Biodiverse Schwammstadt: Ein Zukunftsbild für den Dresdner Postplatz 2045

Wie könnte eine klimagerechte Stadt der Zukunft aussehen? Eine neue Vision für den Postplatz in Dresden zeigt eine überraschend grüne und lebendige Perspektive für diesen Verkehrsknotenpunkt im Stadtzentrum. Entwickelt haben diese Vision verschiedene Akteur*innen aus der Dresdner Zivilgesellschaft. Wissenschaftlich untersetzt wurde das Zukunftsbild unter anderem durch Forschungsergebnisse des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR).

Statt wie bisher als „steinernes Gelenk“ zu erscheinen, verwandelt sich der Postplatz in Dresden auf dem Bild in eine Oase aus Grün und Blau: Dach- und Fassadenbegrünung, entsiegelte Frei- und Wasserflächen sowie eine Vielzahl neu gepflanzter Bäume verleihen ihm die Atmosphäre eines Parks und damit eine ganz neue Aufenthaltsqualität.

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Die Darstellung ist ein motivierender Wegweiser für ein Dresden, das sich den Herausforderungen des Klimawandels stellt. Das Bild soll als Einladung für alle Menschen in Dresden gelten, sich für eine lebenswerte Stadt der Zukunft selbst einzubringen.

Dresden Postplatz 2045 | Reinventing Society & loomn (CC BY-NC-SA 4.0, Vorherbild: Sebastian Weingart) | https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/

Impulse für zukünftige Stadtentwicklung:

1. Außenliegender Sonnenschutz der Fenster

Der außenliegende Sonnenschutz ist eine der effektivsten Möglichkeiten um, v.a. bei großen Fensterflächen, die Hitzebelastung in Gebäuden zu reduzieren und die Raumtemperaturen um mehrere Grad Celsius zu verringern. Kombiniert mit Dünnschicht-Photovoltaikmodulen können diese zugleich zur Stromerzeugung genutzt werden.

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2. Erneuerbare Energien in der Stadt

Strom kann in der Stadt durch Nutzung der Dachflächen über Photovoltaikelemente erneuerbar erzeugt werden. Wie an diesem Beispiel zu sehen ist, können diese vom Design her auch so gewählt werden, dass sie die bestehende Gebäudeansicht nicht wesentlich verändern.

3. Rasengleise

Grüne Straßenbahngleise fördern die Versickerung von Regenwasser und tragen so zu einem nachhaltigen Wassermanagement bei. Gleichzeitig sorgen die Grasflächen für eine effektive nächtliche Abkühlung und erhöhen die Zufuhr kühler Luft ins Stadtquartier. Sie mindern Lärm durch die Schalldämmung der begrünten Flächen und schaffen gleichzeitig Lebensräume für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, wodurch die Biodiversität in urbanen Räumen gesteigert wird.

4. Künstliche Nisthilfen

Damit die Stadt auch für Tiere ein Lebensraum sein kann, müssen neben Nahrungsquellen auch Nistmöglichkeiten vorhanden sein. Künstliche Niststrukturen an Fassaden oder auf Dächern können das Angebot für viele Tierarten verbessern und damit auch die Biodiversität und ein natürliches Gleichgewicht unter den Arten stärken. Insbesondere für Wildbienen, Fledermäuse und Vögel gibt es bereits hochwertige Lösungen, die in die Fassade intergiert werden können.

5. Spielplätze mit Trinkbrunnen und Toiletten

Spielplätze mit Sitzgelegenheiten, Toiletten und Trinkbrunnen schaffen inklusive Orte, die allen Menschen Zugang zum öffentlichen Raum ermöglichen und so die Teilhabe unabhängig von Alter, Herkunft oder Einkommen fördern. Sie erfüllen grundlegende menschliche Bedürfnisse kostenfrei und stärken dadurch soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität im urbanen Raum. Zudem fördern sie die Begegnung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, was den sozialen Zusammenhalt in der Stadt stärken kann.

6. Essbare Stadt

Essbare Elemente wie z.B. Obstbäume im öffentlichen Raum fördern das Bewusstsein für Saisonalität und machen sichtbar, wie Lebensmittel wachsen. Sie fördern die Verbindung der Stadtbevölkerung zum Lebensmittelanbau und zur -produktion und sensibilisieren für einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Die Essbare Stadt trägt zur Klimaanpassung bei, indem begrünte Flächen das Stadtklima regulieren, Wasser speichern und die Biodiversität erhöhen. Gleichzeitig schafft sie inklusiven Raum für Gemeinschaft, Bildung und Teilhabe.

7. Dach- und Fassadengrün

Dach- und Fassadenbegrünung haben neben der Hitzeschutzwirkung – sowohl im Freiraum als auch im Gebäude – weitere wesentliche positive Eigenschaften für den Natur-, Umwelt- und Ressourcenschutz. Dies sind zum Beispiel lokaler Rückhalt von Regenwasser, Filterung von Luftschadstoffen, Erhöhung der Biodiversität oder die gemeinschaftliche Nutzung als Dachgärten.

