Die Kunst künstlicher G’scheitheit

In vielen Industriezweigen ist Künstliche Intelligenz aus den betrieblichen Prozessen nicht mehr wegzudenken. Noch nicht so sehr in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Dabei sind die ersten Produkte und Pilotprojekte vielversprechend.
— WOJCIECH CZAJA

Szene 1: Ein Immobilienentwickler ist auf der Suche nach einem neuen, verfügbaren und effizient bebaubaren Grundstück in Wien. Mithilfe von KI werden Katasterpläne, Flächenwidmungspläne, Bebauungsbestimmungen, etwaige Schutzzonen und Ortsbildrichtlinien mit aktuellen Streetview- und Satellitenaufnahmen sowie mit digitalen Verkaufs- und Verpachtungsanzeigen abgeglichen. Kommt es zu einer positiven Überschneidung, spuckt das System in kürzester Zeit die interessantesten, wirtschaftlich attraktivsten Optionen als Ranking aus.

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Szene 2: Bei der Rückstellung der Wohnung geht die Sachbearbeiterin mit dem Smartphone in der Hand, durch die Wohnung, dreht sich in jedem Raum einmal langsam im Kreis und nimmt auf diese Weise einen drei-, vier-, fünfminütigen Film der gesamten Wohnung auf. In der Cloud werden die GPS- und Laserdistanz-Daten ausgewertet und zu einer grobkörnigen Punktwolke zusammengefasst, die wiederum die Basis für ein digitales 3-D-Modell der Wohnung bildet. Im Vergleich der erfassten Wohnungsgeometrie mit den bestehenden Plandaten weiß die Software innerhalb von Sekunden, wo eine Sesselleiste fehlt, wo eine Trockenbauwand versetzt wurde, wo die Mieter:innen nach eigenem Ermessen Schalter und Steckdosen dazugebaut haben.

Szene 3: Inwiefern unterscheidet sich der Strom- und Wasserverbrauch einer Wohnung massiv von den gleich großen, darüber und darunter liegenden Mieteinheiten? Wo steht ein Fenster offen? Wie hoch ist die Temperatur im Raum X? Und wo ist ein besonders altes Haushaltsgerät angeschlossen? In der Live-Gegenüberstellung dieser Daten können Brände, Kabelbrände, Kurzschlüsse, Wasserrohrbrüche und schadhafte Geräte bereits im Entstehen erkannt und sofort lokalisiert werden. Auf diese Weise können Haustechniker, Facility-Managerinnen und Einsatzkräfte im Notfall punktuell und zielgerichtet zum Tatort vordringen.

Noch ferne Zukunftsmusik

Die gute Nachricht: All diese vermeintlichen Zukunftsszenarien sind bereits Realität und befinden sich in der Testund Studienphase oder haben sogar schon den erfolgreichen Markteintritt hinter sich – ob das nun KI Location Scouting in der Rhomberg Group ist, die KI-App Amrax Metaroom des Salzburger Anbieters Synthetic Dimension oder ein Forschungsprojekt der belgischen Thomas More University of Applied Sciences, das auf dem Gebäudeautomationsstandard KNX ba3 – 2 0 2 4 23 THEMA siert. Die schlechte Nachricht: In der privaten Bauwirtschaft finden diese KI-Technologien bereits Anwendung, bei den gemeinnützigen Bauträgern jedoch ist das alles noch Zukunftsmusik.

„Im Vergleich zu vielen anderen Branchen hinkt die österreichische Bauwirtschaft – abgesehen von ein paar Pionieren und Front Runnern – der digitalen Entwicklung stark hinterher“, sagt Joachim Ardelt, Geschäftsführer der MetaShift GmbH mit Sitz in Wien. „Und das, obwohl Architektur global-statistisch betrachtet als einer der am stärksten digitalisierten Berufe gilt. Noch steinzeitlicher als das Planen und Bauen ist der Bereich der Hausverwaltung und der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Viele Alltagsprozesse sind noch immer nicht digitalisiert, vom Einsatz Künstlicher Intelligenz und einer Optimierung von Prozessen auf einer gesamtunternehmerischen Ebene gar nicht erst zu sprechen.“

„Ein paar Produzenten, Planer, Errichter, Betreiber und Verwalter haben ihre Prozesse zwar schon digitalisiert, aber meistens handelt es sich dabei um nicht miteinander kommunizierende Insellösungen. Denn wenn die Datensätze nicht gut verwaltet werden, und wenn jeder sein eigenes Digitalisierungssüppchen kocht, dann gibt es auch zu wenig relevante, verwertbare Datensubstanz, um damit eine Künstliche Intelligenz zu speisen.“

