Wie rechtliche Reformen und praktische Stellschrauben den Wohnungsbau wieder ankurbeln können – Zehn praxisnahe Hebel

Trotz steigender Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum geraten kommunale und genossenschaftliche Bauträger zunehmend unter Druck: Seit 2020 haben sich die Kosten für Neubauprojekte nahezu verdoppelt.

Insbesondere der geförderte Wohnungsbau kämpft mit explodierenden Preisen, technischen Überregulierungen und schleppenden Genehmigungsverfahren, während die politischen Zielmarken in weite Ferne rücken.

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Das strukturelle Dilemma von Preisdruck und Planungsstau

Wie die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. (ARGE) feststellt, kletterten die Baukosten in deutschen Großstädten zwischen 2020 und 2024 von rund 3.000 Euro/m² auf über 4.400 Euro/m² . Das bedeutet einen Anstieg um beinahe 50 %. Der Markt reagiert: Im Jahr 2024 sank die Zahl der genehmigten Wohnungen bundesweit auf etwa 215.000, was einen Rückgang um 17 % im Vergleich zum Vorjahr ausmacht. Mittelfristig könnten die Genehmigungen auf unter 180.000 pro Jahr fallen und sich damit weit vom politisch propagierten Ziel von 400.000 Einheiten entfernen.

Trotz milliardenschwerer Bundesmittel und steuerlicher Anreize bleiben viele Vorhaben unwirtschaftlich. Die Ursachen sind vielschichtig: Material- und Lohnkosten steigen, technische Anforderungen wachsen, Planungsverfahren ziehen sich. Rechtliche und verwaltungsorganisatorische Anpassungen bleiben dabei hinter dem Bedarf zurück.

Neues Baugesetzbuch: Spielräume für kostengünstigeres Bauen

Mit der Reform des Baugesetzbuchs 2024 eröffnen sich rechtlich neue Möglichkeiten für Wohnungsbauprojekte. Die Voraussetzung besteht jedoch darin, dass diese Optionen auch praktisch von allen Beteiligten genutzt werden:

  • Die Nachverdichtung und Aufstockung (§ 34 BauGB) wurde erweitert
  • Für Bebauungspläne gilt nun eine 12-Monats-Frist (§ 4b BauGB)
  • Kommunale Vorkaufsrechte erstrecken sich auf Share Deals
  • Ein sozialer Flächenbeitrag kann künftig bei Umlegungen verlangt werden (§ 58a BauGB)

Gleichzeitig wird aus der Branche der Ruf nach weiteren Vereinfachungen laut: Weniger technische Vorgaben, flexiblere Landesbauordnungen und regionale Pilotprojekte mit reduzierten Standards sollen die Baupraxis wirtschaftlicher gestalten. Erste Initiativen in Bayern, Hessen und NRW machen Hoffnung, doch eine flächendeckende Wirkung bleibt bisher aus.

Zehn praxisnahe Hebel für den kosteneffizienten Wohnungsbau

Die folgenden zehn Vorschläge zeigen, wie sich aus rechtlicher und praktischer Perspektive die Baukosten im geförderten Wohnungsbau spürbar senken lassen:

1. Feste Ansprechpartner in den Bauämtern

Insbesondere kleinere Träger profitieren von klaren Anlaufstellen in der Verwaltung. Ein persönlicher Koordinator bei der Bauaufsicht kann Genehmigungsprozesse beschleunigen und Informationsverluste zwischen Fachabteilungen verhindern.

2. Verbindliche Fristen für Genehmigungen

Jährlich verlorene Monate im Antragsverfahren verursachen hohe Zusatzkosten. Die angedachte sechs- plus sechswöchige Frist nach § 4b BauGB sollte bundesweit gelten – inklusive automatischer Genehmigungsfiktion bei Fristversäumnis.

3. Einheitliche Digitalisierung von Verfahren

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) muss zur verbindlichen Leitplanke für digitale Bauanträge und Genehmigungsprozesse werden. Ergänzend helfen BIM-basierte Vorprüfungen und Dashboard-Lösungen für mehr Transparenz zwischen Planern und Behörden.

4. Serielles Bauen mit Typengenehmigungen stärken

Serien- und Modulbauweisen reduzieren Planungsaufwand und senken Risiken. Förderregionen mit industrieller Vorfertigung und einer öffentlich zugänglichen Typenbibliothek können als Blaupause für bundesweite Skalierung dienen.

