Das Wohnhochhaus ist populär wie nie, auch in Österreichs zunehmend verdichteten Städten. Doch das Wohnen in der Vertikalen ist kein Allheilmittel – Standort als auch das soziale Gefüge muss sorgfältig analysiert werden.
MAIK NOVOTNY
Jedes Jahr ein neuer Höhenrekord: Wie das Council on Tall Buildings and Urban Habitat vermeldet, wurden im Jahr 2019 weltweit 26 Türme mit mehr als 300 Metern erbaut, sogenannte Supertall Towers – acht mehr als im Vorjahr. Natürlich sind diese nicht gleichmäßig über den Globus verteilt, die meisten Supertalls finden sich in China und den Emiraten.
Doch unterhalb der Top-Liga wachsen die Türme fast überall auf der Welt in die Höhe. Neuester Trend: Hochhäuser an oder über Bahntrassen, vor allem in Städten mit hohen Grundstückspreisen. Logisch, denn der Hochhausboom resultiert vor allem aus den teils astronomischen Bodenpreisen in den Metropolen und dem Run auf das „Betongold“ nach der Finanzkrise 2008.
Dieses Betongold manifestiert sich mit Vorliebe in Vorsorge- und Anlagewohnungen, für die das Hochhaus die ideale Stapelungsform darstellt. So kam es zum Trend innerhalb des Trends. Mehr Hochhäuser, und unter diesen immer mehr Wohnhochhäuser. Nicht wenige Bürotürme wurden während der Planungsphase in Wohntürme umgewandelt. Eine rasante Entwicklung, die noch vor 15 Jahren niemand geahnt hätte.
Denn das Wohnen im Hochhaus war lange Zeit völlig tabu. Zu tief saß anscheinend das Trauma der Großsiedlungen der Nachkriegszeit, denen die Fehler der modernen Stadtplanung angelastet wurden. Nachdem es in den 70er Jahren eine Rückbesinnung auf die gewachsene Stadt gab, war die Ära des Wohnhochhauses vorbei, wie es schien, für immer.
Aufgrund der stagnierenden oder rückläufigen Bevölkerung in den Großstädten in den 80er Jahren schien ohnehin keine Notwendigkeit für eine Verdichtung zu bestehen. Soziologen und Stadtforscher behaupteten gar, das Wohnen ab einer gewissen Höhe sei per se nicht für den Menschen gemacht. Manche Wohnhochhäuser, die zu sozialen Brennpunkten wurden, schienen das zu bestätigen.
Dabei wurde vergessen, dass das Wohnen in der Höhe oft recht gut funktionierte. Ein Beispiel: Im Juli 1978 ließ die Wiener Gesiba eine wohnungssoziologische Untersuchung des damals teilweise fertiggestellten Wohnparks Alt-Erlaa durchführen, um die Wohnzufriedenheit der Bewohner zu untersuchen.
99 Prozent der Befragten waren überdurchschnittlich zufrieden, 87 Prozent von ihnen schätzten die gute Nachbarschaft. Nicht nur das: Auch vom Wohnen in der Höhe waren sie keineswegs beunruhigt. Nur neun Prozent wünschten sich mehr Bodennähe, 26 Prozent von ihnen wären sogar in ein höheres Stockwerk gezogen, darunter auch Familien mit Kindern. Das Wohnen im Hochhaus scheint also durchaus zu funktionieren, wenn man es nur richtig macht.
Tendenz steigend
Doch am schlechten gesellschaftlichen Ruf von Alt-Erlaa im Speziellen und von Wohnhochhäusern im Allgemeinen konnte das nichts ändern. Als die Giwog 2003 ihre beiden Wohnhochhäuser auf dem Hardter Plateau in Linz sprengen ließ, schien dies das lange hinausgezögerte Ende der (ohnehin nicht sehr wild wuchernden) österreichischen Hochhaus-Ära zu symbolisieren…