Nachhaltiges Bauen und Wohnen in der Fläche

Nachhaltigkeit spielt in allen Bereichen des Lebens eine Rolle. Die 294 Landkreise, die 96 Prozent der Fläche Deutschlands ausmachen und in denen 68 Prozent der Menschen leben, engagieren sich in diesem Themenfeld seit langem, orientieren sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und setzen Nachhaltigkeit anhand messbarer Kriterien um. Dies gilt auch für das Handlungsfeld Bauen. Die Landkreise sind sowohl als Baugenehmigungsbehörde, als Umwelt-, Naturschutz- und Wasserbehörde, als Akteure in der Bauplanung, als Schulträger sowie als Eigentümer und Betreiber zahlreicher Gebäude bis hin zu eigenen Wohnungsunternehmen mit dem Thema Bauen befasst.

Von Reinhard Sager

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Mit den zunehmenden Herausforderungen des Klimawandels, Fragen der Flächenkonkurrenzen, Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft wird die Bedeutung einer nachhaltigen Planung und von nachhaltigem Bauen und Betreiben immer wichtiger. Hinzu kommen sinkende Rohstoffmengen, steigende Energiepreise sowie die demografischen Entwicklungen. Die Bevölkerung hat veränderte Ansprüche an Wohnformen, Wohnort und Wohnqualität. Politik, Kommunen, Gesellschaft und Wirtschaft sind allesamt dazu gehalten, das nachhaltige Bauen zu forcieren – zum Schutze der Umwelt, mit Blick auf nachfolgende Generationen, sowie um den aktuellen Herausforderungen der Energiesicherheit und des Klimawandels zu begegnen.

Das nachhaltige Bauen umfasst verschiedene ökologische, gesellschaftliche und ökonomische Aspekte. Dabei müssen auch die Unterschiede zwischen Großstädten, Klein- und Mittelstädten sowie ländlich geprägten Räumen beachtet werden: Während angespannte Wohnungsmärkte und teure Bauprodukte alle Gebiete gleichermaßen betreffen können, sind manche ländliche Räume mit Leerständen, anderen gemeindlichen Entwicklungsbedürfnissen und den besonderen Bedürfnissen der Landwirtschaft befasst. Auch diese Aspekte müssen in die Nachhaltigkeitsberechnung einbezogen werden. Immerhin erbringen die ländlichen Räume die Gemeinwohlleistungen im Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie bei der Bereitstellung erneuerbarer Energien.

Reduzierung der Flächeninanspruchnahme

Ein wichtiger Indikator einer nachhaltigen Raumnutzung ist die Flächeninanspruchnahme, also die Umnutzung von Freiflächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen. Mit der Flächeninanspruchnahme, die einerseits Entwicklungschancen vor Ort ermöglicht, gehen jedoch andererseits auch oftmals der Verlust von Naturräumen, die Versiegelung von Flächen und damit (Hoch-)Wasserprobleme, Verkehr und Lärm einher. In Deutschland hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in den vergangenen 60 Jahren mehr als verdoppelt. Deshalb sehen die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie und der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung vor, den jährlichen Zuwachs der Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar pro Tag zu verringern.

Auch die Landkreise unterstützen seit Jahren einen schonenden und nachhaltigen Umgang mit der endlichen Ressource Boden. Starre quantifizierte Vorgaben zur Verringerung der Flächeninanspruchnahme von Bundes- und Landesebene werden den Gegebenheiten vor Ort jedoch nicht gerecht. Den Kommunen muss es möglich bleiben, vor Ort bedarfsgerechte Planungs- und Abwägungsentscheidungen zur Flächenentwicklung zu treffen. Dort, wo die Entwicklungsbedürfnisse der Gesellschaft die Erschließung neuer Flächen erforderlich machen, muss den Gemeinden Handlungsspielraum bleiben. Es gibt viele Möglichkeiten, anderweitige Anreize für eine Verringerung der Flächeninanspruchnahme zu setzen: So kann die Innenentwicklung und die dortige Entsiegelung von Flächen vorangetrieben werden.

Gleichzeitig können Industrie- und Brachflächen sowie ehemals militärisch genutzte Räume „recycelt“ und bebaut oder naturnah gestaltet werden. Begleitend sollten möglicherweise bestehende steuerliche Fehlanreize zur Ausweisung von neuen Gebieten evaluiert werden. Wohnsiedlungen können – unter Beachtung der klimatischen Bedingungen – nachverdichtet, Gründächer angelegt und Baulücken geschlossen werden. Nicht zuletzt haben die kreisangehörigen Gemeinden die Möglichkeit, Vorgaben in Bebauungsplänen unter nachhaltigen Gesichtspunkten auszugestalten, wie z. B. die Unterstützung blühender Grünflächen.

