Über Chancengleichheit wird viel diskutiert, aber was hilft Unternehmen wirklich dabei, sie zu fördern?

Der Begriff ESG besteht aus drei Buchstaben, E steht für Environment – Umwelt – , S für Social – Soziales –, und G für Governance – Aufsichtsstrukturen. ESG ist ein Kriterienkatalog, um den ökologischen und sozialen Impact eines Unternehmens zu analysieren und so nicht nur Investoren zu überzeugen, sondern auch Mitarbeitende. Denn eines ist klar: In einer von digitaler Disruption, globaler Klimakrise und Fachkräftemangel geprägten Gegenwart ist es grob fahrlässig, sich nicht mit Nachhaltigkeitskriterien auseinanderzusetzen. Die Initialen der Nachhaltigkeitskriterien kann man sich dabei vorstellen wie die Säulen eines Gebäudes: Sie stützen, aber vor allem stehen sie prominent im Vordergrund. Doch wie jedes Gebäude bedarf es eines Fundaments, um nachhaltig stabil zu sein, den täglichen Aufgaben Stand zu halten, Witterungseinflüssen zu trotzen. Woraus besteht dieses Fundament im Falle von ESG? Und warum sind dafür die Buchstaben D, E und I entscheidend?

Von Louisa Reichstetter

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Die drei Kriterien für die Analyse der ökologischen und sozialen Auswirkungen eines Unternehmens, Environment, Social und Governance (ESG), sind die Säulen der nachhaltigen Transformation in Unternehmen. Das Fundament, das für ihre Stabilität sorgt, setzt sich ebenfalls aus drei Buchstaben zusammen.

D wie Diversity

Etwas knapp zu definieren, das auf Vielfalt zielt, ist nicht leicht. Das Gabler Wirtschaftslexikon versucht es folgendermaßen: „Mit dem Ansatz der Diversity, im Deutschen auch Diversität genannt, versucht man Vielfalt zu erkennen und zu fördern, Benachteiligung zu vermindern und Chancengleichheit zu erreichen.“ Bei dieser Definition liegt der Fokus also sowohl darauf, etwas nicht zu tun – zu benachteiligen –, als auch etwas zu ermöglichen – die Gleichheit von Chancen.

Die Journalistin Hadija Haruna-Oelker wählt einen anderen Zugang, um für Diversität zu begeistern. Ihr aktuelles Buch „Die Schönheit der Differenz“ ist kein Katalog der Anklage oder Unterlassung, sondern ein positives Plädoyer für das Bunte, Vielfältige, Neue, Andere, Erfrischende, ­im Grunde für einfach alles Menschliche. Denn was oder wer ist schon normal? Der weiße, männliche CEO, der verheiratet ist und zwei Kinder, aber auch einen männlichen Geliebten hat? Die promovierte Powerfrau, die unter ihrer Kinderlosigkeit leidet? Ist nicht eigentlich gerade die Norm das Unnatürliche? Haruna-Oelker geht es um „eine diverse Gesellschaft und ihre Schönheit“ und alle, „die einen Weg dorthin suchen, […] weil sie sich mit dem, was uns unterscheidet und viele unterdrückt, noch nicht oder noch zu wenig beschäftigt haben ­ oder weil es sie schon lange beschäftigt.“ Mit diesem Satz wird klar: Beim Thema Diversität sind alle eingeladen, sich einzubringen, die Verschiedenheit zu wertschätzen. Sogar die, die vielleicht befürchten, nicht divers genug zu sein.

Was aber, und hier kehren wir pragmatisch zum Kontext Wirtschaft zurück, bedeutet die Förderung von Diversität für Unternehmen und ihre Führungskräfte? Ist zu befürchten, dass Diversity-Management am Ende doch eine Frauenquote durch die Hintertür ist? Wenn sie aber schwerer zu gestalten ist als durch eine Quote, wie kommen dann die Personen in Führungspositionen, die den nachhaltigen Wandel fördern? Die dem Unternehmen dauerhaft erhalten bleiben, statt als hochgeschätzte Fachkräfte gleich wieder weiterzuziehen?

