Fossilfreie und soziale Wärme

In Wien-Penzing entstand auf Baurechtsgründen der ÖBB ein neues Wohnquartier. Im Bauträgerwettbewerb 2018 war neben einem Schwerpunkt auf „Wohnen für Alleinerziehende“ auch ein fossilfreies Energiekonzept gefordert. Geliefert wurde von den Bauträgern WBV-GPA und Migra das und noch viel mehr.
FRANZISKA LEEB

Einen besseren Tag, als den windigen, kalten Februartag hätten wir für den Besuch der neuen Wohnhausanlage in der Käthe-Dorsch-Gasse in Wien- Penzing kaum wählen können. Während die Heizkörper im ganzen Land heruntergedreht sind, weil die Gaspreise steigen und Energie-Engpässe im Raum stehen, erleben hier die Bewohner ihren ersten Winter im neuen, mit fossilfreier Energie versorgten Zuhause recht entspannt. Das Areal, auf dem die neue Vorzeigeanlage entstand, war bis weit ins 20. Jahrhundert vom Bahnbetrieb geprägt.

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Zwischen der Hadikgasse (bis 1894 hieß die Ausfahrtsstraße nach Westen – man kann es sich kaum noch vorstellen – Parkgasse) und den Gleisen der Westbahn erstreckten sich Lok-Remisen und Werkstätten der Österreichischen Bundesbahnen und Nutzgärten. Im Rahmen des Wohnbauprogramms nach dem Zweiten Weltkrieg entstand auf den Gartenflächen ein Gemeindebau mit Straßenhöfen, ein Jahrzehnt später in der zweiten Reihe an der Hackinger Straße der Franz-Glaserer- Hof. Typisch für die Zeit stehen die Wohnzeilen locker in der Grünanlage, Kunstwerke – übrigens alle von Frauen – setzen Akzente und Richtung Gleisanlagen gibt es noch Reste einer Gstätten, ein kleines Stück Paradies, für alle, die dem Spielplatzalter entwachsen sind.

Der 2018 ausgelobte Bauträgerwettbewerb für das neu erschlossenen Baufeld in der dritten Reihe hatte vorausschauend die Vermeidung fossiler Energieträger zum Ziel sowie Wohnen für Alleinerziehende. Das Thema hat im Bezirk Tradition. Ein Stück stadteinwärts, beim Penzinger Steg, wurde 1954 ein Wohnhaus der damals neu gegründeten gemeinnützigen Baugenossenschaft berufstätiger Frauen fertiggestellt. Geplant hat den eleganten Bau mit feingliedrigen Balkonen und 80 kleinen Wohnungen sowie Zentralheizung, Müllschlucker und Dachterrasse Edith Lassmann. Sie ist eine der erst in den vergangenen Jahren dank jüngerer Forscherinnen wiederentdeckten Architektinnen.

„Wir wollen wohnen, nicht bloß hausen“, verlangte Lassmann, die wichtige Impulse im Wiener Wohnbau setzte. Heute, wo steigende Kosten Alleinerziehende – immer noch zu rund 90 Prozent Frauen – verstärkt in Notlagen bringen, ist das eine Forderung von brisanter Aktualität und nicht minder akut wie das Thema der notwendigen Energiewende.

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Nachhaltig im Doppelpack

„Uns ist hier ein Meilenstein im Sinne unserer Unternehmensphilosophie gelungen“, ist Michael Gehbauer, Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte WBV-GPA stolz darauf, mit der Anlage in der Käthe- Dorsch-Gasse für beide Probleme Lösungswege aufzeigen zu können. Die Projekte der WBV-GPA und der Migra gingen als Sieger aus dem Bauträgerwettbewerb hervor. Schon die gemeinsame Garageneinfahrt signalisiert gute Kooperation.

„Uns ist hier ein Meilenstein im Sinne unserer Unternehmensphilosophie gelungen.“

Michael Gehbauer, WBV-GPA

Ohne Zaun kam man zwar nicht aus, aber trotz der unterschiedlichen architektonischen Handschriften fügen sich die beiden Anlagen ganz gut aneinander. Die Arge Baumschlager Hutter & Partner + Smac zeichnet für jene der Migra mit dem Titel „Tante Käthes Grätzl“, die gleich neben den Freianlagen des Bildungscampus Deutschordenstraße ansetzt, verantwortlich. Für die WBV-GPA planten Christoph Lechner & Partner und Berger+Parkkinen die „Wientalterrassen“.

