Vom Suchen und Finden einer Baustellenliebe

Lebensaufgabe Haussanierung

Bauen nach einer globalen Pandemie und während eines Krieges in Europa, mit einem Neugeborenen und einem Hund ist die große Herausforderung, der mein Mann und ich uns mit Mitte Dreißig stellen. Während unsere Freunde, wie viele andere Bauwillige, ihren Bauplatz wegen der Unsicherheiten wieder zurückgaben, zogen wir die Arbeitshosen an.

Von Maria Grewe-Grimmelsmann

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Es ging nicht nur dem Haus an die Substanz. Die Sorge, dass der Traum vom Eigenheim doch noch platzt, hat uns einige schlaflose Nächte beschert. Aber mein Mann und ich sind von pragmatischer Natur. Wir haben die mentalen Tiefpunkte weggearbeitet und uns über jeden kleinen Fortschritt gefreut. Mit jedem Handgriff schreiben wir dem Haus unsere Geschichte ein und seine Geschichte weiter, in der Hoffnung, dass die nachwachsende Generation dort eine Heimat findet.

„Na da habt ihr euch ja was vorgenommen. Mutig, so ein Projekt“

Unser Hausprojekt startete im Herbst 2021 mit dem ersten Rundgang, hochschwanger, zog sich über Kaufpreisverhandlung, Grundstücksvermessung, Bodengutachten, Notartermin, Finanzierungsgesprächen und der Geburt unseres Kindes. Im März 2022 waren wir Besitzer eines Bauernhauses mit 80 qm Grundfläche, mit angebauter Scheune von knapp 60 qm Grundfläche im ländlichen Raum von Schleswig-Holstein. Das Haus liegt, südlich verdeckt von drei sicher über 100 Jahre alten Linden, auf einem Grundstück von 2.800 Quadratmetern.

Laut Vermessungsakten stand das Haus mit dem Grundriss seit 1870. Teile des Dachstuhls und Reste des Fachwerks dürften aus dieser Zeit stammen. Das Haus wurde aber immer wieder in Teilen erneuert und instand gehalten, sodass es gut 100 Jahre Hausbaukultur abbildet, einhergehend mit einer Vielfalt an Baumaterialien und schiefen Wänden. Die letzte Sanierung in den 1960er Jahren brachte ein Duschbad und einen Nachtspeicherofen. Die Küche bestand aus einer Küchenhexe an einem aus heutiger Sicht brandschutztechnisch fragwürdigen Schornstein.

Die Substanz war trocken und wir davon überzeugt, unsere einjährige Elternzeit zur Sanierungszeit werden zu lassen. Das Haus sollte energetisch instandgesetzt, die Scheune abgerissen und durch einen Anbau in Holzrahmenbauweise ersetzt werden. Unser Sanierungskonzept sah vor:

  • Wand- und Dachdämmung aus Stroh im Anbau und der gesamten Dachfläche
  • Holzfaserdämmung in den Innen-wänden und auf dem Fußboden im Anbau
  • Wärmedämmverbundsystem im Bestand
  • Innenlehmputz zum Teil auf Schilfrohr
  • eine Luft-Wasser-Wärmepumpe
  • Fußbodenheizung
  • Solarpanele auf dem Carport mit Gründach
  • Erneuerung aller Fenster
  • Vorbereitende Maßnahmen, um das Haus später in zwei Wohneinheiten zu trennen
  • KfW-Förderung

Unsere Ziele waren eine minimale Materialvielfalt im gesamten Bauprozess, größtmögliche Recyclefähigkeit der verwendeten Baustoffe, die Weiterverwendung der Bauabfälle sowie Low-Tech-Lösungen mit einem Projektbudget von 550.000 Euro. Unsere ersten Herausforderer waren das Bauamt, der Gemeinderat, die Finanzberatung und die Banken. Bank und Bauamt interessierten sich für unsere Klimaschutzmaßnahmen herzlich wenig. Die Banken fanden, Elterngeld ist kein Einkommen. Die Zeit drängte, denn täglich stiegen die Zinsen. Der Energieberater und die KfW hingegen legten U-Werte und Kilowatt-Leistungen fest. Der Gemeinderat musste von den geplanten Abweichungen vom veralteten, aber geltenden Bebauungsplan von 1983 überzeugt werden, der u. a. keine Holzfassade oder Blechdach vorsah.

