Nachhaltig seriös

Baumschlager Hutter Partners kennen dank ihrer Standorte in Österreich, Deutschland und der Schweiz die regionalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Detail – auch im Wohnbau.
MAIK NOVOTNY

„Achtung, Glastür!“ Gerhard Müller und Veronica Fiedler sind es gewohnt, ihre Besucher zu warnen. Die Glastüren im Wiener Büro von Baumschlager Hutter Partners stammen noch von den Vormietern BKK-2, gewagte Konstruktionen im 1990er-Jahre-Hightech-Stil. Baumschlager Hutter Partners gehen die Dinge ruhiger und systematischer an. Hier wird für jedes Projekt ein Projektbuch mit den Kapiteln A bis F angelegt, vom Städtebau über Haustechnik bis zum Ausbau. So behält man auch bei sechs Standorten in drei Ländern (Wien, Dornbirn, München, Zürich, St. Gallen und Heerbrugg) die Übersicht. Carlo Baumschlager, der das Büro mit Jesco Hutter leitet, schaltet sich per Zoom dazu.

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Sie haben Bürostandorte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gibt es auch thematische Schwerpunkte an diesen verschiedenen Orten?

Das hängt eher vom jeweiligen Markt des Standorts ab. Grundsätzlich ist es für Architekten schwierig, die kulturellen Rahmenbedingungen eines Standorts gut genug zu verstehen, um dort auch bauen zu können. Inzwischen glauben alle, sie könnten überall bauen. Da bin ich ein bisschen skeptisch.

Carlo Baumschlager

Lassen sich die Unterschiede der kulturellen Rahmenbedingungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz benennen?

In der Schweiz hat der Architekt eine völlig andere Rolle. Er konnte immer schon als Generalplaner agieren und hat dadurch eine stärkere Position in der Wahrnehmung der Gesellschaft. Die deutschen Systeme sind sehr belastet von Verfahren, Prüfungen und Genehmigungsvorgängen. Aber Deutschland ist ein wesentlich größerer Markt und deshalb bleibt er trotzdem interessant. Und die guten Projekte sind immer die, bei denen der Bauherr auf uns zukommt.

Carlo Baumschlager
Carlo Baumschlager führt mit Jesco Hutter das Architekturbüro Baumschlager Hutter Partners in Österreich, Deutschland und der Schweiz.

Was sind die Qualitäten, die die Bauherren bei Baumschlager Hutter Partners suchen?

Zum einen die Erfahrung, die wir im Wohnbau oder im Schulbau haben, zum anderen die Art von Bekanntheit, die man als Architekt erreichen kann, wenn man gute Architektur macht. Der Pragmatismus, der uns Vorarlbergern fast als kulturelle Eigenschaft zugewiesen wird, führt auch zu einer anderen Art von Kommunikation zwischen Bauherrn und Architekten. Und das schätzt man.

Carlo Baumschlager
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Wohnbauten (Auswahl): 
DC Living, Wien, 2015 
Wohnanlage Poststraße, Widnau, CH, 2015 
Stadthäuser Schillerstraße, Dornbirn, 2017 
Am Südpark, München, DE, 2017 
Mehrfamilienhaus M44, Dornbirn, 2018 
Wohnquartier Am Neckarbogen, Heilbronn, DE, 2018
Riva Hoferfeld, Lochau, 2019 
Stadthafenquartier Süd, Berlin, DE, 2019 
Wohnbebauung Sonnenrain, Schwäbisch Hall, DE, 2021

Das Thema Qualität wird auch im Wohnbau intensiv diskutiert angesichts von Sparzwang und Überregulierung. Was sind Ihre Maßstäbe an Mindest- Qualitäten im Wohnbau?

Architektur ist zuerst einmal die Auseinandersetzung mit Raum. Da bin ich der gleichen Meinung. Aber was bestimmt den Raum? Das ist nicht nur das Schlafzimmer, die Größe des WC und die Organisation der Küche. Wir versuchen immer, dem Bauherrn klarzumachen, dass wir die ökonomischen Grundsätze verstehen, die Finanzierung, die Grundstückskosten, die Förderungsbedingungen. Wenn man das besprochen hat, dann gibt es größeren Handlungsspielraum in der architektonischen Sprache. Dass im Wohnbau derzeit alles zu teuer ist, hängt nicht mit der Architektur oder Gestaltung zusammen.

