ÖWG Wohnbau hat in einem einjährigen Sondierungsprojekt ein zukunftsweisendes klimaneutrales Sanierungskonzept samt Vorstudie fertiggestellt. Dabei wurden Dekarbonisierungs- und Effizienzpotenziale unter die Lupe genommen – wie u. a. das Bewohner:innenverhalten und das soziale Gefüge.
ALEXANDRA VASAK
Der Wohnungsbestand ist für die Energiewende von zentraler Bedeutung. Ohne eine substanzielle Erhöhung der jährlichen Sanierungsraten im Gebäudebestand werden eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs und die Pariser Klimaschutzziele nicht erreicht werden können.
Ziel des Sondierungsprojekts „Reallabor Gebäude – Gebäude als Reallabor für klimaneutrales, bedarfsgerechtes und leistbares Wohnen“ im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie war die strategische Verankerung von Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung bei Sanierungs-, Bestandserweiterungs- und Nachverdichtungsprojekten von ÖWG Wohnbau und die Entwicklung eines umfassenden, klimaneutralen Sanierungskonzepts für ein konkretes Pilotobjekt in Graz, das in weiterer Folge umgesetzt werden soll und eine Multiplizierbarkeit auf den ÖWG-Objektbestand zulässt.
ÖWG Wohnbau besitzt und verwaltet insgesamt über 33.000 Wohnungen, wovon sich rund die Hälfte im eigenen Eigentum befindet. Innerhalb des Gebäudeportfolios sind derzeit ca. 20 bis 30 Prozent der Bestandsgebäude in unterschiedlichen Ausprägungen saniert, wobei seit rund vier Jahren nach Möglichkeit der Fokus auf umfassende thermische Sanierungsmaßnahmen gelegt wird. Dieser Schwerpunkt wird weiter ausgebaut. In den nächsten Jahren werden jährliche Sanierungsraten von drei bis vier Prozent angestrebt.
Für das gemeinsam mit den Projektpartner: innen AEE Intec und Stadt- Labor entwickelte Sanierungskonzept standen Klimaneutralität und Klimawandelanpassung im Fokus. Im Rahmen der Sondierung wurden folgende Themenbereiche in Bezug auf Dekarbonisierungs- und Effizienzpotenziale betrachtet: Gebäude, gebäudetechnische Systeme, Energieversorgung, Mobilität, Freiflächen, Grün- und Mikroklima, Sommertauglichkeit, Bewohner: innenverhalten, soziales Gefüge, Lebenszyklusplanung, Kreislaufwirtschaft, Leistbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Innovative Lösungen für die identifizierten Themenfelder der Sanierung wurden über Co-Creation-Prozesse unter Einbindung von Stakeholder: innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft generiert und gemeinsam bewertet.
„Die Bewohner:innen des Pilotobjekts in der Grazer Billrothgasse erhielten die Möglichkeit, ihr Lebensumfeld aktiv mitzugestalten, wurden zu Ideenbringer:innen und ihr Gebäude zum Reallabor. Durch diese Öffnungs- und Einbindungsprozesse wurden Innovationen und Mehrwerte geschaffen“, so Hans Schaffer, Vorstandsdirektor von ÖWG Wohnbau.
Behutsam nachverdichten
Behutsam nachverdichten Der aus den 1970er-Jahren stammende Gebäudekomplex besteht aus vier halbgeschoßig höhenversetzten Gebäudeteilen mit drei Wohngeschoßen und 15 Wohneinheiten. Die im Forschungsprojekt erarbeitete Studie des Architekturbüros Gangoly & Kristiner kombiniert eine behutsame Nachverdichtung mit einer umfassenden Sanierung der Bestandswohnungen und schafft neue qualitative Außenräume.
Durch die Aufstockung der Häuser um 1,5 Geschoße wird die Gesamtkubatur vereinfacht, bauphysikalisch verbessert und auf zwei zusammenhängende Dachflächen reduziert. Auf den extensiv begrünten Flachdächern werden Photovoltaik-Module angeordnet. Mit der Aufstockung werden je nach Variante vier bzw. sechs neue Wohneinheiten in Leichtbauweise (Holz-Riegelbau) mit Nutzflächen von 49 bis 127 Quadratmeter gewonnen. Die Errichtung zweier neuer Liftanlagen ermöglicht die barrierefreie Erschließung aller Wohnungen.
Die Bestandswohnungen bekommen im Zuge der Sanierung barrierefreie Sanitärräume. Die Balkone erhalten textilen Sonnenschutz, neuen Bodenbelag und Sichtschutz-Blendrahmen am Geländer, in dem Pflanzen Platz finden und so zur Gesamtbegrünung beitragen. Der Kellergeschoß- Grundriss wird so adaptiert, dass Nutzungen wie z. B. Gemeinschaftsraum oder Werkstatt untergebracht werden können.
Die gesamte Wohnanlage erhält eine einheitliche Fassade mit vorgehängtem, hinterlüftetem Fassadensystem mit Putz. Die Putzträgerplatte besteht aus recyceltem Altglas. Der Außenraum wird unter Erhalt des Baumbestands neu gestaltet. Eine Laube soll als sozialer Treffpunkt dienen, ein neuer überdachter Bereich für Müll und Fahrräder, Spaliere und Rankgerüste für Fassadenbegrünung sowie Hochbeete ergänzen das Freiraumkonzept.
Auf Basis dieses Sanierungskonzepts und der Vorstudie werden ÖWG-intern weitere vertiefende Bewertungs- und Planungsschritte gesetzt und die Umsetzung der Sanierung vorbereitet. Die in der Sondierung erarbeiteten Zielbilder, Kriterienkataloge, ergänzenden Planungstools sowie der Maßnahmenpool werden bei zukünftigen Sanierungsvorhaben in der Praxis erprobt. „Das Thema Bauen wird sich künftig gravierend ändern. In Zukunft werde man mehr revitalisieren und nachverdichten müssen. Mit diesem Konzept und der Vorstudie haben wir einen Erfolg versprechenden Schritt in diese Richtung gemacht“, so Christian Krainer, Vorstandsdirektor von ÖWG Wohnbau.