Die Biotope City Wienerberg ist der wahrscheinlich radikalste städtebauliche Ansatz Wiens, wenn es um klimaresiliente und klimaadaptive Maßnahmen geht. Doch wie viele von den einst erträumten Maßnahmen haben den Weg in die Realität gefunden? Ein Spaziergang mit dem Boku-Forscher Florian Reinwald.
WOJCIECH CZAJA
Der Lift bleibt im achten Stock stehen, die Türe geht auf, ein Herr mit rotem T-Shirt steigt ein, auf seinem Rücken in großen Lettern „Wien-Süd“, muss wohl der Facility-Manager sein. Viel Arbeit hier? Mit dem vielen Grün überall und dem Swimming-Pool am Dach? Der Herr rollt mit den Augen, reibt sich den Schweiß von der Stirn und gibt ein nonverbales, aber unmissverständliches Stöhnen und Schnaufen von sich. Bah! Pfuh! Das Gespräch bleibt wortlos.
Die Lifttür geht wieder auf, der Herr ist in seiner Arbeitshölle angekommen, wir jedoch, wir sind im Paradies. „Die Biotope City ist ein Vorzeigeprojekt für grüne Stadtverdichtung und für klimaadaptiven, klimaresilienten Wohn- und Städtebau“, sagt Florian Reinwald, Senior Scientist am Institut für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur Wien, Department für Raum, Landschaft und Infrastruktur. „Und das ist kein Kinderspiel, denn das funktioniert nur mit einem gewissen Commitment und mit gewissen Anstrengungen, was den Betrieb und die laufende Pflege der Anlage betrifft. Vieles hier basiert auf Sensoren, automatischer Bewässerung und anderen technischen Infrastrukturen.
Aber unterm Strich ist so ein grünes Pilotprojekt ohne jeden Zweifel mehr Arbeit als jeder andere Wohnbau in Wien.“ Reinwald ist Projektleiter für die Begleitforschung der Biotope City Wienerberg, und das schon von Anfang an, als die meisten Wiener noch nicht einmal wussten, was hier oben, auf dem Areal des ehemaligen Coca-Cola-Abfüllwerks eines Tages passieren sollte.
Intensive Flora
Nach Absiedelung der Produktionsstätte wurde das 5,4 Hektar große Industrieareal fast vollständig entsiegelt und in ein Brown Field rückgebaut. Im Anschluss daran wurde ein städtebaulicher Masterplan entwickelt, der sich nicht nur als Restfläche zwischen den Häusern versteht, sondern Architektur und Nichtarchitektur als gleichberechtigte Yin-Yang-Elemente betrachtet.
„Ist der Ausblick von hier oben nicht fantastisch? Für mich jedenfalls ist das der beste Aussichtspunkt in der gesamten Biotope City Wienerberg“, sagt Reinwald. Und deutet auf die vier Finger, die sich Richtung Süden zum Wienerberger Ziegelteich erstrecken, wo sie immer höher und höher werden, während sie sich zur Reihenhausbebauung im Norden und Osten allmählich auf ein Einfamilienhaus verträgliches Format abtreppen. Zwischen den vier Wohnblöcken tun sich drei Grünkeile, sogenannte Canyons auf – dazwischen, darunter, darüber, mittendrin und auch an den Fassaden hinaufkletternd und von den Balkontrögen hinabhängend immer wieder Grün.
Im Gegensatz zu den meisten Dachterrassen, die man in Wien vorfindet, ist auch jene auf dem Bauteil des gemeinnützigen Bauträgers Wien- Süd von üppiger, intensiver Flora gesäumt. Die Randbereiche zur Brüstung sind mit Substrat gefüllt und extensiv begrünt, entlang der Gehwege stehen Pflanzentröge, die mit Gräsern, Stauden und allerlei bunt blühendem Grünzeug gefüllt sind, sowie 25, zum Teil barrierefrei unterfahrbare Hochbeete, durchnummeriert mit großen Plaketten, in denen die Mieterinnen und Mieter ihr eigenes Gemüse ziehen, von Radieschen und Kohlrabi über Erbsen und Tomaten, bis hin zu allerlei Salaten wie etwa Mangold, Radicchio und Lollo Rosso…