Ist Wien grün genug?

Helga Fassbinder verrät bei einem Gespräch in Wien, in einem Harry- Glück-Bau, Details zum Konzept „Biotope City“ und ihre Sehnsüchte und Visionen nach mehr Grün in der Stadt.
PETER REISCHER

Wie hat sich Ihre Arbeit mit dem Prinzip „Biotope City“ entwickelt?

Ich hatte 1997 einen schweren Verkehrsunfall mit Schleudertrauma. Dadurch konnte ich lange Zeit keinerlei externe Reize ertragen. Ich saß also in meiner Wohnung im Zentrum von Amsterdam und schaute aus dem Fenster in den Innenhof und wartete auf die Besserung.

Da habe ich bemerkt, welch reiche Natur da vorhanden ist. Wir Stadtplaner und Architekten machen ja den Fehler, zwischen Stadt und Land, Stadt und Natur zu unterscheiden. In Wirklichkeit ist die Stadt genauso ein Typus Natur wie andere Formen von Natur. Aus diesen Beobachtungen habe ich gelernt, dass die Biodiversität in der Stadt größer ist als auf dem Land. Das haben Biologen inzwischen bestätigt.

Helga Fassbinder
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Das wissen aber die wenigsten Menschen!

Ja, leider und deshalb habe ich das Konzept der „Biotope City“ entwickelt. Ich habe dazu einen Kongress in Eindhoven mit dem Titel „Biotope City – die dichte Stadt als Natur“ veranstaltet. Das war 2002, vor 20 Jahren. Ich habe inzwischen viele Vorträge gehalten, auch in Wien, und da hat irgendjemand Harry Glück davon erzählt. Er hat mich angerufen und gefragt, ob wir nicht gemeinsam ein Projekt machen könnten. Harry Glück hat nach einem Grundstück gesucht und das ehemaligen Coca-Cola-Areal gefunden. Und hier steht jetzt die „Biotope City Wienerberg“.

Helga Fassbinder

Können Sie das Oxymoron Stadt als Natur erklären?

Wir sind Bestandteil der Natur, Natur reicht von der Wüste bis zum Dschungel. Unsere Städte sind da nicht ausgenommen. Deshalb gibt es in der Stadt Vögel, die einmal Felsenbewohner waren. Betrachten wir doch die Natur nicht als etwas, das man draußen halten muss, sondern als etwas, was zu integrieren ist! Wir stehen damit auch am Anfang einer neuen Ästhetik der Architektur. Eine Ästhetik, die Fauna und Flora genauso als „Bausteine“ integriert wie Stein, Holz und Glas.

Helga Fassbinder

Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit Stadtplanern und Architekten?

Unsere gebauten Werke müssen auch in 100 Jahren noch stehen und ihre Funktionen erfüllen. Deshalb wundere ich mich, dass gerade Architekten und Stadtplaner die fundamental veränderten Rahmenbedingungen unseres Lebens so wenig im Auge haben. Im letzten IPPC-Bericht (Sachstandsbericht des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen der Vereinten Nationen) steht, dass, wenn die ganzen Zusagen, Vereinbarungen etc. in der bisherigen Laxheit und Langsamkeit umgesetzt werden, eine Klimaerwärmung von 3,2 Grad droht. Wir müssen also unser Städte und unsere Bauten an die zukünftigen Bedingungen anpassen.

Helga Fassbinder
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Glauben Sie, dass sich die breite Masse vorstellen kann oder begreift, was 3,2 Grad Erwärmung auf der Welt bedeutet?

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