Die Grundidee von Mieterstrom ist bestechend einfach und gleichzeitig so wichtig für die Energiewende in Deutschland: Erneuerbaren Strom dezentral dort produzieren, wo er von den Mieterinnen und Mietern verbraucht werden kann. 58 Prozent der Deutschen lebt zur Miete, laut Bundeswirtschaftsministerium könnten bis zu 3,8 Millionen Wohnungen mit Mieterstrom versorgt werden – nach anderen Schätzungen sogar weit mehr.
Von Claudia Maier und Daniel Altmayer
Das Potenzial ist also enorm – und die Resonanz ist entsprechend positiv gewesen, als mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2017 eine Förderung für die Vor-Ort-Versorgung von Mieterinnen und Mietern mit erneuerbaren Energien eingeführt wurde. Den Wohnungsunternehmen wurde so ein Instrument an die Hand gegeben, den CO2-Ausstoß ihrer Liegenschaften sukzessive zu verringern, während die Betreiber eine Förderung bekommen und die Mieterinnen und Mieter in die Lage versetzt werden, günstigen erneuerbaren Strom zu beziehen.
Klingt erst einmal nach einer Gesetzesänderung, von der alle Beteiligten profitieren. Sechs Jahre später ist im Mieterstromsektor Ernüchterung, ja fast Katerstimmung eingekehrt. Die Ausbauzahlen sind niedrig, das enorme Potenzial für die Energiewende nicht annähernd ausgeschöpft. Woran liegt das? Die technische Umsetzung ist komplex und die wirtschaftlichen Spielräume immer noch knapp bemessen. Auch die rechtlich-regulatorischen Rahmenbedingungen haben jüngere Gesetzesänderungen (EEG 2023) nur wenig verbessert.
Dass und wie Mieterstromprojekte derzeit – trotz vieler Widrigkeiten – umgesetzt werden können, zeigt der Werkstattbericht der Münchener Isarwatt eG. Wie Mieterstrom in Zukunft weiterentwickelt wird, bleibt abzuwarten. Denn am 10. März dieses Jahres fand der erste Photovoltaik-Gipfel statt. Auf Initiative des Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck. Das erste Echo auf die elf Handlungsfelder, die auch Mieterstrom umfassen, war bislang recht positiv. Bis Mai soll eine finale Strategie vorliegen, die dann in mehrere Gesetze fließen soll. Die Isarwatt ist sehr gespannt und hat sich am Mitgestaltungsprozess beteiligt. Zum Redaktionsschluss lagen die Ergebnisse noch nicht vor.
Das Modell Isarwatt
In der Münchner Wohnungswirtschaft gab es schon vor 2017 Pioniere der Energiewende mit der Zielsetzung, die dezentrale Energieerzeugung zu fairen Preisen für Mieterinnen und Mieter voranzutreiben. Peter Schmidt, Gründungsmitglied der Isarwatt eG, und Vorstand der Wogeno eG ist einer dieser Visionäre. Unter anderem seinem Engagement ist es zu verdanken, dass sich 2017 sechs Münchener Wohnungsgenossenschaften dazu entschieden haben, eine eigene Dienstleistungsgenossenschaft zu gründen. Unter einem Dach sollte technische und energiewirtschaftliche Expertise vereint werden, um dem Ziel der Sektorenkopplung in den Bereichen Energie, Mobilität und digitale Services näher zu kommen. Auch wirtschaftliche und nicht zuletzt steuerliche Gründe sprachen für die Gründung der Isarwatt eG.
Gemeinsam mit Steuer-Experten beim Verband Bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW Bayern) wurde das Modell geprüft, um so die Steuerschädlichkeit bei Mieterstromprojekten auszuschließen. Alle Gründungsunternehmen, egal ob Bestandsgenossenschaften mit Geschichte und Tradition oder junge Genossenschaften mit ökologisch-innovativer Ausrichtung, verband ein starkes gemeinsames Ziel. Außerdem eint die Gründungsunternehmen ein ähnlicher Wertekanon, der auf genossenschaftlichen Wurzeln und Prinzipien beruht. Von daher war relativ schnell klar, dass das neue Unternehmen wieder in der Rechtsform der Genossenschaft gegründet werden sollte.
