Die Nachhaltigkeitswende im Bauen und Wohnen als Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Wir sind mitten in der Transformation. Ob Dekarbonisierung der Gebäudeenergie, die Schaffung bezahlbaren und gleichzeitig klimaneutralen Wohnraums oder die Sicherung einer lebenswerten Zukunft in schrumpfenden Regionen: Ökologisches Bauen und bezahlbarer Wohnraum sind ein zentrales Thema für den sozialen Zusammenhalt und haben enormen Einfluss auf die Lebensqualität der Menschen.
Von Reiner Hoffmann

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass in der Öffentlichkeit eines der größten Nachhaltigkeitsthemen unserer Zeit prominent verhandelt wird. Und das nicht ohne Grund: Mit den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (VN) haben sich alle Staaten der Erde darauf verständigt, bis zum Jahr 2030 Armut zu beenden, Ökosysteme zu schützen, den Klimawandel zu bekämpfen und die Geschlechtergleichstellung zu erreichen. Wie Deutschland die ambitionierten Ziele erreichen will, ist in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt.

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Bau- und Wohnwende als Sorgenkind der Nachhaltigkeitstransformation

Dabei ist der Bausektor sowohl in Deutschland als auch global gesehen eines der Sorgenkinder der Nachhaltigkeitstransformation: Rund 90 Prozent (!) des Rohstoffkonsums und 40 Prozent der Treibhausgasemissionen fallen für das Bauen und Betreiben von Gebäuden und den damit verbundenen Infrastrukturen an. Mehr als die Hälfte der gesamten Abfälle in der Bundesrepublik entsteht durch Bau und Abriss. Die Sanierung im Gebäudebestand stockt auf niedrigem Niveau, dabei ist hier für den Klimaschutz mehr Tempo enorm wichtig. Kurzum – wir brauchen dringend die Wende: klimaneutral, zirkulär, ressourceneffizient!

Bezahlbares Wohnen ist seit Jahren eines der drängendsten sozialen Themen in Deutschland. Rund 700.000 Wohnungen fehlen. Während in städtischen Ballungsräumen bezahlbarer Wohnraum zur Mangelware geworden ist und die Preise sowohl bei den Mieten als auch für das Eigentum explodieren, kämpfen einige ländliche Regionen mit Leerstand. Soziale Spaltungen werden zementiert. Gleichzeitig wohnen wir (pro Kopf gemessen) auf immer mehr Quadratmetern Wohnraum, während die Gesamtbevölkerung in Deutschland zwar wächst, aber auch immer älter wird. Klar ist: Wir müssen mehr bezahlbaren Wohnraum mobilisieren und Stadt und Land lebenswert halten.

Wer für ausreichend sozialen Wohnraum und den Umbau des Wohnungsbestandes zahlt, ist auch eine Verteilungsfrage. Sie steht aber noch zu selten im Zentrum von Nachhaltigkeitsdiskussionen. Millionen Haushalte sind durch ihre Wohnkosten überbelastet – und das bereits vor der Energiekrise. 2019 gaben laut Indikatorenbericht zur Nachhaltigen Entwicklung des Statistischen Bundesamts knapp 14 Prozent der Haushalte mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen aus.

Einkommensschwachen Familien reicht es nicht mehr für gesunde Ernährung oder den Klassenausflug der Kinder. Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern, in denen die Überlastung durch Wohnkosten am höchsten ist. Besonders betroffen sind armutsgefährdete Menschen, alleinerziehende Personen oder Familien mit mehreren Kindern. Zugleich machen steigende Mieten und die ungleiche Verteilung des Immobilienvermögens die Besitzenden noch reicher.