Ich schreibe diesen Text als Initiatorin von FMF – Frauen.Macht.Führung. Drei starke Begriffe, vor denen man(n) sich nicht fürchten, aus ihnen aber auch nicht zu schnelle Schlüsse ziehen sollte. Die oben genannten Fragen differenzierter zu beantworten als mit einem Plädoyer für eine Frauenquote – selbst wenn viele Studien zeigen, dass sie sich durchaus positiv auswirkt –, ist unsere Kernaufgabe als BeraterInnen. Ähnlich wie Hadija Haruna-Oelker geht es uns bei unserer Arbeit nicht darum, irgendetwas oder irgendjemanden anzuprangern oder umzudrehen, sondern es geht darum, bestehende Potentiale aufzuspüren und zur Entfaltung zu bringen.

Aus diesem Grunde steht etwas, das wir „Diversity-Inventur“ nennen, oft an erster Stelle. Diese Inventur ist wie ein Bagger. Denn ohne Aushub kein Fundament. Für die Inventur entwickeln wir zunächst einen Fragebogen, den möglichst viele Menschen, die bereits im Unternehmen arbeiten, anonymisiert beantworten. So werden einerseits die Dimensionen der bereits bestehenden Vielfalt sichtbar, andererseits wird wertvolles Wissen generiert und quantifizierbar. Nicht zuletzt entsteht aus der Belegschaft heraus im besten Falle ein Pool an guten Ideen und unternehmensinternen Herausforderungen, auf die dann spezifisch eingegangen werden kann, anstatt dass C-Level und externe Consultants im Trüben fischen oder Guidelines und Maßnahmen von oben aufgestülpt werden oder im schlimmsten Falle Greenwashing beziehungsweise „Buntwäsche“ betrieben wird.

E wie Equity

Man muss nicht bis zur Französischen Revolution zurückgehen, um das Streben nach „Egalité“, Gleichberechtigung, zu verstehen. Aber man kann. Vor allem frau sollte das sogar.

Denn in den Wirren der Revolution verfasste eine Frau ein Manifest, das bis heute aufzurütteln vermag – und zwar nicht nur, weil wir von echter Gleichberechtigung von Mann und Frau laut Gleichstellungsbericht der Bundesregierung noch immer sehr weit entfernt sind, sondern weil es bei diesen Schieflagen nicht nur um Männer und Frauen geht, sondern auch um Menschen mit Migrationshintergrund, körperlichen Behinderungen, nicht-weißer Hautfarbe, Ostblock-Prägung, Arbeiter-Eltern, kleinen Kindern und vielem mehr.

Olympe de Gouges, geboren 1748 in Südfrankreich, war mit 17 zwangsverheiratet worden und früh verwitwet. Sie heiratete kein zweites Mal, sondern zog nach Paris, verwaltete ihr Erbe klug und verfasste aufklärerische und sklavereikritische Literatur unter Pseudonym. Die Forderungen der Revolutionäre – bewusst wird dieses Wort an dieser Stelle im generischen Maskulinum allein gelassen – fand sie richtig und wichtig. Aber dass die französische Nationalversammlung die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 nur für Männer postuliert hatte, empörte sie. Sie forderte das Naheliegende: Rechte für alle Menschen: „Die Frau hat das Recht das Schafott zu besteigen, also muss sie auch das Recht haben, die Rednertribüne zu besteigen“, schrieb sie lakonisch, denn „Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen gehört.“
Die machthabenden Jakobiner sahen dies anders. Keine Rechte für 50 Prozent der Bevölkerung, für Olympe de Gouges wohl aber der Gang zum Schafott. 1793 wurde die Feministin guillotiniert – sie habe vergessen, was sich für ihr Geschlecht zieme, hieß es. Zu tief ins Geschichtsglas geschaut? Mitnichten.

Mit derselben Begründung – jemand habe vergessen, was sich zieme – werden bis heute Femizide begründet, sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz relativiert, auf Partys tanzende Ministerpräsidentinnen desavouiert und Stellen nicht besetzt.
Ja, Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlstand, Aufstiegschancen gehören allen Menschen. Aber bei manchen Menschen schauen wir eben ein bisschen genauer hin, ob sie sich auch so verhalten, wie „es sich ziemt“. Um echte Gleichbehandlung zu fördern, sollten jedoch weniger andere kritisch beäugt werden, sondern es bedarf bei jedem und jeder neue Perspektiven auf das eigene Selbst.

