Das Wälderhaus. Ein wahres Multitalent

Das WÄLDERHAUS im Stadtteil Hamburg-Wilhelmsburg ist ein einzigartiges Multifunktionsgebäude der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) Landesverband Hamburg e.V. und besticht neben einer außergewöhnlichen Architektur durch eine besondere Nutzungsmischung. Als Exzellenzprojekt der Internationalen Bauausstellung Hamburg wurde das Gebäude vor 10 Jahren auf dem Gelände der Internationalen Gartenschau eröffnet. Heute wirkt das sozial-ökologische Konzept des Hauses aktueller denn je und ist ein vorbildliches Beispiel für nachhaltiges Bauen.

Von Marvin Gutdeutsch

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„Den Wald in die Stadt bringen.“ Diesen Leitgedanken versteht das Team des Architekten Andreas Heller bei der Gestaltung des WÄLDERHAUSES wörtlich. Nach einem inspirierenden Spaziergang durch ein Hamburger Waldgebiet nimmt die Gruppe einen dort aufgefundenen Holzklotz als natürliches Anschauungsobjekt mit zurück ins Planungsbüro. Dieses besondere Fundstück wird später maßgeblichen Einfluss auf die Formgebung ihres neuen Bauprojekts haben. Und da die Natur weder Ordnung noch Symmetrie kennt, entsteht auf dieser Basis ein ebenso eigenwilliger Entwurf in Form und Funktion: Ein Gebäude, in dem Gegensätze wie Stadt und Wald, Technik und Natur in Einklang gebracht werden.

Im November 2012 werden die Ideen und das innovative Nutzungskonzept nach anderthalb Jahren Bauzeit in die Realität überführt: Olaf Scholz eröffnet als damaliger Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg das WÄLDERHAUS im Stadtteil Wilhelmsburg. Das Gebäude liegt in direkter Nähe zum S-Bahnhof und ist somit unmittelbar an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. In dem Exzellenzprojekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) befindet sich nicht nur der Sitz der SDW-Landesgeschäftsstelle, sondern auch ein 3-Sterne-Plus-Hotel, ein Restaurant, ein Tagungs- und Veranstaltungsbetrieb, wechselnde Kunstausstellungen sowie das SCIENCE CENTER WALD und ein Museumsshop unter einem Dach. Allen gemein ist ihr besonderes Engagement in Sachen Nachhaltigkeit.

Auch das Gebäude selbst setzt diesbezüglich neue Standards: Die Nutzung von Geothermie in Kombination mit einer Wärmepumpe, ein Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung sowie eine Photovoltaik-Anlage sind Beispiele für das durchdachte energetische Konzept. Auf dem Dach des WÄLDERHAUSES wachsen Büsche, Hainbuchen und anderen heimische Bäume. Die Bepflanzung trägt zu einem besseren Mikroklima der Stadt bei und schützt das Gebäude im Sommer vor Hitze und im Winter vor Kälte. Durch das Gründach und die Einbettung von begrünten Fassadennischen an der Außenwand dient das Haus sogar als Lebensraum für Pflanzen und Tiere. So finden zahlreiche Kleintiere dort Rast-, Futter- und Nistgelegenheiten.

Für internationale Aufmerksamkeit sorgte auch die vollständig aus deutschem Lärchenholz verkleidete Fassade in Kombination mit den oberen drei Geschossen als komplettes Holzbauwerk – zu dem Zeitpunkt ein Novum in der Geschichte des zeitgenössischen Holzbaus. So handelt es sich beim WÄLDERHAUS um das erste Gebäude der bauordnungsrechtlichen Gebäudeklasse 5, also höher als 13 Meter, das in tragender Massivholzbauweise errichtet wurde. Ganz im Sinne der IBA, innovatives Bauen zu fördern, kamen hier noch vor offizieller Einführung die neuen europäischen Bemessungsregeln (Eurocodes) für den Brandschutz zum Einsatz.

Wer vor diesem Hintergrund das WÄLDERHAUS zum ersten Mal betritt, mag zunächst irritiert sein: Nackte Betonwände und der Anblick einer unverkleideten Lüftungsanlage entsprechen zwar einem angesagten Industrie-Look, erfüllen jedoch nicht unbedingt die Erwartungen, wenn es um den Einsatz natürlicher Baumaterialien geht. Doch auch hier steht ein wichtiger Gedanke im Zentrum: Der Anspruch des Hauses liegt darin, Nachhaltigkeit umfänglich zu leben, statt sie nur vordergründig durch eine Hülle zu repräsentieren.

Die beiden unteren Stockwerke mussten konventionell aus Stahlbeton gefertigt werden, um die Brandschutzauflagen zu erfüllen. Im Inneren wurde sich bewusst gegen den Einsatz von schmuckhaften Holzverkleidungen entschieden und auch die Haustechnik sollte nicht versteckt werden. Der Naturschutzexperte Jan Muntendorf erklärt den Hintergrund: „Wir befürworten eine naturnahe Waldwirtschaft und die Nutzung von Holz als Rohstoff“, so der Mitarbeiter der SDW Hamburg, „Trotz aller ökologischen Vorteile handelt es sich dabei aber um eine knappe Ressource, die mit Bedacht eingesetzt werden sollte.“

Das Wälderhaus. Foto: Kay Reichers, Hamburger Kunsthalle

Dass die SDW Hamburg als gemeinnütziger Verein im WÄLDERHAUS direkt mit privatwirtschaftlich geführten Unternehmen zusammenarbeitet, sehen alle Beteiligten als Gewinn. Nachhaltigkeit wird hier als gemeinschaftliche Aufgabe verstanden, die nur durch Kooperation bewältigt werden kann. Und so versuchen alle ihren Beitrag zu leisten: Der Veranstaltungsbereich wird von einem Inklusionsunternehmen betrieben und greift auf das hauseigene Catering zurück, bei dem die Speisen ausschließlich saisonal und regional aus einem Umkreis von etwa 100 km bezogen werden.

