Sozialer Mehrwert für drei Euro pro Quadratmeter

Es braucht Frei- und Gemeinschaftsräume, sagen alle. Ja eh! Vor allem aber braucht es auch eine professionelle Begleitung und Moderation, falls es mal Brösel gibt – so wie in Wiener Neustadt –, oder damit es erst gar nicht so weit kommt, so wie in Ternitz. Obendrein sind die sozialen Overhead-Kosten sogar leistbar.
WOJCIECH CZAJA

Eine lange Picknick-Bank, eine Outdoor- Bibliothek zum Lümmeln, Sitzkojen mit Holzpergola obendrüber, und jede Menge kleinerer und größerer mobiler Sitzelemente, die man je nach Bedarf verschieben oder mit ein bisschen Muskelkraft von A nach B tragen kann. Im Sommer letzten Jahres wurden die Interventionen im Rahmen einer Summer School der TU Wien in die Realität umgesetzt, danach wurde ausgiebig gefeiert, hoffentlich hat sich am Ende niemand einen Schiefer eingezogen.

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„Natürlich hat das Spaß gemacht, und auch das ist ein durchaus wichtiger Faktor in der Architektur“, sagt Katharina Bayer, Partnerin bei einszueins architektur, die das Projekt gemeinsam mit dem Wiener Architektur- und Designkollektiv mostlikely durchgeführt hat, „vor allem aber ging es darum, der sogenannten Dreiersiedlung in Ternitz einen neuen sozialen Impuls zu geben und die Mieter miteinander zu vernetzen.“ In den kommenden Jahren soll die in die Jahre gekommene, ehemalige Arbeitersiedlung des gemeinnützigen Bauträgers Schwarzatal saniert, umgebaut und revitalisiert werden, „Und bis dahin“, so die Architektin, „ist es wichtig, die Nachbarschaft zu aktivieren und in Erfahrung zu bringen, welche Wünsche und Vorstellungen die hier wohnenden Menschen haben.“

Die Dreiersiedlung mit rund 400 Wohnungen steht zu rund 40 Prozent leer, das meiste davon ist strategischer Leerstand, damit die Umbaumaßnahmen leichter in Angriff genommen werden können. Auf der Agenda stehen thermische Sanierung, Umstieg auf erneuerbare Energien, Neuorganisation der Grundrisse, barrierefreie Erschließung, Errichtung eines Kindergartens, Ausweitung des funktionalen Spektrums innerhalb des Quartiers – und ganz allgemein die Anhebung der lokalen Wohn- und Lebensqualität.

Soziale Katalysatoren

„Zu Beginn der dreiwöchigen Möbelbauaktion waren die Bewohner noch zurückhaltend“, erinnert sich Bayer, „aber schon nach wenigen Tagen kam es mit den rund 20 Studierenden der TU Wien, die hier Hand angelegt haben, zu ersten Gesprächen vor Ort.“ Manche hätten sogar mitgeholfen und mitgearbeitet, was auch ganz im Sinne des modularen Entwurfs ist: Das Grundkonzept von mostlikely sieht nämlich vor, mit simplen Fichtenbrettern in unterschiedlichen Breiten zu arbeiten, mit Schrauben, Seilen und etwas Farbe, das war’s. Je einfacher die Bauweise, so scheint es, desto größer das Kommunikationspotenzial.

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In den kommenden Jahren sollen die temporären Freiraummöbel, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Transform Ternitz“ als soziale Katalysatoren in die Dreiersiedlung implantiert wurden, die Kommunikation anregen und den Projektbeteiligten – zu denen auch die Caritas, der Klima- und Energiefonds, der Bauphysik-Konsulent Schöberl & Pöll und die Wiener Landschaftsarchitektin Carla Lo zählen – die nötigen Informationen für den weiteren Projektfortschritt liefern. Die erste Bauphase des Schwarzatal-Bauvorhabens soll bis Ende 2025 abgeschlossen sein.

Auch Tanzen ist Kommunikation – wie hier in einem Wohnbau von Neues Leben. Foto: Realitylab

Hohe Fluktuation

Erfahrung mit allerhand staubigen Feldversuchen hat auch der gemeinnützige Bauträger Alpenland. In einer Wohnsiedlung in Wiener Neustadt – 121 Wohnungen in sechs Bauabschnitten, nur wenige Schritte von der Südbahnstrecke entfernt – kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Problemen in der Nachbarschaft sowie mit den umliegenden Anrainern. Im Fokus der Beschwerden standen Vandalismus, schlechter Zustand der Allgemeinflächen sowie die Wiese in der Mitte der Siedlung, die sehr zum akustischen Leidwesen der angrenzenden Bewohner bis spät in die Nacht zum Fußballspielen verwendet wurde – und dabei andere potenzielle Nutzer ausschloss.

