Fernwärme – Augen auf bei Veränderung der Wärme-Preisgleitformel

Nach den extrem hohen Preisen für Erdgas und Heizöl im Jahr 2022 ist das Preisniveau in 2023 wieder etwas gesunken. Insbesondere Erdgas kostete im 3. Quartal 2023 zum Teil nur ein Viertel dessen, womit es im Jahr 2022 zu Buche schlug. Nutzer dezentraler, mit Erdgas betriebener Wärmeerzeugungsanlagen können davon unmittelbar profitieren.

Nicht ganz so eindeutig ist die Ausgangslage für Nutzer von Fernwärme. Hintergrund sind Preisgleitformeln in den Verträgen, die abhängig von ihrer Ausgestaltung für ein verspätetes Wirksamwerden günstigerer Fernwärmepreise sorgen können.

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Verzögernde Auswirkungen nicht nur bei steigenden Energiekosten

Fernwärmeverträge haben oft lange Laufzeiten und beinhalten Preisgleitklauseln, um auf unvorhersehbare Änderungen bei Energiepreisen, Lohn- und Materialkosten zu reagieren. Diese Klauseln ermöglichen eine Anpassung der Preise nach oben oder unten gemäß einer mathematischen Formel, abhängig von den Marktbedingungen.

Verzögerungen durch Preisgleitformeln bewirken im Fall von steigenden Energiepreisen eine für die Abnehmer positive Dämpfung des Preisanstiegs. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wurden sie von einigen Versorgern im Zuge der rasant steigenden Preise für Heizöl und Erdgas im vergangenen Jahr angepasst. Bei den jetzt fallenden Preisen haben Bewohner von Immobilien, die mit Fernwärme auf Basis von Erdgas beheizt werden, jedoch zum Teil das Nachsehen – denn die sinkenden Erdgaspreise dringen nur verzögert zu ihnen durch.

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Preisgleitformeln und ihre Folgen im Blick haben

Verantwortliche von Immobilien mit Fernwärmeversorgung sollten diese Entwicklung in zweierlei Hinsicht im Blick haben: Erstens sollten sie Änderungen von Preisgleitformeln nicht ohne weitere Prüfung zustimmen, um nicht zusätzliche Verzögerungen für ihre Mieter oder Bewohner zu verursachen. Wenn Versorger die  Preisanpassungsklausel im laufenden Vertrag einseitig ändern, sollten sie die Gründe dafür hinterfragen, um bestmöglich sicherstellen zu können, dass keine Benachteiligung der Bewohner erfolgt.

Zweitens sollten sie sich angesichts der durch die mediale Berichterstattung vermittelten gesunkenen Erdgaspreise darauf einstellen, dass auch die Bewohner ihrer Immobilien mit sinkenden Preisen rechnen. Die nun anstehenden Heizkostenabrechnungen für das Jahr 2023 können in dem Fall zu verstärkten Rückfragen von Mietern oder Bewohnern führen.

Robert Woggon

Auch der Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich in zwei Urteilen vom 27.09.2023 mit dem Thema Preisgleitformeln für Fernwärme beschäftigt (Aktenzeichen VIII ZR 249/221 und VIII ZR 263/222). Eine Zusammenfassung der Urteile durch Rechtsanwalt Martin Alter von der auf Immobilienrecht spezialisierten Kanzlei Strunz Alter aus Chemnitz lesen Sie hier.

Die Preise für Erdgas sind in den vergangenen Monaten gegenüber 2022 deutlich gesunken. Wärmekunden profitieren nicht automatisch davon. Immobilienverantwortliche sollten das im Blick haben, rät Rechtsanwalt Martin Alter von der Kanzlei Strunz & Alter, Chemnitz Quelle: Deumess

Rechtsanwalt Martin Alter erklärt die BGH-Urteile zur neuen Preisänderungsklausel

Der Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich in zwei Urteilen vom 27.09.2023 mit den Aktenzeichen VIII ZR 249/221 und VIII ZR 263/222 mit der Frage des Gestaltungsspielraums eines Fernwärmeversorgungsunternehmens bei der Ausgestaltung einer im laufenden Vertragsverhältnis einseitig angepassten Preisänderungsklausel befasst.

Sachverhalt

In beiden dem BGH vorgelegten Fällen ging es um die Wirksamkeit der ab Mai 2019 geänderten Preisanpassungsklausel in bestehenden Fernwärmelieferungsverträgen eines Berliner Fernwärmeversorgungsunternehmens. Aus vorangegangenen Urteilen des BGH und von Instanzgerichten ergab sich, dass die bisher von dem Fernwärmeunternehmen verwendeten Preisanpassungsklauseln unwirksam waren, da in Ihnen die Entwicklungen am Wärmemarkt nicht berücksichtigt wurden.

