Anleitung zur Miteinanderstadt

Stadt ist das, was wir daraus machen. Viele Impulse und Initiativen, die vom deutschen Verein stadtstattstrand analysiert und dokumentiert werden, haben eine Gemeinsamkeit – und die nennt sich „Performativer Urbanismus“.
WOJCIECH CZAJA

Welche Stadt weist den höchsten Gebäudeleerstand in ganz Deutschland auf? Und wo in dieser Stadt wiederum befindet sich jenes Viertel, in dem die meisten Häuser leer und ungenutzt herumstehen? Das waren die beiden ersten und wohl auch wichtigsten Fragen, die sich der deutsche Stadt- und Raumplaner Hendryk von Busse vor knapp zehn Jahren stellte. Als er kurzerhand beschloss, seinen Mittelpunkt ebendorthin nach Halle an der Saale zu verlagern, war das Stadtviertel Freiimfelde mit 48 Prozent Leerstandsquote bundesweiter Abwanderungs-Rekordhalter.

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Inspiriert von der Leere nahm von Busse mit hunderten Grundstückseigentümern Kontakt auf und vereinbarte mit ihnen, die Fassaden ihrer Häuser zur größten Open-Air-Galerie Europas auszubauen. Mithilfe von zahlreichen internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die sich in der Zwischenzeit in Freiimfelde niedergelassen haben, verwandelte sich das Grätzel innerhalb weniger Jahre zu einer riesigen Collage von städtischen Graffiti-Leinwänden und einem reichhaltigen Veranstaltungskalender. In der Zwischenzeit ist die Leerstandsquote auf bescheidene 15 Prozent gesunken.

„Für mich ist die Freiraumgalerie in Halle an der Saale eines der schönsten und erfolgreichsten Projekte im Umgang mit ungenutzten Ressourcen“, sagt die deutsche Subkultur-Expertin Laura Bruns. „Es zeigt auf, wie sich ein Problem mit viel Mut, Kraft und Zeit in Luft auflösen kann, und welch enorme Energie darin steckt, urbane Akteure und Bottom- up-Protagonisten in die Stadtplanung miteinzubeziehen.“

Bruns, früher in der Werbebranche aktiv, hatte eines Tages die Nase voll davon, Menschen an der Nase herumzuziehen, und beschloss, an der Züricher Hochschule der Künste (ZHDK) Arts in Design zu studieren und Strategien für die Inanspruchnahme von urbanen Räumen zu entwickeln.

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Ihre Masterarbeit unter dem Titel „stadtstattstrand“ – ein Zungenbrecher, kein Zufall – ebnete ihr den Weg in ihre künftige berufliche Karriere.

Mit dem Vorsatz der kulturellen und subkulturellen Ermächtigung urbaner Freiräume erforscht sie Projekte und Initiativen in ganz Deutschland, hat sich durch den rechtlichen Paragrafendschungel an Dos and Don’ts durchgewühlt und berät neuerdings sogar Unternehmen und Kommunen in der Ausarbeitung von Programmen und Zurverfügungstellung von (temporärem) Land. „Performativer Urbanismus“ nennt sich das im Fachjargon.

Im Gegensatz zu vielen anderen Initiativen und Forschungsplattformen jedoch umfasst Laura Bruns Arbeit eine Art rechtliches Einmaleins für den kreativen Umgang mit urbanem Raum. Sie spricht mit Protagonisten und Behörden, recherchiert juristische Grundlagen und Hürden und gibt – um möglichst viele Nachahmer mit ins Boot zu holen – sogar Tipps zu den Themen Strategie, Finanzierung und Organisationsform.

Performativer Urbanismus

„Es gibt in Deutschland mittlerweile einige Dutzend wunderbare Best-Practice-Beispiele, die eine gute, oftmals langjährige Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und privater Bottom-up-Initiative verkörpern“, so Bruns. „Manchmal werden die Projekte von den Behörden stillschweigend geduldet, manchmal aber gibt es sogar einen regen, intensiven Dialog. Das unterscheidet sich von Stadt zu Stadt.“

Zu Bruns’ persönlichen Lieblingsinitiativen zählt das sogenannte Platz- Projekt in Hannover. Dabei wurde eine Industriebrache im Westen der Stadt zunächst von Skatern in Besitz genommen und danach mit Unterstützung des städtischen Jugendbildungskoordinators Stück für Stück professionalisiert…

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