Beide wenden sich mit geöffneten Höfen zu den bestehenden Wohnbauten. Auf der Feuermauer beim Stiegenaufgang in den Hof des Migra-Bauteils nimmt die riesige Wandmalerei „The Scale & The I“ von Ines Hochgerner auf den historischen Lageplan des Areals Bezug. Gut, dass Kunst und Wohnbau wieder zusammenfinden. Auf den Stufen hält man daher gern inne. Vielleicht tun das auch die Bewohner der SOS-Kinderdorf-Jugendwohngruppe, die im Haus Platz gefunden hat.

„Miteinander, füreinander“ lautet das Motto. Bei der Grundrissplanung wurde besonders auf die Bedürfnisse von Alleinerziehenden geachtet. Die Zuschnitte sind kompakt und einfach auf geänderte Lebensumstände anpassbar – zum Beispiel in Form von Schlafnischen im Wohnzimmer. Tiefensonde, Wärmepumpe und Photovoltaik versorgen das Gebäude mit Raumwärme, Warmwasser und Strom.

Ausgetüfteltes Energiekonzept

Wientalterrassen
Käthe-Dorsch-Gasse 17
- 296 geförderte Wohnungen, davon 99 Smart-Wohnungen 
- Bauherrin: WBV-GPA Wohnbauvereinigung für Privatangestellte Gemeinnützige Gesellschaft mbH 
- Architektur: Arge KDG – Architekt Christoph Lechner & Partner ZT GmbH und Berger+Parkkinen ZT GmbH 
- Landschaftsplanung: Lindle + Bukor Atelier für Landschaft
- Soziale Nachhaltigkeit: Joachim Brech

Im Nachbarhaus ist das Energiekonzept noch um einiges ausgeklügelter: Begleitet von einem von der Wohnbauvereinigung koordinierten Forschungsprojekt mit dem Bauphysikbüro Schöberl & Pöll und dem Austrian Institute of Technology, AIT, als Projektpartner wurde eine so gut wie hundertprozentige Wärme- und Kälteversorgung aus vor Ort gewonnenen erneuerbaren Energien umgesetzt.

Die Wärmeversorgung erfolgt über 60 Tiefensonden und die Aktivierung der Betondecken. So können im Sommer die Räume auch gekühlt werden. Photovoltaik-Module auf dem Dach liefern den elektrischen Strom für die Wärmepumpe und den sonstigen Strombedarf. Unverglaste Niedertemperatur-Solarabsorber wirken ergänzend zu den Erd- Tiefensonden, um in der Übergangszeit die Wirkungsgrade der Wärmepumpen zu verbessern und im Sommer zur vollständigen Regenerierung des Tiefensondenfelds beizutragen.

Tante Käthes Grätzl
Käthe-Dorsch-Gasse 15 
- 63 geförderte Mietwohnungen, davon 21 Smart-Wohnungen, 97 frei finanzierte Mietwohnungen 
- Bauherrin: Migra Gemeinnützige Wohnungsges.mb.H. Gemeinnützige Gesellschaft mbH 
- Architektur: ARGE Baumschlager Hutter & Partner ZT GmbH + SMAC Smart Architectural Concepts KG
- Landschaftsplanung und Soziale Nachhaltigkeit: PlanSinn Planung & Kommunikation GmbH

Wie viel Energie allein durch Dusch- und Kochwasser auf Nimmerwiedersehen in der Kanalisation verschwindet, daran denken wir nie. Dabei steht der tägliche Abwasseranfall in direktem Zusammenhang mit dem Warmwasserbedarf. Das Abwasser ist eine konstant zur Verfügung stehende Energiequelle, der Verbrauch schwankt kaum. Und da bei 300 Wohnungen ziemlich viel zusammenkommt, war es sinnvoll, diese Energie zu Wärmeversorgung der Warmwasserbereitung rückzugewinnen.

Komplettiert wird das Paket von einem Asphalt-Kollektor. Unter der Asphaltdecke der Gehsteige wird das dort geführte kalte Wasser durch die Außentemperatur erwärmt, womit es auch der Regeneration der Tiefensonden dient. Zugleich kühlt das Wasser die Oberfläche und trägt damit – in welchem Ausmaß wird die Evaluierung zeigen – zur Verbesserung des Mikroklimas bei.