Die neue Anpassungsformel bindet den Arbeitspreis zu 50 % an den Energiebezugspreis des Fernwärmeunternehmens und zu 50 % an den Wärmepreisindex des Statistischen Bundesamts. Als neuer Ausgangsarbeitspreis wurde der Arbeitspreis von 2015 und als Basiswerte der Preisführungsgrößen die Jahresdurchschnitte von 2018 zu Grunde gelegt.

Entscheidung

Die Urteile stellten fest, dass die von dem Fernwärmeversorgungsunternehmen gewählte Ausgestaltung der neuen Preisänderungsklausel sich innerhalb des ihm eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt. Dabei wurde insbesondere auch die Verwendung unterschiedlicher Referenzjahre für den Ausgangspreis einerseits und für das Markt- und Kostenelement andererseits thematisiert.

Der BGH hat zunächst seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass der Fernwärmeversorger die Preisanpassungsklausel einseitig ändern kann, wenn die bisherige Klausel unwirksam ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Preisanpassungsklauseln z. B. durch Änderung der eingesetzten Brennstoffe auch erst im laufenden Vertrag unwirksam werden können, da dann eventuell die Entwicklung der eigenen Kosten nicht mehr korrekt abgebildet wird.

In den entschiedenen Fällen war die Preisanpassungsklausel unwirksam. Das führt nach der Drei-Jahres-Lösung des BGH dazu, dass dann der Arbeitspreis drei Jahre rückwirkend von der Beanstandung durch den Kunden als vereinbarter Arbeitspreis behandelt wird. Dieser gilt so lange, bis eine neue wirksame Preisänderungsklausel vereinbart oder einseitig eingeführt wird.

Die neue Preisänderungsklausel hat die Vorgaben des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV, nach dem solche Klauseln die tatsächliche Kostenentwicklung beim eingesetzten Brennstoff (Kostenelement) und die Entwicklung am Wärmemarkt (Marktelement) berücksichtigen muss, erfüllt. Der BGH gesteht dem Fernwärmeunternehmen bei der Ausgestaltung der Klausel nach den vorliegenden Entscheidungen einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Gewichtung der Elemente und der Auswahl der Preisführungsgrößen (Indizes nach dem Statistischen Bundesamt, Börsenpreise etc.) zu.

In den beiden Fällen hat der BGH auch das Auseinanderfallen der Referenzzeiträume für die Basiswerte der Indizes (2018) und dem neuen Ausgangsarbeitspreis (2015) bestätigt. Der Ausgangarbeitspreis war ja der nach der Drei-Jahres-Lösung ermittelte zunächst feste Arbeitspreispreis. Die Referenzzeiträume der Indizes waren die zum Zeitpunkt der einseitigen Einführung der neuen Klausel anzuwendenden zeitnächsten Basiswerte, was vom BGH als gebotene Gestaltung angesehen wird.

Praxistipp

Sollten Fernwärmeversorger, Wärmelieferanten oder Contractoren im laufenden Vertrag die Preisanpassungsklausel einseitig ändern, sollten die Gründe dafür hinterfragt werden und sichergestellt werden, dass der Kunde dadurch nicht benachteiligt wird. Ein Recht zur einseitigen Änderung der Ausgangspreise steht dem Fernwärmeunternehmen dabei nicht zu.

Auch sollte gerade in Anbetracht der Preisentwicklungen der letzten Jahre geprüft werden, ob die aktuelle Preisanpassungsregelung den Vorgaben aus Gesetz und Rechtsprechung entsprechen oder eventuell doch unwirksam sind.

Bevor man an den Versorger herantritt sollte berücksichtigt werden, wie sich eventuell die Preisbremsen für 2023 auswirken und welchen Anpassungsbedarf die Verträge an anderen Stellen noch aufweisen. Zu denken ist hier u. a. an Laufzeitvereinbarungen, Anschlusswerte oder die Umstellung auf erneuerbare Energien.

Martin Alter

Rechtsanwalt, Quelle: Newsletter der Kanzlei Strunz & Alter, Chemnitz,

Über den DEUMESS e.V.

Der DEUMESS e.V. ist Interessenvertretung und Netzwerk für über 200 zumeist eigentümergeführte mittelständische und regionale Unternehmen der Energie- und Immobilienbranche. Gemeinsam gestalten sie durch das Erheben und Nutzbarmachen von Verbrauchsdaten für Wärme, Strom und Wasser die Energiewende in mehr als 3,5 Millionen Wohnungen aktiv mit. Sie installieren dazu Sensorik-Infrastruktur und ermöglichen dadurch Verbrauchstransparenz, die Steuerung von Gebäudetechnik und Energieströmen und die beschleunigte Digitalisierung der Immobilien in ihrer Region. DEUMESS ist der mitgliederstärkste Verein für die digitale Erfassung und Verarbeitung energetischer Daten in Deutschland. Rund jede sechste Wohnung in Deutschland erhält Energiedienstleistungen eines Mitgliedes von DEUMESS. Gemeinsam leisten die Mitglieder einen wichtigen Beitrag, Deutschland bis 2045 weitestgehend klimaneutral zu machen.

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