Ein Kuhhandel um die Klimawende

Fragen zu einer ökologischen Ökonomie in der Bauwirtschaft wie auch den Auswirkungen der Klimaschutzmaßnahmen auf die Wirtschaft, sind Themen, mit denen sich Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien beschäftigt.
PETER REISCHER

Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Wirtschaft für Sie persönlich?

Es bedeutet für mich, dass man die Bedürfnisse der Menschen befriedigt, aber mit einer regenerativen Wirtschaftsform. Eine Wirtschaftsform, die ganz klar lange fortsetzbar ist, mit nachwachsenden Rohstoffen zum Beispiel.

Sigrid Stagl

Was ist der biophysische Kontext, den sie als Notwendigkeit für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft sehen?

Der biophysische Kontext ist die naturwissenschaftliche Bezeichnung für alles, was Natur ist. Das beinhaltet die Atmosphäre, Ökosysteme, Land etc.

Sigrid Stagl

„Architektur ist ein sehr wichtiges Feld, um Nachhaltigkeit zu erzeugen.“

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Wie oder womit lässt sich das auf die Bauwirtschaft übertragen?

Einerseits was die Materialien betrifft, andererseits auch in den Nutzungsformen. Welche Quantitäten wie und wo verwendet werden. Ein Faktor ist auch die Effizienz, so kommt man auch zu einer qualitativen Dimension der Materialien und zu einer Kreislaufwirtschaft. Alle diese Dimensionen müssen nachgeschärft werden, um nachhaltiges Bauen zu ermöglichen.

Sigrid Stagl

Bauen ist doch eigentlich ein Musterbeispiel für Greenwashing. Zertifizierungen, die auf die Zukunft, d. h. auf die Zeit NACH der Fertigstellung angestrebt werden …

Natürlich ist es ein Problem, wenn immer nur gemessen wird, was möglich ist und nicht im tatsächlichen Betrieb. Die aktuell wirksamen Regeln der Wirtschaft haben oft nicht die dringendsten gesellschaftlichen Ziele im Fokus.

Sigrid Stagl

Sondern nur Profitmaximierung?

Genau!

Sigrid Stagl

Ist eine Diskussion über eine Arbeitszeitverkürzung um ein Prozent zur Reduktion der Emissionen um 0,7 und 0,8 Prozent nicht eine Nebelgranate? Ablenkung statt Benennung eines Problems?

Wer sich mit der Entwicklung eines ökonomischen Modells befasst, will nicht nur Symptome bekämpfen. Nur sind die Erkenntnisse nicht so leicht umzusetzen. Dennoch kann wissenschaftliche Evidenz auch direkt anwendbare Erkenntnisse bringen.

Simple Maßnahmen – wie Tempo 100 einzuführen – sind sinnvoll. Routinen und Gewohnheiten sind zwar träge, aber wissenschaftliche Evidenz zeigt auch auf, dass die große Mehrheit z. B. im Kontext von Klimaschutz sehr wohl Veränderungen unterstützt.

Sigrid Stagl

Tempo 100 als Gesetz wäre eine solche Möglichkeit?

Genau! 100 auf der Autobahn, 80 auf der Freilandstraße und 30 im Ortsgebiet. Das haben kürzlich eine Gruppe österreichischer Mobilitätsforscher gefordert.

Sigrid Stagl

Sie stellten in einem Interview fest: „Wir sind derzeit auf einem Pfad, der eher in Richtung drei statt zwei Grad Erwärmung geht.“ Wahrscheinlich sind aber eher fünf Grad. Wer kann sich nun vorstellen, was Erwärmung in zehn oder 30 Jahren bedeutet?

Generell wären das dann sehr unangenehme Lebensbedingungen, teilweise mehr Todesfälle, Migrationsdruck und hohe Kosten für Umstellung von Infrastruktur und Produktionsweise.

