CoreNet Global: Quartierssanierung durch Business Improvement Districts – Wenn die Wirtschaft die Stadtentwicklung in eigene Hände nimmt

„Wie ist es, wenn die Wirtschaft die Stadtentwicklung in die eigenen Hände nimmt?“ So lautete die Einstiegsfrage von Gastgeber Prof. Thomas Glatte und gleichzeitig auch der Titel des CNG). Die Methode, um die sich die aktuelle Diskussionsrunde drehte, ist in Deutschland in weiten Teilen eher unbekannt: Business Improvement Districts (BIDs).

Um dieses Werkzeug den Gästen näherzubringen, hatte der Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Fresenius Heidelberg und als CNG-Vorstandsmitglied für Aus- und Weiterbildung zuständig, drei Panelisten eingeladen:

- Anzeige -
  •     Benjamin Willi, Projektmanager, Urbanistic GmbH
  •     Philip Peemüller, Projektleiter Otto Wulff Placemaking GmbH
  •     Lucas Falter, Geschäftsführer und Partner Vision Group, COO Photovate GmbH

Martina Williams, Mitglied des Mastertalks-Organisationskomitees und Head of Work Dynamics Northern Europe bei JLL, übernahm die Co-Moderation.

Provokanter Einstieg

In seinem Impulsreferat gab Benjamin Willi eine Einführung zu den Business Improvement Districts. Er hatte erst im Januar 2025 gemeinsam mit Glatte und Falter, nach Abschluss eines Forschungsprojekts, ein Fachbuch zum Thema herausgegeben. Willi stieg provokant ein und zeigte eine Schlagzeile aus der Immobilienzeitung: „Die Eigentümer haben den Wandel der Innenstadt verschlafen“. Ganz so einfach ist es nicht, wie die folgenden Minuten zeigen werden, zu unterschiedlich ist die Lage innerhalb Deutschlands.

„Ein BID beschreibt einen räumlich klar abgegrenzten Bereich, in dem sich Grundeigentümer zusammenschließen, um die Standortqualität im eigenen Interesse zu verbessern“, erklärte Willi. Gemeinsam mit Stadtverwaltung und Gewerbetreibenden vereinbaren sie Maßnahmen, die über eine selbst auferlegte Abgabe finanziert werden. Das Konzept der BIDs stammt aus Toronto. Dort gründete Alex Ling 1970 mit weiteren Eigentümern das erste offizielle BID. Ziel war es, die Attraktivität eines neu errichteten Shoppingcenters zu sichern.

Vorreiter Hamburg

Seit den 2000er Jahren wird das Modell auch in Deutschland diskutiert – besonders zur Revitalisierung innerstädtischer Quartiere. Voraussetzung und Rahmen für ein BID bilden entsprechende Landesgesetze. Das erste deutsche BID-Gesetz trat 2005 in Hamburg in Kraft – Pionier und einer der stärksten Verfechter von BIDs, obendrein mit der Handelskammer Hamburg als maßgeblichem Treiber. Inzwischen haben elf Bundesländer eigene BID-Regeln verabschiedet. Fünf Länder, darunter Bayern, fehlen noch.

Das erste BID Deutschlands entstand 2005 am Neuen Wall in Hamburg.

Den typischen Prozess zur Gründung und Einrichtung, fasste Willi zusammen:

  •     Bildung einer Interessengemeinschaft aus Eigentümern und Betreibern
  •     Einbindung der Stadtentwicklungsbehörde
  •     Auswahl einer Aufgaben­trägerin – in diesem Fall die Otto Wulff Placemaking GmbH
  •     Bildung eines Lenkungsausschusses
  •     Gesetzeserlass
  •     Offizielle Antragstellung und Einrichtung des BID
  •     Beauftragung eines Landschaftsarchitekturbüros zur Gestaltung des öffentlichen Raums
Die Straße Neuer Wall ist seit Oktober 2005 Deutschlands erstes innerstädtisches Business Improvement District. Von den innerstädtischen BIDs wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 20 Mio. Euro in die Qualität der öffentlichen Räume, in Service-, Reinigungs- sowie Marketingleistungen investiert. Es ist der neuen Qualität der Hamburger Innenstadt zu verdanken, dass Besucherzahlen Hamburgs nachhaltig steigen und Hamburg zum Ziel für internationale Shopping-Gäste geworden ist. Quelle: https://www.neuerwall-hamburg.de/de/neuer-wall-3

Wichtig: Ein BID komme nur zustande, wenn nicht mehr als 33 Prozent der Eigentümer der betroffenen Grundstücke (nach Zahl und Fläche) widersprechen. Es läuft maximal acht Jahre, dann endet es oder kann verlängert werden. In Hamburg ist das Projekt „Neuer Wall“ bereits in die fünf Runde gegangen. Der große Vorteil gegenüber herkömmlichen Initiativen: „Das Trittbrettfahrerproblem wird vermieden, weil alle mit einbezogen werden, nicht nur die Engagierten“, so Willi.

