„Mögest du in interessanten Zeiten leben“, so lautet das viel zitierte chinesische Sprichwort, das traditionell als Fluch und nicht als liebenswerter Wunsch zu lesen ist. In diesen gegenwärtigen Zeiten herrscht an solcher Interessantheit kein Mangel: Klimakatastrophe, Inflation, politische Instabilität, Rechtsextremismus und vieles mehr. Oft ist die Rede von der „Polykrise“, und man muss ein sonniges Gemüt haben, um dieser Diagnose zu widersprechen. Da ist es verständlich und normal, dass man überfordert und ermüdet reagiert und sich vor allem eines wünscht: Ruhe.
Wenn dann auch noch (keine Sorge, wir kommen jetzt schon zum Thema Wohnbau) die grüne Wiese vor dem Fenster zur Baustelle wird, wenn bald Dutzende neue Nachbar:innen auf mehreren Stockwerken in Rufweite einziehen, wird diese Ruhe empfindlich gestört. Flugs gründet man eine Bürgerinitiative gegen den „Monsterbau“. Einerseits verständlich. Andererseits bringt das verdichtete Wohnen viele Vorteile, die unseren Alltagsstress reduzieren. Kürzere Wege, soziale Einrichtungen, Energiegemeinschaften, Grätzlinitiativen, Sharing-Konzepte vom Lastenrad bis zur Food-CoOp. Vieles wird günstiger, wenn man es teilt, und gerade in Krisenzeiten schätzen wir die Gewissheit, nicht allein zu sein.
„There is no such thing as society” – so lautete das infame Bonmot der britischen Premierministerin Margaret Thatcher vor über 40 Jahren. Die zerstörerischen Folgen dieser Denkweise sehen wir derzeit an vielen Orten. Um so wichtiger ist es, dass wir konstruktiv an Gegenmodellen zum destruktiven Egoismus arbeiten. An Ideen des Zusammenrückens, der guten Nachbarschaft, der Begegnungsräume, an Gesellschaftsmodellen im kleinen Maßstab. Wo sonst können diese Modelle besser und dauerhafter Realität werden und in unserem Lebensalltag wirksam werden als im Wohnbau? Dieses Heft stellt einige dieser Ideen und Modelle vor und hinterfragt die Rahmenbedingungen, unter denen sie entstehen können.
Ich wünsche ein hoch verdichtetes Lesevergnügen!
Maik Novotny