Sinnvoll weiterbauen

Um dem wachsenden Leerstand im ländlichen Raum auf der einen Seite und der zunehmenden Bodenversiegelung im urbanen Raum auf der anderen Seite wirksam zu begegnen, muss eine Antwort Umnutzung und Aufstockung lauten. Ein Weg, der neben Chancen auch Herausforderungen mit sich bringt.
LINDA PEZZEI

Das Thema der Umnutzung und Nachverdichtung zwingt uns nicht nur, uns mit bestehenden Substanzen und deren Potenzialen zu beschäftigen, sondern bietet auch die Gelegenheit, soziale Ziele zu verfolgen und die Bewohner in Prozesse miteinzubinden. Im besten Falle lassen sich so Gemeinkosten für den Hausbetrieb, das Grundstück, die Erhaltung oder Verwaltung anteilig reduzieren, sodass der einzelne Bewohner durch eine Aufstockung sogar Geld sparen kann.

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Umnutzung 
Änderungen bestehender Nutzungen hin zu Wohnzwecken bezeichnet man als Umnutzung oder Konvergenz. Das kann Teile von Gebäuden bis hin zu gesamten Bauten oder Arealen in privatem oder öffentlichem Besitz umfassen.

Aufstockung/ Nachverdichtung 
Unter einer Aufstockung versteht man die vertikale Erweiterung bestehender Bausubstanzen, wobei der Bestand unberührt bleibt. Typische Beispiele sind Ausbauten von Dachgeschoßen oder die Ergänzung bestehender Bauwerke um neue Geschoße. 

Konfliktpotenziale 
- Verbauung der Aussicht
- Politische Begehrlichkeiten
- Denkmalschutz
- Rechte von Eigentümern, Anrainern und Nachbarn
- Rechte der Mieter

Andererseits können durch Umnutzungen Gemeinschaftsflächen eher erhalten oder gar erst nutzbar gemacht werden, anstatt neue Flächen zu versiegeln. Wiens Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál bestätigt das innerstädtische Potenzial auf Gebieten ehemaliger Kasernen, Bahnhofsgeländen wie dem Projekt Wientalterrassen, Nord-westbahnhof oder auch z. B. aufgelassenen Spitälern wie dem ehemaligen Sophienspital.

Bis Sommer 2025 wollen die Bauträger WBV-GPA und Sozialbau AG auf dem Areal des ehemaligen Sophienspitals in Wien-Neubau 176 geförderte Wohnungen sowie Wiener Wohnen 46 Gemeindewohnungen errichten. Das neue Stadtquartier soll auch Geschäfte, ein WUK-Jugendcoaching, einen Kindergarten, eine Volkshochschule sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen umfassen.

Durch die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ ist garantiert, dass auch tatsächlich leistbare Wohnungen entstehen werden. Bauträgerwettbewerbe stellen sicher, dass die ganzheitliche Idee eines Wohnquartiers auch faktisch verfolgt wird. Ein Grundstücksbeirat überwacht dann während des gesamten Prozesses, dass die Interessen der Allgemeinheit nicht verloren gehen.

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Stadt als Rohstofflager

Die Wiederverwertung bestehender Baumaterialien ist nichts Neues und wird praktiziert seitdem gebaut wird. Dabei spielt die sortenreine Trennbarkeit in einem Zeitalter schwer oder nicht recycelbarer Baustoffe eine tragende Rolle. Während beim Recycling die Rohstoffe eines Produkts mittels industrieller Prozesse für die Wiederverwertung aufbereitet werden, steht Upcycling für die Verwendung ausgedienter Produkte für andere Zwecke als ursprünglich vorgesehen. Die Bewegung des Urban Minings – also der Stadtschürfung – versteht den urbanen Raum hingegen als Rohstoffquelle, um auf Basis bestehender Gebäude, Infrastrukturen und Deponien den steigenden Bedarf an Rohstoffen zu decken.

Revitalisieren – umnutzen – aufstocken: Musterbeispiel Wohnprojekt „Sophie 7“. Der Altbau wird aufgestockt und vollständig saniert, es entstehen 46 Gemeindewohnungen, die WBV-GPA und Sozialbau AG errichten 176 geförderte Wohnungen.

