Viele Wohnungsmarktakteure bekunden, zum Gemeinwohl beizutragen. Jedoch verstehen sie darunter oft sehr unterschiedliches. Gerade in Zeiten von Krisen und Wandel, in denen gemeinsame Nenner und Ziele gebraucht werden, würde eine stärkere Debatte über Gemeinwohlkriterien und deren effektive Stärkung guttun: Wohnen ist – so wird es seit Jahren Mantraartig vorgetragen – die soziale Frage unserer Zeit.
Gerade in Zeiten einbrechender Neubau- und Baugenehmigungszahlen ist daher jeder Beitrag zur Wohnraumversorgung gern gesehen. Doch wann kann man auch von einem Dienst an der Gemeinschaft sprechen? Angesichts der großen Akteursvielfalt am deutschen Wohnungsmarkt lässt sich die Grenze zwischen Partikular- und Gemeinwohlinteresse häufig nicht trennscharf ziehen.
Vom privaten Kleinvermieter bis hin zur Aktiengesellschaft mit internationalen Großinvestoren als Anteilseigner leisten sehr viele ihren Beitrag zur Wohnraumversorgung. Die Zusammensetzung dieser Akteure kann zudem lokal stark differieren.
Gemeinsames Bekenntnis ohne gemeinsame Grundlage?
Stiftungen oder auch Teile von Genossenschaften verpflichten sich bereits über die Satzung zu Renditeverzicht zugunsten von gemeinwohlorientiertem Handeln – sei es durch niedrige Mieten, Versorgung besonderer Bedarfsgruppen oder durch Angebote, die über den Wohnraum hinausgehen und auch Nicht-Mieter:innen zugutekommen: etwa Beratungsleistungen, Unterhaltung von sozialen und kulturellen Treffpunkten oder Grünanlagen.
Auch kommunale Unternehmen sind dem Gemeinwohl grundsätzlich verpflichtet. Dies kann die Gesellschafterin direkt – zum Beispiel über Zielvereinbarungen – geltend machen, oder aber indirekt, etwa über die Mittelverwendung aus den Ausschüttungen oder über die Finanzierung und das Wirken von unternehmenseigenen Stiftungen. Allein in dieser Akteursgruppe sind die Konstellationen und Praktiken aber so vielseitig, dass es keine Blaupause geben kann.
Private Vermietende sind als größter Marktakteur ebenfalls eine sehr heterogene Gruppe – zu ihr zählen auch diejenigen, die Mieterhöhungsspielräume bewusst nicht ausreizen und ein gutes Verhältnis zu Mietenden wertschätzen. Die Nutzung privater Erträge aus der Vermietung muss darüber hinaus auch nicht immer nur Partikularinteressen dienen und kann auch dem Gemeinwohl zugutekommen.
Vielfalt zulassen ohne Social Washing zu dulden
In dieser Gemengelage muss anerkannt werden, dass Gemeinwohlbeiträge und dafür geeignete Akteurskonstellationen lokal sehr unterschiedlich aussehen können. Zudem ändern sich auch Bedarfslagen von Zeit zu Zeit. Die Vielfalt der Wohnungsmarktakteure in Deutschland selbst ist daher in gewisser Weise bereits ein Mehrwert und ein Beitrag zu resilienten und lebenswerten Städten.
Dies festgestellt, darf jedoch für einen Gemeinwohlbeitrag das Denken über die eigene Immobilie und die eigenen Stake- und Shareholder hinaus eingefordert werden. Denn ein „Social-Washing“ wertet vor allem die Leistungen derer ab, die sich intensiv der bezahlbaren und bedarfsgerechten Wohnraumversorgung und lebenswerten Quartieren widmen.
Debatte um effizienten Einsatz von Renditeverzicht führen
Ein Renditeverzicht ist dafür – zumindest kurzfristig – schwer umgänglich. Per se ist er aber noch kein Gemeinwohlkriterium. Viel wichtiger wäre die Auseinandersetzung darüber, wie ein Renditeverzicht am effizientesten und im Interesse der Menschen vor Ort eingesetzt werden kann. Dies kann wiederum unterschiedlich aussehen und die Miethöhe ist dabei ein wichtiges, aber nicht das einzige Kriterium.
Eine Debatte zu diesem Thema, an der sich die vielfältigen Marktakteuren beteiligen, bietet auch die Gelegenheit, Zielkonflikte zu identifizieren und bestenfalls aufzulösen. Vereinfachung und Einseitigkeit helfen hier nicht weiter. Das zeigt sich besonders mit Blick auf das Konzept der Nachhaltigkeit sowie auf die Diskussionen der ESG-Kriterien, mit denen Umwelt- und Klimaschutz (E), soziale Belange (S) und gute Unternehmensführung (G) gewährleistet werden sollen – zumindest dann, wenn über das E und die ökologische Nachhaltigkeit hinausgedacht wird.
Gleichgewicht bei ESG-Kriterien finden
Ein akzeptiertes Gleichgewicht zwischen sozialen und ökologischen Kriterien zu finden, wird eine Kernaufgabe unserer Gesellschaft in den nächsten Jahrzenten sein – auch über das Wohnungswesen hinaus. Ohne Berücksichtigung der ökonomischen Nachhaltigkeit im Sinne einer wirtschaftlichen Machbarkeit bleibt dabei alles Theorie und manches Polemik.
Einseitige Fokussierungen auf Teilkomponenten der Nachhaltigkeit sind für einzelne Akteure sicherlich normal und oftmals der einzige Weg, der Komplexität Herr zu werden und nachhaltige Geschäftsmodelle zu etablieren. Umso stärker kann ein übergreifender Dialog das eigene Wissen und die eigenen Ansätze bereichern. Für die Wohnungspolitik, von der im Grunde erwartet wird, die Mindestanforderungen für alle Teilkomponenten der Nachhaltigkeit auszuformulieren, gilt das ganz besonders.
DV vereint unterschiedliche Akteure der Wohnungswirtschaft
Die verschiedenen Facetten des Wohnungsmarktes sollten daher – ebenso wie die wohnungspolitischen Akteure – ein intrinsisches Interesse daran haben, in den Dialog zu effektiven Gemeinwohlbeiträgen zu treten. Dabei sind Kooperationen unterschiedlicher Marktakteure – auch auf der Projektebene – ein guter Weg, um einen Interessenausgleich zu befördern und so etwa der gemeinwohlorientierten Projektentwicklung näher zu kommen.
Im DV sind die vielseitigen Akteure der Wohnungswirtschaft und die Fürsprecher integrierter und interdisziplinärer Ansätze vereint. Sie ermöglichen es uns, einen solchen Dialog zu fördern und ihn in der fachlichen Tiefe zu führen, die es braucht, um gemeinsame Nenner auszumachen. Diese Aufgabe nehmen wir schon heute umfassend war – zum Beispiel im Rahmen unserer Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ oder bei unserer AG Wohnungswesen.
Um die Debatte um die Gemeinwohlbeiträge der Wohnungswirtschaft im fachpolitischen Raum zu stärken, wird die Jahrestagung des DV am 11. September 2024 dieses Thema aufgreifen.
Michael Groschek
Staatsminister a. D., Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V.