Auf der Suche nach dem grünen Checkfelix

In welchem Stile sollen wir zertifizieren? Diese Frage birgt viele Hürden, und nicht immer ist die Entscheidung leicht zu fällen. Ein Überblick über die unterschiedlichsten Gebäudezertifikate in Österreich und international.
WOJCIECH CZAJA

1988 wurde das Passivhaus erfunden. Wolfgang Feist und Bo Adamson gossen ihre fünf Prinzipien eines effizienten Niedrigstenergiehauses in die Statuten – hochwertige Wärmedämmung, Vermeidung von Wärmebrücken, hochisolierende Fenster, luftdichte Gebäudehülle und Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung – und ebneten damit den Weg in eine Architektur mit minimalem Heizwärmebedarf.

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Auf der britischen Insel war man zu dieser Zeit schon einen Schritt weiter: In Watford, England, wurde 1988 die „Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology“, Breeam, ins Leben gerufen. Und schon zwei Jahre später konnte die neue Zertifizierungsmethode in der Praxis angewandt werden. Zu den wichtigsten Parametern zählen Bauweise, Materialeinsatz, Energiekonsum, Wasserverbrauch, Gesundheit, Müllaufkommen, Luftverschmutzung und Management-Prozesse. Heute ist Breeam mit rund 550.000 zertifizierten Gebäuden das größte und wichtigste Zertifizierungssystem weltweit.

Doch es ist bei Weitem nicht das einzige System im Einsatz. Auf internationaler Ebene gibt es DGNB in Deutschland, Minergie in der Schweiz, HQE in Frankreich, Lenoz in Luxemburg, Casbee in Japan, Beam in Hongkong, Estidama in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Green Star in Australien sowie den Vize-Marktführer Leed. Das Akronym steht für Leadership in Energy and Environmental Design und wurde 1998 in den USA gelaunched, seit 2000 wird es in der Zertifizierung angewandt. Bislang wurden weltweit rund 100.000 Objekte mit einem Leed-Gütesiegel ausgezeichnet. Und: Erst kürzlich kam mit Level( s) ein weiteres Zertifikat auf EUEbene hinzu.

Best Practice aus Tirol: klimaaktiv-zertifizierte Wohnhausanlage in Völs von der Alpenländischen Fotos: Gesiba, Alpenländische/Scherl Florian, Larix Engeneering

In Österreich ist der nationale Markt noch kleinteiliger. Neben Breeam und Leed gibt es hierzulande ÖGNI (Österreichische Gesellschaft für nachhaltige Immobilienwirtschaft, ein Ö-Derivat des deutschen DGNB), ÖGNB (Österreichische Gesellschaft für nachhaltiges Bauen), den IBOÖkopass sowie die 2004 vom Klimaschutzministerium gegründete Initiative klimaaktiv. Hinzu kommen einige Corporate-Zertifikate wie das Holistic Building Program (HBP) der Bundesimmobiliengesellschaft oder etwa das von der österreichischen Architekturszene initiierte Bewertungstool „Reasen“.

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Fragt sich nur: Wie kann man bei all der Vielfalt überhaupt noch den Überblick bewahren? Und bräuchte es nicht schon längst ein objektives Meta- Messinstrument, eine Art Trivago oder Checkfelix für Gebäudezertifizierungen, um im Dickicht der Angebote eine quantifizierbare Vergleichbarkeit herzustellen? „Das Biotop an Zertifikaten, die in Österreich im Einsatz sind, ist in der Tat sehr vielschichtig“, sagt Robert Lechner, Geschäftsführer des Österreichischen Ökologie-Institut, im Interview (siehe Seite 27). „Wer auf welches Zertifizierungssystem zurückgreift, ist oft eine Frage der Immobilie und der Bautypologie, aber auch des Selbstbilds, des geografischen Tätigkeitsradius und der beabsichtigten Positionierung am Markt.“