Wir räumten immer neue Steine aus dem Weg und richteten unsere Baustelle ein: machten den Garten befahrbar und zum Materiallager, legten aus Baumabschnitten eine Totholzhecke an, errichteten eine Baustellen-Kompost-Trenntoilette im alten Gartenhaus und machten einen Teilumzug in den ausgeliehenen Bauwagen.

„Abreißen und neu bauen wäre billiger gewesen“

Wir haben durchaus geprüft, ob wir den Bestand abreißen und ein schwedisches Fertigholzhaus bauen lassen sollten. Trotz aller Kosten und dem Mehraufwand einer Sanierung wollten wir das Haus erhalten. Vermutlich war Bauen noch nie so teuer wie gerade. Die Material- und Energiekosten sind durch den Ukrainekrieg und die Energiekrise enorm gestiegen. Nachhaltige Baustoffe sind zwischen 20 bis 40 Prozent teurer im Einkauf und in der Verarbeitung oft deutlich aufwendiger als konventionelle Produkte.

Wir konnten uns bei der Bank gerade noch einen Zinssatz sichern, mit dem wir in den nächsten Jahren wirtschaften können. Uns war klar, dass wir überall sparen müssen, die Kostensteigerung durch Eigenleistung ausgleichen. Mein Mann ist Bauingenieur und handwerklich weit mehr als nur begabt. Da wir keinen Architekten für das Projekt begeistern konnten, hat er erste Bauzeichnungen und später die Bauleitung übernommen. Abrissunternehmen, Baggerfahrer, Metallflechter, Betonbauer, Zimmermann, und immer auch Bauüberwacher, Koordinator und Rechnungsprüfer in einem. Der Zimmerei und den Fachfirmen, die sich um Strom und Sanitär kümmern, nehmen wir so viele Arbeitsschritte ab wie möglich.

Wir haben die Wände selbst mit OSB-Platten verplankt, die Stromkabel durch die Wanddämmung aus Stroh gezogen, die Abwasserleitungen verlegt und die Wände mit Lehm verputzt. Geldsparen durch Eigenleistung heißt für uns auch, dass alles länger dauert. Das wiederum führt durchaus zu Frust und zu einer körperlichen Dauerbelastung, für die man bewusst Gegenstrategien entwickeln muss. Für uns war das unter anderem der „arbeitsfreie“ Sonntag, an dem wir nur schöne Sachen machen: zum Beispiel ein Balkonkraftwerk installieren oder Beete anlegen.

„Und ihr macht das alles alleine?“

Eines unserer größten Learnings: Sanieren ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Unser Haus liegt am Spielplatz, mitten im Dorf. Unsere Baufortschritte wurden bei allerhand Gartenzaungesprächen kommentiert und hier und dort hilfreiche Handwerkerkontakte geteilt. Der Bürgermeister war sofort bereit, seine alte Kleinballenpresse wieder zum Laufen zu bringen und für uns Stroh zu machen. Wir hatten es leicht, in der Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden, weil mein Mann dort aufgewachsen ist. Wir wollen uns ungeachtet dessen einbringen und mitgestalten. Deshalb sind wir direkt in der Kommunalpolitik aktiv geworden. Wir machen bei dem mit, was das Landleben ausmacht: Müllsammelaktion, Laternenumzug, Osterfeuer.

Auf der Baustelle selbst würde es ohne die Hilfe von Freunden und Familie nicht gehen. Beim Strohpressen und Einlagern von 800 Strohballen an einem Montag, beim Betonieren eines Ringbalkens auf dem alten Mauerwerk am Samstag oder beim Abreißen einer ganzen Scheune mit Miethubwagen am Sonntag sind wir auf helfende Hände angewiesen.

Auf Profis muss man hingegen länger warten. Nur eine von den angefragten ArchitektInnen war überhaupt bereit beratend zu unterstützen. Die Bauleitung bei einem Sanierungsprojekt zu übernehmen war für niemanden attraktiv. Voll mit Terminen waren auch die EnergieberaterInnen, ohne die aber keine KfW-Förderung möglich ist. Die Fachfirmen, die wir auf der Baustelle hatten, haben am Ende immer ihre Arbeit erledigt. Der Prozess war aber oftmals zum Haare raufen. Für uns verdichtete sich der Eindruck, dass uns kein Fachkräftemangel umgibt, sondern dass die Mitarbeiter – wir hatten nur Männer auf unserer Baustelle – und Chefs keine Zeit haben, sich im Bereich Zeit- und Projektmanagement und Teambuilding weiterzubilden.