Das 3-Sterne-Plus-Hotel bietet insgesamt 82 Zimmer mit Passivhaus-Standard. Jedes dieser Zimmer trägt den Namen eines einheimischen Baumes oder Strauches, der im Inneren als Exponat ausgestellt ist. Auch darüber hinaus setzt sich das Thema Holz fort. So ist die Massivholzkonstruktion sichtbar und verbreitet in den Zimmern eine warme und angenehme Atmosphäre. Die eigens für den Hotelbereich entworfenen Holzmöbel, wie Sitz- und Kofferbänke, Schränke sowie Nacht- und Schreibtische runden das Bild stimmig ab. Die Gäste schlafen in Bettwäsche aus fair gehandelter Bio-Baumwolle und müssen auf keinen Komfort verzichten.

Lediglich eine Mini-Bar sucht man in den Zimmern vergeblich, da der Einfluss auf die CO₂-Bilanz aufgrund des hohen Energieverbrauchs zu stark gewesen wäre – ein Abstrich, den die Gäste gerne in Kauf nehmen. Dafür werden sie belohnt mit einem besonderen Raumklima und dem dezenten Duft nach Holz.

Zehn Jahre nach der Eröffnung des WÄLDERHAUSES stößt das Konzept nach wie vor auf großes Interesse. Für Tagungen und Veranstaltungen stehen im ersten Stockwerk ein teilbarer Multifunktionsraum und drei Seminarräume zur Verfügung. Auch für Sonderausstellungen ist hier Platz. Im SCIENCE CENTER WALD, einer dauerhaften Erlebnisausstellung mit einem regionalen Schwerpunkt, können sich die Gäste rund um den Wald und seine ökologische Bedeutung informieren. Bei den regelmäßigen Hausführungen erfahren die Teilnehmenden von Umweltingenieur Michael Rademann neben technischen Details auch einige Anekdoten.

Besonders gerne erzählt er die Geschichte der 32 Baumstämme, die den Eingangsbereich vom SCIENCE CENTER WALD schmücken: „Alle diese Bäume stammen aus einem Hamburger Forstrevier und mussten ohnehin gefällt werden. Aufgrund des hohen Gewichts wurden die Stämme dann von einer belgischen Spezialfirma ausgehöhlt, ehe wir sie hier aufstellen konnten.“ Als Teil des Bildungsteams der SDW Hamburg liegt ihm der pädagogische Anspruch des WÄLDERHAUSES besonders am Herzen: „Mitten in der Großstadt können unsere Gäste hier den Wald mit allen Sinnen erleben.“

Die Dauerausstellung umfasst eine Vielfalt an Exponaten, darunter die sogenannte „Wunderkammer“ mit etwa 2.000 Fundstücken aus dem Wald. Der Eintritt ist aufgrund der finanziellen Unterstützung durch die Stiftung Unternehmen Wald kostenlos.

Marvin Gutdeutsch beschäftigte sich in seinem Studium mit den Bereichen Wirtschaft, Psychologie und Umwelt. Mit seinem interdisziplinären Profil hat er im WÄLDERHAUS den optimalen Arbeitsort gefunden. Als Bildungsreferent war er bereits für verschiedene Projekte der SDW Hamburg tätig. Nebenbei hat er den gemeinnützigen Verein RECONICE education e.V. gegründet, der Jugendliche für nachhaltiges Unternehmertum begeistert.

Die kulturelle Dimension von Nachhaltigkeit spielt im WÄLDERHAUS von Beginn an eine große Rolle. Ein besonderer Blickfang ist ein aus Einzelteilen zusammengesetzter Baum des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, der als Dauerleihgabe in der Lobby steht und bis in die zweite Etage ragt. Zudem gibt es neben dem SCIENCE CENTER WALD auch wechselnde Ausstellungen in der Galerie des WÄLDERHAUSES.

Hier können lokale Kunstschaffende ihre Werke präsentieren, die meist einen engen Bezug zur Philosophie des Hauses haben. Seit 2019 hängen hier auch in regelmäßigen Abständen die Porträts der Teilnehmenden eines internationalen Stipendienprogramms. Im Rahmen der International Sustainability Academy (ISA) nutzen junge Menschen aus den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern das WÄLDERHAUS als Co-Working-Space für ihre Projekt- und Forschungsarbeiten.

Dort sitzen Start-up Gründer aus Afrika neben Wissenschaftlerinnen aus Asien und erarbeiten Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung in ihren Heimatländern. Barbara Makowka, Geschäftsführerin der SDW Hamburg, sieht darin eine große Bereicherung für das Haus: „Wir verstehen Nachhaltigkeit als gesellschaftliches Leitbild, das keine Ländergrenzen kennt. Das WÄLDERHAUS steht nicht nur für Ökologie, sondern ebenso für soziale Gerechtigkeit und kulturelle Vielfalt.“

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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