Bei der Wohnfrage sollten die Hoffnungen nicht lediglich auf dem Neubau liegen, sondern die Potenziale im Bestand stärker in den Blick genommen werden. Das Mantra „Bauen, Bauen, Bauen“ scheint zwar auf den ersten Blick intuitiv, hat sich aber in den letzten Jahren als unwirksame Maßnahme gegen Mietsteigerungen erwiesen. Im Mietrecht wie im Bau- und Planungsrecht müssen neue Wege beschritten werden, wie z. B. die Umnutzung von Gebäuden oder die Umwandlung von Gewerbe in Wohnraum. Auch der Leerstand von Wohnraum aus Spekulationsgründen muss unterbunden werden.

Dänemark ist hierfür ein positives Beispiel. 2022 erteilte etwa die Justizministerkonferenz dem Bundesjustizministerium den Auftrag, sich um die Mobilisierung „stiller Wohnraumreserven“ zu kümmern. Denn Menschen mit günstigeren Altmietverträgen, die von größere in kleinere Wohnungen umziehen wollen, etwa weil die Kinder aus dem Haus sind, müssten in neuen Verträgen aktuell deutlich höhere Mieten in Kauf nehmen und können sich den Umzug schlicht nicht leisten. Die Transformation im Bauen und Wohnen greift fast wie kein zweites Nachhaltigkeitsthema in den privaten Lebensraum der Bürgerinnen und Bürger ein – in unser Zuhause. Es ist ein hoch emotionales Handlungsfeld und erfordert sensible und wohlüberlegte politische Maßnahmen.

Menschen als Akteure der Transformation im Mittelpunkt

Aus Bedrohungen müssen Chancen werden. Die Menschen sind verunsichert oder haben regelrecht Angst, was im Wohnungsbereich auf sie zukommt. Das erleben wir gerade in der Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz. Kosten für energetische Sanierung oder Heizungstausch können viele Menschen nicht bezahlen. Durch eine kluge und gezielte Förderung muss sichergestellt werden, dass arme Menschen nicht im kalten Sitzen und sich das Heizen wieder leisten können. Schon vor der Energiekrise (2021) gaben 2,6 Millionen Menschen in Deutschland an, dass sie aus finanziellen Gründen ihr Zuhause nicht angemessen heizen. Die ökologische müssen wir stärker mit der sozialen Debatte verzahnen.

Nachhaltigkeit müssen wir im öffentlichen Diskurs zum Gewinnerthema machen und zeigen, dass mittelfristig alle davon profitieren, wenn die Wohnungsnebenkosten durch höhere Effizienz sinken. Passend dazu hat sich das von Bund und Ländern initiierte Projekt „Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit“, das der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) in dessen Auftrag koordiniert und umsetzt, das Motto „Und jetzt alle!“ gegeben. Denn die Menschen in Deutschland stehen als Akteure der Transformation im Mittelpunkt.

Nur, wenn alle mitmachen, gelingt die Wende. Sei es als Arbeitnehmerin in einem Transformationsberuf, als Unterstützerin des Wandels am Arbeitsplatz, im Ehrenamt und im Verein. Wir müssen Angebote machen, Potenziale fördern und Verteilungswirkungen von Transformationspolitiken immer mitdenken. Wie wir das schaffen? Mit guter Arbeit, mit einem Fokus auf Bezahlbarkeit und, im Sinne eines echten Gemeinschaftswerks, mit einem starken Gefühl der Selbstwirksamkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Grünen Umbau der Wirtschaft sozial gestalten – auch in der Bau- und Immobilienwirtschaft

Schauen wir über den Atlantik: Wir können von Joe Biden lernen, wie man den grünen Umbau der Wirtschaft auch sozial gestaltet. Die amerikanischen Hilfen für Unternehmen im Rahmen des Inflation Reduction Act sind daran geknüpft, dass es in deren Betrieben Gewerkschaften und Tarifverträge gibt. In Deutschland könnte die Regel, dass solche öffentlichen Aufträge nur an Unternehmen gehen, die Tariflöhne zahlen, nicht nur dafür sorgen, dass Menschen mehr Geld verdienen und bessere Arbeitsbedingungen haben. Es nähme sicher auch deren Zustimmung zur sozial-ökologischen Transformation zu.