„Da habt ihr ja noch ganz schön viel Arbeit vor euch“

Auch bei uns im Dorf ist das Problem bekannt: Nachdem die Kinder aus dem Haus sind, bleiben in vielen Haushalten wenige Ältere alleine auf zu vielen Quadratmetern zurück. Kleiner, altersgerechter Wohnraum ist Mangelware. Wir haben deshalb die Trennung in zwei Wohneinheiten bereits in der Planung berücksichtig und technisch vorbereitet. So eine Maßnahme verursacht nicht unerhebliche Mehrkosten. Eine Investition, die sich später auszahlen soll.

Die Alten besetzen den Wohnraum und die Jungen versiegeln den Boden in den neuen Baugebieten. Dort braucht es Jahrzehnte, bis Sträucher und Bäume ein wenig Biodiversität und Hitzeschutz zurückbringen können. Wir haben auf technischen Hitzeschutz verzichtet und setzen auf das über 25 Meter hohe Lindenblätterdach vor dem Haus. Unser Garten mit den knapp 2.800 qm soll für unsere Enkel zum verwunschenen Garten werden. Bis dahin versuchen wir uns nach Permakultur-Grundsätzen an der Selbstversorgung und pflanzen so viele Bäume, Sträucher und Stauden wie möglich.

Das „F“ in Eigenleistung steht für Fun

Das Lebensziel „Haus mit Garten“ klang immer romantisch und heimelig für uns. Jetzt ist es knallharte Arbeitsrealität und eine finanzielle und bautechnische Lebensaufgabe geworden. Wir haben und werden in manchen Lebensbereichen verzichten müssen. Auch das gehört für uns zum nachhaltigen Bauen. Außerdem ist Reduktion ein wunderbares Gestaltungsprinzip, das überdies sehr skandinavisch ist.

Man wird unserem Haus ansehen, dass wir viel Zeit in skandinavischen Ländern verbracht haben. Unser offenes Raumkonzept erinnert an dänische Häuser, von denen wir uns auch in Bezug auf Holzfassade und Blechdach haben inspiriert lassen. Unsere Stahlträger und Deckenbalken bleiben auf Sicht. Die Räume im Unter- und Obergeschoss wirken mit ihren Deckenhöhen von 2,70 bis 3,30 Meter, im offenen Wohnzimmer mit Giebel- und Dachflächenfenstern bis sechs Meter Höhe, sehr großzügig. Scandi-Cottage-Industrial-Loft mit 1970-er Jahre-Vintage: Das ist unser Innenarchitekturcredo. Auch ein nachhaltiges Haus ist Selbstverwirklichung.

Dr. Maria Grewe-Grimmelsmann ist Kulturwissenschaftlerin und forschte zur kulturellen Dimension von Nachhaltigkeit. Sie arbeitet als Nachhaltigkeitsmanagerin für die Regionale Netzstelle Nachhaltigkeitsstrategien Nord (RENN.nord) in Schleswig-Holstein.

Unser Zwischenfazit: Nachhaltiges Sanieren im Einfamilienhausbereich ist teuer und aufwendig. Man braucht große Leidenschaft fürs Selbermachen, viel Zeit und Geduld und viel Resilienz. Stroh, Holz und Lehm sind tolle Baustoffe, die Spaß machen und fit halten. Für die Innenarchitektur sind die Naturwerkstoffe und die Bestandsmaterialien einmalige Gestaltungselemente, die unserem Sanierungsprojekt Ecken und Kanten geben, Charakter eben.

Genießen können wir unsere Kaufentscheidung bisher in kleinen, kurzen Glücksmomenten, in denen wir erahnen, was wir geschafft haben werden. Noch sind Pausen rar gesät. Aber wir freuen uns schon auf die Abende unter den Linden in ein paar Jahren, wenn wir lachend auf die anstrengende Bauphase zurückblicken und uns Geschichten erzählen: „Weißt du noch, wie Onkel Klaus-Dieter die aus dem Lot geratenen Fliesen wieder rausreißen wollte… und wie Telja und Niklas fast jedes Wochenende geholfen haben….“

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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