Gemeinnütziger Wohnbau in Berlin – Wie geht das?

Die Berliner Genossenschaft Selbstbau e.G. rettet alte Häuser und transformiert Leerstand. Eine Frage der guten Ideen, von viel Eigenleistung und dem starken Willen, Veränderungen mitzugestalten sowie den horrenden Mietpreisen eine Alternative gegenüberzustellen.
— ROBERT TEMEL

Die Selbstbau e.G. ist eine Genossenschaft mittlerer Größe in Berlin, sie entstand kurz nach dem Fall der Berliner Mauer. Ihr Ursprung liegt in einem Haus in der Rykestraße im Stadtteil Prenzlauer Berg, der damals von Verfall und kreativer Selbstorganisation durch Besetzungen bestimmt war und heute von der Gentrifizierung geprägt ist. 1988 startete hier in der Spätzeit der DDR ein Assanierungsprojekt, die Gründerzeithäuser sollten abgerissen und ersetzt werden. Die Bewohner:innen formierten sich zu einer Bürgerinitiative, entwickelten eine Gegenplanung durch Sanierung und konnten sich schließlich durchsetzen – die Freude war groß.

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Doch 1989 war es vorbei mit dem erfolgreichen Blockkonzept, nun gab es neue bzw. unbekannte Eigentümer:innen, an eine gesamtheitliche Entwicklung war nicht mehr zu denken. Deshalb gründeten die Bewohner:innen des Hauses die Selbstbau e.G., und mithilfe von viel Eigenleistung, großzügigen Förderungen und ein wenig Eigenkapital konnten sie es sanieren.

Mietergenossenschaft Selbstbau e.G 
- 32 Objekte, ca. 600 Wohnungen, ca. 50 Gewerbeeinheiten, ca. 700 Mitglieder
- Gründung am 14. Mai 1990
- Vorstand: 3 Personen; Aufsichtsrat: 32 Personen
- Die Genossenschaft besitzt Häuser in Berlin (Friedrichshain, Kreuzberg, Lichtenberg, Mitte, Neukölln, Pankow, Prenzlauer Berg, Reinickendorf, Spandau) sowie im Berliner Umland in Brandenburg.

Die Selbstbau e.G. ist fast ausschließlich in der Bestandserhaltung tätig. „Anlass für unsere Projekte ist meist, dass ein Haus gerettet werden muss“, beschreibt Pit Weber, seit 28 Jahren Genossenschafts-Vorstand. Gruppen von Bewohner:innen, die Verkauf und Mieterhöhung in ihrem Haus befürchten, wenden sich deshalb an die Genossenschaft. Diese erwirbt mit Unterstützung von außen dann das Haus, saniert es, und die Bewohner: innen können als Genossenschafter: innen dauerhaft zur Kostenmiete wohnen bleiben. Seit einigen Jahren gibt es einen weiteren Projekttypus, nämlich den Erwerb von ungenutzten Schulen und Werkstätten im Berliner Umland, die für Gruppen auf Wohnraumsuche umgebaut werden. Dafür sind jedoch hohe Eigenmittel nötig, das heißt diese Projekte sind nicht für alle zugänglich.

Jedes Projekt der Selbstbau e.G. wird getrennt finanziert. Erst seit Kurzem, nachdem die ersten Häuser aus den 1990er-Jahren refinanziert waren, besteht ein Fonds, der nachhaltige Sanierungen, altersgerechte Umbauten und Unterstützung für soziale Härtefälle finanziert. Die Entscheidung über neue Projekte trifft der dreiköpfige Vorstand auf Basis einer Empfehlung des Aufsichtsrats, in dem für jedes Haus eine Person sitzt.

Kreative Finanzierungen

Die Finanzierungen der Projekte können heute nicht mehr, wie 1990, aus großzügigen Förderungen des Landes Berlin abgedeckt werden, weil es diese nicht mehr gibt. Die wichtigsten Quellen sind nun ein Förderprogramm des Landes Berlin für Bestandserwerb durch Genossenschaften, die finanzielle Hilfe durch die gemeinnützigen Stiftungen trias und Edith Maryon und Bankdarlehen von gemeinwohlkompatiblen Banken wie der GLS und der Umweltbank.

