Oben nicht ohne

Was auf so einem Dach Chancen hat, ohne überbordendem Pflegeaufwand gedeihen zu können, ist ein Thema. Es stellt sich aber auch die philosophische Frage, wie natürlich der Charakter einer Landschaft auf künstlichem Untergrund sein soll.
FRANZISKA LEEB

Mit dem Klimawandel und seinen Begleiterscheinungen setzen Städte vermehrt auf Dachbegrünung zur Verbesserung des Mikroklimas und zur Vermeidung urbaner Hitzeinseln. Schon vor zehn Jahren wurde in Wien eine flächendeckende Analyse des Potenzials für Begrünung auf bestehenden Dächern erhoben. Als erste deutsche Großstadt hat Hamburg ab 2013 eine Gründachstrategie entwickelt, in Paris verpflichteten sich im Rahmen des Projekts „Parisculteurs“ etliche Unternehmen und Institutionen, in den Jahren 2016 bis 2020 hundert Hektar an urbanen Grünflächen zu schaffen – ein Drittel davon für die Lebensmittelproduktion.

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Der Stadt Graz ist eine besondere Lösung mit einem Beispiel für die Dachnutzung von einer unterirdischen Infrastruktur gelungen. Den Grazer Südgürtel kennt der Autofahrer nur als zwei Kilometer lange, großteils unterflurig geführte vierspurige Verbindungsstraße. Überirdisch ist er ein Grüngürtel mit dem zwei Hektar großen, von Freiland Umweltconsulting gestalteten Trassenpark als Herzstück. Dank der großzügig dimensionierten Überschüttungshöhe von zwei Metern hielten sich die freiraumplanerischen Beschränkungen in Grenzen, berichtet Landschaftsplanerin Melanie Kedl-Stadler.

Bloß direkt über der Unterflurtrasse waren Baumpflanzungen nur mit speziellen Wurzelschutzmaßnahmen möglich und gestalterische Geländemodellierungen wurden außerhalb des Tunnels verortet. Automatische Bewässerungen gibt es keine, da es sich um gewünscht extensive und dementsprechend pflegearme Grünräume handelt. Nur an ausgewählten Punkten wurden intensiver gestaltete Akzente gesetzt, wobei auf die Integration technischer Aufbauten in das Landschaftsbild geachtet wurde. Auch im Hinblick auf die Nutzung wurde auf eine gewisse Robustheit geachtet, die sich auch in einer sparsamen Möblierung und einem ausgewogenen Verhältnis zwischen nutzungsoffenen Bereichen und verschiedenen Spiel- und Aufenthaltsangeboten ausdrückt.

Unkonventionell ist auch die Lage der Ganztagesvolksschule in der Breitenfurter Straße in Wien. Als Teil des Buwog- Großprojekts Rivus auf den ehemaligen Unilever-Gründen platzierten Lorenz Ateliers und BEHF die Schule inklusive genutzter Dachfläche über einem Nahversorgermarkt. Der bauplatzübergreifende Freiraum wurde vom Büro Land in Sicht geplant und erstreckt sich in luftige Höhe, wo sich die Freiräume und Sportplätze der Schule auf zwei Ebenen auf dem Dach erstrecken.

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Kunst und Ernte

Doch auch im Kleinen können ehemals banale Dachflächen gut genutzt werden. Ein Jahr nach Schließung des Sophienspitals in Wien-Neubau entwickelten Auböck & Kárász im Rahmen der Vienna Designweek 2018 den temporären Dachgarten „Topping“ als poetischen Kommentar. Der einstige Therapiegarten auf dem 1999 fertiggestellte Spitalstrakt von Architekt Martin Kohlbauer war bereits von Spontanvegetation erobert. Diese überlagerten die Landschaftsarchitekten mit einem artifiziellen Pflanzenraster, der sich schützend über die Stadtnatur legte. Im Vorjahr wurde das Spitalsareal zum coolsten Ort in Wien-Neubau.

Ehe hier eine neue Wohnbebauung entsteht, hatte der wohn_fonds Wien das Areal zur Zwischennutzung freigegeben. Das an Hitzetagen gar nicht kühle und zudem sehr windexponierte Dach nahmen Initiativen wie die Wiener Dachfarm und das Netzwerk Dachbesetzung in Beschlag. Obwohl erst ab Ende April bewirtschaftet, bot sich im Hochsommer ein üppiger Garten dar, der Gemüse für die Neubauer Foodcoop und die Gastronomie auf dem Parkareal ebenso lieferte wie Schnittblumen und Färberpflanzen. Voraussichtlich auch noch diesen Sommer wird dank Workshops und Events das Dach zu einer Freiluftakademie für Laiengärtner, die hier erfahren, dass selbst mit einfachsten Mitteln und viel Zuwendung in extremen Lagen grüne Oasen entstehen können…

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