Heizenergieeinsparungen bis zu 69 Prozent durch Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung

Wohnungslüftung: Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Die vor einem Jahr im Auftrag des Bundesverbandes für Wohnungslüftung e.V. (VfW) veröffentlichte „Äquivalenzstudie“ des Instituts für Technische Gebäudeausrüstung Dresden (ITG) hatte für große Aufmerksamkeit in Fachpresse und Politik gesorgt. Die damaligen Berechnungen zeigten das hohe Energieeinsparpotential von Wohnraumlüftungssystemen mit Wärmerückgewinnung (WRG) und belegten eindrucksvoll die These, dass sich diese Technologie zu einem entscheidenden Faktor für die Wärmewende in Deutschland entwickelt hat und eine hocheffiziente Maßnahme zur Vermeidung von Lüftungswärmeverlusten darstellt. In einer nun veröffentlichen Nachfolgestudie werden die beiden Faktoren „Klimaschutz“ und „Nachhaltigkeit“ mit neuen Berechnungen analysiert, welche die Schlüsselrolle der Wohnraumlüftung zur Erreichung der Klimaziele nochmals untermauern.

Von Ralf Lottes

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Laut Klimaschutzgesetz soll im Gebäudesektor bis 2030 eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 35 Mio. t/a erreicht werden. Wenn es bis dahin gelingt, 10 Prozent des Gebäudebestands mit Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung (WRG) auszustatten, könnte laut ITG-Nachfolgestudie die WRG mit über 5 Prozent zur Minderung des CO2-Ausstosses beitragen. Dafür wäre bis 2030 die Ausstattung von ca. 500.000 Wohnungen mit Lüftung mit WRG pro Jahr notwendig, während der jährliche Ausstattungsgrad bei 100.000 Wohnungen liegt (Tendenz 2023 fallend), gleichbedeutend mit jeder dritten Wohnung im Neubau.

Die ITG-Studie erweitert nun den Zeithorizont bis 2045 und auf einen 45-prozentigen Ausstattungsgrad des Gebäudebestands. Die umweltschonenden Leistungen der Wohnraumlüftung wachsen dabei in beeindruckende Höhen: Einsparung an Endenergie von bis zu 42.000 Gigawatt/a, Minderung des CO2-Ausstosses um bis zu 11 Mio. t/a und eine Reduzierung der Heizkosten zwischen 3,4 und 5,7 Mrd. Euro. Mit diesen Energieeinsparungen, dem Äquivalent der Erzeugung von zwei bis drei Kohlekraftwerksblöcken, könnten beispielsweise zusätzlich bis zu 730.000 Wärmepumpen betrieben oder 2,2 bis 3,1 Mio. Elektroautos gefahren werden.

Vorhandene Wärme nutzen statt neu zu erzeugen

Bei den heute üblichen energieeffizienten Gebäuden zeigen zahlreiche Energiebedarfsberechnungen, dass die Lüftungswärmeverluste bei Fensterlüftung eine Größenordnung von mindestens 50 Prozent der gesamten Wärmeverluste eines Gebäudes erreichen. Sowohl im Neubau als auch bei der energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden würde also eine ausschließliche Fokussierung auf einen verbesserten Wärmeschutz der Gebäudehülle die Lüftungswärmeverluste ungerechtfertigt vernachlässigen. Erst mit ventilatorgestützten Wohnungslüftungssystemen können die Lüftungswärmeverluste und damit der Energiebedarf sowohl im Neubau als auch in der Bestandssanierung insbesondere durch Wärmerückgewinnung wesentlich reduziert und damit eine moderne und energieeffiziente Gebäudeausführung erreicht werden.

Bereits in der ersten Kurzstudie des ITG Dresden wurde dazu festgestellt, dass es keine sachlich bzw. physikalisch begründeten Argumente gibt, die Reduzierung vermeidbarer Lüftungswärmeverluste gegenüber der Nutzung erneuerbarer Energie als „Möglichkeit zweiter Klasse“ zu behandeln. In aller Regel wird die Wiedernutzung von Wärme, die sich bereits im Gebäude befindet, sogar mit Effizienzvorteilen gegenüber der Nutzung von erneuerbarer Energie aus der Umgebung verbunden sein.