Carlo Baumschlager

Was ist es dann? Zu viel Quadratmeter, hohe Grundstückspreise, zu viel Haustechnik?

Erstens sind die Grundstückspreise enorm gestiegen, zweitens sind die Finanzierungskosten extrem hoch. Die Eigenmittel sind höher, heute zahlt man wieder Zinsen, während man das Geld jahrelang für quasi nichts von der Bank bekommen hat. Das bedeutet für den Wohnbau sehr viel, denn viele Bauherren haben wenig Eigenmittel. Es kommt noch dazu, dass viele Banken niedrig angesetzte Fixzinsverträge mit Bauträgern gemacht haben, und jetzt ist Inflation. Ein dritter Punkt sind die langwierigen Genehmigungsverfahren, der vierte Punkt sind die Baukosten. Wenn man das alles zusammenzählt, dann wird es praktisch unmöglich, Wohnbau zu betreiben, wenn man will, dass ein vernünftiger Miet- oder Kaufpreis herauskommt. Da haben wir totalen Stillstand.

Carlo Baumschlager

Spielt der Standort Wien eine besondere Rolle, was den Wohnbau betrifft? Ist es das Ziel, in das hermetische System des geförderten Wiener Wohnbaus hineinzukommen, wo der Wohnbau noch halbwegs funktioniert?

Ich bin mir nicht so sicher, ob nicht eher die gewünschte Außenwahrnehmung dazu führt, dass man glaubt, dass das System funktioniert. Das sieht man woanders auch. Im Moment sieht es für uns Architekten so aus, als gäbe es viele Projekte. Aber die gehen alle nur bis zur Einreichung, und dann kommen sie in die Schublade. Neu gebaut wird sehr wenig. Insofern bin ich sehr skeptisch, ob Wien wirklich anders ist.

Carlo Baumschlager
Wohnanlage Poststraße im schweizerischen Widnau (Bauherr: Halos Invest GmbH)
Foto: Albrecht Schnabel

Ihre Expertise in Nachhaltigkeit haben Sie 2021 im Buch „Coming Full Circle“ gebündelt. Wie hat sich Ihre Definition des oft missbrauchten Begriffs Nachhaltigkeit entwickelt?

Es geht immer um das Gesamtpaket. Die Projekte in unserem Buch sind nicht perfekt, aber das Ziel ist ganz großgeschrieben und an dem orientieren wir uns. Es gibt das Optimum für ein Gebäude, das wir kennen und berechnen können, aber man kann diese 100 Prozent nicht bauen. Es kann im Städtebau, im Sinne der sozialen Akzeptanz ein großes Plus geben, während es im Sinne der Kompaktheit des Gebäudes einen Abschlag gibt. Das geht weiter in der Organisation des Gebäudes selbst, die Erschließung, die Akzeptanz des Wohnens. Dann muss ich das Haus bauen, dazu brauche ich Materialien, die nachhaltig sind: Was kann ich wiederverwenden, was ist rückbaubar. Dann kommt natürlich noch der Aspekt Energie dazu. Das muss man schon im städtebaulichen Maßstab berücksichtigen.

Carlo Baumschlager
Stadthäuser Schillerstraße in Dornbirn (Bauherr: Prisma GmbH)
Foto: Albrecht Schnabel

Das heißt, wir sollten weg von der Betrachtung des Einzelobjekts hin zu einer Betrachtung des Umfelds?

Ja, ich glaube schon. Man muss sich fragen: Was ist gerechtes Teilen? Das geht von der Energiebereitstellung über das Teilen des öffentlichen Raums bis zum Teilen von Quadratmetern. Man wird sich auch wieder mit Typologien beschäftigen, die von dem abrücken, was wir jetzt als Standard tagtäglich produzieren. Man muss sich fragen, wie man den Fußabdruck, den wir in Mitteleuropa produzieren, reduziert. Ich glaube nicht, dass wir wieder in den Zustand zurückkönnen, in dem wir vor drei, vier Jahren waren. Ich bin froh, dass ich mich an dieser Herausforderung noch beteiligen kann.

Carlo Baumschlager

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