Seit der Gründung ist die Mitgliederzahl auf über 20 Mitgliedsunternehmen angewachsen. Fast alle haben genossenschaftlichen Hintergrund und sind auf Verbandsebene und anderen Münchner Netzwerken miteinander verbunden. Daraus entsteht eine ungeheure Kraft und viel Potenzial. Auch wenn partizipative Entscheidungsprozesse häufiger mal etwas länger dauern und mit hohem Kommunikationsaufwand einhergehen. Jedes Mitgliedsunternehmen hat genau eine Stimme, unabhängig von der Anzahl der Geschäftsanteile. Als Dienstleistungsgenossenschaft profitiert die Isarwatt von der Nähe zu den Bewohnerinnen und Bewohnern, die vor allem bei Neubauprojekten mit viel Leidenschaft und ehrenamtlichem Engagement die Projekte vorantreiben.
Mieterstrom im Bestand: Die Quartierslösung in Blumenau
Im Stadtteil Blumenau im Münchner Westen errichtete die „Baugenossenschaft München von 1871 eG“ Mitte der 1960er Jahre eine Wohnanlage, die sich aus einem achtstöckigen Hochhaus sowie darum gruppierten dreistöckigen Häusern zusammensetzt.
Das Quartier wird seit Dezember 2020 nachverdichtet und saniert: Während zwei Gebäude aufgestockt werden, wird das Ensemble durch ein Gebäude erweitert. Zusätzlich wird ein weiteres Gebäude abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Im Zuge der Baumaßnahmen wird auch die Heizanlage für das gesamte Quartier erneuert und sowohl neue wie alte Gebäude in ein gemeinsames Nahwärmenetz eingebunden.
Zwei in das Nahwärmenetz eingebundenen 50 kWel Blockheizkraftwerke (BHKW) werden mit rund einem Viertel Biomethan betrieben, welches mit einer Biogasanlage aus Abfallstoffen aus der Biotonne gewonnen wird. Hiermit wurde es der Baugenossenschaft ermöglicht, einen Teil der Wärmeversorgung zu dekarbonisieren und gleichzeitig den Effizienzhaus-50-Standard zu erreichen.
Neben der quartiersübergreifenden Wärmeversorgung wurde zudem ein sogenanntes Arealnetz für die Versorgung der Mieterinnen und Mieter mit erneuerbarem Strom aufgebaut. Das geschlossene Verteilnetz bindet sämtliche Gebäude auf dem Areal über einen gemeinsamen Netzanknüpfungspunkt an und ermöglicht eine Versorgung aller 230 Wohneinheiten mit dem von den Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerken produzierten Strom. Auch Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Carsharing und geteilte Lastenräder werden von der Isarwatt eG in dem Projekt verwirklicht: Sektorenkopplung, wie sie sich auch die Landeshauptstadt München wünscht.
Die Größe sowie die Rahmenbedingungen des Projekts (Sanierung, Aufstockung, Abriss und Neubau, Nahwärme und Arealnetz) machen das Projekt in Deutschland einzigartig. Mit etwa 230 ins Arealnetz eingebundenen Wohneinheiten, zwei BHKW sowie 300 kWp solarer Leistung kratzt das Projekt bereits am absoluten Maximum dessen, was laut Energiewirtschaftsgesetz im Rahmen eines Mieterstromprojekts überhaupt verwirklicht werden darf. Große Unterstützung hat das Projekt zudem durch die Stadtwerke München erfahren. Die Stadtwerke übernehmen für die Isarwatt den Messstellenbetrieb, wodurch die vorhandene Zählerinfrastruktur (im Gegensatz zu anderen Mieterstromprojekten) nicht ausgetauscht werden muss.
Die Umsetzung
Selbstverständlich war die Isarwatt eG bei einem Projekt dieser Größenordnung und Komplexität auch mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Die hohe Anzahl an Schnittstellen und der einhergehende Abstimmungsbedarf mit den unterschiedlichen Gewerken liegt bei Projekten dieser Dimension in der Natur der Sache und hat die beteiligten Projektsteuernden immer wieder vor kleinere und größere Herausforderungen gestellt. Auch die schlechte Verfügbarkeit der notwendigen Ressourcen hat die Isarwatt eG bei der Umsetzung immer wieder beschäftigt. Diverse Materialien, wie Wechselrichter, PV-Module oder die entsprechende Unterkonstruktion waren oft nicht verfügbar oder nur mit langen Lieferzeiten zu bekommen. Auch der Mangel von Fachpersonal, wie beispielsweise Elektriker oder Solarteure sorgte immer wieder für Schwierigkeiten.
