Cradle-to-Cradle

Wie ein kreislauffähiges Ferienhaus einen positiven Einfluss auf das Klima hat

Wie kann man ein modernes Ferienhaus bauen? Diese Frage stand am Anfang von WOOP. Unter „modern“ ist hier mehr als nur das Design gemeint, sondern vor allem sollte es den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden, eingeschliffene Bauweisen über den Haufen werfen, der Natur Raum geben und NACHHALTIGKEIT groß schreiben. Aber beginnen wir am Anfang.

Von Manuela Lewerth, Marcus Licher, Marie Radloff und Heiko Rittweger

- Anzeige -

Um die Geschichte des WOOP zu erzählen, gehen wir zurück ins Jahr 2020. Im Rahmen einer Tourismus-Konzeptstudie kam die Frage nach einem Ferienhaus auf den Tisch, welches neu, „anders“ und modern sein sollte. Um diese Frage zu beantworten begann ein interdisziplinäres Team der Designagentur RITTWEGER und TEAM aus Erfurt mit der Arbeit. Dabei sollte das Ferienhaus für die Agentur auch ein Referenzobjekt sein – Dinge im Kleinen umsetzen, um fürs Große zu lernen. Nicht nur drüber reden, machen!

Tourismus als Katalysator der Klimakrise

Auch der Tourismus kann sich bei den Klimaschutz-Bemühungen nicht raushalten. Analysen zufolge gehen 8% des weltweiten CO2 Ausstoßes auf den Tourismus zurück. Diese Emissionen entstehen sowohl durch den Transport von Reisenden als auch durch die Bau- und Betriebsphasen von Unterkünften, Restaurants und Freizeiteinrichtungen, und tragen zur Zerstörung von Ökosystemen und der Verschmutzung von Luft und Wasser bei, was wiederum negative Auswirkungen auf das Klima hat. Luxus, den wir uns im Blick auf die Klimakrise eigentlich nicht leisten können.

Aber wer möchte schon aufs Reisen verzichten? Auch im kleinen betrachten, am Beispiel eines Ferienhauses, zeigen sich eine Vielzahl von Problemen: ihr Platzbedarf ist relativ hoch. Die Nachfrage nach einem Standort in der ungestörten Natur widerspricht ganz automatisch den umfassenden Eingriffen in die Natur und der umfangreichen Flächenversiegelungen, die bei Bau und Nutzung eines Ferienhauses nötig sind. Auch die Lebensdauer von Ferienhäusern ist begrenzt. Im Anschluss landet der Schutt als Sondermüll auf der Deponie. Im Blick auf die Klimakrise unverantwortlich. Für Urlauber die auf ihren persönlichen Fußabdruck achten ein No-Go.

Auch den Betrieb von Ferienhäusern stellte das Team auf den Prüfstand. Der Einsatz von erneuerbaren Energien – am besten direkt vor Ort erzeugt – verstand sich von selbst. Ein effizienter Umgang mit Strom, Wärme, Kälte und nicht zuletzt Wasser war genauso geboten.

Vom ökologischen zu nachhaltig zirkulären Bauen

Schnell war klar, mit ökologischem Bauen waren all diese Fragen und Probleme gar nicht zu beantworten. Vielmehr musste es ein nachhaltig gebautes Ferienhaus werden. Die Begriffe ökologisches und nachhaltiges Bauen werden oft synonym verwendet. Sie haben jedoch in genauerer Betrachtung unterschiedliche Schwerpunkte und Zielsetzungen.

Ökologisches Bauen zielt darauf ab, die Umweltbelastung während des Baus und des Betriebs von Gebäuden zu minimieren. Dies geschieht durch den Einsatz von nachhaltigen Materialien und Technologien, die Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energiequellen fördern. Der Fokus liegt hier auf der Reduzierung von Emissionen, der Schonung von Ressourcen und der Verbesserung der Raumluftqualität.

Nachhaltiges Bauen geht über die reine ökologische Aspekte hinaus und berücksichtigt auch soziale und wirtschaftliche Aspekte. Das Ziel ist, Gebäude zu schaffen, die nicht nur umweltfreundlich, sondern auch wirtschaftlich tragfähig und gesellschaftlich akzeptabel sind. Ein nachhaltiges Gebäude soll demnach nicht nur energiesparend und ressourcenschonend sein, sondern auch auf die Bedürfnisse der Nutzer und der Gesellschaft als Ganzes eingehen. Es berücksichtigt dabei auch die langfristigen Auswirkungen des Gebäudes auf die Umwelt, die Umgebung und die Gesellschaft.