Ertüchtigung von Leerstand

Teil der Innenentwicklung, einer geringeren Flächeninanspruchnahme und einer optimalen Bauproduktenutzung ist es auch, Leerstand in den kreisangehörigen Gemeinden zu ertüchtigen und Bestandsgebäude umzunutzen. Durch eine solche Nachnutzung wird keine neue Fläche beansprucht und Baumaterial nicht in dem Umfang wie bei einem Neubau benötigt. Verschiedene Maßnahmen der Innenentwicklung sind dabei die Umwidmung, Aufstockung, Nachverdichtung, der Umbau und die Reaktivierung von Leerständen. Energetische Sanierungsmaßnahmen können zusätzlich den klimagerechten Umbau ermöglichen. Gleichzeitig können auf diese Weise attraktive räumliche Strukturen erhalten und geschaffen werden.

Während sich die wohnungs- und baupolitische Diskussion zumeist auf die angespannten Wohnungsmärkte und die Forderungen nach mehr Wohnraum in wenigen Großstädten und Ballungsräumen konzentriert, ist die Innenentwicklung bereits seit langem Schwerpunkt der Bauförderung in den Landkreisen. Insbesondere in strukturschwachen Regionen und einigen ländlichen Räumen werden leerstehende Gebäude dadurch nachhaltig wieder aufgewertet, sei es für den sozialen Wohnungsbau oder für öffentliche Einrichtungen. Auch die Sanierung von Verwaltungsgebäuden spielt eine Rolle.

Der Fokus sollte sich verstärkt auf die längere Nutzung von Bestandsgebäuden richten. Es bedarf besserer Anreize und erleichterter Anforderungen für den Umbau und die Sanierung von Altbauten, da dies mit hohen finanziellen und organisatorischen Hürden einhergehen kann. Aktuell ist es dem Deutschen Landkreistag gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband zudem ein besonderes Anliegen, sich für die rechtlichen Voraussetzungen für einen tierwohlgerechten Stallumbau im Außenbereich einzusetzen. Das geltende Baurecht behindert trotz der allgemein lauten Rufe nach besseren Haltungsbedingungen solche Umbauten, weil in diesen Fällen der Bestandsschutz der erteilten Baugenehmigung gefährdet ist. Entsprechend muss das Baurecht so angepasst werden, dass Anlagen zur Tierhaltung zum Zwecke der Verbesserung des Tierwohls geändert, baulich erweitert oder ersetzt werden können – wenn nötig auch durch einen in der Größe vergleichbaren Neubau.

Förderung von energieeffizienten Gebäuden

Einen weiteren Beitrag zum Klimaschutz und zugleich geringere finanzielle Belastungen für den Gebäudenutzer leisten energieeffiziente Gebäude. Die Reduzierung des Energieverbrauchs kann dabei durch verschiedene Maßnahmen verstärkt werden. Dazu gehören die Auswahl der Anlagen an und im Gebäude, die Gebäudetechnik, die Wahl der Energieträger, die Ausrichtung und Form des Gebäudes, die Verschattungsmöglichkeiten sowie die Dämmung und der Wärmeschutz. Die Landkreise treiben hier verschiedene Projekte voran, um sowohl die Kreisgebäude energieeffizienter zu gestalten als auch die Bürgerinnen und Bürger für die Energieeffizienz sowohl in ihren Wohnungen selbst als auch in dörferübergreifenden Projekten zu begeistern. So haben zahlreiche Landkreise Energieberatungen und Energieallianzen gegründet.