Hier entstand die Selbstbau e.G.: Das Haus in der Rykestraße 14 am Prenzlauer Berg (links) wurde von den Bewohner:innen ab 1990 zu einem guten Teil selbst saniert, obwohl die Eigentümerschaft noch ungeklärt war.

Dazu kommen in geringerem Ausmaß Eigenmittel der Genossenschaft als Zwischenfinanzierung, kleinere Förderungen für energetische Sanierung und Eigenmittel der Bewohner: innen. Wohnbauförderungsprogramme für Sanierungen, wie wir sie in Österreich kennen, gibt es nicht. Die beiden Stiftungen haben sich zu großen Unterstützer:innen für diese Art von Projekten entwickelt. Dabei erwirbt gewöhnlich die Stiftung das Grundstück und vergibt ein langfristiges oder unbegrenztes Erbbaurecht an die Selbstbau e.G., die das Gebäude erwirbt, saniert und an ihre (neuen oder bestehenden) Mitglieder vermietet.

Bis vor Kurzem konnten derartige „Hausrettungsprojekte“ öfters durch ein bezirkliches Vorkaufsrecht unterstützt werden. „Seit 2021 das Bundesverwaltungsgericht dem einen Riegel vorschob und die Anwendungsmöglichkeiten für ein öffentliches Vorkaufsrecht erheblich eingeschränkt hat, konnte ein solches in Berlin erst zweimal angewendet werden“, so Weber.

Rettung des Tuntenhauses

2024 gelang das beim sogenannten Tuntenhaus in der Kastanienallee 86, einem besetzten Haus und Zentrum des queeren Berlin seit den 1990er-Jahren. Auch in diesem Fall drohte der Verkauf und war die Gentrifizierung absehbar. Weber erzählt, was dann geschah: „Die Tunten kämpften um ihr Haus, unter anderem demonstrierten sie jede Woche vor dem Abgeordnetenhaus und reisten sogar zu einer Demo in das bayrische Dorf Wörth, wo der potenzielle Käufer lebte. Die Polizei fürchtete dort zunächst negative Auswirkungen auf die Kinder im Dorf, doch am Schluss aß man gemeinsam Eis.“

Parallel sprachen sie mit der Selbstbau e.G., und der Bezirk konnte aufgrund des mit 2,5 Millionen Euro bemessenen Sanierungsrückstaus, dessen Finanzierung der Käufer hätte garantieren müssen, schließlich doch ein Vorkaufsrecht ausüben. Die Selbstbau e.G. kaufte die Wohnungen, finanziert durch eine anonyme Spenderin. Die Stiftung Edith Maryon kaufte die Gewerbeflächen, und in 30 Jahren geht das Haus dann vollständig an die Genossenschaft und das Grundstück an die Stiftung, die ein Erbbaurecht an die Genossenschaft vergibt.

Der Demonstrationszug der mit einem Reisebus angereisten Tunten aus Berlin mit bayrischen Unterstützer:innen im Wörth an der Isar, dem Wohnort des Käufers. Ziel war es, dass dieser das Vorkaufsrecht des Bezirks Pankow akzeptiert.

Offensichtlich braucht es eine reiche Stiftung aus der Schweiz, um derartige Projekte in Berlin zu finanzieren. Immerhin besitzt die Stadt eine kleine, feine Genossenschaftsszene, die sich zur Gima Berlin-Brandenburg zusammengeschlossen hat – die Gima ist eine gemeinwohlorientierte Immobilienagentur für ihre Mitglieder. Das Biotop aus kleinen, innovativen Genossenschaften, Stiftungen und den vielen Berliner:innen, die durch ihre Kreativität und Innovationskraft für leistbares und nachhaltiges Wohnen kämpfen, ist beispielhaft – durchaus auch für Österreich, wo ähnliche Ansätze gegen die Gentrifizierung in den Städten auch hilfreich wären.

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