In Teil 2 von „Gehölzverwendung in der Schwammstadt – Chancen und Risiken“ beschäftigt sich Prof. Dr. Hartmut Balder mit der Funktionalität von Baummulden und hinterfragt, inwieweit sie gefährdet sind. Ferner wird der wichtige Aspekt „Gestaltung mit Gehölzen“ behandelt.
Die Klimaveränderungen der letzten Jahre mit Starkregenereignissen, Hochwasserfluten, Sturmereignissen und längeren Hitze- bzw. Trockenzeiten haben die Diskussion um einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem urbanen Wasserhaushalt auch in der Wohnungswirtschaft ausgelöst.
Funktionalität von Baummulden gefährdet?
Der Betrieb von Regenwasseranlagen in Wohnquartieren ist auf lange Zeit angelegt. Dauerhaft ist zu gewährleisten, dass sich verändernde Starkregenereignisse weiterhin quantitativ managen lassen und nicht zu Überschwemmungen im bewohnten Bereich führen. Die Planung von Retentionsflächen muss entsprechend ausgelegt sein und dauerhaft funktionsfähig bleiben. Bei räumlicher Enge und der behördlichen Auflage, Niederschläge nur auf dem Baugrundstück versickern zu lassen, dürften sich verstärkende Regenwasserereignisse künftig problematisch auswirken (Abb. 11).
Es erscheint daher sinnvoll, großräumige Regenwasserkonzepte zu erproben und in den Baugenehmigungsverfahren zu etablieren. Die Topographie eines Stadtquartiers muss bedacht und individuell genutzt werden, die Wasserwege vorzudenken und in die Planungskonzepte sinnvoll zu integrieren, u.a. auch Integration offener Wasserflächen. Die Drainfähigkeit der zur Versickerung vorgesehenen Flächen muss daher dauerhaft gegeben sein.


Abb. 11.: Innenhof einer Wohnanlage mit vielfältigen Nutzungsangeboten und Retentionsflächen nach einem Regenereignis
Die Bepflanzung derartiger Anlagen mit Bäumen zur Gestaltung wirft aktuell elementare Fragen auf. Seitens der Wasserwirtschaft existieren Bedenken hinsichtlich der Risiken für den Grundwasserschutz durch Kurzschlussströmungen entlang der Baumwurzeln, einer unerwünschten Verdichtung des Untergrunds durch Wurzeln und einer möglichen Beeinträchtigung der Filterstabilität von Rigolen.
Umfangreiche Bewässerungsversuche in Berlin haben ergeben, dass auch nach mehr als 20jähriger Laufzeit trotz des Einwuchses von Baumwurzeln von Hainbuchen in Mulden bislang keine Beeinträchtigungen der geforderten Versickerungsleistung messbar waren (Abb. 12).


Bei Wassersättigung des Untergrundes ist die Drainfähigkeit etwas eingeschränkt. Langzeitstudien müssen jedoch diese grundlegende Frage noch abschließend klären. Das gilt auch für die Verwendung anderer Baumarten, da ein stärkerer Wurzelfilz sehr wohl negative Effekte erwarten lässt.


Abb. 12 b: Fluten von Mulden und die Versickerungsleistung
Trotz der Klimaveränderungen werden Winterfröste in vielen Regionen in Nordeuropa weiterhin auftreten. Dies hat zur Folge, dass auf gefrorenen Böden anfallende Niederschläge oder auftauende Schneedecken einen verzögerten Regenwasserabfluss mit sich bringen (Abb. 13). Hiermit steigt die Gefahr von Überflutungen und Staunässe. Die Erfahrungen hierzu sind noch ganz am Beginn.


Abb. 13: Eisfläche in einer dezentralen Regenwasseranlage mit Baumstandorten
Regenwasseranlagen stellen neue Lebensräume für Organismen dar. Anpassungen in der Pflege haben bereits zur Steigerung der Biodiversität geführt, u. a. durch veränderte Mahdabfolgen (Balder u.a., 2022; Kaletta, 2019). Offene Wasserflächen und länger stehendes Wasser trägt jedoch auch zur Vermehrung von Lästlingen und Krankheitserregern bei, u.a. von Mückenpopulationen, was in Wohnanlagen eher problematisch sein dürfte.
Gestaltung mit Gehölzen
Bäume können grundsätzlich in Hinblick auf ihre Verwendung in dezentralen Regenwasseranlagen auf unterschiedliche Weise räumlich konzipiert werden, um die blau-grüne Infrastruktur auch gestalterisch individuell für die klimaresiliente Stadt der Zukunft zu entwickeln (Gorning u.a., 2021). So ist es z. B. möglich, Bäume an Straßen …
- …direkt im Sohlenbereich von Mulden zu platzieren.
- …auf einem erhöhten Planum (Podest) in die Muldenmitte zu setzen.
- …seitlich zur Mulde in unversiegelten/versiegelten Bereichen als Pflanzstreifen zu setzen.
- …seitlich zur Mulde in Baumscheiben in versiegelten Bereichen zu platzieren.
- …an das jeweilige Kopfende von Mulden zu setzen.
Die Verwendung von Großbaumarten mit ihrer gewünschten Wirkung setzt voraus, dass hierfür breite Mulden von min. 5 bis 10 m für einreihige Bepflanzungen konzipiert werden (Abb. 14).


Sinnvoller erscheinen größere Areale mit genügend Entwicklungspotenzial (Abb. 15). In der Praxis werden die räumlichen Wuchsansprüche der Baumarten für eine lange Standzeit noch zu wenig beachtet (Abb. 16).