Hohe Qualität

Peter Holzer, Partner am Institute of Building Research and Innovation, ortet in allen in Österreich angewandten Zertifikaten eine generell hohe Qualität, sieht die Entscheidung zu einem bestimmten Produkt aber vor allem kulturell bedingt: „Ich habe den Eindruck, dass Breeam und klimaaktiv meist gerne eingesetzt werden, um die Qualität einer Immobilie aus innerster Überzeugung – sozusagen intrinsisch, zugunsten des Klimaschutzes – zu quantifizieren, während Leed und ÖGNI gern verwendete Werkzeuge in der Immobilienwirtschaft sind, wenn es darum geht, den Wert einer Immobilie bei Vermietung, Verkauf und Bewertung zu sichern. Es ist für jeden Geschmack und für alle Nutzer:innen etwas dabei.“

Es ist für jeden Geschmack und alle Nutzer:innen etwas dabei.

Peter Holzer

Und wer greift worauf zurück? „Der gemeinnützige Wohnbau liegt fest in der Hand von klimaaktiv“, meint Holzer und nennt dafür drei pragmatische Gründe: „Erstens wird dies in vielen Bauträger-Wettbewerben als Standard gefordert, zweitens lassen sich die Qualitäten eines Wohnbaus mit den klimaaktiv-Parametern gut abbilden und drittens wird der Gap zwischen Bauordnungsniveau, Wohnbau- Förderrichtlinien und klimaaktiv, was die technischen und klimatischen Anforderungen betrifft, immer geringer.“ Bei frei finanzierten Wohnbauten hingegen, so Holzer, würden Zertifizierungen tendenziell eher bei Eigentumsobjekten in höheren Preissegmenten eingesetzt. Etwas kritischer sieht der Experte das ÖGNB-Zertifikat – eine Weiterleitung des hochkomplexen TQB-Bewertungssystems, das heute in erster Linie in der Seestadt Aspern Anwendung findet.

GBV setzen auf klimaaktiv

Der Blick auf den gemeinnützigen Wohnbausektor bestätigt Holzers Bild. In den meisten Fällen tragen die ökologisch innovativen und ambitionierten Projekte ein klimaaktiv-Gütesiegel.

Auch bei Sanierungsprojekten wie z. B. dem Wohnhaus aus den 70er-Jahren in Völs von der Alpenländischen. Das Gebäude wurde umfassend saniert und entspricht mit dem klimaaktiv-GoldStandard mit 962 Punkten nun den höchsten Anforderungen im Bereich der Energieeffizienz.

Deutlich differenzierter sieht die Situation bei den gewerblichen, freifinanzierten Bauträgern aus. „Wir bedienen mit unseren Projekten vor allem den deutschen Fonds- und Immobilienmarkt“, meint Michael Neubauer, Geschäftsführer von NÖ Immobilien Development. „Daher kommen rein nationale Zertifikate für uns nicht infrage. In der Regel arbeiten wir mit dem System ÖGNI/DGNB. Wo es möglich ist, streben wir Gold an.“

Die Buwog wiederum, Partnerin im klimaaktiv-Pakt seit der ersten Stunde, greift in ihren Projekten in

der Regel auf ÖGNI und klimaaktiv zurück. Gelegentlich kommt auch der Greenpass zum Einsatz. „Vor allem für institutionelle Investor:innen sind Gebäudezertifikate sehr wichtig“, sagt Buwog-Geschäftsführer Andreas Holler. „Unsere Erfahrung ist: Wenn nicht auch ein international anerkanntes Zertifikat die Qualität und Werthaltigkeit des Investments bestätigt, sind sie nicht bereit, in eine Immobilie zu investieren.“ Meist werden Silber und Gold angestrebt. In der Kommunikation und Bewerbung der Projekte werden die Zertifikate als Logos gezielt eingesetzt.