BIDs fördern eine bessere Infrastruktur, mehr Grünflächen und eine höhere Aufenthaltsqualität. Ergebnis: Am Neuen Wall – dessen vierte Fortsetzung ohnehin für sich spreche – gebe es eine nachweislich höhere Besucherfrequenz. „Ohne eine solche Initiative hätte es diese Effekte nicht gegeben“, betonte Willi. „Der Return on Investment ist nachweisbar“, fasste er zusammen – daher sollten unbedingt auch die restlichen fünf Bundesländer entsprechende Gesetze schaffen. Hierzu sollte auch der Wissensaustausch intensiviert werden

Die Luxusmeile Neuer Wall

Philip Peemüller, Projektleiter bei der Otto Wulff Placemaking GmbH und somit für das BID-Tagesgeschäft verantwortlich, stellte anschließend das BID-Projekt Neuer Wall genauer vor – das Flaggschiff unter Deutschlands Business Improvement Districts, das in diesem Jahr sein 20. Jubiläum feiere.

Er betonte „Der Neue Wall stellt DIE Einkaufsstraße in Hamburg dar und ist eindeutig im Luxussegment angesiedelt. Hier hatte sich einst eine Interessengemeinschaft gegründet, die schließlich die Behörden eingebunden hat.“ Ziel war eine Professionalisierung. Eine der wichtigsten ersten Maßnahmen im Jahr 2005: Der Aufgabenträger Otto Wulff beauftragte einen Landschaftsarchitekten, um den öffentlichen Raum zu verbessern und zu verschönern. Diese Umgestaltung der Flächen stehe bei den meisten BIDs im Mittelpunkt.

In der zweiten Phase galt es, die neu geschaffene Aufenthaltsqualität zu erhalten, zu pflegen und sauber zu halten. Zudem wurde eine bessere Parkraumbewirtschaftung anvisiert. Im dritten Schritt ging es um Kernfrage: „Wie bekommen wir mehr Leute hierher?“ Daraufhin wurde das Standortmarketing verstärkt, mehr Aktionen und Veranstaltungen auf die Beine gestellt – und ein solides Monitoring betrieben.

Die vierte Laufzeit war wegen Corona mit 1,5 Jahren recht kurz, drehte sich aber genau um dieses Thema, nämlich eine rasche Reaktion auf die staatlich verordneten Schließungen und Regulierungen. Die aktuelle fünfte Phase hat die Verkehrswende und eine erneute bauliche Anpassung im Blick.

Was wird aus Ludwigshafen?

Die Fülle der von Peemüller vorgestellten BID-Maßnahmen beeindruckte: Umfangreiche Serviceleistungen wie Districtmanagement, tägliche Reinigung, Pflanzenpflege, Parkraumanagement und Organisation des Lieferverkehrs; Marketing und Aktionen, etwa zu Weihnachten, den einzelnen Jahreszeiten, öffentliches Fußballgucken, Open Air-Konzerte, Gospel Chor und Hüttenzauber – „immer abgestimmt auf das Luxuspublikum“, wie Peemüller ausführte.

Hierzu gehört auch ein Pagenservice, passend zum Standort. In der darauf eröffneten Fragerunde kam Moderator Glatte nicht umhin, sich ob der räumlichen Nähe zu fragen, wie es wohl Ludwigshafen handhaben würde – mit seiner „abgestürzten Innenstadt“, in der es förmlich nur noch 1 Euro-Shops und Dönerläden gebe.

Co-Moderatorin Williams fragte, wer ein BID üblicherweise initiiere. „Das kommt meist von den Interessengemeinschaften. Doch diese haben nicht die rechtlichen Möglichkeiten, allein etwas auf die Beine zu stellen oder gar Geld einzuziehen“, betonte Peemüller. Daher seien die BIDs äußerst hilfreich.

Lucas Falter, Geschäftsführer und Partner Vision Group, COO Photovate GmbH, sagte zur noch mangelnden flächendeckenden Verbreitung in Deutschland: „Obwohl BIDs da, wo sie stattfinden, enorm erfolgreich sind, fehle die ganz große Visibilität. Wenn mehr Unternehmen die Methode und vor allem die Gesetzgebung kennen würden, würde es mehr Anträge geben.“ Willi pflichtete ihm bei und wünschte sich, dass die BIDs ihr Netzwerk erweitern, um den Vorbildcharakter breiter in die Öffentlichkeit zu tragen.