Dies gilt es, durch weitere Maßnahmen zu flankieren. Vom Bund geförderte Klimaschutzmanager können aktuell nur unter engen Rahmenbedingungen und nur in einzelnen Kommunen den Klimaschutz, auch für das nachhaltige Bauen, vorantreiben. Solche Daueraufgaben dürfen aber nicht durch punktuelle Anschubförderungen finanziert werden. Effizienter wäre eine flächendeckende, inhaltlich freie und verstetigte finanzielle Unterstützung der Landkreise, beispielsweise durch die Beteiligung der Kommunen an der CO2-Bepreisung. Zudem können gesetzliche Verpflichtungen für Bestands- wie Neubauten die Energieeffizienz verbessern. So könnten der Bau von Solarkollektoren für die Wassererwärmung und von Photovoltaikanlagen für die Stromversorgung mit den einhergehenden Vorgaben für die Gebäudeausrichtung verpflichtend gemacht werden. Dies wäre ebenso für Vorgaben zur Anlage von begrünten Dächern auf Nebengebäuden (Carports, Garagen, Schuppen) denkbar. Auf diese Weise könnte die Nutzung von ohnehin technisch überformten Flächen die Freiflächen bzw. den Außenbereich schonen. Wichtig ist dabei jedoch, flexible Regeln für andere nachhaltige Energiekonzepte bereitzuhalten.

Bezahlbares Wohnen (auch) in Dörfern

Des Weiteren sollte der demografische Wandel in den Blick genommen werden. Während die Abwanderungen aus den Großstädten – nicht erst seit der Coronapandemie, seitdem jedoch verstärkt – zunehmen, erleben die ländlichen Räume eine Renaissance. Eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung von Juni 2022 bestätigt, dass kleine ländliche Gemeinden in allen Bundesländern in ihrer Beliebtheit zugenommen haben. Für Familien sowie für Berufswandernde, die es vor zehn Jahren noch verstärkt in die Stadt zog, werden die ländlichen Räume, auch durch die Möglichkeiten des Homeoffice, immer attraktiver. Lediglich junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren präferieren aus Bildungsgründen weiterhin die großen Städte.

Reinhard Sager wurde 1959 in Suxdorf geboren, ist verheiratet und hat einen Sohn. Nach seinem Abschluss zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) an der Verwaltungsfachhochschule Kiel-Altenholz war er bei der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein tätig. Von 1982 bis 1988 war er Gemeindevertreter in Grömitz, 1990 bis 1995 Kreistagsabgeord-neter in Ostholstein, von 1992 bis 2001 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Im Mai 2001 wurde Reinhard Sager erster direkt gewählter Landrat des Kreises Osthol-stein. 2007 und 2015 wurde er vom Kreistag wiedergewählt. Seit 2008 ist Landrat Sager Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Landkreistages und seit 2014 Präsident des Deutschen Landkreistages. Am 02.07.2023 endete seine Amtszeit als Landrat.

Dies stellt die ländlich geprägten Kommunen vor große Chancen, aber auch vor die Herausforderung, den Leerstand, die Forderung nach mehr Wohnraum sowie die Belange der Versorgung, der Landwirtschaft und der Gewerbe miteinander zu vereinen. Durch eine gezielte Planung kann eine Innenbelebung der Dörfer erreicht werden, die positive Effekte für die Gesellschaft hat: Eine Aufwertung der Dorfgebiete durch Wohnverdichtung, eine wohnortnahe Grundversorgung mit Verbrauchsgütern und Dienstleistungen, kurze Wegenetze und eine gute Erreichbarkeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen die Dörfer auch für junge Menschen und Familien attraktiv. Gute Hebel sind Projekte wie „Jung kauft Alt“ sowie die Umnutzung von Gebäuden in Dorfkernen.

Dadurch entsteht ein gesunder Mix aus Alt und Jung, der neue Impulse für das Dorfleben bringt. Zudem macht eine gute Planung die Wohn- und Lebensbedingungen senioren- und behindertengerechter. Kombiniert mit einer Verbesserung der Infrastruktur (ÖPNV, Kindergärten und Schulen, Gesundheit, Nahversorgung, Breitband- und Mobilfunkversorgung, Verkehrsinfrastruktur) führt das nachhaltige Bauen also zu einer sehr lebenswerten, gesellschaftlich nachhaltigen und gesunden Struktur.

Zum Wohlfühlen gehören neben einer guten baulichen Planung, einer guten Infrastruktur und gesunden Baustoffen aber auch bezahlbare Wohnkosten. Deshalb hat der Deutsche Landkreistag das Baukindergeld als Maßnahme zur Förderung des Eigentumserwerbs von Familien unterstützt und beteiligt sich an Initiativen auf der Bundesebene wie dem Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen sowie an dem aktuellen Bündnis für bezahlbaren Wohnraum. Nicht zielführend ist aus unserer Sicht aber das formulierte Vorhaben, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen. Dies widerspricht nicht nur den Zielen der verminderten Flächenversiegelung, sondern geht auch an den Bedürfnissen der Menschen in einem Großteil des Bundesgebietes vorbei.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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