Mit kreislauffähigen Materialien zum CO2 Speicher

Die Liste der Anforderungen wuchs und wuchs. Und so begann die Konzeption auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Wichtig war es dem Team dabei, das Ferienhaus bis zum Ende zu durchdenken, denn negative Folgen unseres heutigen Urlaubs auf die Zukunft abzuwälzen, kam nicht in Frage. Die Materialien mussten also kreislauffähig sein. Kreislauffähigkeit bedeutet, dass Materialien am Ende ihrer Lebensdauer wiederverwendet oder recycelt werden können. Dieser Ansatz unterscheidet sich vom linearen Wirtschaftsmodell, bei dem Rohstoffe zur Herstellung von Produkten verwendet werden und am Ende ihrer Lebensdauer entsorgt werden.

Die Verwendung von kreislauffähigen Materialien hat viele Vorteile. Zum einen reduziert es die Menge an Abfall, die auf Deponien oder in der Umwelt landet. Darüber hinaus spart es Ressourcen ein, da verbaute Materialien ein Rohstofflager für zukünftige Projekte sind. Auch sind kreislauffähigen Materialien oft langlebiger und widerstandsfähiger als herkömmliche Materialien. Sie sind daher weniger anfällig für Verschleiß und Schäden und müssen seltener ausgetauscht werden. Dies spart nicht nur Kosten, sondern reduziert auch den Energie- und Ressourcenbedarf. Die nachgewiesene Materialgesundheit hat einen positiven Effekt auf das Raumklima und trägt entscheidend zum Wohlfühlfaktor im Ferienhaus bei. Ganz entscheidend ist darüber hinaus, dass durch die im Kreislauf gehaltenen Materialien CO2 wirksam über lange Zeiträume gespeichert werden kann.

Eine gute Basis für die Auswahl war die Materialbibliothek aus Cradle to Cradle® zertifizierten und weiteren kreislauffähigen Materialien „Circular Material LAB“, welche die Agentur RITTWEGER und TEAM seit mehr als zehn Jahren aufbaut. Das auf dieser Basis erstellte Materialkonzept ermöglicht den Einsatz von 90% kreislauffähigen Materialien. Außerdem binden diese dauerhaft mehr CO2, als bei der Produktion an die Atmosphäre abgegeben wurde – nicht nur in Scope 1 und 2 des Greenhouse Gas Protocol, sondern auch unter Berücksichtigung von Scope 3, also den Emissionen, die entlang der gesamten Liefer-, Produktions- und Entsorgungskette der Materialien entstehen.

Mit einem digitalen Materialpass für die Zukunft bauen

Allerdings ist die reine Verwendung von kreislauffähigen Materialien nicht ausreichend, um eine nachhaltige Bauweise zu gewährleisten. Einerseits dürfen die Materialien nicht miteinander verklebt sein, damit sie ohne Schaden demontiert werden können. Auch ist die Bereitstellung von Informationen über die verbauten Materialien, die auch in dreißig oder fünfzig Jahren noch verfügbar sind, entscheidend, da sonst einen erneute Nutzung der Rohstoffe nahezu unmöglich ist. Wichtig war also auch die Dokumentation der Baumaterialien in einem Materialkataster, wie es die Online-Plattform Madaster ermöglicht, zu bedenken.

Das Ziel von Madaster ist es, den Bauprozess transparenter und nachhaltiger zu gestalten, indem Informationen über die Materialien und Produkte in Gebäuden zugänglicher gemacht werden. Durch die Erfassung und Speicherung dieser Informationen kann ein Materialpass erstellt werden, der den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes abbildet, von der Planung über die Errichtung und Nutzung bis hin zum Rückbau oder zur Renovierung. So können zum Beispiel auch, über darin dokumentierte Rücknahmevereinbarungen mit den Herstellern, eingesetzte Materialien in höchstmöglicher Qualität einer erneuten Nutzung zugeführt werden. So kann sichergestellt werden, dass die leicht demontierbaren Einzelteile des Ferienhauses einer erneuten Nutzung zugeführt werden können.

