Transformation bedeutet Veränderung

Bauwende jetzt!

Wir wissen es alle. Bauen beschäftigt die meisten Menschen und hat den größten Einfluss auf das Klima, die Artenvielfalt und den Ressourcenverbrauch – in positiver wie negativer Hinsicht. Neben dem theoretischen Wissen über die Notwendigkeit zur Transformation ist der Veränderungsdruck inzwischen spürbar geworden: Viele Menschen sind von steigenden Preisen für fossile Brennstoffe persönlich betroffen, der Ukraine-Krieg und die Pandemie haben uns die Verwundbarkeit unseres global vernetzten Wirtschaftssystems ganz konkret mit Materialmangel und Produktionsengpässen vor Augen geführt.

Von Ulla Basqué und Judith Ottich

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„Transformation bedeutet Veränderung” klingt banal, ist jedoch furchtbar schwer, weil es das Verlassen von bekanntem und scheinbar sicherem Terrain erfordert und das Loslassen etablierter und in sich bereits optimierter Praktiken bedeutet.

“It’s easy to come up with new ideas; the hard part is letting go of what worked for you two years ago, but will soon be out of date.“ hat der Autor, Redner, Berater und Erfinder Roger von Oech gesagt – und auch wenn er sich damit auf einen ganz anderen Bereich bezog, lässt sich die Aussage auf unsere aktuelle Situation in der multiplen Krise anwenden, die zu ihrer Lösung schnelle Innovation und das Ablegen von fossilen Handlungsweisen, erfordern. Harte ehrliche Analyse, Kreativität, beherztes Zupacken, Fehlerkultur und Flexibilität sind Gebote der Stunde.

Wo steht die Bauwende?

Unsere Ausgangslage 2023 ist hoffnungsvoll. Die Sinnhaftigkeit der Transformation ist anerkannt, allenthalben hört man: “Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst.”. Das Thema ist auf Messen, Kongressen und in den Entwicklungs- sowie Marketingabteilungen von Unternehmen und in der Politik angekommen. Das ist ein großer Verdienst der Wissenschaftskommunikation und der Klimabewegung. Die Umsetzung in der Breite stockt jedoch sowohl in der Bau- und Planungspraxis als auch bei den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Wir scheuen uns, die Konsequenzen zu ziehen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse in neue Handlungsweisen zu übersetzen.

Die Zaghaftigkeit ist gefährlich: Wenn wir um den fossilen Status Quo herum bloß weitere Anforderungen und Regulierungen drapieren, machen wir ein ohnehin schon schwieriges Feld noch komplizierter, strangulieren Dynamik, Innovation und dadurch die notwendige Transformation. Statt Sand ins Getriebe einer wohl geölten Maschine zu streuen, sollten wir den Mut aufbringen, die Weichen grundsätzlich auf Wandel zu stellen. John Schellnhuber drückt es in Bezug auf die Anwendung von Restbudgets, die sich leicht und pragmatisch auf Personen, Kommunen oder Unternehmen herunterbrechen lassen und wertvolle Orientierung bieten können, so aus: “…alle Politik, die im Augenblick betrieben wird, erkennt Klimaschutz an und Biodiversitätsschutz und so weiter, aber niemand will sich der nackten Brutalität dieser Zahlen stellen!“.

En gros haben wir aktuell anscheinend noch mehr Angst, genau genug hinzuschauen, um uns in der Krise einen verantwortungsvoll-ehrliches Bild der Lage zu verschaffen, als wir Angst haben vor Klimafolgen, Artensterben und Ressourcenverknappung. Das ist irrational vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Daten und der langfristigen Sicherung wirtschaftlicher Stabilität. Der Widerspruch im Status Quo zeigt sich beispielsweise daran, dass GEG-Referenzgebäude nach ESG-Kriterien mittels CRREM-Methode bewertet bald “stranded assets” wären.

Unsere Ausgangslage 2023 ist auch bedrückend und wir werden einige Schäden und Verluste zu beklagen haben. Der Rückversicherer Munich Re analysiert seit fünf Jahrzehnten die Auswirkungen der Klimaerhitzung und kommt zu dem Schluss, dass eine mittlere Erhitzung von 1,5 Grad voraussichtlich in diesem oder im nächsten Jahrzehnt erreicht oder gar überschritten wird, wenn nicht massiv gegengesteuert wird.

