeugt.
Wenn „kleine Würstchen“ so etwas zustande bringen, möchte man von den vielen Großinvestoren, die in den Gründerzeitvierteln gute Renditen mit Nachverdichtungen erzielen, fortan auch ein wenig mehr Engagement erbitten.