In diesem Kontext noch eine interessante Zahl: Bei den marktführenden Systemen lässt sich im Neubau eine Reduktion von Treibhausgasen sowie von Primär- und Endenergieeinsatz der Heizung jeweils bis zu 69 Prozent gegenüber der Fensterlüftung erzielen. Im Bestand lassen sich mit den marktführenden Systemen immerhin noch knapp 20 Prozent Energie und Treibhausgase einsparen. Da der durchschnittliche absolute Energieverbrauch pro Quadratmeter und Jahr im Bestand viel höher liegt als im Neubau, können absolut im Gebäudebestand sogar noch wesentlich höhere Einsparungen durch WRG erzielt werden als im Neubau – um den Faktor vier bis fünf höher bei der Endenergie und drei- bis viermal höher bei den Treibhausgasen.

Der VfW ist das Sprachrohr der deutschen Wohnraumlüftungsbranche. Er repräsentiert Hersteller zentraler und dezentraler Wohnraumlüftungsanlagen, aber auch wissenschaftliche Einrichtungen, Prüfinstitute, Energieberater, Ingenieur- und Architekturbüros, sowie Handwerks- und Handelsbetriebe mit Bezug zur Wohnungslüftung. Gegründet 1996, spielt der Verband seit einem Vorstandswechsel im März 2022 wieder eine aktive Rolle gegenüber Politik und Verwaltung. Er artikuliert die Anliegen der Branche gegenüber der Politik in Bund und Ländern und setzt sich für eine adäquate Be- und Entlüftung von Wohnräumen ein. Die Schaffung klarer gesetzlicher Rahmenbedingungen zur Wohnungslüftung hat dabei Priorität. Ziel ist es, jedem/r Bewohner:in eines Wohngebäudes eine gesunde und hygienische Raumluft zu gewährleisten. www.wohnungslueftung-ev.de

Die zentralen Vorteile einer Wohnraumlüftung mit WRG werden in der o. g. ersten ITG Studie wie folgt zusammengefasst:
Extrem effizient: Wohnraumlüftung mit WRG erzielt Leistungszahlen (eingesetzte elektrische Energie zu rückgewonnener Heizenergie) von ca. 11 bis 25. Die Wärmepumpe erzielt beachtliche 3-6.

Komplementär: Die höchsten Leistungszahlen erreicht die Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung bei niedrigen Außentemperaturen, was sie zu einer hervorragenden Komplementärtechnologie der Wärmepumpe macht, die bei höheren Außentemperaturen effizienter ist. Systemdienlich: Das Stromnetz kann entsprechend kleiner dimensioniert werden (um bis zu 10 GW), je mehr die Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung in Neubau und Sanierung verbaut wird.

Politische Weichenstellung notwendig

Der VfW mahnt allerdings auch deutlich an, dass alle Einspar- und Effektivitätsszenarien nur bei entsprechenden politischen Weichenstellungen zu erreichen sind: Erstens die verstärkte Berücksichtigung von Lüftung mit Wärmerückgewinnung bei der Konzeptionierung von energieeffizienten und schadstofffreien Gebäuden, also etwa bei der aktuellen Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Zweitens die energetische Gleichstellung von Abwärmenutzung durch WRG mit der Nutzung von regenerativer Energie. Drittens eine attraktivere Förderung von Lüftungssystemen mit Wärmerückgewinnung – sowohl im Neubau wie in der Sanierung.

Bei Redaktionsschluss dieses Beitrages galt zum GEG die Erklärung der Fraktionsvorsitzenden der Ampelparteien im Deutschen Bundestag vom 06.07.2023, wonach die Koalitionsfraktionen gemeinsam vereinbart haben, dem Bericht und der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie in der während der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause beschlossenen Form zuzustimmen. Dort ist die Lüftung mit WRG nicht enthalten. Der VfW hält das für eine verpasste Gelegenheit für die Wärmewende, dass in der aktuellen GEG-Novelle die Lüftung mit WRG nicht behandelt wird. Zur Zielerreichung müssen alle in der Praxis hilfreichen Optionen auch tatsächlich genutzt werden. Daher hält es der VfW für unerlässlich, auch die vermeidbaren Lüftungswärmeverluste der durch Wohnraumlüftung mit WRG gewonnenen Wärme jetzt im GEG zu adressieren bzw. zu reduzieren.