Auch bei Esterházy Immobilien setzt man gerne auf Zertifikate – allerdings mit einer eindeutigen Edelmetall-Präferenz. „Unser Ziel ist ÖGNI Gold und klimaaktiv Gold“, sagt Jürgen Narath, Leiter Immobilienbereich bei Esterházy. „Das deckt sich auch mit unserem eigenen Anspruch an ökologische Nachhaltigkeit, die wir bereits seit 20 Jahren praktizieren.“ Noch lieber würde man Platin anstreben, aber das sei bei Projekten im ländlichen Raum leider nicht realistisch. Der Grund: Die nötige Infrastruktur wie etwa Shopping, Bildung, Gesundheit und Freizeit liegt oft kilometerweit entfernt. „Die meisten Zertifikate fokussieren sich auf den urbanen Raum“, so Narath. „Hier würde ich mir der Fairness halber etwas mehr Differenzierung wünschen.“

Aufwendiger Prozess

Wie genau der Zertifizierungsprozess aussieht, weiß Stephanie Mache-Joussein, Senior Technical Consultant und Gruppenleiterin für DGNB Österreich bei Oterea. Das Wiener Unternehmen ist auf Beratung, Berechnung, Projektbegleitung und Audit-Leistungen spezialisiert. „Die meisten Anfragen kommen von Investoren und Projektentwicklern, immer wieder aber auch direkt von den Architekturbüros“, sagt Mache-Joussein. „Früher wurden wir erst recht spät kontaktiert, wenn die Einreichung abgeschlossen war oder der Bagger schon am Grundstück stand. Heute werden wir bereits sehr früh ins Projekt eingebunden, meist schon in der Vorentwurfs- oder Entwurfsphase. Das macht es möglich, ein von Anfang an zu begleiten und mit den Bauherren und Planer:innen zu optimieren.“

„Ein gutes Projekt bedingt mehr Aufwand, mehr Kommunikation und Optimierung,“ sagt Stephanie Mache-Joussein. Foto: Ulf Wallmann, Oterea

Die reine Audit-Leistung, die bei einigen Zertifikaten benötigt wird (siehe Tabelle), dauert bei vollständig eingelangten Unterlagen und guter Dokumentation zwei bis drei Wochen. „Ein gutes Projekt bedingt mehr Aufwand, mehr Kommunikation, mehr Optimierung und im Detail natürlich auch mehr laufende Adaptierungen im Bereich Architektur, Städtebau, Bauphysik, Haustechnik und Ausstattung“, so Mache-Joussein. Das Honorar für einen Zertifizierungsprozess berechnet sich in der Regel abhängig von Bautypologie, Komplexität und Bruttogeschoßfläche und wird bei Oterea auf eine Flatrate pro Monat heruntergebrochen. Hinzu kommen Zusatzkosten für Berechnungen, Simulationen und für die bauökologische Begleitung. „Eine umfassende Zusammenarbeit dauert meist zwei bis zweieinhalb Jahre“, so die Expertin. „Drei Monate nach Fertigstellung des Gebäudes können wir das Projekt abschließen.

Foto: Ulf Wallmann/Oterea/Quellen: ÖÖI, IBRI und die nationalen Websites der einzelnen Institutionen

Nach erfolgreicher Konformitätsprüfung durch einen anonymer Prüfer der ÖGNI kann das Zertifikat ausgestellt werden.“ Ob sie uns noch verrät, welches Zertifikat in der Berechnung am aufwendigsten ist? „Unserer Erfahrung nach haben ÖGNI/DGNB-Zertifikate die höchste Komplexität von allen und nehmen daher auch am meisten Zeit in Anspruch. Tatsächlich aber sind die Unterschiede im Aufwand mittlerweile recht ähnlich, denn unterm Strich haben alle Zertifikate die gleichen Ziele – ein Bekenntnis zum Klimaschutz und eine Wertsicherung am Immobilienmarkt und in der EU-Taxonomie.“


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