„Mit mehr als 50 Prozent haben wir hier einen ungewöhnlich hohen Migrationsanteil, die Menschen kommen aus unterschiedlichen Kulturen und Hintergründen, entsprechend hoch ist auch die Fluktuationsrate, und irgendwann einmal hat das Miteinander nicht mehr funktioniert“, sagt Isabella Stickler, Obfrau der Alpenland. „Wir mussten dringend handeln.“ Im Juni 2023 gab es in der Wohnhausanlage ein Kick-off mit dem Hausverwalter, einem für die Planung zuständigen Gärtner und dem sozialfokussierten Verein Wohnen, der in Gesprächen und Round Table mit den Mietern bis Jahresende Wünsche, Träume und Anregungen erarbeiten und diese im kommenden Frühjahr in bauliche Taten umsetzen soll.

„Unser Ziel ist, den informellen Fußballplatz aufgrund der großen sozialen Spannungen aufzulösen und stattdessen einen attraktiven Freiraum für alle zu schaffen. Wohin die Reise führen wird, ist aus heutiger Sicht noch offen. Wichtig ist nur, dass sich die Mieter einbringen können und dass wir am Ende etwas realisieren, womit sie sich identifizieren können.“ Der wichtigste Erfolgsfaktor sei dabei, so Stickler, dass die Moderation aus der Hausverwaltung ausgelagert und von einem externen, unabhängigen Profi durchgeführt wird. „Nur so schafft man Glaubwürdigkeit und Vertrauen.“ Rund 30.000 Euro wird der siebenmonatige Prozess kosten, weitere 30.000 Euro sollen für die baulichen und grünräumlichen Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden, im Bedarfsfall auch mehr.

Kleinere Räume

Etwas kleiner in der Fläche, aber nicht weniger komplex ist die Konzeptionierung und Bespielung von Gemeinschaftsräumen. Siegfried Igler, Obmann Neues Leben, beobachtet einen Trend zu immer kleineren und immer differenzierten Gemeinschaftsräumen. „Natürlich braucht es in einer Wohnhausanlage auch einen größeren Raum, wo die Leute Geburtstag feiern können“, sagt er, „Aber immer wichtiger sind kleinere Räume mit Special-Interest- Angeboten wie etwa Werkstätte, Kino, Yoga, Tanzen, Tischtennis oder eine kleine, zweigeschoßige Kletterhalle mit 20 Quadratmeter Grundfläche. Am neuen Lebenscampus in der Wolfganggasse haben wir sogar einen kleinen Raum mit einem Boxsack zum Trainieren und Aggressionsabbau eingerichtet. Zehn bis zwölf Quadratmeter reichen vollkommen aus. Das Angebot wird gut angenommen.“

Petra Hendrich, Partnerin im Realitylab, regt an, das Angebot in jedem Fall in Abstimmung mit den Bewohnern zu erarbeiten. „Je früher so ein Prozess startet, im Idealfall schon vor der Besiedelung, desto besser. Meine Erfahrung zeigt, dass es auf Bewohnerseite zumindest eine konkrete Ansprechperson braucht – besser sogar einen eigenen Bewohnerbeirat, der sich engagiert und der die Verantwortung für den Raum, für den Prozess und für die Kommunikation mit der Hausverwaltung und dem externen Profiteam übernimmt.“

Prozessbegleitungen wie diese starten nach Auskunft von Realitylab bei rund 30.000 Euro pauschal beziehungsweise – aliquot runtergerechnet – bei rund 300 Euro pro Wohnung. Der Bauträger Neues Leben rechnet mit Erfahrungswerten zwischen 200 und 250 Euro pro Wohnung. „Das sind drei bis vier Euro pro Quadratmeter“, meint Igler. „Wenn man bedenkt, wo die Grundstücks- und Baukosten liegen, halte ich es für überflüssig, darüber überhaupt noch zu diskutieren. Soziale Begleitarbeit ist eine sehr kleine Investition mit sehr riesigem Mehrwert.“

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