Kunst und Pool für alle

Leistbar muss das Wohnen sein, aber auch eine gute Lebensqualität bieten. Laut dem Obmann der Wien-Süd, Andreas Weikhart, ist das kein Widerspruch. Die neue Wohnanlage in der Atzgersdorfer Straße muss man weder für den Kunstgenuss noch für den Badespaß verlassen.
FRANZISKA LEEB

Mensch, Reh, Katze, Vogel, Schaf, Kuh, Baum, … die Titel klingen wie jene der typischen Gemeindebaukunst aus der Nachkriegszeit. Um naturalistische Skulpturen handelt es sich allerdings bei den Darstellungen, die der Cartoonist und Zeichner Rudi Klein für die Wohnhausanlage Atzgersdofer Straße 259–261 geschaffen hat, ganz und gar nicht.

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Das Einzige, was die auf schlichten, nüchternen Betonstelen gemalten bunten Figuren mit den Tierskulpturen von damals gemeinsam haben: „Ich wollte etwas finden, das hilft, nach Hause zu finden“, erklärt der Künstler anlässlich der Eröffnung im September. „Was ich nicht wollte, ist Witze zeichnen, die nutzen sich in der Sekunde ab.“ Diese Gefahr besteht bei den an Einzeller erinnernde Figuren nicht. „Senzo Titulo“ lautet der Titel der Gesamtinstallation; ohne Titel wäre weder das „Reh“ als Reh noch der „Baum“ als Baum identifizierbar. So harmlos die abstrakt gehaltenen Bilder aussehen – so sehr sind Irritationen, Interpretationen und Diskussionen programmiert, ja gewollt.

Rudi Klein ist es damit vortrefflich gelungen, Emotionen zu wecken und die Fantasie anzuregen. Wahrscheinlich lässt es sich eine ganze Wohnkarriere lang darüber sinnieren, ob das Schaf wie ein Engerling und der Vogel wie eine Amöbe aussieht oder doch Tiefgründigeres verborgen ist. Lassen sich die Betrachtenden doch nicht zu längerfristiger Auseinandersetzung hinreißen, so taugen die Motive vortrefflich als Orientierungszeichen.

Kunst ist Programm

Zeitgenössische Kunst und modernen Wohnbau zusammenzubringen, ist bei der Gemeinnützigen Bau- und Wohnungsgenossenschaft Wien-Süd seit 2010 Programm. „Uns geht es darum, mit der Kunst zur Erhöhung der Lebensqualität beizutragen. Sie stärkt die Identifikation mit der jeweiligen Anlage und wird als bereichernd wahrgenommen“, erklärt Gerald Anetzhuber, der gemeinsam mit dem ehemaligen Ö1 Programmchef Alfred Treiber das Kunstprogramm des Unternehmens federführend betreut.

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Leslie de Melo, Ondrej Kohut, Nina Maron, GOLIF und viele andere haben Kunstprojekte für die Wien-Süd umgesetzt. Mittels Broschüren werden die Künstlerpersönlichkeiten und die Konzepte ihrer Arbeiten den Mieterinnen und Mietern bekannt gemacht. Und ganz bestimmt machen sich der eine oder die andere Bewohnerin und Bewohner miteinander bekannt, wenn sie über die Kunst ins Gespräch kommen. In der kürzlich bezogenen Anlage Atzgersdorfer Straße 259–261 wurden noch etliche weitere Orte der Begegnung geschaffen, um miteinander ins Reden zu kommen und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.

Da ist zum einen der Freiraum, der sich innerhalb des von atelier 4 architects entwickelten Gesamtkonzepts aufspannt. Er ist topografisch abwechslungsreich gestaltet und gut an die Gemeinschaftsräume im Erdgeschoß des von Sne Veselinović geplanten Punkthauses in der Mitte angebunden.

Das Haus in der Mitte plante Sne Veselinović, die umgebenden Wohnhäuser stammen aus der Feder von atelier 4 architects. Foto: Wien-Süd/Leskovar

Soziale Orte

Doch nicht nur zu ebener Erde, sondern auch ganz oben trifft sich die Hausgemeinschaft: entweder zur Erfrischung im Swimmingpool, beim Garteln im urbanen Dachgarten, in der Sauna oder beim Krafttraining im hauseigenen Fitnessraum. Leistbares Wohnen und Annehmlichkeiten wie ein Swimmingpool sind für Wien-Süd-Obmann Andreas Weikhart kein Widerspruch.