Die Wirtschaftlichkeit von Mieterstromprojekten ist im erheblichen Maße von der Teilnahmequote der Bewohnerinnen und Bewohner abhängig. Da die potenziellen Kund:innen in Bestandsprojekten aber in aller Regel bereits einen laufenden Stromliefervertrag haben, ist hier zusätzliche und frühzeitige Informations- und Aufklärungsarbeit essentieller Bestandteil der Umsetzung eines Mieterstromprojekts. Die Isarwatt und die Baugenossenschaft haben sich dementsprechend dazu entschieden, mehrere gemeinsam organisierte Infoabende für die Bewohnerinnen und Bewohnern anzubieten. Im gemütlichen Rahmen bei Glühwein und Bier wurde den Mieter:innen die Möglichkeit gegeben, die Isarwatt kennenzulernen, Fragen zu stellen und aus erster Hand Antworten zu bekommen.
Mieterstrom im Neubau: Ganzheitlicher Ansatz in Freiham
Auf das Baufeld WA4 an der Ute-Strittmatter-Str. 28 im neuen Münchner Stadtteil Freiham hat die noch junge Genossenschaft Progeno (Gründung 2015) ein Wohngebäude mit 33 Wohneinheiten errichtet, welches im vergangenen Jahr fertiggestellt wurde. Das Projekt zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus. Zum einen die Umsetzung des höchsten Gebäudestandards Passivhaus-40-Plus, zum anderen die konsequente Einbindung und maximale Partizipation der Hausbewohner:innen.
Um dem Effizienzstandard EH 40 Plus zu erfüllen, hat die Isarwatt eG eine 93 kWp Photovoltaikanlage auf dem Dach sowie eine Batterie mit einer Speicherkapazität von 70 kWh im Keller des Hauses installiert. Da der Bebauungsplan der Landeshauptstadt München eine Kombination aus Dachbegrünung und Photovoltaik vorsieht, wurden semitransparente, lichtdurchlässige PV-Module auf einer speziell gefertigten, aufgeständerten Unterkonstruktion montiert. Die Aufständerung ermöglicht der Isarwatt einerseits, dass auf der verfügbaren Dachfläche die maximal mögliche solare Leistung installiert werden kann, und andererseits den im urbanen Umfeld üblichen Platzkonflikt zwischen Dachbegrünung, Dachterrasse und Photovoltaik zu entschärfen. Unter den Solarmodulen sollen u. a. Wasserstellen und Totholz zu einer besseren Biodiversität in der Umgebung beitragen.
Den Genossinnen und Genossen der Progeno war bei der Planung des Projekts ein ganzheitlicher Ansatz wichtig. Dem wurde auch mit nachhaltigen Mobilitätsansätzen wie Carsharing und Lastenradsharing Rechnung getragen. Die Wärmeversorgung im Quartier wird mittels Geothermie-Fernwärme durch die Stadtwerke München gedeckt.
Das von der Isarwatt verbaute Energiemanagementsystem ist wiederum in der Lage, die zehn im Keller verbauten Ladepunkte für Elektromobilität anzusteuern und, wenn gewünscht, zu 100 Prozent mit vor Ort produzierten Sonnenstrom zu laden.
Die Genossenschaft setzt grundsätzlich sehr stark auf Partizipation und Engagement der Bewohnerschaft vor Ort. Die Mieterinnen und Mieter sollen nicht nur ein Mitspracherecht bei Entscheidungen haben, die ihr Zuhause betreffen, sie sollen auch Zugang und Transparenz bezüglich ihrer Stromverbrauchsdaten erhalten. Die Isarwatt ermöglicht das durch moderne, mit dem Internet verbundene, intelligente Stromzähler.