Beim Projekt DreiGang in Golling wird im Rahmen eines Forschungsprojekts von Salzburg Wohnbau mit Partnern in diesem Sinne aus dem Rückbau eines bestehenden Seniorenwohnheims Material aus dem Altbestand recycelt und im Neubau eingesetzt. Das autofreie Areal umfasst bei Fertigstellung 36 Eigentums- und Mietkaufwohnungen von zwei bis vier Zimmern zwischen 60 und 100 Quadratmeter sowie Freiflächen wie Balkon, Terrasse oder Eigengarten. Im Zuge der Umsetzung sollen Ressourcen gespart und der CO₂-Fußabdruck verringert werden.


Foto: Katharina Schiffl

Drei Fragen an Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen

Reconstruction – Sanierung – Recycling: Welche Materialien eignen sich besonders gut?

Natürlich sind nachwachsende Materialien wie Holz immer von Vorteil, wenn wir über Ressourcenverbrauch reden. Anstatt aber auf industriell gefertigte neue Produkte zurückzugreifen, ist es noch besser, die Ressourcen aus dem Bestand zu nutzen. Im Sinne von „Urban Mining“ kann man Substanz aus dem Bestand upcyceln, wodurch eine langfristige Nutzbarmachung bestehender Materialien wie Stein der Neubeschaffung von etwa Holz vorzuziehen wäre. Die Frage, welche Stoffe man verwendet, rückt damit in den Hintergrund der Überlegung, sondern es geht darum, wie man diese einsetzt. Zerlegbare Bauteile und der Modulbau erhalten den Vorzug vor Verbund- Elementen.

Ein klassisches Beispiel für Urban Mining sind Gebäude, die oft noch aus der Gründerzeit stammen und mit hochwertigen Materialien gebaut wurden. Ich arbeite beispielsweise momentan an einem Projekt, bei dem hochqualitative Holzbalken aus dem Jahr 1460 wiederverwendet werden. Mit den heutigen Vermessungs- und Berechnungsmethoden können solche Baustoffe erhalten und neu eingesetzt werden. Es gibt etliche Best-Practice- Beispiele, die uns vielseitige Möglichkeiten aufzeigen – und uns ermuntern, diese vermehrt zu nutzen.

Daniel Fügenschuh

Wie entwickeln Sie Ihre Grundrisstypologien?

Die aktuellen Bauordnungen erschweren das ressourcensparende Bauen in Form von Upcycling und Urban Mining. Zertifizierungspflichten und hohe Anforderungen an Einzelzulassungen bedeuten einen hohen Aufwand für Planer und Architekten. Im Gegensatz zu Upcycling und Urban Mining ist es für viele einfacher, in den Katalog zu schauen und die standardisierten Produkte aus der Industrie zu bestellen. Für klimafreundliche und ressourcensparende Bauweisen gibt es also höhere Hürden zu überwinden als für klimaschädliche Bauten.

Hier sind ZiviltechnikerInnen besonders gefordert, mit Weitsicht zu handeln und ihre Expertise in die Planung einzubringen. Die Problematik wird mittlerweile auch stark adressiert – vor allem auf EU-Ebene gibt es intensive Bestrebungen, den nötigen Wandel voranzutreiben. Ein Beispiel ist die EU-Initiative „New European Bauhaus“, die eine nachhaltige und ressourcenschonende Baukultur propagiert und fördert.

Daniel Fügenschuh

Wie könnte schlummerndes Potenzial diesbezüglich nutzbar gemacht werden?

Die Gesetzgebung muss reagieren. Um Upcycling und Urban Mining zu stärken, muss die Umsetzung zukunftsweisender Projekte einfacher und günstiger werden. Vor allem Einzelzulassungen müssen gefördert werden, damit Planer und Architekten die Projekte schneller umsetzen können.

Für ressourcen- und energiesparende Bauweisen sollten Anforderungen wie die Zertifizierungspflichten gelockert und vereinfacht werden. Österreich muss sich den Vorreitern in der EU anschließen und die Baukultur des NEB aktiv unterstützen. Dies ist eine Chance, die man nicht verpassen sollte!

Daniel Fügenschuh

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