„Ich brauche die Schönheit um mich herum“

Josef Klemen war einst Obmann des gemeinnützigen Bauträgers Neues Leben. Sein heutiges Leben fokussiert sich auf den Genuss der Kunst und der proportional klein gewordenen, aber gemütlichen Zukunft.
WOJCIECH CZAJA

Die Südstadt galt einst als eines der innovativsten Stadterweiterungsgebiete Österreichs. Hier hat die Gemeinde Maria Enzersdorf in Zusammenarbeit mit dem Bauträger Austria AG in den Sechziger- und Siebzigerjahren mehr als 2.000 Wohnungen errichtet. Im Gewerbedickicht zwischen Mödling, Vösendorf und Brunn am Gebirge finden sich Flachbauten, Bungalows, Reihenhäuser, Stelzenhäuser und dreistöckige Mehrfamilienwohnblöcke. Dazwischen immer wieder Dschungel aus Grün.

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Josef Klemen wohnt bereits seit 1966 in der Südstadt. Der 85-Jährige, ein spannender Gesprächspartner, der in der Gemütlichkeit des Lebens angekommen ist, wie er selbst meint, war einst Obmann der Arge Eigenheim, Obmann des gemeinnützigen Bauträgers Neues Leben sowie Aufsichtsratsvorsitzender im GBV-Verband. Doch die vielleicht wichtigste Funktion seiner beruflichen Laufbahn, so Klemen, waren die 18 Jahre im Unterausschuss des Bauausschusses: „Ich war Expertenberater für die Abgeordneten. Damals haben wir jene Gesetze mitgestaltet, die bis heute die Grundlage des sozialen Wohnbaus bilden. Darauf bin ich sehr stolz.“

Die 87 Quadratmeter große Eigentumswohnung ist ein Sammelsurium aus Kunst und in die Jahre gekommenen Lackmöbeln. Ein zentraler Esstisch und lange Kommoden an den Wänden prägen das Wohnzimmer. Der steinerne Zimmerbrunnen sorgt für ein angenehmes Plätschern. „Mir waren die Bilder und Gemälde immer schon wichtiger als die Einrichtung“, sagt Klemen. „Manche davon sind Originale, aber bei Pablo Picasso, Marc Chagall und Brueghel dem Jüngeren handelt es sich, wie man sich unschwer vorstellen kann, um Kopien, die eine Freundin von mir nachgemalt hat. Ich brauche die Schönheit um mich herum, denn wir leben in einem zauberhaft schönen Land in ziemlich guten Verhältnissen, aber die Nachrichten und Zeitungen schaffen es immer wieder, die Minderheit des Negativen in den Vordergrund zu rücken. Die Kunst hilft mir dabei, den Schwerpunkt wieder zurechtzurücken.“

Visuelle Tagebucheinträge

Zudem seien die Motive, so Klemen, als visuelle Tagesbucheinträge zu verstehen. Viele davon bilden private und berufliche Reisen ab, stammen aus der Provence, aus der Türkei, aus dem tiefsten Sibirien. „Jedes Kunstwerk hat seine Geschichte, und indem ich es betrachte, lese ich diese, oft Jahrzehnte lang zurückliegende Anekdote. Aber das ist vorbei. Mein Lebensradius ist kleiner geworden, konzentriert sich heute auf die Familie und auf mein Stammcafé in der Südstadt, wo ich meine Freunde treffe. Man könnte sagen, dass die Perspektive nach vorne proportional deutlich kleiner geworden ist als der Blick zurück. Und ich merke, dass das, wofür man sich nie Zeit genommen hat, heute immer mehr davon in Anspruch nimmt.“ In seinem Lächeln ist viel Lebensweisheit zu lesen…

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