Hier greift ein Instrument, das zu allen Zeiten, für alle Akteure (und Akteurinnen) der Weltgeschichte von Nutzen gewesen wäre: Ein Unconscious-Bias-Training. Eine Einführung in die Basics der Neurowissenschaften, eine Reise zu unserem ressourcensparenden, man könnte auch sagen, per se vorverurteilenden Gehirn – noch bei den vermeintlich klügsten Personen. Ein Werkzeugkoffer, um sich nicht von ersten Eindrücken leiten, nicht von der eigenen, voreiligen Selbstgewissheit lenken zu lassen. Wer in unseren durchaus unterhaltsamen Unconscious-Bias-Workshops etwas über Affinity Biases, Halo- und Horns-Effekte lernt und mit einer erfrischenden Bucket List ausgestattet in die nächsten Arbeitswochen startet, erfährt viel Aufregendes über seine Kolleg:innen – und noch mehr über sich selbst.

Ein weiterer Bereich, den Unternehmen leicht durch kluge Beratungen in ihrer strategischen Ausrichtung stärken und so zu mehr „Equity“ und schlicht zur Erreichung wichtiger Unternehmensziele beitragen können, ist die Förderung der digitalen Zusammenarbeit. Wer Homeoffice und das sogenannte New Work nicht als pandemiebedingte Not interpretiert, sondern neue Formen echter Teamarbeit inkorporiert, stärkt damit nicht nur diejenigen, die bei Präsenzpflicht und späten Terminen bisher passen mussten, sondern kommt auch den Führungskräften der Zukunft – Stichwort Generation Z – entgegen. Für sie ist ortsunabhängiges Arbeiten Statistiken zufolge längst wichtiger ist als ein hohes Gehalt, ein Dienstwagen oder rauschende Firmenfeste. Von der Bedeutung eines Nachhaltigkeits-Managements mit Substanz ganz zu schweigen.

I wie Inclusion

Louisa Reichstetter leitet hauptberuflich den Bereich Publikationen einer der größten Digitalagenturen Deutschlands, schreibt als freie Journalistin für überregionale Medien und ist – neben der Wissenschaftsmanagerin Imke Rajamani und der Bankvorständin Sabine Curt – eine von drei Gründerinnen des Consulting-Startups Frauen.Macht.Führung. Website: www.frauen-macht-fuehrung.de.

Unternehmen klagen über Fachkräftemangel: Keine IT-Expert:innen, zu wenige Ingenieur:innen. Gerade auch in der Wohnungswirtschaft sind die Aussichten düster, da immer mehr Babyboomer in den Ruhestand gehen. Mehr als die Hälfte, nämlich 55 Prozent, der Unternehmen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft beklagen einer aktuellen Studie der EBZ Business School Bochum zufolge den Fachkräftemangel schon jetzt als das große Erfolgshemmnis. Themen wie der Klimawandel, die Digitalisierung und die Nachhaltigkeitskriterien werden als zusätzliche Herausforderungen für das Recruiting in der Branche betrachtet. Zugleich schließt Recruiting – trotz vielbeklagtem Fachkräftemangel – noch immer viel zu oft Talente in einem frühen Stadium der Bewerbung aus. Etwa weil sichtbare körperliche Einschränkungen wie starkes Übergewicht, eine Gehbehinderung oder eine Hörminderung eigentlich hervorragende fachliche Eignung überschatten, ein bestimmter Kleidungsstil wie lackierte Fingernägel bei Männern oder das freiwillige Tragen eines Hijabs bei Frauen irritieren oder bei alleinerziehenden High-Potentials schnell klar wird, dass ein Umzug für eine Stelle, die im Zeitalter der Digitalisierung längst als „remote job“ umsetzbar wäre, für sie nicht in Frage kommt. Mit dem dritten Buchstaben im Fundament werden die Herausforderungen nicht geringer. Was aber zeichnet inklusive Arbeitgebende aus?