5. Wirtschaftlichkeit statt Übermaß

Der geförderte Wohnungsbau sollte sich auf das funktional Notwendige konzentrieren. Tiefgaragen, Maximalanforderungen an Fahrradstellplätze oder technisch überdimensionierte Gebäude erhöhen die Kosten, ohne sozialen Mehrwert zu schaffen.

6. Vertragsklarheit durch Verzicht auf übermäßige DIN-Bezüge

Wenn Verträge, etwa beim Schallschutz, weit über gesetzliche Anforderungen hinausgehen,  entstehen Unsicherheiten und Zusatzkosten. Funktionale Leistungsbeschreibungen bieten hier mehr Planungssicherheit. Einheitliche Vertragsmuster könnten helfen.

7. Technische Standards differenziert anwenden

Barrierefreiheit, Brandschutz und Energieeffizienz sind wichtige Ziele, dürfen aber nicht dogmatisch angewendet werden. Geförderte Vorhaben brauchen realistische Mindestanforderungen – idealerweise im Rahmen bundesweit harmonisierter Ausnahmeregeln.

8. Projektstrukturierung durch „Phase 0“

Vor Antragstellung sollten alle Beteiligten von der Kommune bis zur Förderstelle gemeinsam einen Fahrplan entwickeln. Die strukturierte Abstimmung vermeidet spätere Korrekturschleifen und sorgt für realistische Termin- und Budgetplanung.

9. Kommunale Grundstückspolitik mit Mehrwert

Erbpachtmodelle, Konzeptvergaben und flexible Stellplatzsatzungen sind kommunale Werkzeuge, um den geförderten Wohnbau attraktiver zu machen. Gemeinwohlorientierte Träger sollten bevorzugten Zugang zu kommunalen Liegenschaften erhalten.

10. Politische Unterstützung sichtbar machen

Vorhaben im geförderten Segment brauchen klare Rückendeckung. Frühzeitige Kooperationsvereinbarungen mit Lokalpolitik und Verwaltung senden Stabilitätssignale an Investoren und Kreditgeber – und helfen bei gesellschaftlicher Akzeptanz.

Fazit: Wirtschaftlicher Wohnungsbau braucht rechtliche Klarheit

Wenn bezahlbarer Wohnraum in Deutschland eine realistische Perspektive haben soll, reicht finanzielle Förderung allein nicht aus. Es braucht eine strategische Entlastung im Bau- und Planungsrecht, die sich an der Realität gemeinwohlorientierter Bauträger orientiert. Der vorgestellte 10-Punkte-Plan zeigt: Rechtssichere Vereinfachungen sind machbar. Jetzt  müssen Kommunen, Länder und der Bund sie in der Praxis zur Wirkung bringen.

Mit dem jüngst beschlossenen „Bauturbo“-Gesetzespaket hat der Bund ein wichtiges Signal gesetzt: Der neue § 246e BauGB erlaubt es Kommunen, unter bestimmten Voraussetzungen deutlich beschleunigte Genehmigungsverfahren für Aufstockungen, Umnutzungen und Nachverdichtungen einzuführen – binnen zwei Monaten statt in Jahren. Die Regelung ist bis Ende 2030 befristet und soll 2029 evaluiert werden. Auch der Schutz vor der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in angespannten Märkten wurde verlängert. Damit schafft der Gesetzgeber auch im Bereich des geförderten Wohnungsbaus neue Spielräume für schnelle Umsetzung.

Ob der „Bauturbo“ aber tatsächlich Wirkung entfaltet, hängt maßgeblich von der Umsetzung vor Ort ab. Kommunen behalten das Entscheidungsrecht, ob und wie sie die neuen Instrumente anwenden. Nur wenn diese Befugnisse aktiv genutzt und Genehmigungsprozesse mutig gestrafft werden, kann das neue Gesetz sein Potenzial entfalten. Der Bund hat geliefert. Jetzt ist es an der lokalen Verwaltungspraxis, das Bauen bezahlbarer Wohnungen wieder attraktiv und realisierbar zu machen.


Über die Autorin
Dr. Christina Lupprian ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt im Bau-, Immobilien- und Gesellschaftsrecht. Sie studierte in Hamburg, Mainz und San Diego und promovierte im öffentlichen Wirtschaftsrecht. Nach Stationen als Associate und Partnerin in international tätigen Großkanzleien sowie spezialisierten Boutique-Kanzleien machte sie sich mit Fokus auf immobiliennahe Wirtschaftsthemen, erneuerbare Energien und Projektstrukturierung selbstständig. Seit Juli 2024 verstärkt sie das Team von Korten Rechtsanwälte als Ansprechpartnerin für die rechtliche Begleitung komplexer Bau- und Immobilienprojekte.

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