Das o. g. ambitionierte Ziel der Ausstattung von jährlich 500.000 Wohnungen mit Lüftung mit Wärmerückgewinnung für 2045 erfordert auch besondere Anstrengungen bei Industrie und Fachhandwerk. Allerdings sorgen die Hersteller bereits seit Jahren dafür, dass die Arbeit der Installateure durch zunehmend einfacher und schneller zu montierende Systeme erheblich erleichtert wird. Und die Montage von Wohnungslüftungssystemen kann in der Zukunft noch stärker auf andere Gewerke übertragen werden. So könnte neben dem Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik-Handwerk die Installation von Lüftungsanlagen bei entsprechender Schulung auch durch andere Gewerke wie Elektriker und Bauhandwerker erfolgen.

Schutz vor Schimmel

Ralf Lottes, seit März 2022 Geschäftsführer des Bundesverbandes für Wohnungslüftung e.V. (VfW) in Berlin ist Volljurist und hat meist politiknah im Bereich Verbände, NGOs und Thinktanks gearbeitet sowie auf der Leitungsebene der Berliner Wirtschaftsverwaltung, u. a. beim BPIE (Buildings Performance Institute Europe) in Berlin, der Bundesarchitektenkammer oder als Geschäftsführer von ECOS, der Environmental Coalition on Standards in Brüssel.

Neben der erheblichen Reduzierung der Lüftungswärmeverluste gibt es noch eine weitere, schlüssige Argumentation pro Wohnraumlüftung: Die Sicherstellung des Feuchteschutzes eines Gebäudes. Ein wichtiger, aber häufig wenig beachteter Aspekt ist dabei das Zusammenspiel von Heizsystem und Gebäudelüftung. Durch die Kombination von raumluftabhängigen Feuerstätten (z. B. Gas-Etagenheizungen) und vergleichsweise undichten Gebäuden konnten bisher im Bestand offensichtlich Feuchteschäden und Schimmelpilzbefall sehr häufig vermieden werden. Erfolgt nun im Zuge einer Sanierung der Immobilie ein Heizungstausch, ggf. gekoppelt mit einem Fensteraustausch oder einer anderen Ertüchtigung der Gebäudehülle, entfällt in aller Regel die Nachströmung der Verbrennungsluft und das Gebäude wird deutlich dichter.

Ohne zusätzliche lüftungstechnische Maßnahmen kann das sanierungsbedingte Lüftungsdefizit nicht ausgeglichen werden. Und wenn dann noch – ggf. zusätzlich motiviert durch die steigenden Heizkosten – das Lüftungsverhalten der Bewohnenden sparsam ausfällt, ist auf jeden Fall mit einer Erhöhung der Raumluftfeuchte und dadurch einem deutlichen Anstieg des Schimmelpilzrisikos zu rechnen. Das Problem ist nicht zu unterschätzen. So beträgt der Bestand von Gasetagenheizungen in Deutschland ca. 4 Mio., davon 1,2 Mio. (34 Prozent) in NRW und ca. 250.000 in Berlin. Lüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung gewährleisten also auch einen hocheffektiven Feuchteschutz.

Eine Zusammenfassung der Nachfolgestudie des ITG Dresden finden Sie zum Download hier.

Auch die Nachhaltigkeit der Technologie nimmt die ITG-Studie unter die Lupe. Um die Nachhaltigkeit von Energiesparmaßnahmen noch genauer beurteilen zu können, rücken in hocheffizienten Gebäuden zunehmend Themen wie geeignete Anforderungskennwerte und Ökobilanzierung in den Fokus. Bei der Ökobilanzierung eines Gebäudes wird dabei der gesamte Lebenszyklus vom Rohstoffabbau, über die Herstellung der Produkte, die Errichtung des Gebäudes, die Nutzung bis hin zu Rückbau und Entsorgung berücksichtigt.

Diverse Studien haben dabei gezeigt, dass für Lüftungssysteme mit WRG bei der Ökobilanzierung der Anteil der Betriebsphase sowohl bei der Betrachtung der Primärenergie als auch der Treibhausgasemissionen deutlich überwiegt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Wahl des konkreten Lüftungssystems oder das Material der Lüftungsleitungen eine untergeordnete Rolle spielen. Entscheidend ist vielmehr die grundsätzliche Entscheidung des Bauherrn für das System einer Lüftung mit WRG. Sie hat den ausschlaggebenden Einfluss auf die Reduzierung der Heizkosten. Damit spielen also Lüftungssysteme mit WRG bei der Ökobilanzierung eines Gebäudes eine tragende Rolle und sind aus dem Kanon der Energiesparmaßnahmen nicht mehr wegzudenken.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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