Effektiv, barrierefrei, auf Stelzen

Als weiteres Ziel sollte das Ferienhaus geringstmögliche Eingriffe in die Natur am Urlaubsort verursachen. Um dies zu erreichen, wurde eine Bauweise ohne althergebrachte Beton-Bodenplatte gewählt. Stattdessen kommen Schraub- oder Punktfundamente zum Einsatz, auf denen eine Art hölzerner Rahmen das Haus trägt. WOOP steht gewissermaßen auf Stelzen, ist gleichzeitig aber barrierefrei. Zugänge, bodentiefe Fenster und zum Beispiel auch die Badgestaltung sind auf die Nutzung durch mobilitätseingeschränkte Gäste hin ausgerichtet.

Das interdisziplinäre Projektteam, das hinter dem WOOP steht, besteht aus Marie Radloff für zirkuläre Gebäudekonzeption, Cradle to Cradle Designconsultant Marcus Licher, Nachhaltigkeitsconsultant Manuela Lewerth und Geschäftsführer Heiko Rittweger. 
Neben Konzepten und Kreislaufmodellen zur materialfokussierten Dekarbonisierung, wie z. B. zur Speicherung von Kohlenstoff in Produkten und Materialien mit dem Ziel der CO2-Reduzierung in der Atmosphäre, gibt Rittweger & Team Impulse für die Transformation von Unternehmen aus der linearen in eine zirkuläre Wirtschaftsweise durch konkrete Anwendungsbeispiele wie das WOOP.
Dafür nutzt Rittweger & Team u. a. die eigene Materialbibliothek ‚Circular Material Lab‘, die über 400 Muster von zirkulären Werkstoffen zum Anfassen beinhaltet, und orientiert sich bei der Designentwicklung an den Richtlinien des New European Bauhaus. Die Projekte umfassen Produkte, Unternehmensprozesse sowie interdisziplinäre Gebäudekonzepte und Regionalentwicklung.

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Energieversorgung und der Energieeffizienz, welche schon bei der Ausrichtung des Gebäudes und der Fensterplanung berücksichtigt wurde. So sind die großen Fensterfläche vom Wohn- und Essbereich und die Terrasse nach Westen ausgerichtet, da Ferienhäuser auch erfahrungsgemäß am meisten am Abend genutzt werden. Nach Süden dürfen maximal 30% der Hauswand Fensterfläche sein, um die Gefahr einer Überhitzung zu reduzieren. Im Norden dagegen wurde gänzlich auf Fenster verzichtet, um Wärmeverluste zu minimieren.

Die Wände aus massivem Holz erreichen auch ohne zusätzliche Dämmung Passivhaus-Standard. Zusammen mit einer beheizten Lehm-Stampf-Wand im inneren, welche als Wärme- und auch Kältespeicher fungiert, entsteht ein einzigartiges Wohnklima mit sehr ausgeglichener Luftfeuchtigkeit. Wärme und Kälte liefert eine Wärmepumpe, die überwiegend aus der auf dem Dach installierten Photovoltaik-Anlage mit Speicher versorgt wird.

Zirkuläres Bauen und Tourismus

Die zukünftigen Anforderungen des Bauens sind nachhaltig und klimapositiv geprägt. Dabei liegt das größte Potenzial in der Gestaltung von Gebäuden mit Baumaterialien, die über die Lebenszyklen hinweg mehr CO2 binden, als durch den Bau freigesetzt werden. Gebäude werden zur CO2-Senke, der CO2-Fußabdruck der genutzten Baumaterialien wird zum Nachhaltigkeitstreiber.
Der Trend bei neuen Bauprojekten, davon ist das Team überzeugt, geht eindeutig zum Gebäude, das als Rohstofflager und Materialanlage für die Zukunft dient und Stoffkreisläufe schließt: durch zerstörungsfrei demontierbare Konstruktion, sortenreine Trennung, Rohstoffrückfluss, -wiederaufbereitung und -neuverwendung. Inspiriert vom Cradle to Cradle®-Prinzip.

Das Potenzial von Nachhaltigkeit im Bau ist groß. Durch die Förderung von nachhaltigen Praktiken in der Branche kann ein bedeutender Beitrag zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele geleistet werden. Darüber kann eine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet auch eine Symbolwirkung auf die Gesellschaft haben.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

Lesen Sie die nächsten Artikel dieser Ausgabe

Lesen Sie Artikel zum selben Thema