Bei Wohnanlagen mit mehr als 150 Wohnungen sei ein Pool wirtschaftlich vertretbar, es zähle aber insbesondere auch der soziale Aspekt: „Die Idee von gemeinnützigem Wohnbau, wie wir ihn verstehen, ist seit jeher, dass wir Annehmlichkeiten, die üblicherweise nur dem Bürgertum zur Verfügung standen, allen zugänglich machen.“ Auch der egalisierende Effekt gefalle ihm: „Im Badeanzug ist die Universitätsprofessorin dem Hausmeister gleichgestellt.“

Bezirksvorsteher Gerald Bischof, Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál, Künstler Rudi Klein und Wien-Süd-Chef Andreas Weikhart bei der Präsentation der künstlerischen Intervention. Foto: wien Süd/G. Anetzhuber

Nicht nur wegen der günstigen Finanzierungsbeiträge und dem vielfältigen Zusatzangebot ist das jüngste Projekt des Unternehmens etwas Besonderes. Das in ein riesiges Stadtentwicklungsgebiet eingebettete Baufeld war zuvor ein Betriebsgelände, der Boden zur Gänze versiegelt. Mit der Wohnanlage konnte trotz der hohen Bebauungsdichte viel Fläche entsiegelt werden.

Es wird nicht einfacher

Was Andreas Weikhart, abgesehen von den steigenden Baupreisen, unter denen die gesamte Branche stöhnt, Sorgen macht, ist, dass immer wieder größere Projekte stehen, weil sie von Bürger- initiativen verhindert werden. „Ich habe gar nichts gegen Naturschutz und Umweltverträglichkeitsprüfungen“ betont der Wien-Süd-Chef, aber meist sei „not in my backyard“ das Motiv der Verhinderer, denen oft nicht bewusst sei, was die gemeinnützige Wohnungswirtschaft leistet. Jedenfalls müsse man sich damit auseinandersetzen, dass die Bezugsmieten in Zukunft nicht mehr unter zehn Euro liegen werden.

Wohnhausanlage Atzgersdorfer Straße 259–261
- Architektur: atelier 4 architects, Sne Veselinović
- 240 geförderte Mietwohnungen (davon 80 SMARTWohnungen) mit zwei bis vier Zimmern (ca. 50 bis 95 m² Wohnfläche) sowie 56 frei finanzierte Eigentumswohnungen mit zwei bis vier Zimmern (ca. 55 bis 110 m² Wohnfläche). 
- Swimmingpool, Sauna, Fitnessraum, Verweil- und Begegnungsräume auf den Freiflächen 
- Tiefgarage mit 209 Stellplätzen 
- Fertigstellung: Sommer 2023

Es sei denn, die Bauträger investieren in hohem Ausmaß Eigenmittel – die derzeit allerdings durch den Mietpreisdeckel stark beschnitten würden. Es sei nicht erstrebenswert, dass die Wohnungen kleiner werden, aber es wird notwendig sein, damit sich die Menschen die Wohnungen leisten können. Das ist eine Entwicklung, die in diametralem Gegensatz zu den Lehren aus der Corona-Pandemie steht, wo man gesehen hat, dass man Platz für das Arbeiten und Lernen zu Hause benötigt und wie wichtig Rückzugsorte für den familiären Frieden sind. Die vielen guten Ideen, wie flexibel zusammenlegbare oder teilbare Wohnungen, seien zwar technisch lösbar, dem Juristen Weikhart bereiten sie aber schlaflose Nächte. „Ich denke an Nutzwertgutachten, Fördergutachten, Aufteilungslisten, Darlehen, Betriebskostenabrechnungen und so weiter.“

Was bei der Nachverdichtung von Bestandsanlagen noch bremst, sei, dass etliche der Wien-Süd-Anlagen, wo die Flächenwidmung Aufstockungen zuließe, auf Baurechtsgründen stehen, wo die Verträge in zehn bis 15 Jahren ablaufen. Es sei kaum möglich, bei den Banken eine Finanzierung für eine Aufstockung zu bekommen, weil sich innerhalb dieser Zeit die Refinanzierung nicht ausgeht. „Dinge, die technisch einfach klingen, gestalten sich dann aus anderen Gründen oft weniger einfach.“ Auch das ein Thema, das Weikhart vorhat, zu lösen.

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