Wie genau das gemeinschaftliche Gegensteuern aussehen soll, müssen wir jetzt verhandeln und entscheiden. Als Entscheidungsgrundlage kann es helfen, sich die Alternativen in der fiktiven Rückschau auszumalen:

Wir schreiben das Jahr 2028…

…es war einmal eine schnelle Neubauwelle mit Wärmepumpe für jeden Haushalt, vom Staat zu 30% bezuschusst. Mit einem Sondervermögen von 500 Mio.€ wurden die jährlich versprochenen 400.000 Wohnungen im Wesentlichen von Investoren der Immobilienwirtschaft auf privaten Grundstücken neu gebaut. Aus Zeitgründen wurden Gebäude aus vorgefertigten Modulen hergestellt, 80% davon in den Städten, wo die Nachfrage am größten war. Orte auf dem Land sind inzwischen weitgehend abgehängt, manche Abwanderungslandkreise schaffen es kaum, die Grundversorgung zu finanzieren.

Die neue Dichte in den Städten führte mancherorts aufgrund fehlender städtebaulicher Begleitung zu chaotischen Verhältnissen. Rund 60.000 neue Einwohner:innen brachten z.B. in Berlin und München den ÖPNV und den Individualverkehr zum Bersten. Zwischenzeitlich konnten 1,5 Mio. Ukrainer:innen dank des Kriegsendes wieder in ihre Heimat zurückkehren. Knapp 500.000 EU-Osteuropäer:innen sind dank besserer Löhne nach Südeuropa weiter gezogen. Migration und (Klima-)Fluchtbewegungen haben aufgrund der außergewöhnlichen Dürren der Jahre 24-26 nochmals deutlich zugenommen.

Die Neubauwohnungen stehen nun immer öfter leer, die Mieten sind gestiegen, da die Bodenpolitik zu zaghaft war. Das Innenklima durch die vorwiegend serielle Bauweise, konventionell mit Stahlbeton und Styropor-Wärmedämmung, hat trotz Lüftungsanlagen häufig zur Schimmelbildung geführt. Die Nebenkosten sind wegen fossiler Brennstoffe und des knappen Stroms bereits hoch.
Nun stehen auf Druck der EU verspätet die lückenlose CO₂-Bepreisung und eine Primärrohstoffsteuer an, was Neubauten weiter verteuert, sodass viele Projekte in der gewohnten Materialqualität momentan nicht marktfähig sind. Die meisten Firmen haben immer noch keine Erfahrung mit kreislaufgerechtem und emissionsarmem Bauen gemacht, sodass sie jetzt von der Politik überrumpelt werden.

Ebenfalls 2028 gab es andernorts Kommunen, die die notwendige Bauwende pragmatisch auf Sicht eingeführt haben. Die Sanierungsrate wurde auf 4% erhöht und bestehender Stadtraum nachverdichtet mit günstigen Wohnungen, entweder auf kommunalem Grund in Erbpacht oder durch Investitionen der Immobilienwirtschaft als sozialer Wohnungsbau im neuen Gebäudetyp E. Durch neue gemeinschaftliche Wohnformen konnte der Flächenverbrauch pro Kopf deutlich reduziert werden. Dies hat auch zu günstigeren Mieten und Nebenkosten geführt. Die sanierten Gebäude sind stark nachgefragt, viele Häuser haben lange Wartelisten.

Leerstand wurde per Zweckentfremdungsverbot mit Ordnungsgeldern belegt und gleichzeitig mit Unterstützung des Finanzamtes angezeigt.

Der Abriss von Bestandsbauten muss seit 2024 verpflichtend vom Architekten geprüft und die Abbruchmaterialien wiederverwendet werden. Digitale Wieder- und Weiterverwendungs-Plattformen sind inzwischen in allen Bundesländern etabliert, die regionale Recyclingwirtschaft und der Handel mit Sekundärbauteilen und Bauservices blüht auf. Selbstverwaltung und Energiegenossenschaften wurden im Sozialen Wohnungsbau eingeführt, um die kommunalen Lasten erträglich zu gestalten. Finanzielle Anreize zum Umbau wurden durch Abschaffung der MwSt. für Privateigentümer geschaffen. Parallel dazu sind viele Städte klimaresilient durch entsprechende Begrünungs- und Mobilitätskonzepte gestaltet worden.

