Die Verödung der Ortskerne ist ein Kind unserer Zeit, die Wiederbelebung ein Kraftakt. Es braucht ausreichend finanzielle Mittel, Geduld und vor allem – das passende Konzept. Größe und Lage des Orts spielen eine untergeordnete Rolle.
— BERND AFFENZELLER
In Hohenems in Vorarlberg hat eine nachhaltige Zentrumsentwicklung stattgefunden, die auch überregional Beachtung fand. Dabei wurde das Stadtzentrum nicht nur architektonisch aufgewertet und nachverdichtet, es wurde auch als lebendiger Mittelpunkt für soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aktivitäten etabliert. Maßgeblich an dem Projekt beteiligt war Markus Schadenbauer von der Schadenbauer Projektund Quartierentwicklungs GmbH.
„Die Ausgangssituation war relativ trostlos“, erinnert sich Schadenbauer. Aufgrund der Umfeld- und Bestandssituation mit Einkaufsstädten in geringer Entfernung sowie zahlreichen denkmalgeschützten Gebäuden im Ortszentrum musste Hohenems gegenüber anderen Gemeinden „neu denken und einen mühsame ren, eigenständigen Weg einschlagen“, erklärt Schadenbauer. Herzstück des Hohenemser Konzepts war eine funktionale Begegnungszone mit sanierten historischen Gebäuden, Einkaufs- und Verweilmöglichkeiten. Ein klarer Bebauungsplan erlaubte in den Hinterhöfen Neubauten, die die Sanierung der oft denkmalgeschützten Vorderfront querfinanzierten.
Maßnahmen im Überblick
Im Rahmen des Österreichischen Raumentwicklungskonzepts ÖREK 2030 wurde ein Bündel an Empfehlungen zur Stärkung der Ortsund Stadtkerne erarbeitet. Dazu zählen unter anderem …
… die Verankerung der Orts- und Stadtkernstärkung in der Bundesund Landesgesetzgebung sowie in der Raumordnung
… die Erstellung integrierter städte- baulicher Entwicklungskonzepte oder vergleichbare Konzepte
… die Betrachtung der Stärkung der Orts- und Stadtkerne im regionalen Kontext durch die Forcierung regionaler Kooperationen zwischen Gemeinden
… die Sensibilisierung und Aktivierung von privaten Akteur:innen als Partner:innen für die Stärkung von Orts- und Stadtkernen
… die Forderung nach erhöhten Förderungen für die Schaffung von Wohnraum in Orts- und Stadtkernen
… die Sicherung und der Ausbau von Betrieben und anderen Einrichtungen in den Orts- und Stadtkernen
Durch die Bereitschaft der öffentlichen Hand, in die Zukunft der Stadt zu investieren, entstand ein Anziehungspunkt für Eigentümer:innen und Unternehmer:innen gleichermaßen. Ein weiteres Mosaiksteinchen für die erfolgreiche Umsetzung war auch die Fokussierung auf individuelle Konzepte statt auf Kettenfilialen. Diese Strategie hat zu einer vielfältigen Geschäftswelt von Manufakturen, Boutiquen und vielem mehr geführt, die Besucher:innen aus der ganzen Region anziehen. Diese Wiederbelebung der Altstadt Hohenems wurde mit dem „Bauherr:innenpreis 2023“ ausgezeichnet.
Worauf es ankommt
Das Beispiel Hohenems zeigt, dass eine erfolgreiche Ortskernbelebung von vielen Schultern getragen werden muss, die zentrale Rolle spielen laut Schadenbauer die Bewohner:innen. Bei Ortskernbelebungen geht es um Ansiedlungen von Geschäften, Gastronomie, Kleinhandwerk, Dienstleister:innen und auch um Wohnen im Zentrum. „Wenn die Bewohner: innen diese Angebote sich nicht nur wünschen, sondern auch bereit sind, etwas dafür zu tun, dann hat die Belebung eine Chance“, so der Experte.
Positivbeispielen wie Hohenems stehen zahlreiche weniger erfolgreiche Projekte gegenüber. Scheitern Belebungsversuche, liegt das oft nicht nur am fehlenden Geld, sondern an falschen Konzepten und Prämissen. „Natürlich stellt die Finanzierung für viele, vor allem kleinere Gemeinden, eine Herausforderung dar“, weiß Renate Hammer vom Institute of Building Research & Innovation. Viel problematischer seien aber Raumentwicklungskonzepte, die gewohnten verkehrs- und wirtschaftspolitischen Mustern folgen. „Das Einkaufszentrum mit Parkplatz am Kreisverkehr, Betriebe im Gewerbegebiet, die Verteilung im Logistikzentrum. Hinter all dem steckt die Logik der Kostenreduktion und die Erreichbarkeit mit dem Auto“, so Hammer.