Wer eine dekarbonisierte und zirkuläre Wirtschaft will, braucht hochqualifizierte und motivierte Beschäftigte. Ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten müssen gestärkt werden. Fossile Energiequellen wie die Kohle, aus denen wir zu Recht aussteigen, waren in Deutschland lange mit guter Arbeit verknüpft. Die Beschäftigten in diesen Branchen haben mehr verdient und waren besser abgesichert als die in den erneuerbaren Industrien. Auch die Transformationsberufe müssen wir mit guter Arbeit verbinden, die ordentlich bezahlt wird Sonst lässt sich der Ausbau der Klimainfrastrukturen, vom Wärmepumpen-Rollout über die Photovoltaik hin zur energetischen Gebäudesanierung, nicht beschleunigen. Neben Lieferkettenproblemen käme uns dann der Fachkräftemangel teuer zu stehen, weil wir der Klimakrise zu wenig entgegensetzen können.

Wege aus dem Fachkräftemangel: Gute Arbeit und Weiterbildungsoffensiven

Im Handwerk ist der Fachkräftemangel bereits so ausgeprägt, dass er die Existenz vieler kleiner Betriebe bedroht, obwohl die Auftragslage gut ist. Bundesweit fehlen laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) schon jetzt 250.000 Handwerkerinnen und Handwerker. Der Verband geht davon aus, dass der Bedarf in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Zudem blieben im vergangenen Jahr rund 19.000 Ausbildungsplätze unbesetzt.

Es ist höchste Zeit mit innovativen Arbeitszeitregelungen, guten Arbeitsbedingungen und ordentlichen Löhnen die Attraktivität der Handwerksberufe zu erhöhen. Gute Arbeit ist tarifgebunden, sichert Fachkräfte und motiviert junge Menschen. Arbeiten in der Bauwirtschaft sind oft mit ständig wechselnden Einsatzorten und überlangen Anfahrtszeiten verbunden. Sie sollten auf die Arbeitszeit angerechnet und vergütet werden – auch das wäre ein Beitrag zur höheren Attraktivität. Mit guten Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen und Arbeitszeiten, die zum Leben passen, gehen einige Handwerksbetriebe neue Wege und machen gute Erfahrungen.

Gute Arbeit, um die gesellschaftlichen Aufgaben gut zu meistern

Wichtig ist bei dem hohen Bedarf an Modernisierungsleistungen bei Ge-bäuden, der durch die Anforderungen aus kommunalen Solarpflichten oder dem neuen Gebäudeenergiegesetz noch steigen wird, die Qualifizierung der Beschäftigten. Dies betrifft zum Beispiel das Bauhaupt-, Dachdecker-, Gerüstbauer- sowie Maler- und Lackierergewerbe oder den Bereich Bauinstallation. In diesen v. a. von Klein- und Kleinstbetrieben geprägten Branchen gibt es, vor allem auf dem Tätigkeitsfeld der Gebäudehüllendämmung sowie der Installation von PV-Anlagen teils erhebliche Defizite in der Qualifikation von Betrieben und Beschäftigten. Auch die Europäische Kommission nennt in ihrem Aktionsplan zur „Renovierungswelle“ im Gebäudebereich vom Oktober 2020 die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im Baugewerbe ausdrücklich als eines der Handlungsfelder.

Gewerkschaften wie die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) schlagen dafür überbetriebliche, tarifvertragliche Regelungen zur Weiterbildung vor. Überlegenswert wäre auch, die Förderfähigkeit energetischer Sanierungsmaßnahmen ab einem bestimmten Auftragsvolumen an Qualifikationsnachweise in den ausführenden Betrieben zu knüpfen. Entsprechende Zertifikate könnten bei regelmäßiger Teilnahme von Betrieben an Weiterbildungsmaßnahmen ausgestellt werden. Die Länder sind in der Pflicht, an den Hochschulen und Universitäten Nachhaltigkeit in die Lehrpläne aufzunehmen, etwa für die Studiengänge Architektur, Gebäudetechnik oder Bauingenieurwesen.

