Das Grätzl wird super

Der Landschaftsarchitekt Florian Lorenz forscht seit vielen Jahren zu Themen wie Mobilität, Energie und Innovation – er will mit seiner Arbeit einen Beitrag zur Transformation hin zu einer postfossilen Gesellschaft und Stadt leisten. Aktuell erkundet er das Projekt Supergrätzl Favoriten.
ROBERT TEMEL

Etwa ein Drittel der Energie, die ein durchschnittlicher Haushalt in Österreich verbraucht, wird für Mobilität aufgewendet. Hier gibt es demnach enormes Potenzial für Einsparungen, wenn man es schafft, den Menschen die nachhaltige Mobilität zu erleichtern – und das geht in der Stadt einfacher als am Land, wo die Besiedlungsformen so geringe Dichte haben, dass sie nicht gut durch öffentlichen Verkehr zu erschließen sind.

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Barcelona startete vor wenigen Jahren mit dem neuen Konzept des sogenannten Superblocks, um städtische „Inseln“ im Stadtgefüge zu schaffen, in denen der motorisierte Verkehr radikal reduziert wird, sodass der öffentliche Raum besser nutzbar wird. Lorenz’ „studio Laut“ forscht seit einigen Jahren gemeinsam mit Architekt Georg Wieser zum Thema und wurde von der Stadt Wien zusammen mit dem Verkehrsplanungsbüro Rosinak beauftragt, die Entwicklungsplanung eines solchen Konzepts für ein Areal im gründerzeitlichen Teil des Bezirks Favoriten zu erstellen.

„Das Thema ist enorm komplex: Es geht darum, wie man im Rahmen der rechtlichen, budgetären, aber auch kulturellen Gegebenheiten in Wien das Modell aus Barcelona realistisch umsetzen kann“, so Florian Lorenz. Der Begriff Supergrätzl für die Wiener Ausführung des katalanischen Vorbilds lag nahe. Die Umsetzung soll durch einen Mix von bereits existierenden verkehrsplanerischen Elementen gelingen: Fahrbahnanhebungen, „Ohrwascheln“, Diagonalfilter und Fußgängerzonen sind in Wien bekannt und üblich. Durch die Kombination dieser Elemente soll das Wiener Supergrätzl Realität werden. „

Wir wollen in einem kleinen Stadtgebiet den motorisierten Durchzugsverkehr so weitgehend wie möglich beruhigen. An den Rändern des Supergrätzls liegen Stationen des öffentlichen Verkehrs und es kann wie üblich mit dem Auto gefahren werden. Hineinfahren kann man, um etwas zu liefern, Stellplätze zu nutzen, in die Garage zu fahren, jemanden mit eingeschränkter Mobilität zu bringen/abzuholen oder einen Notfalleinsatz durchzuführen. Die Durchquerung des Gebiets ist für Pkw unmöglich, für Fußgänger und Radfahrer dafür angenehmer.“ Die Größe des Stadtteils bemisst sich aus der maximalen Gehweite bis zur Bus-, Straßenbahn- oder U-Bahn-Station: 250 Meter bzw. drei Minuten zu Fuß.

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Beteiligung für neue Nutzungen

Das Wiener Modell des Supergrätzls geht dabei von der Beteiligung der lokalen Bevölkerung aus: Bewohner, die Schule vor Ort, Gewerbetreibende. „Wir wollen alternative Nutzungen des freiwerdenden Straßenraums als Möglichkeiten anbieten, und damit das räumliche Konzept für die tatsächliche Umsetzung erproben und ausverhandeln. Deshalb gibt es eine Pilotphase, in der wir die neue Verkehrsorganisation für das Supergrätzl nur mit Straßenmarkierungen und Verkehrszeichen ausführen.

In dieser Zeit machen wir den Raum frei und probieren mit den Menschen vor Ort aus, was möglich ist.“ Auf Basis dieser Erkenntnisse wird dann die endgültige Ausführung mit dauerhaften baulichen Maßnahmen umgesetzt.

„Wir arbeiten zuerst mit Pollern, Betonleitwänden und Markierungen – das funktioniert nach dem Prinzip des tactical urbanism: Man setzt mit geringen Eingriffen schnell um und probiert aus. Was sich bewährt, kann dann bleiben.“ Dabei sollen auch Stellplätze an der Oberfläche reduziert werden. Für diese Beteiligungsphase und die Ableitung von Schlüssen ist das studio Laut verantwortlich.

Anders als Barcelona

Während im Barcelona des 19. Jahrhunderts durch den gleichförmigen Straßenraster des Stadtplaners Ildefons Cerdà eine flächendeckende Umsetzung von Superblocks zumindest möglich erscheint, ist die urbane Struktur Wiens viel heterogener. Bereits jetzt gibt es eine Hierarchie von stärker und schwächer befahrenen Straßen, was sich aber durch Navigationssysteme zunehmend ändert: Der Verkehr wird immer häufiger auch durch Wohngebiete geleitet.

Eine Stadt aus lauter Supergrätzln wird in Wien somit schwierig umsetzbar sein, doch Lorenz meint, das sei gar nicht nötig: „Schon wenn man in jedem Bezirk ein oder zwei solche Gebiete einrichtet, wird der Effekt spürbar sein, weil man so quer durch den Bezirk laufende Einbahnen für den Durchzugsverkehr ausschaltet.“ Auch die großen Kreuzungsplätze, die in Barcelona durch abgeschrägte Blockecken entstehen, gibt es in Wien nicht: „Im Supergrätzl werden dafür eher kleine Fußgängerzonen Platz finden. In den Kreuzungen sollen durch Ohrwascheln und Baumpflanzungen nutzbare Mikrofreiräume entstehen, und so eine Verlangsamung des Kfz-Verkehrs erreicht werden.“

Trial and Error

„Ziele des Supergrätzl-Konzepts in Wien sind Aufenthaltsqualität, Verkehrssicherheit, Verbesserungen für den Fuß- und Radverkehr sowie Klimawandelanpassung, das heißt Begrünung und Kühlung“, so Lorenz. Bereits in der Pilotphase wird es deshalb Sitzgelegenheiten und unaufwendige Begrünung geben. Mithilfe verschiedener Beteiligungsformate soll die Ausrichtung für die finale Ausführung ausverhandelt werden…

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