Eine Forschungspublikation zum Zürcher Genossenschaftsmodell wurde mit dem Bruno-Kreisky-Preis für sozial-ökologisches Wohnen und Zusammenleben ausgezeichnet.
— MAIK NOVOTNY
Wenn es um sowohl sozial als auch architektonisch innovationsfreudigen Wohnbau geht, ist Zürich mit seiner langen Tradition des genossenschaftlichen Wohnens ein stadtgewordenes Best-Practice-Beispiel. Diese Kontinuität hat auch unter dem hohem Verwertungsdruck der Gegenwart weiterhin Bestand. Die Mieten in Zürich sind in den letzten 25 Jahren um 60 Prozent gestiegen, die Immobilienpreise haben sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt.
Dennoch wurde von Wohngenossenschaften immer wieder experimentelle Architektur für neue Formen des Zusammenlebens jenseits der Kernfamilie realisiert: Cluster von Mikroeinheiten, Live-Work-Apartments und neue Formen des Mietens. Quartiere und Bauten wie Kalkbreite oder das Hunziker-Areal haben breite mediale und fachliche Resonanz erfahren. Die Durchschnittsmiete in Zürcher Genossenschaften liegt rund 40 Prozent unter jener auf dem freien Markt. Begünstigt wird dies nicht zuletzt durch ein Finanzierungsmodell, bei dem Banken faire Kredite vergeben.
Wie genau das Zürcher Modell funktioniert, wie es sich historisch entwickelt hat, welche Rolle wirtschaftliche und architektonische Aspekte dabei spielen, haben die Forscherinnen Anne Kockelkorn, Susanne Schindler und Rebekka Hirschberg in ihrer umfangreichen und fundiert recherchierten Publikation „Cooperative Conditions: A Primer on Architecture, Finance and Regulation in Zurich“ analysiert und dargestellt. Bei einer Festveranstaltung im Architekturzentrum Wien wurde diese Publikation mit dem Bruno-Kreisky-Preis für sozial-ökologisches Wohnen und Zusammenleben 2024 ausgezeichnet, der vom Karl-Renner-Institut in Kooperation mit dem Verein für Wohnbauforschung ausgelobt und zum dritten Mal verliehen wurde.
„Das Werk zeichnet sich durch seine präzise Analyse und praxisorientierte Perspektive aus, die den Leser: innen nicht nur ein tiefgehendes Verständnis für die Herausforderungen und Chancen des kooperativen Wohnens vermittelt, sondern auch konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigt“, lobte die Jury. „Besonders hervorzuheben ist die Art und Weise, wie die Autorinnen architektonische Qualität mit Aspekten von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit in Einklang bringen. Sie liefern wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung kooperativer Wohnformen in Städten und tragen damit entscheidend zur aktuellen Debatte um bezahlbaren Wohnraum und ökologische Verantwortung bei.“
Teil von Staat und Markt
Zu den Faktoren, die das Zürcher Genossenschaftsmodell so erfolgreich machen, zählen laut den Autorinnen das Kontinuum der permanenten Gemeinnützigkeit, die Unterstützung durch gesetzliche Regularien und städtische Liegenschaftspolitik, die Einkommensunabhängigkeit sowie das kooperative Genossenschaftsmodell. Dass ausgerechnet die ordentliche Schweiz mit ihrer basisdemokratischen Tradition solche Experimente hervorbringt, ist laut den Autorinnen kein Zufall. Denn hier finden Pragmatismus und Utopie zusammen. Dieses Wohnbaumodell, so ihr Fazit, existiere nicht außerhalb von Staat und Markt, sondern als Teil von beiden. Die Forschung zeige auch, dass die öffentliche Unterstützung der Genossenschaften der Allgemeinheit viel Geld in Form von Sozialförderungen spart.
Die Frage, inwiefern das komplexe System des gemeinnützigen Wohnbaus in Österreich von Zürich lernen kann, wurde bei der Preisverleihung auf einem abschließenden Podiumsgespräch von den Autorinnen, Michael Gehbauer, zum Zeitpunkt der Auszeichnung noch Obmann des Vereins für Wohnbauforschung, dem Soziologen Nikolaus Dimmel und der Architektin Sabine Pollak diskutiert. Die Antwort blieb offen – doch dass hier ein wertvolles Buch voller hochverdichteter Erkenntnisse und Analysen vorliegt, darüber waren sich alle einig.