Geflüchtete und Jugendliche aus armen Familien für Transformationsberufe gewinnen

Potenziale sind auch bei der Rekrutierung von jungen Menschen aus einkommensarmen Haushalten und von Geflüchteten zu heben. So versucht etwa das Münchener Unternehmen Socialbee, Personen mit Fluchthintergrund in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren – bisher mit Fokus auf Jobs in den Bereichen Pflege, Projektmanagement und Wirtschaftsprüfung. Zukünftig könnte man sich auch auf Transformationsberufe etwa im Gebäudebereich fokussieren. Socialbee nutzt das Modell der Zeitarbeit in abgewandelter und sozialerer Form, damit Geflüchtete mit formal geringer Qualifikation von Socialbee für mindestens 12 Monate angestellt und betreut werden können.

Wie das auch für Jugendliche aus ärmeren Familien gelingen kann, damit will sich in Kürze das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) befassen. In einem sogenannten Open Social Innovation-Prozess soll in einem breiten Beteiligungsprozess (open) die gesellschaftliche Herausforderung, Jugendliche in grüne Dekarbonisierungsberufe zu bringen (social) mit neuen Lösungen (innovation) angegangen werden. Der Kern ist das parallele Erproben von zahlreichen Lösungsansätzen. So lässt sich früh herausfinden, was funktioniert und was nicht, welche Ideen nachhaltige Lösungen versprechen. Auch das „Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit“ setzt auf das Thema und möchte neue Wege im nachhaltigen Bauen und Wohnen ausloten.

Reiner Hoffmann ist seit Februar 2023 Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), der die Bundesregierung zur Nachhaltigkeitspolitik berät. Von 2014 bis 2022 war er Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Seine berufliche Laufbahn begann er als Auszubildender bei den Farbwerken Hoechst und studierte über den zweiten Bildungsweg Wirtschaftswissenschaften an der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal. Hoffmann ist Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, SDG-Botschafter für gute Arbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie stellvertretender Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. 

Besonderer Dank gilt Herrn Jan Korte, der als Referent der RNE-Geschäftsstelle maßgeblich an der Erstellung des Beitrags beteiligt war. 

Zusammenschließen in Netzwerken

Diesen Prozessen gemein ist das Selbstwirksamkeitsgefühl, das bei den Beteiligten gefördert wird. Denn jeder und jede kann im Kleinen zur Bau- und Wohnwende beitragen. Das ist auch die Grundidee des Gemeinschaftswerks, nämlich ebenjene guten Ideen zu verbreiten. Menschen können über Mieterstrommodelle selbst Energie produzieren, die über Solaranlagen auf dem Dach eines Wohngebäudes erzeugt und von dort direkt an Verbraucher im selben Gebäude oder im Quartier geliefert und verbraucht wird.

In Netzwerken wie den Bürgerwerken eG haben sich viele hundert Energiegenossenschaften zusammengeschlossen und deutschlandweit den Ausbau erneuerbarer Erzeugungsanlagen in Bürgerhand vorangetrieben. Heute werden fast 50 Prozent aller neuen Erneuerbare-Energien-Anlagen von Bürger*Innen betrieben. Die Genossenschaften haben mit ihren Mitgliedern stabile, lokale Strukturen aufgebaut, die sich für Klimaschutz vor Ort einsetzen.

Auch im Ehrenamt kann man auf vielfältige Art und Weise loslegen, ob im Sportverein, der Theatergruppe oder im Schützenverein. Auf der Plattform des „Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit“ wird sichtbar gemacht, was alles schon in Deutschland passiert. Hier können Materialien, Leitfäden und Beispiele guter Praxis in allen Themenfeldern der Nachhaltigkeit geteilt werden. Denn nur so schaffen wir die sozial-ökologische Transformation: Wenn wir alle mitnehmen und den Wandel gerecht gestalten.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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