Hochburgen im Norden und Westen

Dies brachte Glatte zu der Frage, wo die Hochburgen liegen. Diese seien eindeutig in Hamburg und NRW zu verorten, erwiderte Willi, auch Berlin sei stark im Kommen. In Bayern gebe es noch nicht einmal ein entsprechendes Gesetz. Auch haben dort viele Städte Angst, dass der öffentliche Raum zu stark von der Privatwirtschaft dominiert werden würde. Dabei würde dies, seiner Meinung nach, „wirklich gut in München funktionieren.“ Wichtig sei jedoch, die BIDs an den Standort und die Zielgruppe anzupassen – und es sei auch keine Lösung für jedes Quartier.

Williams fragte nach dem „Business Case“ der BIDs und wie die Finanzierung durch die Gebühr unterm Strich ablaufe. Peemüller antwortete, dass dies völlig unterschiedlich ablaufe: mal werde sie umgelegt, was rechtlich möglich gemacht werden kann, mal nicht oder auch nur teilweise.

„Wie wird schließlich der Erfolg gemessen?“, fragte Glatte: Hierzu Peemüller: „Es gibt nachweislich weniger Leerstand.“ Und allein schon, dass das BID am Neuen Wall bereits in die fünfte Laufzeit gegangen ist und jedes Mal neue Mittel bereitgestellt werden, zeige, wie gut es dort und anderswo laufe. Darüber hinaus gebe es ein solides Monitoring, ein starkes Feedback der Geschäfte und eine positive Entwicklung der Mieteinnahmen.

Größer denken

Mit Blick auf Gewerbeimmobilien – die Hauptzielgruppe beim Mastertalk – und auch Wohnen, meinte Williams, dass man BIDs in größeren Maßstäben denken solle. Was also bräuchte es, damit sie auch bei Quartieren außerhalb von Einkaufsstraßen funktionieren? Hierzu brachte Falter wieder die nötige „Visibilität“ ins Spiel. Der zunehmende ESG-Druck könne zudem helfen, über regulatorische Anforderungen neue Möglichkeiten für BIDs zu schaffen. Gerade in Gebieten mit höheren Mieten sehe er sogar Raum für eine Umlagemöglichkeit.

Angesichts dieser programmatischen Aussagen und Thesen verzichtete Moderator Glatte auf seine berühmte Schlussfrage. „Heute wurde deutlich: BIDs sind ein wirksames Instrument – mit Potenzial, aber auch klaren Grenzen“, fasste er zusammen.

Katleen Beeckman

MaSTERTALK #37: Quartierssanierung durch Business Improvement Districts – Wenn die Wirtschaft die Stadtentwicklung in die eigenen Hände nimmt. Hier mehr Hintergrund.

Im Juni findet der nächste Mastertalk statt. Weitere Informationen unter www.mastertalk.net.


Hintergrundinformationen zu CoreNet Global (CNG)

CoreNet Global (CNG) ist die weltweit führende Vereinigung von Corporate Real Estate (CRE) Managern aus den verschiedensten Branchen. Mit knapp 11.000 persönlichen Mitgliedern – die 70 Prozent der Fortune 500- und fast 50 Prozent der Fortune Global 2000-Unternehmen repräsentieren – bringt CNG gewerbliche Immobilienmanager zusammen, die das gesamte immobilienrelevante Spektrum von Nutzern, Projektentwicklern, Finanzierern, Bauträgern, Facility Managern bis hin zu Architekten abdecken. Zu den Mitgliedern in den fünf weltweiten Regionen Asien, Australien, Europa, Lateinamerika und Nordamerika zählen sowohl Vertreter von mittleren und großen Unternehmen und Behörden, als auch Vertreter der verschiedenen Dienstleistungszweige rund um die Betriebsimmobilie.

CoreNet Global unterhält neben dem Headquarter in Atlanta, Georgia, regionale Büros in Brüssel, Hongkong, London, Melbourne, Sao Paulo, Shanghai, Sydney und Toronto und richtet weltweit Veranstaltungen zum Thema Immobilienmanagement aus. In der Region EMEA ist CoreNet Global in den Benelux-Ländern, Central Europe – wozu Deutschland gehört –, Großbritannien und dem Mittleren Osten jeweils mit einem so genannten Chapter vertreten. In Frankreich gibt es eine Networking Group.

Lesen Sie die nächsten Artikel dieser Ausgabe

Lesen Sie Artikel zum selben Thema