Abb. 15: Großräumig angelegter Baumhain (Spree-Eiche) bei Starkregen


Abb. 16: Blau-grüne Infrastruktur mit wenig Entwicklungspotenzial für Bäume (Spree-Eiche)
Die Erfüllung der EU-Restoration Law ermöglicht die Durchsetzung der Wuchsanforderungen der Baumarten. Da weniger die Anzahl der gepflanzten Bäume im Fokus der Umweltpolitik steht, sondern das Erreichen einer vitalen Überschirmung der Stadt, insbesondere auch in Wohnsiedlungen, sollte dies genutzt werden, um vor dem Hintergrund der Mobilitätswende und der Flächenentsiegelung neue Baumstandorte zu qualifizieren. Gerade auf Quartiersebene lassen sich Gestaltung, Nutzung und Regenwasservorsorge großräumig völlig neu denken (Abb. 17).


Abb. 17: Großräumige Platzgestaltung mit Retentionsflächen und attraktiver Begrünung
Allen Standortsituationen ist gemein, dass sich die Gehölze unter- und oberirdisch ausbreiten wollen und müssen. Gestalterisch ist der Flächenbedarf sowie der mittel und langfristige Effekt von Bedeutung, d. h. mit dem potenziellen Wachstum der Gehölze treten die räumlichen Aspekte wie Blickachsen, Lichtraumprofil im Verkehrsraum sowie die zunehmenden Schatteneffekte immer mehr in den Vordergrund.
Gleichzeitig steigen auch der Wasserbedarf der Vegetation sowie die Unterhaltungskosten, u.a. Bewässerung, Baumschnitt, Laubentfernung, Baumkontrolle (Verkehrssicherheit). Von daher sind die räumlichen Dimensionen langfristig für die Entwicklung und Finanzierung der Unterhaltungspflege in der Wohnungswirtschaft bedeutsam.
Offene Fragen
Neben den bereits geschilderten Unklarheiten sind weitere Aspekte von großer Bedeutung, deren Klärung vorangetrieben werden muss. Hierzu zählen die Aspekte:
- Schadstoffeinträge, u.a. aus Luftverschmutzungen, Straßenabrieb, Baumaterialien, Siedlungsabfällen
- Erfordernis von vorgeschalteten Filtern und deren Leistungsfähigkeit
- Reinigungseffekte von Gehölzen zum Schutz des Grundwassers
- Schadstoffanreicherung in den Substraten (Sondermüll?)
- Eintrag von Baumpathogenen und Gegenmaßnahmen
- Grundwasserentwicklung und Steuerungsmöglichkeiten
- Unterhaltungskosten
- Verkehrssicherheit (Standsicherheit), vorrangig bei hohen Grundwasserständen und
Podestbepflanzungen
Es scheint geboten, die realisierten Projekte weiter durch Experten aller beteiligten Disziplinen in einem offenen Dialog kritisch zu begleiten. Die komplexen Auswirkungen für Städtebau und Gehölzverwendung müssen voll erkannt werden, die Grundwasserentwicklung steht dabei im Mittelpunkt des Interesses (Abb. 18).
Auch dies ist Kern des Weißbuchprozesses „Grün in der Stadt – Für eine lebenswerte Zukunft“ (BMUB, 2017). Chancen müssen nachvollziehbar durch Best Practise Beispiele belegt, Risiken benannt und minimiert werden. Nur so lässt sich der Weg hin zur klimaresilienten Wohnungssiedlungen mit den anzustrebenden Effekten beschreiten und sicher erreichen.


Ab. 18: Ziele und Gefahren der Grundwasserveränderungen auf die Stadtentwicklung
Fazit
Dezentralen Regenwassersystemen mit Baumbewuchs ist in künftigen Wohnsiedlungen als urbane Technologie eine große Bedeutung beizumessen. Umfassende Untersuchungen von realisierten Projekten mit längerer Laufzeit bestätigen die grundsätzliche Chance, Gehölze im Einflussbereich von Mulden zu verwenden. Die bessere Wasserversorgung fördert das Baumwachstum und vermindert trockenheitsbedingte Schadentwicklungen.
Es sind aber auch Risiken erkennbar, da ein starkes Baumwachstum Schäden an der technischen Infrastruktur der Stadt mit großen Folgekosten auslösen kann, wenn die Verhältnisse zu eng bemessen sind. Die langfristigen Auswirkungen auf die Muldenfunktion sowie die Baumentwicklung bezüglich Vitalität, Gesundheit und Verkehrssicherheit sind noch nicht abschließend zu bewerten. Der Forschungsbedarf ist unverkennbar.
So könnten in neu zu konzipierenden Projekten im Sinne eines Optimierungsprozesses die ungeklärten Aspekte mit wissenschaftlicher Begleitung abgeklärt werden, um für die Bau- und Genehmigungspraxis verbesserte Konzepte abzusichern. Eine integrierte Infrastruktur ließe sich so intelligent entwickeln und vermehrt einführen.
Es wird deutlich, dass die künftigen Konzepte nicht nur allein die Anforderungen der Regenwasserbewirtschaftung betrachten dürfen. Im Fokus der Akteure muss der urbane Gesamtkontext unter Berücksichtigung der vielfältig positiven Effekte für die Lebensraumgestaltung, Luftreinhaltung, Stadtklimatisierung, Erhöhung der Biodiversität sowie Kostentransparenz in der Bauphase und langjährigen Unterhaltung stehen. Es ist zu erwarten, dass der Stadtumbau weiteren Raum für moderne Konzepte mit Beispielcharakter ermöglicht.
Prof. Dr. habil. Hartmut Balder, Institut für Stadtgrün
Lesen Sie auch den ersten Teil der Ausführungen von Prof. Dr. habil. Hartmut Balder: Gehölzverwendung in der Schwammstadt – Chancen und Risiken.
Literatur
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VIII. Tagung „Wie funktioniert Stadtgrün besser?“ www.upc.phytomedizin.org
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