Diese bieten mehrere Vorteile: Die Verbraucher:innen können ihren Stromverbrauch in Echtzeit über ein Internetportal einsehen, was beim derzeit so wichtigen Stromsparen helfen kann (z. B. durch die Identifizierung von Stromfressern). Außerdem ist die Isarwatt durch die Daten der Photovoltaikanlage in der Lage, einen variablen Stromtarif anzubieten. Während der lokal produzierte Sonnenstrom günstiger angeboten wird, sind Strommengen, die von der Isarwatt aus dem öffentlichen Stromnetz beschafft werden müssen, etwas teurer. Hierdurch können zusätzliche Anreize gesetzt werden, dass ein möglichst großer Anteil des produzierten Solarstroms auch im Haus verbraucht wird. Diese Verbrauchssteuerung hilft nicht nur der Isarwatt als Betreiberin dabei, einen höheren Autarkiegrad zu verwirklichen, es wirkt sich auch positiv auf die Netzstabilität aus.
Fazit: Wie Mieterstromprojekte erfolgreich umgesetzt werden können
Claudia Maier ist Betriebswirtin und blickt auf über 20 Jahre Berufserfahrung in unterschiedlichen Funktionen und Branchen. Sie arbeitet als Geschäftsleiterin und Prokuristin bei der Isarwatt eG.
Fast sechs Jahre nach der Gründung fällt das Isarwatt-Zwischenfazit insgesamt positiv aus. Es bleibt jedoch viel zu tun. Das Geschäftsfeld Energie mit den Mieterstromprojekten ist die tragende Säule der Dienstleistungsgenossenschaft. Die Geschäftsfelder Mobilität und Digitale Services sind noch im Wachstumsstadium und können noch mehr zahlungsbereite Kund:innen brauchen. Auch das Team und die Organisation müssen die Chance haben, mit der Komplexität und den Veränderungen (zuletzt viele politisch-regulatorische Änderungen) organisch mitwachsen zu können.
Aus Sicht der Isarwatt ist der kritischste Erfolgsfaktor die von Gründung an adäquate Ausstattung mit Eigenkapital, um in Forschung und Entwicklung und damit letztlich Innovation und Digitalisierung investieren zu können. Ein weiteres wichtiges Learning ist „weniger ist häufig mehr“ oder Konzentration auf das Wesentliche: Die Organisation hat sich zu Beginn häufig zu viele inhaltliche Themen im Leistungsportfolio bei zu kleinem Team zugemutet. Trotz Idealismus und Leidenschaft sind Leistungsgrenzen dann schnell erreicht.
Daniel Altmayer hat einen Master in „Business Management und Entrepreneurship Erneuerbare Energien“ an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Bereits während seines Studiums hat er als Werkstudent und Masterand erste Erfahrungen mit Mieterstromprojekten bei der Isarwatt eG gesammelt und ist seit 2022 als Projektmanager im Bereich Mieterstrom & Ladeinfrastruktur tätig.
Folgende Erfolgsfaktoren entsprechen der Isarwatt-Lernkurve der letzten Jahre, um erfolgreiche Mieterstromprojekte umzusetzen:
- Eine Haltungsänderung und das Umdenken in den Köpfen aller bei Mieterstrom involvierter Akteure, insbesondere bei den Netzbetreibern: Nur durch Kollaboration kann die Energiewende gemeinsam vorangebracht werden, d. h. Stadtwerke, Wohnungswirtschaft und Mieterstromanbieter sollten pragmatisch Hand in Hand arbeiten und sich nicht gegenseitig blockieren.
- Intensive, rechtzeitige und gute Kommunikation auf allen Ebenen (zum Hauseigentümer, aber auch gegenüber den Mieter:innen)
- Aufbau eines Netzwerks an verlässlichen und vertrauensvollen Partnern, die im Team partnerschaftlich zusammenarbeiten.
- Agiles Arbeiten. Konkret: Es muss hohe Komplexität flexibel, kreativ, lösungsorientiert und produktiv bearbeitet werden. Mit hoher Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten.
Die Erwartung an die Politik: Abbau bürokratischer Hürden, Vereinfachung bei der Umsetzung sowie faire, monetäre Anreize auch für Mieterstrom. Sonst gibt es weiter nur volleinspeisende PV-Anlagen und die Mieter:innen profitieren nicht vom vor Ort produzierten Sonnenstrom. Hier sind wir auf die Entscheidungen des 2. Photovoltaik-Gipfels im Mai dieses Jahres gespannt.
Last but not least: mehr Geschwindigkeit, Pragmatismus und schnellere Entscheidungsprozesse bei allen Beteiligten.