Vorbild Autoindustrie

Dass diese Rückschrittlichkeit bei Weitem kein gesamteuropäisches Problem ist, weiß Clemens Wasner, CEO von enlite AI und Mitbegründer von AI Austria. „Die Automobilindustrie ist mittlerweile weltbekannt dafür, dass sie ihre Prozesse und Produkte sehr intelligent auf Baukasten-Systeme umgestellt hat – und auf diese Weise sehr clever, sehr günstig und noch dazu sehr kundenorientiert produzieren kann. Die europäische Bauwirtschaft ist auf diesen Zug mit etwas Verspätung aufgesprungen, mit Ausnahme des gallischen Dorfs DACHRegion.“ Speziell in Deutschland, Österreich und der Schweiz, so der KI-Experte, bemühe man sich immer noch, die Produktion von Architektur als Handarbeit und künstlerische Unikate zu zelebrieren.

„Viele Alltagsprozesse sind noch immer nicht digitalisiert.“
Joachim Ardelt

Umso erstaunlicher, dass es hierzulande einige Start-ups und längst etablierte Unternehmen gibt, die auf dem Gebiet Gebäudebetrieb und -verwaltung spannende KI-Software-Lösungen entwickelt haben. Twingz beispielsweise bedient sich energetischer Lastenkurven und Smartmeter-Daten und kann auf diese Weise feststellen, wo alte, schadhafte, nicht mehr optimal arbeitende Geräte angeschlossen sind – eine mehr als wertvolle Information im Privathaushalt, bedenkt man, dass statistisch betrachtet kaputte Wäschetrockner der häufigste Grund für Wohnungsbrände in Kontinentaleuropa sind.

Dass ein KI-unterstützter Gebäudebetrieb nicht nur Geld einsparen, sondern auch den Carbon Footprint reduzieren kann, beweist das Forschungsprojekt „PRELUDE“ in Pinkafeld. Siehe dazu Artikel auf Seite 42.

Tool für Hausverwaltung

Die Buwog wiederum setzt – in Zusammenarbeit mit Vonovia Innovation – in der internen Hausverwaltung auf ein Kommunikationstool unter dem Titel „Talking Twin“, das mithilfe von KI aus diversen Gebäudedaten relevante Steckbriefe zu sämtlichen Buwog-Objekten generiert – im wahrsten Sinne des Wortes auf Knopfdruck. „KI-Systeme haben die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Daten Zusammenhänge zu erkennen“, sagt Kevin Töpfer, Geschäftsführer der Buwog Group. „Dieses Know-how können wir einsetzen, um komplexe Sachverhalte zu erfassen, um Unregelmäßigkeiten im Betrieb zu identifizieren und um Reparaturbedarfe rechtzeitig zu erkennen. Dadurch können wir Eskalationen vermeiden.“

„KI ist ohne jeden Zweifel die Zukunft, zumindest dann, wenn man KI als eine Art Hilfe und Assistenz versteht, um Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen.“
Carina Zehetmaier

Im Gegensatz zu bisherigen Technologien, meint Steffen Robbi, Geschäftsführer von Digital Findet Stadt, sei Künstliche Intelligenz nicht über Stabstellen implementierbar. „Wenn sich ein Unternehmen entschließt, KI einzusetzen, dann geht das nur, indem alle Abteilungen mitmachen und sich zu einer Kultur des Lernens und Ausprobierens committen. Voraussetzung dafür sind in jedem Fall eine gute digitale Dokumentation sowie ein Archiv mit guten, sauberen, hochwertig abgelegten Datensätzen. Nur dann funktioniert’s.“ Digital Findet Stadt fungiert als KI-Partner und entwickelt in Kooperation mit seinen Kund:innen Konzepte und digitale Anwendungsfälle.

„KI ist ohne jeden Zweifel die Zukunft, zumindest dann, wenn man KI als eine Art Hilfe und Assistenz versteht, um Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen“, sagt Carina Zehetmaier, Geschäftsführerin von Piper One und Präsidentin von Women in AI, die am letzten Verbandstag der Gemeinnützigen einen Vortrag zu diesem Thema gehalten hat. „Allerdings nehmen sie einem nicht das Denken und Entscheiden ab. Diese Verantwortung liegt immer noch beim Menschen.“

Aktuell engagiert sich Zehetmaier für den EU AI Act, hierzulande auch besser bekannt unter KI-Verordnung. Diese zielt darauf ab, Innovation zu fördern und Schutz der Privatsphäre sowie Sicherheit der Bürger:innen zu gewährleisten. Der EU AI Act ist am 2. August 2024 in Kraft getreten, ab Februar 2025 werden die ersten Bestimmungen für Unternehmen verpflichtend. Bis dahin gibt es noch genug Zeit zu experimentieren.

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