Entlang der Gleise erstreckt sich das neue Wohnquartier Käthe-Dorsch-Gasse in Wien-Penzing. Foto: Daniel Hawelka
Fotos: Lukas Drobny Property Photos
Die Freitreppe des Migra-Baus wird flankiert von einer Wandmalerei von Ines Hochgerner. Fotos: Lukas Drobny Property Photos

Fossilfrei funktioniert anders

„Es war meine Sorge, dass es Beschwerden geben könnte“, gibt Michael Gehbauer zu, schließlich wurde noch nie eine derart große Wohnanlage mit einem vergleichbaren Energie- Gesamtsystem ausgestattet. „Aber schließlich waren es nur wenige, die Heizprobleme hatten“, ist Gehbauer erleichtert. „Ganz wenigen war es zu kalt, ganz wenigen zu warm“, bestätigt Hausverwalterin Eveline Weigel. In der Zwischenzeit hat man die Wehwehchen im Griff. Kinkerlitzchen, wenn man bedenkt, wie lang es oft bei weniger komplexen Haustechniksystemen braucht, bis alles beschwerdefrei funktioniert. Die ausführliche Information der Mieterinnen und Mieter hat sich jedenfalls gelohnt.

Heizkörper-Thermostate höher oder niedriger drehen, um die Temperatur zu regeln oder gar eine Klimaanlage anwerfen, kann jeder. Das neue System funktioniert anders als gewohnt. Die Temperatur wird über ein Raumbediengerät geregelt. Dreht man nach links wird es kühler, nach rechts wärmer. Wird geheizt, leuchtet eine LED rot, wird gekühlt, leuchtet sie blau. Klingt einfach. Gewöhnungsbedürftig ist es, da das System langsam reagiert. Hin- und Herdrehen bringt daher nichts, dafür regelt das System die einmal erreichte Wohlfühltemperatur sozusagen von selbst.

Nur im Bad sorgt ein elektrischer Heizstrahler bei Bedarf für schnelle Wärme. Abfälle und Speiseöle über Klo oder Abfluss zu entsorgen, das sollte man auch sonst nicht tun. Hier verhindert es zudem, dass die Abwasserwärmerückgewinnung problemlos funktioniert. Und um Löcher in die Decke zu bohren, bedarf es der Genehmigung der Hausverwaltung, um zu vermeiden, dass die wasserführenden Rohre der Bauteilaktivierung beschädigt werden.

Ein Klub für alle

Menschliche Wärme und Kaffeeduft machen sich im Erdgeschoß breit, wo das Team des Generationenzentrums „All in Penzing“ die baldige Eröffnung und die Spielregeln für die Nutzung der Gemeinschaftsräume festlegt. Betreiber ist das Kuratorium Wiener Pensionisten- Wohnhäuser (KWP), dessen Pensionisten-Klubs in allen Teilen der Stadt wohlbekannt sind. Für den Standort Wientalterrassen erdachten Madlena Komitova und Michael Gehbauer schon in der Wettbewerbsphase ein ganz neues Konzept. Im Fokus steht das intergenerative Miteinander.

„Es soll ein Stützpunkt im Bezirk mit Programm für unterschiedliche Interessengruppen und alle Generationen sein.“

Madlena Komitova, KWP
Die Freiräume gehen über zur bestehenden Parkanlage. Foto: Daniel Hawelka

Kinder können hier von Ersatz- Omas und vielleicht auch -Opas beaufsichtigt werden, was den alleinerziehenden Elternteilen eine kleine Auszeit verschafft. „Es soll ein Stützpunkt im Bezirk mit Programm für unterschiedliche Interessengruppen und alle Generationen sein“, erläutert Frau Komitova. Ab Frühling werden sich der Co-Working-Space, der verglaste Baby-Spielraum oder der Raum, wo sich die Senioren zum Kartenspielen treffen können, mit Leben erfüllen. Das KWP betreibt auch den großen Gemeinschaftsraum der Wohnanlage, den auch andere Akteure aus dem Bezirk für Aktivitäten nutzen dürfen. So sind eine professionelle Organisation und Betreuung ebenso sichergestellt wie eine gute Auslastung.