Best Practice: Alte Bürgerschule Güssing
Im Ortskern von Güssing hat die Oberwarter Siedlungsgenossenschaft OSG im Rahmen einer umfassenden Revitalisierung ein altes Schulgebäude in Wohnungen, Büros und eine Ordination verwandelt. Ziel der OSG war es, die architektonische Identität des aus dem Jahr 1928 stammenden Gebäudes zu bewahren und gleichzeitig den heutigen Anforderungen an Komfort und Energieeffizienz zu entsprechen. „Diese nachhaltige Nutzung bestehender Bausubstanz trägt zur Vermeidung von Bodenversiegelung bei und wertet das Ortsbild auf“, zeigt man sich bei der OSG mit dem Projekt zufrieden. Die Revitalisierung der alten Bürgerschule in Güssing zeigt, dass Ortskernbelebung durch innovative Nutzungskonzepte möglich ist. Ein Ansatz, der auch für zukünftige OSG-Projekte richtungsweisend sein soll.
Das führe beinahe zwangsläufig zum Funktions- und Identitätsverlust der Ortskerne. „Wir haben eine Strukturveränderung erlebt, die Positives bewirken wollte, aber negative Folgen wie eben den Niedergang der Ortskerne, die über Generationen Zentren des Gemeinwesens waren, hatte.“ Für eine Umkehr dieser Entwicklung braucht es laut Hammer ein integriertes Planungs- und Umsetzungskonzept. „Es muss geklärt werden, was die Bevölkerung braucht und ob und wie der Ortskern diese Bedürfnisse befriedigen kann“, ergänzt Philipp Radlegger, Geschäftsführer der Wohnbau Bergland.
Stellt man erfolgreiche Beispiele gegenüber, zeigt sich schnell, dass es die eine universell wirksame Maßnahme nicht gibt. „Vielmehr geht es darum, passende Maßnahmen zu identifizieren und umzusetzen“, so Hammer. Dafür braucht es laut Schadenbauer vor allem „einen langen Atem“. Weil es speziell in der Anfangsphase oft dauert, bis erste Ergebnisse sichtbar werden, werde zu schnell aufgegeben. „Verantwortliche denken oft in Einzelprojekten und Einzelmaßnahmen. Es geht aber um weit mehr als die Sanierung oder Nachverdichtung einzelner Häuser. Es geht um die Ansiedlung der richtigen Geschäfte am richtigen Ort, die Setzung von Aktivitäten zur Unterstützung der Betriebe, die Schaffung von qualitativen Freiräumen sowie die Ordnung des ruhenden und bewegten Verkehrs“, so Schadenbauer.


Fotos: Lukas Schaller, OSG
Die Größe des Orts spielt bei der Zentrumsbelebung nur eine untergeordnete Rolle. Positiv- und Negativbeispiele gibt es für alle Dimensionen. „Da wie dort geht es darum, die für den Ort passende Antwort zu finden“, ist Schadenbauer überzeugt. Für Hammer ist das Zusammenspiel aller Beteiligten sowie die Begleitung durch externe Fachkompetenz erfolgsentscheidend, nicht Lage und Größe des Orts.
Die Rolle der Gemeinnützigen
Auch wenn es die eine große selig machende Maßnahme nicht gibt, haben die Modellregionen doch meist eine Gemeinsamkeit. Der Ortskern bietet einen guten Mix aus Arbeitsplätzen, sozialer Infrastruktur und Wohnangeboten. „Sobald diese Dinge zu stark räumlich voneinander getrennt werden, kommt es zu Problemen“, ist auch Radlegger überzeugt. Dabei spielen gemeinnützige Bauvereinigungen eine zentrale Rolle. Ortskerne verfügen häufig über alte, ungenutzte Gebäude in schlechtem Zustand. Viele GBVs haben das Know-how, diese zu sanieren, zu revitalisieren und ihnen neues Leben einzuhauchen.
Allerdings sehen sich die Gemeinnützigen oft mit „irrationalen Preisvorstellungen“ der Eigentümer:innen dieser Liegenschaften konfrontiert, wie Alfred Kollar, Geschäftsführer der Oberwarter Siedlungsgenossenschaft OSG, berichtet. Er fordert deshalb eine Leerstandsabgabe, um mehr dieser alten, abgewohnten und nicht mehr in Nutzung stehenden Gebäude in Verkehr zu bringen. Generell können Förderprogramme helfen, den finanziellen Druck auf Kommunen und private Investor:innen zu reduzieren. „Dies könnte sowohl in Form von Zuschüssen als auch zinsgünstigen Krediten geschehen“, so Kollar.