Vermutlich reicht es aber nicht, nur Informationen anzubieten, sondern Virtual Reality kann Studierenden oder Entscheidungsträgern die Möglichkeit bieten, (virtuell) in einem Areal mit drei Grad höherer Temperatur und im Vergleich in einer autofreien Stadt mit „nur“ 1,5 Grad Temperaturanstieg und kühlenden Bäumen spazieren zu gehen. Das ist sehr wichtig für die Lehre und Informationsvermittlung an Entscheidungsträger.

Sigrid Stagl

Was bedeuten diese Prognosen für die Bauwirtschaft? Wie muss sie sich auf eine ökologische Ökonomie umstellen? Was konkret bedeutet das für den Wohnbau?

Eine ökologische Ökonomie beeinflusst einerseits Strukturen und andererseits müssen wir von dem Prinzip „Maßnahmen oder, oder, oder“, wegkommen, sondern „Maßnahmen und und und“. Also in vielen Bereichen an mehreren Schrauben gleichzeitig drehen. Architektur ist ein sehr wichtiges Feld, um Nachhaltigkeit zu erzeugen. Die Frage ist immer auch, mit welchem lebensweltlichen Kontext Architektur entstehen soll.

Die Schaffung von Wohnraum muss nicht immer auf die maximale Ausnützung der Möglichkeit gerichtet sein. Mehr Flexibilität (im Grundriss) wäre wichtiger. Alleinstehende Einfamilienhäuser können wir uns nicht mehr leisten. Aber statt Menschen zum Verzicht zu überreden, brauchen wir physische und soziale Infrastrukturen, die das soziale Wohlbefinden aller steigern, aber nicht durch mehr individuellen Konsum. Dadurch ergeben sich viel effizientere Lösungen.

Sigrid Stagl

„Der Kampf gegen den Klimawandel scheitert am Egoismus und der Unbelehrbarkeit der Menschen.“

Politiker und Wissenschafter wissen, dass der Kampf gegen den Klimawandel bereits verloren ist. Sie betreiben nur Schadensbegrenzung und Volksberuhigung. Was glauben Sie?

Die, die daran täglich arbeiten und die Studien lesen, wissen, dass es wahnsinnig schwierig sein wird, die Wende noch zu schaffen. Es wird auf jeden Fall eine veränderte Welt sein, das ist klar, die Frage ist nur: wie stark verändert.

Viele von uns wollen einfach nicht aufgeben, weil wir jungen Menschen, unseren Kindern ins Gesicht schauen und diese das persönlich betreffen wird. So tun wir unser Möglichstes, um ein „besseres“ Ergebnis doch noch zu schaffen.

Sigrid Stagl

Wie sehen Sie die viel diskutierte Ökosteuer?

Sie werden keinen Ökonomen finden, der gegen eine Ökosteuer ist, in Österreich ist sie nur viel zu niedrig!

Sigrid Stagl

Was bedeutet es für Sie, bzw. welchen Stellenwert hat es, wenn sie so oft in den Medien auftreten?

Es ist ein Balanceakt: einerseits wissenschaftlich korrekt sein, andererseits nicht zu demotivieren und gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, wie wir Klimaschutz und Nachhaltigkeit schaffen können.

Sigrid Stagl

Sie sagten: „Der Kampf gegen die Klimakrise scheitert nicht am Mangel an Informationen.“

Ich sage: „Der Kampf gegen den Klimawandel scheitert am Egoismus und der Unbelehrbarkeit der Menschen!“ Da habe ich eine sehr prononcierte Meinung dazu: Es gibt in den Verhaltenswissenschaften Studien, die zeigen, dass nicht die Menschen, sondern die Regeln das Problem sind. Mich stören mangelhaft ambitionierte Gesetze, mich stören Kulturen, die glauben unsere Ressourcen seien unendlich, mich stören Normen, die veraltete Handlungsweisen unterstützen und wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren usw.

Wir müssen daran arbeiten, die Regeln zu verändern – dann werden sich auch die Menschen anders verhalten. Bei der Klimapolitik bräuchten wir noch einen viel stärkeren Zug zum Tor aller Entscheidungsträger und weniger Kuhhandel, der wertvolle Zeit kostet.

Sigrid Stagl

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