Michael Gehbauer ist stolz auf das Erreichte. Bald wird auch das Fassadengrün zu sprießen beginnen. Foto: Florian Albert

Eine solche wird gewiss auch der Kletterwand beschieden sein, liegt sie doch witterungsgeschützt zwischen zwei Stiegenhäusern an der Wand, die den Hof zu den Gleisen abschottet. Wer es nach oben schafft, kann durch das Fensterband Züge-Schauen. Die ganz Kleinen können das durch ein bodentiefes Glasband aus dem Kinderspielraum, der wahrscheinlich schon alleine deshalb Kleinbuben- und Mädchenträume wahr werden lässt. Hat man Sehnsucht nach der passenden Geräuschkulisse, muss man das Haus verlassen, denn drinnen ist vom Bahnverkehr nichts zu hören.

Sozial und vielfältig

Die soziale Nachhaltigkeit, die im Wiener Wohnbau großgeschrieben wird, wird selten in solcher Vielfalt wie hier gelebt und gepflegt. Mit Wohnungen für Getrennt- und Alleinerziehende im Clusterverband mit einem großen Gemeinschaftsbereich hielt ein Wohnungstyp Einzug, der noch nicht zum ständigen Repertoire gehört. Auch bei den zehn „Housing First“-Wohnungen, die in Zusammenarbeit mit der FSWWohnplattform vergeben werden, liegt der Schwerpunkt auf getrennt- und alleinerziehenden Eltern.

Foto: Florian Albert

Weiters gibt es eine betreute Wohngemeinschaft für Jugendliche und der Verein Balance, der seine Zentrale hierher verlegt hat, betreibt eine Tagesbetreuung sowie Garçonnièren für Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Kooperiert wird auch mit dem Reparatur- und Service-Zentrum R.U.S.Z., das im Frühjahr das erste Reparaturcafé in der Anlage abhalten wird und ein Miet- und Servicemodell für Waschmaschinen anbietet. Nutzen statt besitzen, reparieren statt wegwerfen und neu kaufen – auch das trägt dazu bei, Energie und Geld zu sparen.

Viel Aufenthaltsqualität und Weitsicht bietet die große begrünte Dachterrasse. Foto: Daniel Hawelka

Terrassiert und zoniert

Vielfältig sind auch die von Lindle+Bukor gestalteten Freiräume, die vom Gleisniveau Richtung Wiental überleiten. Während der erste Hof, an den die gemeinschaftlichen, auch von Externen besuchten Räumlichkeiten angelagert sind, so etwas wie der Hauptplatz der Wohnanlage ist, ist der zweite, der Bewohnerschaft vorbehaltene Innenhof intimer. Im dritten entstand mit einem Spielplatz und Eigengärten vor den Erdgeschoßwohnungen ein Mix aus beidem. In Maßstäblichkeit und Ausrichtung orientieren sich die Freiräume an jenen der bestehenden Wohnbebauung und ermöglichen dadurch Kommunikation und Interaktion zwischen schon lang eingewohnten und neuen Grätzlbewohnern.

Foto: Daniel Hawelka. Die Größeren erklettern sich den Blick auf die Gleise …

Weiße Baukörper mit weitauskragenden und terracottafarbenen Balkonen bilden im Wechselspiel wohltuende Wärme und Luftigkeit und gliedern die Anlage. Nur von der Gleisseite ist ihre Ausdehnung gleich erkennbar. Aber auch hier bietet sich den Bahnpassagieren keine fade, abweisende Front, sondern eine gut rhythmisierte Fassade, die den Blick aus dem Zugfenster lohnt.

… die Kleineren bekommen ihn frei Haus geliefert. Foto: Florian Albert

Lang ist auch die größte der namensgebenden Dachterrassen, nämlich stolze 64 Meter. Sie ist mit einer Outdoorküche und einer Dusche ausgestattet. Die Hochbeete wurden vorerst für ein Jahr vergeben – hohe an Singles, die niedrigeren an Familien, damit auch die Kinder gut mitmachen können. Eine begrünte Pergola dient als Schattenspender. Die weitläufige Terrassenfläche ist gut zoniert, man hält sich nicht nur wegen des Fernblicks über die Stadt und zur Kirche am Steinhof gern hier oben auf.

„Wir haben versucht, alle Bedürfnisse zu erfüllen“, fasst Michael Gehbauer die Ambitionen zusammen. „Plane etwas, das Spaß macht und lade andere ein, mitzumachen“ steht auf einem rosa Zettel, der an der Glasscheibe der Balance- Räumlichkeiten klebt. Das scheint auch die Devise der Wohnbauvereinigung gewesen zu sein. „Gib heute jemandem ein aufrichtiges Kompliment“ fordert ein gelber Zettel auf. Machen wir hiermit gerne.

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