In unserem Beratungsalltag versuchen wir auch hier gemeinsam mit den ratsuchenden Unternehmen am Positiven zu arbeiten, statt auf Missmanagement in der Vergangenheit herumzureiten. Inklusive Arbeitgebende zeichnet nämlich zu allererst aus, dass sie sich wenigstens bemühen, inklusiver zu werden, um Innovationen und Kreativität voranzutreiben, Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu stärken, Fluktuationen zu reduzieren und, nun ja, schlicht und ergreifend erwiesenermaßen wirtschaftlich erfolgreicher zu sein. Sobald eine Organisation also offen dafür ist, Lösungen zu finden, die allen Mitarbeitenden ermöglicht, bestmöglich ihre Arbeit zu verrichten und sich weiterzuentwickeln, ist sie bereits inklusiv orientiert. Und wenn jene Organisation dann sogar wagt, qualifizierte Mitarbeitende einzustellen, für deren Entfaltung erst noch neue Lösungen gefunden und implementiert werden müssen, geht sie den nächsten Schritt.

Hier also hat DEI ganz viel mit Agilität zu tun – und damit ist kein Kanban oder Scrum im Projektmanagement gemeint. Sondern eine Organisation, die nachweislich kulturell und organisatorisch beweglich und veränderungsbereit ist, fördert bereits in gewissem Maße Inklusion. Eine Beratung kann so auf vielen Ebenen ansetzen: Bei der Redigatur von Stellenanzeigen etwa, die Inklusivität unterstreichen und deren Sprache nicht unbewusst exkludiert, sodass sich viele interessante Bewerber:innen gar nicht erst angesprochen fühlen. Bei der Etablierung von internen Events wie Rolemodel-Talks oder Brown-Bag-Lunches, die Mut machen und auf nahbare Weise Wissen vermitteln. Durch 3D-Mentoring-Modelle, die spannende Talente fördern statt Alter Egos zu befördern. Mit innovativen Geschenkideen für Mitarbeitende, die viel witzigere Akzente setzen als Taschen mit Logos darauf – die möglichen Maßnahmen sind so vielfältig, mitreißend, aufregend und im besten Falle humorvoll wie die Themen Diversity, Equity, Inclusion und ihre Protagonistinnen selbst.

Apropos Protagonistinnen: Eine bange Frage im Zusammenhang mit externen Trainings und internen Maßnahmen, die auf DEI einzahlen und Teil einer größeren ESG-Strategie sind, lautet oft: Müssen da jetzt alle mitmachen? Kann nicht einfach alles bleiben, wie es ist – so, wie es schon immer gemacht wurde und doch irgendwie trotzdem lief? Müssen jetzt alle die Vielfalt mit offenen Armen empfangen? People of Colour einen Job geben, obwohl sie viel lieber den jungen Mann befördern würden, der sie an sich selbst vor dreißig Jahren erinnert? Müssen jetzt alle geschlechtergerechte Sprache anwenden, am besten noch mit diesen irren Gendersternchen? Warum sollten jetzt plötzlich alleinerziehende Mütter Karriere machen, wo sie doch mit Kindern genug zu tun haben und sich lieber mal einen neuen Mann suchen sollten? Müssen jetzt alle ihre Meinung ändern oder zumindest so tun?

Aber nein, keine Sorge. Niemand muss gar nichts! So, wie nicht alle Steine eines Gebäudes in tragenden Wänden verbaut sind, muss der DEI-Prozess nicht alle Menschen eines Unternehmens erreichen, damit der positive Wandel einsetzt. Es gibt da eine pragmatische Zahl. Sie sich zu merken, ist leicht: dreißig. 30 Prozent. Die kritische Masse. Wenn die Maßnahmen rund um die drei Buchstaben D,E, und I nur 30 Prozent der Adressierten zu erreichen vermögen, wird sich schon vieles verändern – und zwar zum nachhaltig Erfolgreichen.

Die einzige Frage, die sich wirklich jede*r stellen sollte, lautet daher folgendermaßen: Will ich zu diesen 30 Prozent gehören?

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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