8. Flächen für Regenwassermanagement

Häufigere und heftigere Starkregenereignisse sind ein zunehmendes Risiko des Klimawandels. Die Kanalisation oder Elemente zur Verdunstung oder Versickerung sind oft nicht in der Lage, die Wassermengen in so kurzer Zeit abzuführen. Für solche Ereignisse muss eine Schwammstadt Rückhalteräume bereitstellen, die größere Menge Regenwasser schadlos für einige Tage speichern können. Ideal dafür sind multifunktional nutzbare Räume wie tiefergelegte Parks, Sportplätze oder auch Skatebahnen. In den Phasen ohne Starkregeereignis ist hier ungestörte Freizeitnutzung möglich.

9. Bäume

Urbanes Grün ist sowohl über die Tages- als auch die Nachtzeit betrachtet ein wirksamer Hitzeschutz. Vor allem tagsüber erhöhen Bäume mit ausladenden Baumkronen die Aufenthaltsqualität an heißen, strahlungsreichen Sommertagen, da sie die gefühlte Temperatur insbesondere wegen ihrer Schattenwirkung um über 10 Grad Celsius verringern. Bäume dienen außerdem als Staubfilter und als Lebensraum für Tiere.

10. Regenstele – Wert des Regenwassers ins Bewusstsein bringen

Mit dem Fortschreiten des Klimawandels werden wir mit länger anhaltender Trockenheit rechnen müssen. Regenwasser ist bereits heute wertvoll – zumal der Erhalt und die Vitalität des öffentlichen Grüns von einer gleichbleibenden Bewässerung abhängen. Die Regenstele visualisiert die Regenmenge anschaulich und hebt den Wert öffentlich hervor. Zugleich bietet die Stele die Möglichkeit, Niederschlagswasser zeitweise zu speichern und später zur Bewässerung des öffentlichen Grüns zu nutzen.

11. Verkehr

In der Vision ändert sich der Mobilitätsmix am Postplatz zu mehr ÖPNV, Radnutzung sowie Fußverkehr. Dazu wird die Infrastruktur um den Postplatz zu Radfahrstraßen umgebaut – gut sichtbar blau gefärbt. Die Straßenbahnen fahren auf Rasengleisen und durch die Verkehrsberuhigung und die Umgestaltung des Platzes sind auch Wege zu Fuß deutlich angenehmer. Lieferverkehr und Rettungsdienste können diese Wege natürlich weiterhin nutzen. Der Platz ist barrierearm passierbar und bietet Orientierung.

„Versiegelte Plätze wie der Postplatz werden in heißen Sommern, besonders für ältere Menschen und Kinder, zur gesundheitlichen Belastung.“

Hinter dieser Vision stehen zivilgesellschaftliche Akteur*innen wie der BUND Dresden und die Lokale Agenda Dresden, gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Technischen Universität Dresden (TUD) und des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR). Der Verein Reinventing Society und die Agentur loomn haben die Ideen grafisch umgesetzt. „Wir möchten mit dieser positiven Vision Menschen dazu inspirieren, selbst aktiv zu werden und sich an der Gestaltung einer lebenswerten Stadt der Zukunft zu beteiligen“, erklärt Julia Leuterer von der Lokalen Agenda Dresden.

Dass solche grünen Visionen dringend notwendig sind, verdeutlicht Hanna Witte vom Projekt „Biodiverse Schwammstadt Dresden“: „Versiegelte Plätze wie der Postplatz werden in heißen Sommern, besonders für ältere Menschen und Kinder, zur gesundheitlichen Belastung.“

Messungen und Simulationen von Dr. Astrid Ziemann von der Professur für Meteorologie der TUD zeigen, dass eine umfassende Begrünung die thermische Belastung deutlich senken kann. Astrid Ziemann ergänzt: „Vitale Vegetation ist die beste Antwort, die Städte auf Hitze geben können, sowohl für den Freiraum als auch für erträgliche Temperaturen in Gebäuden.“ Gleichzeitig bieten solche grünen Oasen Lebensraum für Tiere und verbessern durch nachhaltiges Regenwassermanagement die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen in Trockenzeiten.

Dr. Christoph Schünemann vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung betont: „Dieses Bild hat keinen konkreten Gestaltungsanspruch – es ist eine Einladung, Dinge einmal anders zu denken.“

Die Darstellung soll daher nicht als Blaupause für die Planung verstanden werden, sondern vielmehr ein motivierender Wegweiser sein – für ein Dresden, das sich den Herausforderungen des Klimawandels stellt.

Dabei haben die Ideen, die wir in dem Zukunftsbild zusammenbringen, aber Hand und Fuß, denn wir beteiligten Wissenschaftler*innen haben zentrale Erkenntnisse aus unserer Forschung zu Hitzeanpassung in Städten einbringen können“, schließt Christoph Schünemann.


Quelle: Dr. Christoph Schünemann // Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR).

Finanziert wurde die Erarbeitung des Zukunftsbildes durch das BUND-Projekt „Biodiverse Schwammstadt Dresden“, die Stadtentwässerung Dresden und die Lokale Agenda Dresden.

Das Zukunftsbild „Dresden Postplatz 2045“ ist unter einer Creative Commons-Lizenz verfügbar, sodass es alle nutzen können, die sich für ein klimagerechtes und inklusives Dresden einsetzen. Zusätzlich zum hier gezeigten Zukunftsbild steht auch eine Version mit Nummerierung zur Verfügung, die ergänzt wird durch Erläuterungen zu den einzelnen Elementen der Anpassung an den Klimawandel.

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