Auf die Vernetzung von Stadt- und Landkreisen wurde viel Wert gelegt, Bahngleise wieder reaktiviert, Fahrradwege und ÖPNV ausgebaut. Anreizprogramme für junge Familien haben den Leerstand auf dem Land reduziert. Glasfaser- und ÖPNV-Anschluss durch Schiene oder Busse haben eine sehr gut funktionierende Alternative auf dem Land geschaffen.

Banken und Versicherungen haben sich inzwischen bei der Kreditwürdigkeit und Finanzierung von Immobilien an DGNB, LEED oder anderen Gütesiegeln ganz im Sinne der EU-Taxonometrie orientiert. 96% aller Neubauten sind laut IREBS mehr oder weniger CO₂-neutral. Wenn man die Immobilienwirtschaft im weiteren Sinne betrachtet, reden wir über ca. ein Drittel an Werten für Deutschland. Hier hat sich die Bauwirtschaft schon oft als äußerst wirksame Rettung der Binnennachfrage bei nachlassender Weltkonjunktur bewährt.

Es führen immer viele Wege nach Rom. Der Blick in die Zukunft macht die Bedeutung der grauen Emissionen deutlich. “Wir brauchen Wohnraum, aber Bauen belastet das Klima: Der Wohnungsneubau eines Jahres verursacht ähnlich viele Treibhausgase wie die Nutzung sämtlicher 43 Millionen Altbauwohnungen.” resümiert Daniel Fuhrhop in seiner Dissertation “Neue Wohnformen braucht das Land”. Ja, man könnte, wie Werner Sobek empfiehlt, fossile Abfälle auch verbieten. Denn “Wir haben ein Emissions- und kein Energieproblem”.

Wir brauchen Werkzeuge und müssen Rahmenbedingungen schaffen, die den Wandel ermöglichen, z.B. mit der UMbauordnung, wie die Architects for Future sie gemeinsam mit Architektenkammern und Verbänden auf den Weg gebracht haben.

Judith Ottich ist Architektin, Fachkraft Lehmbau, Klimaaktivistin und Bauwendeberaterin. Nach dem Studium am KIT mit dem Schwerpunkt „Planen und Bauen im Bestand“ und mit Praxissemester bei zrs Berlin, arbeitete sie als Architektin in Zürich, bei Lausanne und in Heidelberg. Ihr Engagement für Klima und Umwelt begann 2008 bei Greenpeace. 2020 hat sie den Verein Architects for Future mit gegründet. Seit diesem Jahr hebt sie gemeinsam mit einem interdisziplinären Team das Startup 1p5 consult aus der Wiege.

Architekt:innen der Zukunft

Selbstredend integriert die neue Welt der Architektur BIM in 4D, es gibt den sogenannten digitalen Zwilling. Nicht nur, dass man das Gebäude virtuell begehen kann. Auch Schnittstellen zwischen Aus- und Rohbau sowie technischen Gewerken sind in 3D geplant, mit Herstellerangaben und Wartungszyklen hinterlegt. Ein Gebäudepass als Materialausweis (die frühere Baubeschreibung) mit CO₂-Nachweis im Energieausweis. Damit sind die Gebäudeinformationen transparent und digital für alle Zwecke von Baugenehmigung, Nebenkostenabrechnung bis hin zur Instandhaltung digital hinterlegt. In der Kreislaufwirtschaft wird weit mehr Flexibilität in der Planung im Sinne eines Design by availability gefragt sein: Welche Bauteile kann ich wo und in welcher Qualität bekommen und was für einen Entwurf ermöglicht mir das? Parallel dazu wandelt sich das Gebäude bis zur Fertigstellung.

Wir brauchen auch eine Bildungswende hin zu mehr Ausbildung in Um-, An- und Aufbau. Tatsächlich gibt es heute noch Bachelorabsolvent:innen, die in ihrem Studium kein Projekt im Bestand bearbeitet haben. Nachnutzungen setzen eine hohe technische und konstruktive Analysefähigkeit von Strukturen und unterschiedlichen Bauqualitäten der jeweiligen Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte voraus. Laut Statistik der Architektenkammern werden heute schon deutlich mehr Umbauten im Bestand als Neubauten zur Genehmigung eingereicht. Nach Ansicht von BAK und BIngK ist die Stärkung von Nachhaltigkeitsaspekten in Planung und Bau dringend erforderlich.

“Die Nachhaltigkeit spiele bislang nur bei einem geringen Anteil aller Bauprojekte eine Rolle”. Damit sich dies bald ändert, hat anlässlich der BAU 2023 am 17.4.2023 in München die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK), Andrea Gebhard, und der Präsident der Bundesingenieurkammer (BIngK), Dr.-Ing. Heinrich Bökamp ein gemeinsames Konzeptpapier der Bundeskammern mit dem Titel „Fit for Nachhaltigkeit“ an Bundesbauministerin Klara Geywitz übergeben. Zentrale Eckpunkte des Papiers sind die „Qualifizierungsoffensive Nachhaltigkeit“ der Kammern mit dem Angebot an den Bund, ein kammergeführtes „Bundesregister Nachhaltigkeit“ einzurichten.

Ulla Basqué ist (Innen-)Architektin und Immobilienökonomin. Ihr Büro plant vorwiegend im Bestand, d.h. energetische Sanierungen, Um-, An- und Aufbauten sowie Projektentwicklungen. 2009 erhielt sie den Forschungspreis der deutschen Immobilienwirtschaft für ihre Master Thesis “Revitalisierung innerstädtischer Brachen am Fluss”. Ihr Engagement für Klima und Umwelt begann 1998 mit dem 1.Solarkongreß. Sie ist ehrenamtlich für den BDIA, die Bayerische Architektenkammer und die A4F tätig.

Gerade weil Menschen im Bausektor gestaltend in einem Bereich tätig sind, auf den es jetzt ankommt, haben sie eine besondere Verantwortung. Grundsätzlich aber sind Planer:innen auch Erdenbürger:innen und als solche müssen wir alle unser Denken und Handeln neu ausrichten. UBA-Präsident Dirk Messner hat im BAK-Podcast “Architektur, Stadt, Planung” Folge 25 angeregt, die Aufklärung mit drei Prinzipien auf die nächste Stufe zu heben. Diese finden wir sehr prägnant formuliert und leiten daraus konkrete Konsequenzen ab:

Erstens: Wir müssen als Menschheit Erdsystemverantwortung übernehmen. Wir meinen, das bedeutet: Scheuklappen weg, den Blick weiten und die vielfachen Zusammenhänge und Wechselwirkungen im Blick behalten – nicht abstrakt mit salbungsvollen Worten von Verantwortung, sondern ganz konkret in Taten. Ich muss mich bei allem, was ich tue, fragen: Bleibt das Erdsystem stabil, wenn ich meine Handlung auf 10 Milliarden Menschen hochrechne, die auf die gleiche Idee kommen könnten, wenn es gerecht zugeht? Und wenn nicht, muss ich es lassen und eine andere Lösung für akute Bedürfnisse finden.

Zweitens: Es geht darum, Verteilungsgerechtigkeit im globalen Maßstab auszutarieren. Denn wir können die Multikrise aus Artensterben, Klimaerhitzung und Ressourcenverknappung nur lösen, wenn wir das mit sozialer globaler Gerechtigkeit verbinden. 10% der Menschheit ist verantwortlich für 50% der Emissionen; die Hälfte der Weltbevölkerung emittiert deutlich unter 10% – das ist eine Gerechtigkeitsfrage! Das Recht des globalen Südens den baulichen Nachholbedarf zu befriedigen bedeutet eine Verdopplung der globalen Infrastruktur. Die Bauthemen der Transformationsjahre hängen also zusammen und müssen sich daher regional unterscheiden: Im Norden geht es eher um Bestandsbewirtschaftung und Zirkularität; im Süden um lebenswerte und regenerative Stadt- und Regionalentwicklung.

Drittens: Was wir in den nächsten zehn bis maximal dreißig Jahren tun, entscheidet über alle darauffolgenden Generationen. Wir müssen unseren Bezugsrahmen also nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich erweitern. Das bedeutet für die Priorisierung unserer Handlungsschritte: Wir brauchen nicht die einfachen kostengünstigen Maßnahmen zuerst, sondern diejenigen mit der größten Wirkung – gerade wenn sich das Handlungsfenster für große Investitionen zu schließen droht. Denn mit jedem Unterlassen bürden wir uns selbst oder unseren Nachfolger:innen die Umsetzung in Zukunft unter sich verschärfenden Krisenbedingungen auf.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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